Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2016; 51(07/08): 458-467
DOI: 10.1055/s-0042-111033
Fachwissen
Anästhesiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Anästhesie und Multiple Sklerose - Was gilt es zu beachten?

Anesthesia and Multiple Sclerosis: What needs to be considered?
Andreas Drust
1   Klinik für Anaesthesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
,
Claudius Bartels
2   Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
,
Thomas Hachenberg
1   Klinik für Anaesthesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenz

Dr. med. Andreas Drust
Klinik für Anaesthesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
Leipzigerstr. 44
D-39120 Magdeburg
Dr. med. Claudius Bartels
Prof. Dr. med. Thomas Hachenberg

Publication History

Publication Date:
01 August 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Patienten mit seltenen neurologischen Erkrankungen sind stets eine Herausforderung im klinisch-operativen Alltag. Insbesondere anästhesiologische Interventionen können dabei mit vielfältigen Problemen behaftet sein. Der Artikel befasst sich mit dem aktuellen Wissensstand zur Multiplen Sklerose in der Anästhesie. Dabei beziehen sich die Autoren auf die sichere Vorbereitung und Durchführung verschiedener Anästhesieformen sowie die Vermeidung und ggfs. die Therapie möglicher Komplikationen.


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Abstract

Patients with rare neurological diseases are always a challenge in routine clinical activity. In particular, anesthetic interventions can be fraught with many problems. This article deals with the current state of knowledge on multiple sclerosis in anesthesia. Here, the authors refer to the safe preparation for and implementation of various forms of anesthesia as well as the prevention and if necessary, treatment of possible complications.


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Patienten mit seltenen neurologischen Erkrankungen sind stets eine Herausforderung im klinisch-operativen Alltag. Insbesondere anästhesiologische Interventionen können dabei mit vielfältigen Problemen behaftet sein. Der folgende Artikel befasst sich mit dem aktuellen Wissensstand zur Multiplen Sklerose in der Anästhesie. Dabei beziehen sich die Autoren auf die sichere Vorbereitung und Durchführung verschiedener Anästhesieformen sowie die Vermeidung und ggfs. Therapie möglicher Komplikationen.

Grundlagen

Definition, Epidemiologie, Symptomatik

Krankheitsbild

Multiple Sklerose (MS) ist eine immunvermittelte Erkrankung des zentralen Nervensystems. Das 1868 durch Jean Martin Charcot als „la sclérose en plaques disséminées“ beschriebene Krankheitsbild führt dauerhaft zu Demyelinisierungen und axonalen Schädigungen von Gehirn und Rückenmark. Sie ist die häufigste neurologische Ursache für bleibende Behinderungen im jungen Erwachsenenalter [1] [2].


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Prävalenz

Die Prävalenz liegt bei 2–150 Fällen pro 100 000 Einwohner mit starker länderspezifischer Abhängigkeit [3]. Weltweit wird die Zahl der Betroffenen auf ca. 2 Mio. geschätzt, in Deutschland geht man von > 120 000 Erkrankten aus [4]. Frauen sind 1,4–2,3-mal häufiger betroffen als Männer [5]. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 30 Jahren, obwohl in seltenen Fällen Neudiagnosen bis ins hohe Alter möglich sind [6].


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Verlaufsformen

Klinisch lässt sich die Erkrankung in unterschiedliche Verläufe einteilen [2]:

  • das radiologisch isolierte Syndrom (RIS),

  • das klinisch isolierte Syndrom (KIS) ,

  • die schubförmige („Relapsing-Remitting“, RRMS),

  • die sekundär progrediente (SPMS) und

  • die primär progrediente (PPMS) Verlaufsform.

MS beginnt in > 80 % der Fälle mit schubförmigem Verlauf und variabler Symptomatik in Abhängigkeit betroffener ZNS-Strukturen [7]. Zu den typischen klinischen Symptomen gehören beispielsweise Sehstörungen, in Form von Verschwommensehen und Farbentsättigung, sowie Augenbewegungsschmerz als Ausdruck einer Optikusneuritis, Doppelbilder, Tremor, skandierende Sprache, Nystagmus und ataktische Gangstörungen als Folge von Läsionen in Hirnstamm und Kleinhirn oder auch Taubheit und Parästhesien [8]. Motorische Störungen in Form von spastischen, häufig jedoch auch schlaffen Para-, Tetra- oder auch Hemiparesen weisen auf die Beeinträchtigung sensomotorischer Bahnen oder von deren Zentren im Gehirn und Rückenmark hin. Entsprechend können auch kognitive Beeinträchtigungen oder Epilepsie, aber auch Harnblasen- und Darmdysfunktionen oder Erschöpfung (Fatigue) auftreten [2] [9].


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Schmerz als Symptom

Schmerz ist ein weiteres typisches Symptom der Erkrankung. Es finden sich nozizeptive, neuropathische, idiopathische sowie gemischte Schmerzmanifestationen. Als pathophysiologische Ursachen werden spinothalamokortikale Läsionen, ektope Entladungen demyelinisierter Neurone, Aktivierung intraneuraler Nozizeptoren, Spastik sowie Haltungsanomalien bei motorischen Störungen angesehen [10].


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Umweltfaktoren

Das Auftreten von MS scheint sowohl genetisch als auch durch Umweltfaktoren beeinflusst zu werden. So zeigt sich eine Korrelation zwischen geografischer Lage und MS-Häufigkeit. In Nordeuropa, Süd-Kanada, den nördlichen USA, östlichem Australien und Neuseeland finden sich weltweit die höchsten Zahlen MS-Erkrankter [5]. Besonders Regionen mit weißer Population sowie entwickelte Länder haben eine hohe Inzidenz [11].

Weitere mögliche Faktoren, die mit dem Auftreten von MS positiv korrelieren, sind Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus, Rauchen, geringe Sonnenexposition und damit einhergehend ein Mangel an Vitamin D [9].


