Aktuelle Urol 2017; 48(01): 79-87
DOI: 10.1055/s-0042-116574
Operative Techniken
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Retroperitoneale Residualtumorresektion nach Chemotherapie maligner Hodentumoren

Peter Albers
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Publication Date:
12 April 2017 (online)

Indikationen

Seminome

Bei rein seminomatösen Hodentumoren wird die Resektion residualer Tumormassen nach Chemotherapie nur noch in seltenen Fällen indiziert sein, bei denen eine markernegative Progredienz der Residualtumormasse nach erfolgreichem Abschluss der Chemotherapie beobachtet wird. Bei >90% der residuellen Tumoren nach Chemotherapie eines reinen Seminoms finden sich nur nekrotische Anteile. Selbst bei Tumorresten über 3 cm im transversalen Durchmesser liegt die Nekroserate über 80%. Daher ist in den meisten Fällen ein Abwarten nach Chemotherapie gerechtfertigt. Eine verzögerte Indikationsstellung zur chirurgischen Entfernung bei Progredienz der residuellen Tumormasse ist gefahrlos. Eine zusätzliche Hilfestellung kann ggf. die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) bringen. Hierbei zeigen sich jedoch aktuell bei bis zu 15% der Patienten falsch positive PET Signale, sodass eine Salvage-Strategie (histologische Sicherung mit nachfolgender Salvage-Chemotherapie, Salvage-Operation) nur dann empfohlen werden kann, wenn bei positivem PET keine Größenreduktion des Resttumors oder eine Größenprogredienz nachweisbar ist.

Diese im Vergleich zu früheren Jahren geänderte und zurückhaltendere Indikationsstellung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil die komplette chirurgische Entfernung zumeist nekrotischer Tumoranteile eines Seminoms im Vergleich zu vielen nichtseminomatösen Residualtumoren eine relativ hohe Morbidität hat.


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Nichtseminome

Unstrittige Indikationsstellungen zur Residualtumorresektion nach Chemotherapie eines nichtseminomatösen Hodentumors sind residuelle Tumoren > 1 cm im transversalen (axialen) Durchmesser im CT. Bislang gibt es keine zuverlässigen Prognosekriterien, die einen rein nekrotischen Residualtumor vorhersagen könnten und damit eine Residualtumorresektion vermeidbar machen würden. Nur bei einer kompletten Remission nach Chemotherapie eines nichtseminomatösen Keimzelltumors im fortgeschrittenen Stadium (kein Nachweis von Residualtumor mit bildgebenden Techniken, per Definition < 1 cm im transversalen Durchmesser) ist eine abwartende Haltung gerechtfertigt.

Eine persistierende Markererhöhung auf einem sog. Markerplateau oder sogar ansteigende Tumormarker nach Salvage-Chemotherapie und Residualtumor sind keine Kontraindikation zur Operation. Obwohl diese kleine Subgruppe der Patienten eine insgesamt schlechtere Prognose hat, können doch durch komplette Resektionen Langzeitüberlebensraten von bis zu 47% erreicht werden. Die Langzeitprognose dieser Patienten hängt jedoch wesentlich von der chirurgisch kompletten Resektion des tumormarkerbildenden Residualtumors ab. Multiple Lokalisationen oder RI/RII-Resektionen sind prognostisch ungünstig.

Die Ausdehnung der Residualtumorresektion kann in den Fällen auf die Entfernung der residuellen Tumormasse beschränkt werden, bei denen die Schnellschnitthistologie nur nekrotische Anteile gezeigt hat.

Grundsätzlich ist auch bei der Residualtumorresektion ein Nervenerhalt zur Konservierung der antegraden Ejakulation möglich. Alle publizierten Serien zeichnen sich jedoch durch eine strenge Patientenselektion nach folgenden Kriterien aus:

  • unilaterale Erkrankung

  • geringes Volumen des Residualtumors

  • kein undifferenzierter vitaler Tumor

  • präoperative Fertilität

Die Komplikationsrate der Residualtumorresektion liegt zwischen ca. 20 und 30% und ist damit 3-mal höher als die der primären RLA. Bei retroperitonealer und pulmonaler Residualtumormasse empfiehlt sich die primäre Resektion des Retroperitoneums (wenn nicht das Volumen der pulmonalen Metastasenmasse weitaus größer ist). Die Konsequenz daraus ist, dass beim Nachweis von Nekrose im Retroperitoneum auf die sofortige pulmonale Resektion bei kleinen Lungenmetastasen verzichtet werden kann.

Beim Nachweis von Teratom oder Nekrose nach kompletter Residualtumorresektion (R0) ist keine weitere Therapie erforderlich. Es gibt keinen Beleg dafür, dass eine zusätzliche Applikation konventionell dosierter cisplatinhaltiger Chemotherapie die Prognose der Patienten verbessert, wenn vitaler Tumor in der Residualtumormasse gefunden wurde.

Eine Besonderheit ist die Tumorresektion bei Patienten mit einem Spätrezidiv (über 2 Jahre nach kompletter Remission eines Tumors nach Chemotherapie und häufig auch Residualtumorresektion). In 80% dieser Fälle findet sich ein chemoresistenter karzinomatöser Tumor, der in den meisten Fällen nur durch eine chirurgische Komplettresektion heilbar ist.

Eine weitere Besonderheit stellen Patienten mit initial intermediärer oder schlechter Prognose („intermediate/poor risk“ nach IGCCCG) dar, die nach Chemotherapie eine Restraumforderung >5 cm haben. Bei dieser Gruppe wird jeder 5. Patient eine größere Gefäßintervention benötigen (Cavaresektion mit Ersatz und/oder Aortenresektion mit Ersatz). Daher sollten diese Patienten nur in Zentren operiert werden, die über entsprechende Möglichkeiten verfügen.


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