ergopraxis 2016; 9(11/12): 48-49
DOI: 10.1055/s-0042-116771
Perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Berufseinstieg begleiten – Erfolgreich durchstarten

Nina Krapf

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Publication Date:
11 November 2016 (online)

 

Der Start in den ergotherapeutischen Arbeitsalltag fordert nicht nur den Berufseinsteiger, sondern auch Vorgesetzte und Kollegen. Ein Mentor und ein Einarbeitungsplan können helfen, die Anfangszeit erfolgreich zu strukturieren.


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Nina Krapf

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Nina Krapf, Ergotherapeutin BcOT seit 2004, arbeitet im Städtischen Klinikum München-Bogenhausen in der Klinik für Physikalische Medizin überwiegend im neurologischen Bereich. Dort leitet sie seit drei Jahren die Ergotherapieabteilung mit rund 15 Kolleginnen.
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Abb.: contrastwerkstatt/fotolia.com

Wird eine Stelle neu besetzt, ist die Freude groß, dass bald Unterstützung und frischer Wind in die Einrichtung kommen. Fällt die Entscheidung auf einen Berufseinsteiger, erfordert das nicht nur die Integration eines neuen Kollegen ins bestehende Team, sondern vor allem eine fundierte fachliche und organisatorische Einarbeitung. Für die „alten Hasen“ bedeutet das erst einmal mehr Arbeit und kann Konfliktpotenzial bergen. Fragen wie „Wie soll ein Berufsanfänger unserem Qualitätsanspruch genügen?“ oder „Passt der neue Kollege ins Team?“ können auftauchen. Die Abteilungsleitung bzw. der Praxisinhaber hat nun die Aufgabe, die Integration des neuen Kollegen zu begleiten und gleichzeitig einen Rahmen für die praktische Einarbeitung vorzugeben [1].

Einarbeitung lohnt sich doppelt

Jährlich verlassen etwa 2.800 Ergotherapeuten die Berufsfachschulen und Hochschulen [5, 6]. Sie müssen alle ihr überwiegend theoretisches Schulwissen in praktisch therapeutische Fertigkeiten umwandeln. Sind sie gut eingearbeitet und erweisen sie sich als wertvolle Mitarbeiter, lohnt sich der anfängliche Energieaufwand vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels.

Gelingt es nicht, den neuen Kollegen in den ersten Wochen gut aufzunehmen, ist die Gefahr einer sogenannten inneren Kündigung hoch [2]. Kommt er in Job oder Team nicht an, frustriert ihn das, und dem Arbeitgeber droht eine hohe Fluktuation. Statistiken zufolge kostet diese mehr als eine gute Einarbeitung – einer Schätzung von Personal-Wissen.de zufolge ein halbes bis doppeltes Jahresgehalt [1].

Deshalb und um Klienten eine qualitativ hochwertige Therapie bieten zu können, kommt einer guten Einarbeitung besonders bei Berufsanfängern ein hoher Stellenwert zu.


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Mentor als Einstiegshilfe

Haben Berufsanfänger erst einmal die passende Stelle gefunden, stellen sie sich meist kurz nach den Prüfungen voller Tatendrang ihren neuen Aufgaben. Auf sie warten jede Menge Herausforderungen, die sich aus dem Rollenwechsel vom Schüler oder Studierenden zum „fertigen“ Ergotherapeuten ergeben. „Plötzlich trage ich selbst die Verantwortung für meine Klienten und muss alleine überlegen, welche Tests oder Therapieverfahren ich anwende“, beschreiben viele Berufsanfänger den Übergang zum „echten Ergo“. Damit es nicht zum Praxisschock kommt, ist ein sanfter, begleiteter Einstieg von großer Bedeutung [4].

In vielen Berufen wird ein Kollege als Mentor eingesetzt. Dieser gibt sein fachliches Wissen und seine Erfahrungen an den Neuling weiter, um ihn in seiner beruflichen und persönlichen Entwicklung zu unterstützen [2]. Diese Art der kollegialen Einarbeitung erlebe ich in meinem Berufsalltag auf hierarchisch gleicher Ebene als gute Orientierungsmöglichkeit für den Berufsanfänger. Zudem bekommt er so einen festen Ansprechpartner für alle Fragen an die Seite gestellt. Damit sich auch der Mentor in seine Rolle einfinden und ggf. vorbereiten kann, ist es sinnvoll, schon einige Zeit vor dem Arbeitsbeginn des Berufseinsteigers zu klären, welcher Kollege aus dem Team diese Funktion übernehmen kann.

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ABB. 1Eine erfahrene Kollegin als Mentorin an der Seite kann den Berufseinstieg erleichtern. Abb.: contrastwerkstatt/fotolia.com
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ABB. 2 Eine erfahrene Kollegin als Mentorin an der Seite kann den Berufseinstieg erleichtern. Abb.: contrastwerkstatt/fotolia.com

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Einarbeitungsplan und zeitlicher Rahmen

Grundsätzlich ist es sinnvoll, einen individuellen Einarbeitungsplan für die Abteilung oder Praxis zu erstellen. So ist für Berufsanfänger und Mentor klar, woraus die Einarbeitung besteht [2]. Für erfahrene Kollegen sind viele Aufgaben ganz selbstverständlich, aber der Neuling benötigt auch hier klare Informationen über Abläufe und Inhalte. Neben organisatorischen Aufgaben sollte vor allem das therapeutische Vorgehen klar benannt und ein zeitlicher Einarbeitungsrahmen definiert werden.