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Genetik

Genetische Untersuchungen legen im Hinblick auf das MS-Risiko eine Beteiligung des Major-Histokompatibilitätskomplexes (MHC) nahe, wobei mittlerweile allerdings auch > 100 non-MHC-Genloci identifiziert wurden, denen eine positive MS-Korrelation angelastet wird [12]. Es zeigt sich eine familiäre Häufung von MS-Fällen in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad. Bei eineiigen Zwillingen liegt z. B. das Lebenszeit-Erkrankungsrisiko bei 25–35 %, wenn bereits ein Zwilling von MS betroffen ist [13].


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Diagnose

Die Diagnose der MS erfolgt heutzutage nach den 2010 revidierten McDonald-Kriterien [14]. Sie sind in [Tab. 1] dargestellt. Es gibt Bestrebungen, die MS auch bereits vor dem Auftreten von klinischen Symptomen bei entsprechenden Befunden im MRT zu diagnostizieren (radiologisch isoliertes Syndrom; RIS) [2].

Tab. 1 2010 McDonald-Kriterien zur Diagnose der Multiplen Sklerose [14].

2010 McDonald-Kriterien zur Diagnose der Multiplen Sklerose

klinische Befunde

weitere erforderliche Kriterien

  • ≥ 2 Schübe; objektiver klinischer Anhalt für ≥ 2 Läsionen oder objektiver klinischer Anhalt für 1 Läsion und anamnestische Hinweise für einen früheren typischen MS-Schub

  • keine

  • klinische „Evidenz“ ausreichend (zusätzliche „Evidenz“ wünschenswert, muss dann mit MS vereinbar sein)

  • ≥ 2 Schübe; objektiver klinischer Anhalt für 1 Läsion

  • räumliche Dissemination im MRT belegt durch:

    • mind. 1 T2-Läsion in min. 2 von 4 MS-typischen ZNS-Regionen (periventrikulär, juxtakortikal, infratentoriell oder Rückenmark)

    • oder weiterer klinischer Schub

  • 1 Schub; objektiver klinischer Anhalt für mind. 2 Läsionen

  • zeitliche Dissemination im MRT:

    • gleichzeitiger Nachweis von asymptomatischen Gadolinium-aufnehmenden und nicht aufnehmenden Läsionen

    • oder mind. 1 neue T2- und / oder Gadolinium-aufnehmende Läsion in einem Folge-MRT, unabhängig vom Abstand zum Ausgangs-MRT

    • oder 2. klinischer Schub

  • 1 Schub; objektiver klinischer Anhalt für mind. 1 Läsion (klinisch isoliertes Syndrom; CIS)

  • räumliche Dissemination im MRT (wie oben definiert)

  • und zeitliche Dissemination im MRT (wie oben definiert)

  • oder 2. klinischer Schub

  • schleichende Zunahme neurologischer Symptome, die eine MS nahelegen (primär progrediente Verlaufsform der MS; PPMS)

  • 1 Jahr Krankheitsprogression (retrospektiv oder prospektiv festgestellt) und 2 von 3 der folgenden Kriterien:

    • 1. räumliche Dissemination im Gehirn anhand von ≥ 1 T2-Läsionen in den MS-charakteristischen Regionen (periventrikulär, juxtakortikal oder infratentoriell)

    • 2. räumliche Dissemination im Rückenmark anhand von ≥ 2 T2- Läsionen

    • 3. positiver Liquorbefund (Nachweis von oligoklonalen Banden in der isoelektrischen Fokussierung und / oder erhöhter IgG-Index)


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Therapie

Die Therapie der MS folgt in Deutschland in der Regel einem Stufenschema [2]. Dieses ist in [Tab. 2] dargestellt.

Tab. 2 Stufentherapie der Multiplen Sklerose.

Stufentherapie der Multiplen Sklerose

Indikation

klinisch isoliertes Syndrom (KIS)

schubförmige Verlaufsform (RRMS)

sekundär progrediente Verlaufsform (SPMS)

Basistherapie

(milde / moderate Verlaufsform)

Glatirameracetat

Interferon β 1a

Interferon β 1b

Dimethylfumarat

Glatirameracetat

Interferon β 1a

Interferon β 1b

Peginterferon β 1a

Teriflunomid

mit aufgesetzten Schüben

ohne aufgesetzte Schübe

Interferon β 1a

Interferon β 1b

Mitoxantron

Eskalationstherapie

(hochaktive Verlaufsform)

1. Wahl

2. Wahl

Alemtuzumab

Fingolimod

Natalizumab

Mitoxantron

Schubtherapie

1. Wahl: Methylprednisolonpuls

2. Wahl: Plasmaseparation


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Anästhesie bei MS

Präoperative Evaluation

Beinträchtigungen

Die für MS typische neuronale Demyelinisierung erstreckt sich diffus über das gesamte ZNS und beeinträchtigt wichtige Funktionsbereiche in unterschiedlichem Ausmaß.


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Respiratorische Dysfunktion

Läsionen im Atemzentrum der Medulla oblongata sowie des zervikalen und thorakalen Rückenmarks können in fortgeschrittenen MS-Stadien zu respiratorischer Dysfunktion führen. Obwohl Vitalkapazität und totales Lungenvolumen oft normal sind, kommt es durch motorische Einschränkungen der Atemmuskulatur zur Reduktion von max. inspiratorischem und exspiratorischem Flow.


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Parameter und Tests

Spirometrische Parameter wie forcierte Vitalkapazität und Einsekundenkapazität sind leicht reduziert bei normalem Tiffeneau-Index [15]. Eine verringerte pulmonale Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid lässt sich nachweisen [16]. Neben Lungenfunktionsuntersuchungen und arteriellen Blutgasbestimmungen erlauben einfache klinische Tests häufig eine gute Beurteilung der respiratorischen Funktion MS-Erkrankter. So sollten Patienten präoperativ dahingehend untersucht werden, wie gut sie in der Lage sind, tief auszuatmen sowie abzuhusten [17] [18].

  • Diese einfachen Maßnahmen sind von klinischem Wert, da sie während der Prämedikationsvisite leicht erhoben werden können.


