ergopraxis 2016; 9(11/12): 14-15
DOI: 10.1055/s-0042-116759
Wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Damaris Reil, Vanessa Kroll, Anne-Christine Vidal – Mit Kinderaugen durch die Schule

Sofie Schüler

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
11 November 2016 (online)

 

Die vier Kinder Benny, Tim, Lisa und Toby haben Förderbedarf und gehen in eine Regelgrundschule. Worauf es ihnen in der Schule ankommt, fanden die Ergotherapeutinnen Damaris Reil, Vanessa Kroll und Anne-Christine Vidal in ihrer Bachelorthesis heraus.


#
Zoom Image
Abb.: privat
Zoom Image
Abb.: D. Nitschke

Anne-Christine Vidal


ist 33 Jahre alt, lebt in Marburg und arbeitet seit drei Jahren in einer ergotherapeutischen Praxis. Seit Kurzem unterrichtet sie zusätzlich an einer Schule für Ergotherapie.

Zoom Image
Abb.: A. Kreuzner

Vanessa Kroll


ist seit fünf Jahren in der Pädiatrie ambulant, stationär und in einer inklusiven Kita tätig. Die 28-jährige Ergotherapeutin kommt aus dem nordrhein-westfälischen Langenfeld und ist frischgebackene Mama.

Zoom Image
Abb.: privat

Damaris Reil


ist 27 Jahre alt und lebt im baden-württembergischen Kraichtal. Bereits in der achten Klasse wusste sie, dass sie Ergotherapeutin werden möchte. Seit fünfeinhalb Jahren arbeitet sie stationär und ambulant in der Pädiatrie.

Als sich die drei Ergotherapeutinnen im Bachelorstudium an der Zyud Hogeschool in Heerlen kennenlernten, war ihnen schnell klar, dass sie ihre Bachelorthesis gemeinsam schreiben wollen. Das Thema ergab sich aus ihrem Hang zur Pädiatrie und ihren Berührungspunkten mit der Inklusionsbewegung. Als Mentorin stand ihnen Cornelie Zillhardt zur Seite.

Die Bachelorarbeit

Die drei Ergotherapeutinnen wollten mit ihrer qualitativen Forschung herausfinden, wie Kinder mit Inklusionsschwerpunkt ihre Partizipation im täglichen Schulalltag einer Regelgrundschule erleben. Sie rekrutierten vier Schüler aus Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen – drei Jungen und ein Mädchen zwischen sechs und neun Jahren. Sie hatten eine sozial-emotionale Störung, eine hemiplegische Zerebralparese, ADHS oder eine spastische Paraparese.

Im Beisein einer der drei Studentinnen führten die Mütter jeweils mit ihren Kindern die Interviews durch, um ethische Aspekte der Kinderforschung einzuhalten. Sie fragten zum Beispiel, was die Kinder in der Pause machen und was ihnen in der Schule hilft. Die Analyse der Daten übernahmen die Studierenden. Im Sinne eines phänomenologischen Forschungsdesigns dokumentierten die Kinder zudem ihren Alltag anhand von Fotos. Die fotografierten Situationen bewerteten sie anschließend mithilfe von Smileys (macht Spaß/macht keinen Spaß).

Es geht darum, die Kinder als Experten für ihr Leben zu betrachten.

Ein weiteres Ziel der Arbeit war es, herauszufinden, inwieweit Ergotherapeuten das interdisziplinäre Team an einer Grundschule mit Inklusionsschwerpunkt unterstützen könnten. Dies ist bereits in den USA, Kanada und Neuseeland der Fall.


#

Ergebnis

Ein zu erwartendes Ergebnis war, dass Benny, Tim, Lisa und Toby in ihrem Schulalltag dieselben Betätigungen durchführen wie Kinder ohne Inklusionsschwerpunkt. Dazu gehört zum Beispiel der Toilettengang, mit Freunden Quatsch zu machen oder mit dem Bus zur Schule zu fahren. Indem Ergotherapeuten Anpassungen vornehmen und zum Beispiel eine Hose mit einem Gummizug versehen, kann das bereits gelingen.

Betätigungen in den Bereichen Produktivität, Freizeit und Selbstversorgung nehmen die befragten Kinder als hemmend und als fördernd wahr. Fördernd wirken spaßige Aktivitäten mit Freunden oder auch sich das Essen in der Mensa selbst holen zu können. Ein Beispiel für einen hemmenden Faktor beschrieb Lisa: In ihrer Schule gibt es nur in der Sporthalle eine niedrige Toilette, die sie ohne Probleme selbstständig nutzen kann. Die anderen Toiletten sind zudem meistens zu verschmutzt.

Die drei Studentinnen bekamen bestätigt, dass vor allem die Pausengestaltung einen zentralen Stellenwert bei allen vier Kindern einnimmt. So berichtete Tim, der eine hemiplegische Zerebralparese hat, dass ihm in der Schule am besten das Fußballspielen in der Pause gefällt. Dabei könne er sich mit anderen gemeinsam austoben.


#

Fazit

Kinder erleben Partizipation in aktiver und passiver Form: Ihnen ist wichtig, dabei zu sein und sich akzeptiert zu fühlen. Dazu können eine ressourcenorientierte, wertschätzende Kommunikation sowie eine angepasste institutionelle Umwelt beitragen. Vor allem hinsichtlich der Umweltfaktoren können Ergotherapeuten das Team einer Regelgrundschule mit Inklusionsschwerpunkt gewinnbringend unterstützen. Beispielsweise, indem sie die Umwelt durch einen gezielten Befund an die Bedürfnisse eines Kindes anpassen und im Fall von Lisa eine zweite, niedrige Toilette in der Schule einfordern. Des Weiteren haben sie die Möglichkeit, Konzepte wie das Ergotherapeutische Sozialkompetenz Training (EST) nach Löcker und Menke im schulischen Kontext einzusetzen.

Sofie Schüler


#

Fragen an Damaris Reil, Vanessa Kroll und Anne-Christine Vidal

Was habt ihr während eures Studiums zum Ausgleich gemacht?

Damaris: Geschlafen. Für Hobbys war keine Zeit mehr.

Vanessa: Dreimal die Woche war ich Volleyball spielen.

Anne-Christine: Wir haben gemeinsam getanzt, gelacht und geweint.

Hat das Ergebnis eurer Arbeit etwas für euch geändert?

Damaris: Wenn im interdisziplinären Team über Schulempfehlungen für Kinder nachgedacht wird, denke ich daran.

Vanessa: Es hat noch einmal eindrücklich gezeigt, wie wichtig es ist, immer die Kinder zu fragen.

Anne-Christine: Der Begriff Partizipation hat für mich eine viel tiefergehende Bedeutung bekommen.

Habt ihr Wünsche für die Zukunft?

Damaris: Dass sich der Stellenwert von Therapeuten in der Gesellschaft verbessert.

Vanessa: Dass alle Ergotherapeuten auf den neusten Stand gebracht werden.

Anne-Christine: Dass die Umsetzung der Inklusion an Schulen weiter voranschreitet.

Bachelorarbeit Kroll V, Reil D, Vidal AC. Mit Kinderaugen durch die Schule. Bachelorarbeit an der Zuyd Hogeschool Heerlen, Niederlande; 2014


#
#
Zoom Image
Abb.: privat
Zoom Image
Abb.: D. Nitschke
Zoom Image
Abb.: A. Kreuzner
Zoom Image
Abb.: privat