Er kann, abhängig von der Arbeitsstelle, sehr unterschiedlich sein. In Kliniken erstreckt sich diese Phase häufig über Wochen oder Monate. In den ersten Wochen finden Besprechungen zum Beispiel täglich für 30 Minuten statt, später nach Bedarf. In Praxen ist dies aufgrund anderer Rahmenbedingungen oft nicht möglich und beläuft sich möglicherweise auf einen Termin pro Woche. In der Literatur findet sich ein grober zeitlicher Einarbeitungsrahmen von bis zu sechs Monaten. Er lässt sich in drei ineinander übergehende Phasen unterteilen [3]:

  • 1. Monat: Die Orientierungsphase erfordert Konzentration und Aufmerksamkeit, alles ist neu.

  • 2. bis 4. Monat: Die Lern- und Integrationsphase zeichnet sich durch Eindenken und Verstehen aus. Die Eigenverantwortung steigt schrittweise.

  • 5. bis 6. Monat: In der Stabilitäts- und Akzeptanzphase sind erste Routinen verankert. Der Berufseinsteiger hat einen Platz im Team gefunden.


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Methoden der Einarbeitung

Die Art der Einarbeitung kann sehr variieren und in kombinierter Form erfolgen: Häufig ist ein theoretischer Einstieg (z. B. über das muskuläre Zusammenspiel am Schultergelenk) oder Literaturtipp wie ein Fachartikel über ein Therapiekonzept ein guter Ausgangspunkt, bevor es an die konkrete Anwendung geht. Haben Berufsanfänger und Mentor die Möglichkeit, Klienten zusammen zu behandeln oder im gleichen Therapieraum parallel zu arbeiten, ergibt sich oft die Gelegenheit zum Lernen am Modell. Der Neuling beobachtet den Kollegen in seinem Tun und kann Fragen dazu stellen. Arbeitet er direkt selbstständig, sind Supervisionen mit klarem Feedback durch den Mentor eine mögliche Variante, die therapeutischen Fähigkeiten zu reflektieren und ggf. auszubauen.


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Fachliches und Organisatorisches

Einen großen Teil der Einarbeitung nehmen bei Berufsanfängern fachliche Inhalte ein. Sie müssen lernen, welche Assessments oder Befundsysteme in der Einrichtung verwendet und wie sie durchgeführt werden. Außerdem benötigen sie eine Anleitung, welche Behandlungsansätze oder -konzepte sie wann einsetzen können.

Berufsanfänger berichten mir immer wieder, dass es für sie hilfreich ist, den Behandlungsprozess bei einer Neuaufnahme gemeinsam zu beginnen, Therapieziele und mögliche Methoden mit dem Mentor abzusprechen und nach und nach mehr Verantwortung zu übernehmen. Dass dies tatsächlich zu zweit erfolgen kann, ist nicht immer möglich. Hier bietet sich ebenfalls eine Supervision an.

Daneben sind organisatorische Strukturen ein wichtiger Punkt der Einarbeitung. Der Neuling braucht Anleitung, wie und wann welche Dokumentation gemacht werden muss. Dazu gehören die kurzen Verlaufsdokumentationen pro Behandlung und das Erstellen eines Berichts nach Vorgaben der Einrichtung. Hinzu kommen die Urlaubsregelungen, das Vertretungssystem und der Umgang mit Überstunden.


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Anforderungen an den Mentor

Einarbeitungsinhalte sind vielfältig, und die Verantwortung des Mentors ist groß. Manchmal ist es ratsam, dass sich zwei Kollegen die Einarbeitung teilen. Grundsätzlich gilt: Nur wer Freude daran hat, sein Wissen weiterzugeben, kann dies auch mit Erfolg tun. Insgesamt zeigt sich, dass pädagogisches Geschick und Einfühlungsvermögen wichtige Eigenschaften eines Mentors sind, damit es nicht zur Über- oder Unterforderung kommt. Es steht außer Frage, dass ausreichende Erfahrung vorhanden sein muss und der Mentor die Inhalte der Einarbeitung routiniert beherrscht. Darüber hinaus sollte er seine eigene und die Arbeit des Neulings adäquat reflektieren und konstruktives, kollegiales Feedback geben können [2, 3].


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Warum Einarbeiten Spaß macht

Neben all der zusätzlichen Arbeit bereitet das Einarbeiten auch Spaß! Der neue Kollege bringt trotz fehlender Berufserfahrung eine Menge Wissen und neue Ideen mit und kann dem Mentor damit Denkanstöße und Impulse für seine eigene Arbeit geben. Spätestens wenn Lernfortschritte beim Neuling zu beobachten sind, bestätigt sich der Satz „Wissen teilen macht Freude!“, und wir stecken mittendrin im Prozess des lebenslangen Lernens.

Nina Krapf


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Nina Krapf, Ergotherapeutin BcOT seit 2004, arbeitet im Städtischen Klinikum München-Bogenhausen in der Klinik für Physikalische Medizin überwiegend im neurologischen Bereich. Dort leitet sie seit drei Jahren die Ergotherapieabteilung mit rund 15 Kolleginnen.
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Abb.: contrastwerkstatt/fotolia.com
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ABB. 1Eine erfahrene Kollegin als Mentorin an der Seite kann den Berufseinstieg erleichtern. Abb.: contrastwerkstatt/fotolia.com
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ABB. 2 Eine erfahrene Kollegin als Mentorin an der Seite kann den Berufseinstieg erleichtern. Abb.: contrastwerkstatt/fotolia.com