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Atemstörungen

Atemstörungen, die bei MS in Erscheinung treten, sind häufig das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS), seltener zentrale Schlafapnoen, Schlaflosigkeit oder auch Narkolepsie [19]. OSAS scheint durch Läsionen höherer Hirnzentren, die die Atem- und Atemwegsmuskulatur regulieren, verursacht zu werden, möglicherweise zusätzlich auch durch Übergewicht bei längerem MS-bedingten Bewegungsmangel [20]. Zur Prämedikation sollte daher auf Benzodiazepine wie z. B. Midazolam verzichtet werden. Clonidin ist wahrscheinlich unproblematisch [21]. Insbesondere bei starker Beeinträchtigung der pharyngealen und laryngealen Muskulatur muss bei MS-Patienten auch mit chronischer Aspiration gerechnet werden [18].


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Hämodynamische Instabilität

Läsionen im hohen thorakalen Rückenmark können mit autonomer Dysfunktion einhergehen, was perioperativ zu hämodynamischer Instabilität unterschiedlichen Ausmaßes führen kann [18]. Insbesondere während der Einleitung rückenmarksnaher Regionalanästhesien können ausgeprägte Hypotensionen auftreten, die selbst mit Volumen- oder Vasopressorgabe schwierig zu therapieren sind [22].

  • Wenn MS-Patienten präoperativ über Symptome wie Impotenz, Synkopen, Harnblasen- oder Darmdysfunktionen klagen, sollte dies daher als Warnsignal für das Auftreten perioperativer Hämodynamikprobleme bewertet werden [23].


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Kardiovaskuläre Komorbidität

Die kardiovaskuläre Komorbidität ist bei MS erhöht. Koronare Herzkrankheit, chronische Herzinsuffizienz, ischämischer Schlaganfall und periphere arterielle Verschlusskrankheit treten bei MS signifikant häufiger auf als bei der Normalbevölkerung [24]. Erklärungsansätze für diese Beobachtung sind das häufigere Rauchen bei MS-Erkrankten sowie Übergewicht durch Bewegungsmangel, was mit subklinischer Atherosklerose assoziiert ist [25].

  • Bei der präoperativen Risikoevaluation sollten daher mögliche kardiale Erkrankungen präzise erfragt werden.

Tipps für die Prämedikationsvisite:

  • testen, ob Patienten tief ausatmen und abhusten können

  • auf Atemstörungen und kardiale Erkrankungen besonders achten

  • Impotenz, Synkopen, Harnblasen- oder Darmdysfunktionen gezielt erfragen

  • Benzodiazepine zur Prämedikation möglichst vermeiden (alternativ Clonidin)


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Allgemeinanästhesie

Triggerfaktoren für Exazerbationen

Stress als Auslöser

Generell gilt, dass Stress eine akute MS-Exazerbation verursachen kann. So kommt es durch Belastungssituationen wie schwere Grunderkrankungen, Infektionen, Geburt, aber auch Operationen und Anästhesien u. U. zur Exazerbation.

  • Dies bedeutet aber nicht, dass Anästhesie als unabhängiger Triggerfaktor für eine akute MS-Verschlechterung angesehen werden darf, sondern lediglich ein Stressfaktor von vielen ist [18].


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Erhöhte Körpertemperatur

Als spezifischer Trigger für MS-Exazerbationen gilt dagegen eine erhöhte Körpertemperatur. Die als Uhthoff-Phänomen beschriebene Verschlechterung von MS-Symptomen bei Körpertemperaturerhöhung (Fieber, Sauna, heiße Bäder) liegt pathophysiologisch in einer verminderten Leitfähigkeit demyelinisierter Axone begründet, von der ca. 80 % aller Erkrankten betroffen sind [26] [27].

  • Perioperative Temperaturerhöhungen sollten daher erkannt und am besten schon vor dem Eingriff entsprechend behandelt werden.

Antipyretika bei Infektionen, aber auch Antibiotika im Fall von nachgewiesener bakterieller Beteiligung, sollten in Erwägung gezogen werden. Ein intraoperatives Temperaturmanagement ist auch bei kurzen Eingriffen empfehlenswert. Der übermäßige Gebrauch von Wärmematten oder anderen Heizgeräten sollte bei MS-Patienten mit Zurückhaltung erfolgen [9].

  • Grundsätzlich sollten elektive chirurgische Eingriffe stets während der Remissionsphase stattfinden [18].


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Injektionshypnotika, volatile Anästhestika, Opioide

Studienlage

Für den Einsatz von Hypnotika und Narkoanalgetika bei MS existieren nur spärliche Informationen in der Literatur. Häufig handelt es sich lediglich um Fallberichte.

Den publizierten Daten ist zu entnehmen, dass sowohl mit halogenierten volatilen Anästhetika wie Sevofluran und Desfluran als auch mit Lachgas komplikationslose Allgemeinanästhesien bei MS-Erkrankten durchgeführt wurden. Als Analgetika kamen Remifentanil und Fentanyl zum Einsatz sowie Propofol als Einleitungshypnotikum [28] [29] [30] [31].

  • Die genannten Substanzen scheinen nach den wenigen verfügbaren Untersuchungen risikoarme Allgemeinanästhesien zu ermöglichen. Ob andere Opioide oder Thiopental ebenso geeignet sind, ist unklar.


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Muskelrelaxanzien

Besonderheiten bei MS-Patienten

MS-Patienten zeigen typischerweise eine Hochregulierung nikotinerger Azetylcholinrezeptoren mit erregungsbedingt verlängerter Öffnungsdauer. Dies erfordert i. d. R. höhere Dosen nicht depolarisierender Muskelrelaxanzien, wobei mit verzögertem Wirkungsverlust gerechnet werden muss [32]. Durch Einsatz relaxometrischer Verfahren bereitet dies jedoch im klinischen Alltag keine weiteren Probleme.

  • Wichtig ist, dass ein neuromuskuläres Monitoring nur an nicht eingeschränkten Gliedmaßen aussagekräftig ist.

Rocuronium hat aus theoretischen Überlegungen heraus Vorteile gegenüber anderen Relaxanzien, da es pharmakokinetisch gut steuerbar ist und im Fall einer Überdosierung mit Sugammadex ein eleganter Antagonist zur Verfügung steht [31].


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Succinylcholin

Die pathophysiologischen Veränderungen auf Azetylcholinrezeptorebene machen den Einsatz von Succinylcholin problematisch. Sowohl die erhöhte Rezeptoranzahl als auch deren verlängerte Öffnungsdauer steigern das Risiko für massive Hyperkaliämien bei MS-Erkrankten. Zwar sind in der Literatur problemlose Allgemeinanästhesien unter Succinylcholin auch bei wiederholter Gabe beschrieben, trotzdem darf das Risiko für Komplikationen nicht unterschätzt werden, insbesondere im fortgeschrittenen Krankheitsstadium, da das Hyperkaliämierisiko mit der Erkrankungsschwere korreliert [33]. Lebensbedrohliche Kaliumentgleisungen bei zuvor normalen Ausgangswerten sind beschrieben [34].

  • Es ist bekannt, dass die pathophysiologischen Veränderungen auf Azetylcholinrezeptorebene relativ zeitnah nach dem Auftreten erster Krankheitssymptome beginnen und über Jahre hinweg anhalten können [18]. Daher sollte wenn möglich auf den Einsatz von Succinylcholin bei MS ganz verzichtet werden.

Tipps für Allgemeinanästhesien:

  • Operationen möglichst in Remissionsphase

  • perioperatives Temperaturmanagement (Vermeidung von Hyperthermien)

  • bevorzugte Anästhesiemedikamente:

    • Sevofluran, Desfluran, Lachgas

    • Propofol

    • Remifentanil, Fentanyl

    • Rocuronium (ggf. Antagonisierung mit Sugammadex)

  • Relaxometrie an nicht eingeschränkten Gliedmaßen

  • möglichst Verzicht auf Succinylcholin


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Rückenmarksnahe Anästhesie

Periduralanästhesie

Diskussion um sichere Anwendung

Die sichere Anwendung rückenmarksnaher anästhesiologischer Verfahren bei MS ist seit langem Gegenstand intensiver Diskussionen. Da die Hauptwirkung aller Lokalanästhetika durch die Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle bedingt ist, wird häufig befürchtet, dass diese Substanzen die MS-Symptomatik verschlechtern könnten. Diese Überlegung erscheint plausibel, da MS-Erkrankte offenbar vermehrt intrazerebral Oligopeptide mit natriumkanalblockierenden Eigenschaften exprimieren, die zumindest zum Teil für die Negativsymptomatik, wie z. B. Muskelschwäche, verantwortlich gemacht werden [35].


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Akzeptables Verfahren

Trotz dieser Mechanismen wird insbesondere die Periduralanästhesie gemeinhin als akzeptables Verfahren bei MS-Patienten erachtet [36]. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass peridural verabreichte Lokalanästhetika nur in geringem Ausmaß den Subarachnoidalraum erreichen und zentral wirksam werden können. Es sollten sicherheitshalber gering konzentrierte Substanzen zum Einsatz kommen, möglichst unter Verzicht auf einen Epinephrinzusatz [37].


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Daten aus der Geburtshilfe

Daten zur Periduralanästhesie bei MS stammen zu einem großen Teil aus der Geburtshilfe [38]. Da Patientinnen in den ersten 3 Monaten nach der Geburt ein erhöhtes Risiko für Symptomverschlechterungen haben, könnte der Eindruck entstehen, dass möglicherweise geburtshilfliche regionalanästhetische Verfahren dafür verantwortlich seien. Es zeigt sich jedoch, dass Schwangerschaft als eigenständiger Triggerfaktor für Exazerbationen angesehen werden muss [39].

In einer Untersuchung zur peripartalen Analgesie mittels Lokal-, Peridural- und Allgemeinanästhesie fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Ergebnisse korrelierten auch mit allgemein verfügbaren Literaturdaten zur MS-Exazerbationshäufigkeit während und nach der Geburt [40].

Eine relativ große Studie mit 349 schwangeren MS-Patientinnen untersuchte die postpartale Exazerbationshäufigkeit in Hinblick auf Art der Geburt (Vaginal- oder Schnittentbindung) sowie das Anästhesieverfahren (Analgesie oder Periduralanästhesie). Es zeigte sich, dass die Periduralanästhesie keinen negativen Effekt auf Exazerbationen hatte, im Vergleich mit Schwangeren, die dieses Anästhesieverfahren nicht erhielten [41].


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Spinalanästhesie

Theoretische Überlegungen

Da im Gegensatz zur periduralen Applikation bei spinaler Gabe ein direkter Zugang zum ZNS besteht, könnte aufgrund theoretischer Überlegungen mit einer höheren Rate unerwünschter zentraler Wirkungen durch Lokalanästhetika bei MS gerechnet werden. Dies hat in der Vergangenheit häufig zu der Befürchtung geführt, dass Spinalanästhesien unsicher oder sogar riskant für MS-Patienten seien [42].


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Fallberichte

In einem Fall wurde bei einem zuvor gesunden Patienten über eine akut auftretende Okulomotoriusparese im Rahmen eines orthopädischen Eingriffs unter Spinalanästhesie berichtet. Da im weiteren Verlauf eine MS diagnostiziert wurde, liegt die Vermutung nahe, dass das subarachnoidal applizierte Lokalanästhetikum eine bereits vorbestehende, aber noch klinisch stumme MS demaskiert haben könnte [43].

Andererseits sind Fallserien mit urologischen und plastischen Eingriffen publiziert worden, bei denen Spinalanästhesien unproblematisch waren [44].

Eine MS-Patientin, bei der unter Spinalanästhesie eine Sectio caesarea durchgeführt wurde, zeigte auch in einem 12-monatigen Nachbeobachtungszeitraum keinerlei Symptomauffälligkeiten [45].


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Studiendaten

Weiterhin wurden in einer großen retrospektiven Studie 139 Patienten mit vorbestehenden Erkrankungen des zentralen Nervensystems hinsichtlich neurologischer Komplikationen nach rückenmarksnaher Anästhesie untersucht. 35 Patienten litten an MS. 17 von ihnen erhielten eine Spinalanästhesie, 18 eine Periduralanästhesie. Es kam zu keinerlei perioperativen Auffälligkeiten, wobei in 31 Fällen ein nicht geburtshilflicher Eingriff durchgeführt wurde [36].

  • Auch wenn derzeit noch keine endgültige Bewertung zur Sicherheit von Spinalanästhesien bei MS gemacht werden kann, setzt sich diese Anästhesieform insbesondere in der Geburtshilfe nach und nach durch [46].

Aufgrund der insgesamt verfügbaren Daten lässt sich feststellen, dass bei vorangegangener MS-Diagnose rückenmarksnahe Anästhesien prinzipiell möglich sind [47].


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Epiduraler Blutpatch

Typische Komplikation

Eine typische Komplikation von Spinalanästhesien ist der postpunktionelle Kopfschmerz, dessen Häufigkeit u. a. von Art und Größe der verwendeten Punktionsnadel abhängt [48]. Zur Behandlung kommt neben pharmakotherapeutischen Interventionen wie orale Koffein- oder Theophyllingabe insbesondere ein epiduraler Blutpatch infrage [49]. Da peridural applizierte Flüssigkeiten durch lokale Druckerhöhung zu Störungen der axonalen Leitfähigkeit führen können, bestehen Bedenken, dass bei MS-Patienten Symptomverschlechterungen auftreten könnten [50].


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Fallbericht

In einem Fall wurde bei einem MS-Patienten nach diagnostischer Lumbalpunktion und pharmakotherapieresistentem postpunktionellen Kopfschmerz ein epiduraler Blutpatch appliziert. Aufgrund unzureichender Wirkung wurde die Prozedur 2 Wochen später wiederholt. Dabei wurden zusätzlich somatosensorisch-evozierte Potenziale abgeleitet, um mögliche Veränderungen der axonalen Leitfähigkeit zu erfassen. Es zeigten sich geringe Potenzialabweichungen, die von den Autoren jedoch als nicht signifikant eingestuft wurden. Auch klinisch zeigten sich bei dem Patienten keinerlei sensomotorische Auffälligkeiten [50].


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Risiko vermindern

Ob dieser publizierte Einzelfall auf ein MS-Kollektiv übertragen werden kann, ist spekulativ. Größere Fallserien bzw. Studien sind nötig, um dem nachzugehen. Daher sollte bei Spinalanästhesien an MS-Patienten sicherheitshalber das Risiko für postpunktionellen Kopfschmerz von vornherein so weit wie möglich reduziert werden. Dies gelingt insbesondere durch konsequente Anwendung atraumatischer Nadeln mit möglichst kleinem Durchmesser, wie z. B. einer 25 G-Sprotte.

  • Sollte bei MS im Falle von postpunktionellem Kopfschmerz ein epiduraler Blutpatch in Erwägung gezogen werden, so empfiehlt sich eine sehr langsame Blutapplikation über mehrere Minuten, um einen akuten periduralen Druckanstieg zu vermeiden [48] [49].

Tipps für rückenmarksnahe Anästhesien:

  • Periduralanästhesie erscheint sicher

  • Spinalanästhesie wahrscheinlich sicher

  • Lokalanästhetika in möglichst geringer Konzentratio

  • Verzicht auf Epinephrin als Zusatz

  • bei Spinalanästhesie Sprotte-Nadel nutzen (≤ 25 G)

  • Blutpatchanlage langsam über mehrere Minuten


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Periphere Nervenblockaden

Veränderungen durch MS

Da es sich bei MS nach gängiger Lehrmeinung um eine Erkrankung des zentralen Nervensystems handelt, sollte die Peripherie theoretisch nicht betroffen sein. Tatsächlich zeigt sich jedoch, dass sowohl sensorische als auch motorische periphere Nerven Veränderungen der axonalen Erregbarkeit aufweisen können [51]. Eine verstärkte neuronale Kaliumleitfähigkeit durch Hochregulierung von Kaliumkanälen scheint pathophysiologisch dabei eine wichtige Rolle zu spielen [52] [53]. Weiterhin deuten Studien periphere Myelinschäden bei ca. 5 % der untersuchten MS-Patienten an [54].

  • Vor diesem Hintergrund besteht die Befürchtung, dass bei peripheren Nervenblockaden mit einer abnormen Aufnahme von Lokalanästhetika in demyelinisierte Neurone gerechnet werden muss [9].


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Fallberichte

Bei 2 orthopädischen MS-Patienten mit kombiniertem Femoralis- und Ischiadikusblock ließen sich allerdings selbst über einen 30-tägigen Nachbeobachtungszeitraum keine Auffälligkeiten nachweisen [55]. Andererseits wurde in einem Fall einer ultraschallgestützten interskalenären Plexusblockade bei einem MS-Erkrankten über eine postoperative inflammatorische Brachialisneuritis berichtet. Ob diese ursächlich im Zusammenhang mit der Regionalanästhesie oder anderen Faktoren wie z. B. der Operationstechnik steht, bleibt allerdings reine Spekulation [56].

Bei einer 33-jährigen Patientin mit zum Operationszeitpunkt noch nicht diagnostizierter MS wurde im Rahmen einer Leistenhernienoperation unter Allgemeinanästhesie ein Paravertebralblock am OP-Ende durchgeführt. Nach Anästhesieausleitung litt sie vorrübergehend unter einer schlaffen Lähmung beider Beine, Übelkeit sowie Hypotonie, die vasopressorisch therapiert werden musste. Erst nach > 12 h war der Block komplett aufgehoben. Einen Monat später wurde die Diagnose einer MS gestellt. Als pathophysiologische Ursache wurde eine verstärkte Aufnahme des Lokalanästhetikums in das Rückenmark durch Demyelinisierung diskutiert [57].


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Datenlage

Insgesamt existieren wenige Daten, um definitive Aussagen zur Sicherheit peripherer Nervenblockaden machen zu können. Einige Autoren argumentieren, dass insbesondere die verlängerte Analgesie nach einem erfolgten Eingriff unter Regionalanästhesie zu einem stressfreien Zustand für den MS-Patienten führt und damit das Risiko für Exazerbationen niedrig sein dürfte [9]. Auf vasokontriktorische Zusätze wie Epinephrin sollte möglichst verzichtet werden, da es sonst durch die Gefäßverengung zu einer Minderperfusion der versorgten Nerven kommen kann [58]. Weiterhin könnte der Einsatz ultraschallgestützter Punktionen von Vorteil sein, da sie mit kleineren Lokalanästhetikamengen durchgeführt werden können. Dadurch ist eine geringere neuronale Toxizität zu erwarten [59].

Tipps für periphere Nervenblockaden:

  • Lokalanästhetika in möglichst geringer Konzentration

  • Verzicht auf Epinephrin als Zusatz

  • ultraschallgestützte Punktionen, um Lokalanästhetika einzusparen


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Anästhesie für besondere Eingriffe: Elektrokrampftherapie

Elektrokrampftherapie

Im Fall pharmakotherapieresistenter Depressionen bei MS kann die Elektrokrampftherapie (EKT) eine Behandlungsoption sein. Sie wird in Allgemeinanästhesie durchgeführt. Succinylcholin, das bei der EKT häufig noch als Muskelrelaxanz Verwendung findet, sollte aufgrund der bereits beschriebenen Problematik nicht eingesetzt werden. Mivacurium ist aufgrund seiner ebenfalls kurzen Wirkdauer eine gute Alternative [60]. Allerdings ist im Falle eines Cholinesterasemangels auch Mivacurium problematisch. Rocuronium mit der Möglichkeit zur Reversierung durch Sugammadex ist dann eine sinnvolle, wenn auch nicht kostengünstige Alternative [61]. Ein Temperaturmanagement ist nicht erforderlich, da die EKT nicht mit einer Körpertemperaturerhöhung, sondern eher Erniedrigung assoziiert ist [62].


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MS-Therapeutika und Anästhesie

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Überblick

Medikamente, die zur Behandlung von MS eingesetzt werden, besitzen ein großes Spektrum an unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), die anästhesiologisch von Bedeutung sein können. [Tab. 3] gibt einen Überblick. Die Daten beruhen auf Herstellerangaben.

Tab. 3 Nebenwirkungen von MS-Medikamenten und ihre anästhesiologische Bedeutung.

Nebenwirkungen von MS-Medikamenten und ihre anästhesiologische Bedeutung

Arzneimittel

Nebenwirkungen mit Anästhesierelevanz

perioperative Bedeutung

Interferon β 1b

Interferon β 1a

Peginterferon β 1a

  • grippeähnliche Symptome (Fieber, Schüttelfrost, Myalgie, Abgeschlagenheit)

  • Hypo-/Hyperglykämie

  • Hypotonie

  • abnormales Blutbild (inklusiv Thrombozytopenie)

  • Leberenzymerhöhung/-insuffizienz

  • erschwerte Abgrenzung echter Infektionen

  • perioperative Blutzuckerschwankungen

  • verstärkte perioperative Blutdruckabfälle

  • erhöhtes Risiko für Regionalanästhesien

  • erhöhte Arzneistoffhepatotoxizität / verringerte Clearance

Glatirameracetat

  • Atemwegsinfektionen

  • Laryngospasmus

  • Hypotonie

  • abnormales Blutbild (inklusive Thrombozytopenie)

  • Parästhesien

  • erhöhte Atemwegsreagibilität

  • perioperative Beatmungsprobleme

  • verstärkte perioperative Blutdruckabfälle

  • erhöhtes Risiko für rückenmarksnahe Anästhesien

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie

Natalizumab

  • Atemwegsinfektionen

  • grippeähnliche Symptome (Fieber, Schüttelfrost, Myalgie, Abgeschlagenheit)

  • Hypotonie

  • Leberinsuffizienz

  • erhöhte Atemwegsreagibilität

  • erschwerte Abgrenzung echter Infektionen

  • verstärkte perioperative Blutdruckabfälle

  • verringerte Arzneistoff-Clearance

Alemtuzumab

  • Atemwegsinfektionen

  • grippeähnliche Symptome (Fieber, Schüttelfrost, Myalgie, Abgeschlagenheit)

  • Tachy-/Bradyarrhythmie

  • Hypotonie

  • abnormales Blutbild (inklusive Thrombozytopenie)

  • Parästhesien

  • erhöhte Atemwegsreagibilität

  • erschwerte Abgrenzung echter Infektionen

  • perioperative Herzrhythmusstörungen

  • verstärkte perioperative Blutdruckabfälle

  • erhöhtes Risiko für rückenmarksnahe Anästhesien

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie

Fingolimod

  • ausgeprägte Bradykardie / atrioventrikulärer Block

  • pulmonale Einschränkungen (FEV1-Reduktion/verringerte Kohlenmonoxid-Diffusionskapazität)

  • Parästhesien

  • QTc-Zeit-Verlängerung

  • lebensbedrohliche perioperative Bradykardien bis zur Asystolie

  • perioperative Beatmungsprobleme

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie

  • Kombination mit anderen QTc-Zeit-verlängernden Substanzen meiden

Dimethylfumarat

  • Infektionen

  • Fieber / Exazerbationen

Mitoxantron

  • Atemwegsinfektionen

  • Bradykardie

  • akute Herzinsuffizienz

  • Hypotonie

  • abnormales Blutbild (inklusiv Thrombozytopenie)

  • Leberinsuffizienz

  • Parästhesien

  • erhöhte Atemwegsreagibilität

  • verstärkte Bradykardie

  • perioperative Hämodynamikstörungen

  • verstärkte perioperative Blutdruckabfälle

  • erhöhtes Risiko für rückenmarksnahe Anästhesien

  • verringerte Arzneistoff-Clearance

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie

Teriflunomid

  • grippeähnliche Symptome (Fieber, Schüttelfrost, Myalgie, Abgeschlagenheit)

  • Atemwegsinfektionen

  • Hypertonie

  • Pharyngitis / Laryngitis

  • Parästhesien

  • erschwerte Abgrenzung echter Infektionen

  • erhöhte Atemwegsreagibilität

  • perioperative Blutdruckeinstellung

  • schwieriger Atemweg

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie

Azathioprin

  • bakterielle Infektionen

  • Leberinsuffizienz

  • abnormales Blutbild (inklusiv Thrombozytopenie)

  • Parästhesien

  • Fieber / Exazerbationen

  • verringerte Arzneistoff-Clearance

  • erhöhtes Risiko für rückenmarksnahe Anästhesien

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie

Baclofen

  • Sedation / Atemstörungen

  • Hypotonie

  • Parästhesien

  • Atemdepression bei Benzodiazepinprämedikation

  • verstärkte perioperative Blutdruckabfälle

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie

Tizanidin

  • Sedation

  • Bradykardie

  • Atemdepression bei Benzodiazepinprämedikation

  • verstärkte Bradykardie

Fampridin

  • Atemwegsinfektionen

  • Parästhesien

  • erhöhte Atemwegsreagibilität

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie

Glukokortikoide

  • Glukosetoleranzstörung

  • Hypokaliämie

  • Parästhesien

  • perioperative Hyperglykämie

  • perioperative Herzrhythmusstörungen

  • präoperative Dokumentation bei Regionalanästhesie


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Akute Infektionen

Sämtliche immunmodulatorische Substanzen bergen das Risiko akuter Infektionen. Auffallend häufig sind dabei die Atemwege betroffen. Dies kann in vielerlei Hinsicht zu anästhesiologischen Problemen führen. Zum einen besteht das Risiko einer Atemwegshyperreagibilität mit der Gefahr perioperativer Bronchoobstriktionen und daraus resultierender Beatmungsschwierigkeiten. Darüber hinaus gelten akute Infektionen als Trigger für MS-Exazerbationen, wie bereits oben beschrieben. Zusätzlich können schwere, v. a. bakterielle Infekte, wie sie z. B. unter Azathioprin auftreten, mit hohem Fieber einhergehen, das selbst eine akute Verschlechterung der MS-Symptomatik verursachen kann.

  • Es ist also ratsam, MS-Patienten präoperativ hinsichtlich akuter Infektionen zu evaluieren, um ggfs. einen elektiven Eingriff zu verschieben.


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Blutbildungsstörungen

Viele MS-Therapeutika führen zu Blutbildungsstörungen. Bei betroffenen Patienten kann im Extremfall ein erhöhter Bluttransfusionsbedarf je nach Größe des chirurgischen Eingriffs bestehen. Die fast immer begleitend auftretende Thrombozytopenie kann eine geplante rückenmarksnahe Anästhesie zu einem Risiko werden lassen, sodass z. B. bei großen bauchchirurgischen Eingriffen auf die Anlage eines Periduralkatheters verzichtet werden muss. Durch standardmäßige präoperative Laborkontrollen werden Blutbildstörungen allerdings problemlos aufgedeckt.


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Leberfunktionseinschränkungen

Einige Therapeutika bergen das Risiko schwerer Leberfunktionseinschränkungen mit entsprechend reduzierter Metabolisierungskapazität. Dies kann bei hepatisch eliminierten Arzneistoffen zu verringerter Clearance führen. Im Gegensatz zur Niere existiert bei der Leber jedoch kein anerkannter Parameter, der die Funktionsstörung ausreichend quantitativ beschreibt, um Dosierungsanpassungen zu kalkulieren. Daher kann es u. U. sehr schwierig sein, die Dosis hepatisch metabolisierter Anästhetika korrekt anzupassen. Ein therapeutisches Drug Monitoring wäre zwar theoretisch möglich, ist aber im Praxisalltag ungeeignet. Arzneistoffen mit organunabhängiger Pharmakokinetik wie Cisatracurium (Hofmann-Eliminierung) oder Remifentanil (Eliminierung durch Plasmaesterasen) sollte in Fällen vorbeschriebener Organdysfunktionen der Vorzug gegeben werden. Leberfunktionsstörungen lassen sich dabei leicht an erniedrigten hepatischen Synthesemarkern wie Albumin, Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren oder Plasmacholinesterase erkennen.


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Assoziation mit Hypotonie

Auffallend viele Arzneimittel zur Behandlung von MS sind mit Hypotonie assoziiert. Intraoperativ sollte dann mit verstärkten Blutdruckabfällen gerechnet werden, die möglicherweise mit einem gesteigerten Vasopressorbedarf verbunden sein könnten. Eine engmaschige Blutdruckkontrolle ist daher erforderlich. Betroffene Patienten sollten über die mögliche Notwendigkeit einer invasiven Blutdruckmessung aufgeklärt werden.


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Bradykardien

Einige Substanzen führen zu Bradykardien, die u. U. perioperativ durch Einsatz weiterer bradykardisierender Arzneistoffe wie z. B. Opioide verstärkt werden könnten. Besonders sei in diesem Zusammenhang Fingolimod erwähnt. Gerade zu Behandlungsbeginn kann es dabei zu ausgeprägten Frequenzabfällen, AV-Blockierungen und Asystolien kommen [63]. Fingolimod beeinträchtigt außerdem die linksventrikuläre Ejektionsfraktion, wobei die klinische Konsequenz daraus bisher unklar ist [64]. Ein erweitertes hämodynamisches Monitoring kann bei diesen Patienten daher sinnvoll sein.


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Parästhesien

Letztlich sind Parästhesien eine weitere häufig auftretende UAW unter MS-Therapie. Wie bereits oben beschrieben, können periphere Nervenschäden auch krankheitsbedingt sein und somit zu Missempfindungen führen. Unabhängig davon treten sie aber auch als eigenständige Nebenwirkungen diverser MS-Therapeutika auf. In solchen Fällen sollte gut überlegt werden, ob regionalanästhetische Verfahren überhaupt angezeigt sind. Wenn einer Regionalanästhesie der Vorzug gegeben wird, ist es schon aus forensischen Gründen sehr empfehlenswert, einen ausführlichen neurologischen Status zu erheben und gut zu dokumentieren.


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Interaktionen

Bedeutung

Neben UAW können auch Interaktionen eine sichere Pharmakotherapie erheblich erschweren. Trotzdem sind Wechselwirkungen ein klinisch häufig unterschätztes bzw. wenig wahrgenommenes Problem.

  • Allerdings zeigen sich gerade bei den zum Teil hochkomplex wirkenden MS-Therapeutika erstaunlich wenig relevante pharmakokinetische bzw. -dynamische Interaktionen mit anästhesiologisch verwendeten Substanzen.


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Fingolimod

Fingolimod ist ein Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptormodulator, der neben seiner ausgeprägten bradykardisierenden Wirkung auch zu einer QT-Zeit-Verlängerung führen kann [65]. Die klinische Relevanz kann aufgrund mangelnder Daten derzeit jedoch noch nicht vollständig abgeschätzt werden, sodass die europäische Arzneimittelbehörde einen restriktiven Umgang mit anderen QT-Zeit-verlängernden Substanzen in Kombination mit Fingolimod anmahnt [66]. Anästhesiologisch sind dies v. a. Ondansetron und Droperidol als Arzneistoffe zur Prophylaxe und Therapie von postoperativer Übelkeit /Erbrechen (PONV), aber auch Azetylcholinesterasehemmstoffe in Kombination mit Anticholinergika wie Neostigmin / Atropin zur Antagonisierung nicht depolarisierender Muskelrelaxanzien [67]. Dexamethason und Dimenhydrinat gelten dagegen als unproblematische Alternativen zur PONV-Prophylaxe / -Therapie. Rocuronium kann als Muskelrelaxanz mit der Möglichkeit der Antagonisierung durch Sugammadex ohne QT-Zeit-Veränderung sicher eingesetzt werden.


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Teriflunomid

Teriflunomid, ein Hemmstoff der Dihydroorotatdehydrogenase, interagiert ausgesprochen stark pharmakokinetisch mit anderen Arzneistoffen. Durch eine CYP1A2-Induktion kommt es z. B. zu erniedrigten Spiegeln von Theophyllin, das jedoch nur noch selten anästhesiologisch Anwendung findet. Durch Hemmung des organischen Anionentransporters OAT3 steigert Teriflunomid die Plasmaspiegel von Furosemid, Cefaclor, Benzylpenicillin und Ciprofloxacin [68]. Gerade letzteres wird häufig zur perioperativen Antibiotikaprophylaxe eingesetzt. Da es insbesondere bei alten Patienten unter Fluorchinolonen verstärkt zu psychiatrischen UAW kommen kann, sollten gerade hohe Dosen von Ciprofloxacin in solchen Fällen unbedingt vermieden werden.


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Azathioprin

Azathioprin ist ein Antimetabolit, der über einen unbekannten Mechanismus die Wirkung nicht depolarisierender Muskelrelaxanzien abschwächt [69]. Es ist daher u. U. erforderlich, die entsprechenden Dosierungen zu erhöhen. Durch den konsequenten Einsatz relaxometrischer Verfahren sollte diese Interaktion im klinischen Alltag allerdings keinerlei Probleme bereiten.


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Baclofen

Baclofen, ein GABA-B-Rezeptoragonist, hat myotonolytische und sedative Eigenschaften und wird häufig als Adjuvans bei MS-bedingter Spastik eingesetzt. Es verstärkt die Wirkung anderer sedierender Arzneistoffe wie Opioide und Benzodiazepine, aber z. B. auch von Histamin-H1-Antagonisten [70]. Der gleichzeitige Einsatz von Benzodiazepinen zur Prämedikation sollte daher vermieden werden. Aber auch Dimenhydrinat bei der Behandlung von PONV oder Dimetinden bzw. Clemastin zur Prophylaxe / Therapie allergischer Reaktionen können problematisch sein. Baclofen verlängert darüberhinaus signifikant die Wirkung von Fentanyl [71]. Inwieweit dies auch für die anderen anästhesiologisch eingesetzten Narkoanalgetika gilt, ist unbekannt.

Fazit Nach den derzeit verfügbaren Daten können Patienten mit Multipler Sklerose recht sicher mit allgemein- sowie regionalanästhetischen Verfahren versorgt werden. Studien an großen Patientenkollektiven sind allerdings erforderlich, um die oft nur aus Fallberichten gewonnenen Erkenntnisse zu bestätigen.

Kernaussagen

  • Patienten mit Multipler Sklerose können Allgemein- und Regionalanästhesien erhalten.

  • Eingriffe sollten wenn möglich im akuten Schub vermieden werden.

  • Eine erweiterte präoperative Evaluation ist erforderlich.

  • Benzodiazepine sollten präoperativ möglichst vermieden werden.

  • Succinylcholin ist als Muskelrelaxanz nicht empfehlenswert.

  • Peridural- und Spinalanästhesien sind möglich unter Einsatz niedrig dosierter Lokalanästhetika ohne Epinephrinzusatz.

  • Periphere Nervenblockaden sollten unter Ultraschallkontrolle durchgeführt werden.

  • Multiple Sklerose bedarf häufig einer Arzneimitteltherapie, die im anästhesiologischen Kontext zu Problemen führen kann.


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Dr. med. Andreas Drust ist Arzt und Apotheker an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Universitätsklinikums Magdeburg.
E-Mail: andreas.drust@med.ovgu.de

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Dr. med. Claudius Bartels ist Oberarzt an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Magdeburg.
E-Mail: claudius.bartels@med.ovgu.de

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Prof. Dr. med. Thomas Hachenberg ist seit 2001 Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Universitätsklinikums Magdeburg.
E-Mail: Thomas.Hachenberg@med.ovgu.de

Autorenkonflikt

Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

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Korrespondenz

Dr. med. Andreas Drust
Klinik für Anaesthesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
Leipzigerstr. 44
D-39120 Magdeburg
Dr. med. Claudius Bartels
Prof. Dr. med. Thomas Hachenberg

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