Einleitung
Definitionen. Das Schütteltrauma ist eine spezielle Form der Kindesmisshandlung, in deren Folge
durch ein stumpfes Trauma, durch heftiges Schütteln oder einer Kombination aus beidem
Schädigungen an Schädelknochen, Gehirn und Rückenmark auftreten [1]. Typischerweise kommt es zu intrakraniellen Verletzungen, die mitunter zu einer
diffusen Gehirnschädigung führen. Treten subdurale sowie retinale Blutungen in Kombination
mit einer akuten Enzephalopathie auf, wird dies als „Shaken-baby“-Syndrom bzw. „Shaken-Impact“-Syndrom
bezeichnet [2]. In der englischsprachigen Literatur wurde vorgeschlagen, diese Bezeichnungen durch
den Begriff „Abusive Head Trauma“ (AHT) zu ersetzen. Obwohl diese Bezeichnung allgemeiner
gefasst ist und dadurch zutreffender erscheint, ist der Begriff „Schütteltrauma“ aufgrund
seiner weiten Verbreitung im deutschsprachigen Raum nach wie vor anerkannt und wird
daher in dieser Übersicht synonym mit AHT verwendet.
Epidemiologie und Ätiologie. Ein Schütteltrauma tritt meist bei Kindern auf, die jünger als 4 Jahre alt sind und
ist in den USA der dritthäufigste Grund für Kopfverletzungen im Kindesalter [3]. Dies beruht vor allem auf 2 Umständen:
-
Das Schütteln eines Kindes wird vorrangig durch Schreiphasen getriggert. Diese treten
hauptsächlich zwischen dem zweiten und fünften Lebensmonat auf.
-
Verletzungsfolgen durch Schütteln sind bei Säuglingen aufgrund der ungünstigen Größen-
und Gewichtsrelation des Kopfs zum Körper sowie der geringeren Kopfkontrolle wahrscheinlicher
als bei Kindern über 1 Jahr.
Etwa 40 % der Kinder, die infolge einer Kindesmisshandlung starben, waren jünger als
12 Monate [4]. Dabei ist das Schütteltrauma die häufigste Todesursache. 2006 wurden in Deutschland
bezogen auf 100 000 Kinder 30 Misshandlungen zur Anzeige gebracht. Davon handelte
es sich in 3 Fällen um Verletzungen mit Todesfolge [5]. Die Dunkelziffer ist jedoch vermutlich deutlich höher. Mindestens 30 % der Kindesmisshandlungen
werden bei der Erstuntersuchung nicht diagnostiziert [6].
Die Genese ist multifaktoriell. Ein niedriger sozioökonomischer Status, Behinderungen
des Kindes, junges Alter der Kindseltern, eine erhöhte Gewaltbereitschaft und Substanzmissbrauch
innerhalb der Familie sind Risikofaktoren. Jedoch treten Misshandlungen in jeder sozialen
Schicht auf [7]. Täter sind meist Väter oder neue Lebenspartner der Kindsmütter, seltener Babysitter
oder die Mütter selbst [8].
Anamnese. L. wurde komplikationslos spontan und eutroph in einem auswärtigen Kreiskrankenhaus
geboren. Das Mädchen ist das vierte Kind einer 24-jährigen Mutter. Während des zweiten
Trimenons wurde bei der Mutter eine CMV-Infektion festgestellt. Daher postpartal Aufnahme
in der auswärtigen neonatologischen Abteilung. Das Mädchen zeigte keine klinischen
Auffälligkeiten. Die Diagnostik inklusive Schädelsonografie ergab altersgerechte Normalbefunde.
L. hat 3 gesunde Geschwister im Kleinkind- und Vorschulalter. Der Vater bewohnt eine
separate Wohnung im selben Haus. Beide Elternteile sind gesund. In der näheren Familie
sind keine relevanten Erkrankungen bekannt.
Im Alter von 3 Monaten erneute stationäre Aufnahme in der auswärtigen Kinderklinik.
Grund der Aufnahme waren Erbrechen, eine akute Verweigerung der Nahrungsaufnahme und einmalige Epistaxis. Als Ursache wurde eine akute infektiöse Gastroenteritis vermutet. Die Schädelsonografie
zeigte geringfügig vermehrte epikortikale Flüssigkeit. Auffallend war zudem ein intermittierendes „Verdrehen“ der Augen, welches als leicht
verzögertes Fixieren gewertet wurde. Das Mädchen wurde nach 4 Tagen stationärer Beobachtung nach Hause
entlassen.
Zwei Wochen nach der Entlassung ambulante Vorstellung in der Augenklinik. Bei der
Fundoskopie zeigten sich beidseitige Netzhautblutungen. Als vermeintliche Ursache der retinalen Hämorrhagien wurde die präpartale CMV-Infektion
der Mutter angenommen. Ein ambulanter Termin zur ophthalmologischen Kontrolle wurde
vereinbart und das Kind nach Hause entlassen.
Vier Tage nach der augenärztlichen Untersuchung alarmierte der Vater des Mädchens
den Notarzt. Laut Angaben des Vaters hatte sein Kind geschrien und entwickelte anschließend
eine akute Atemnot mit Zyanose des Gesichts. Bei Eintreffen des Notarztes konnte keine
Atemstörung eruiert werden. Auffallend waren dagegen eine Prellmarke an der linken
Stirn sowie eine diskrete Epistaxis aus dem rechten Nasenloch. Das Mädchen zeigte
inadäquate Massenbewegungen bei taktiler Reizung. Es war somnolent und motorisch unruhig.
Daher umgehender Transport in die Kinderklinik des nahegelegenen Kreiskrankenhauses.
Dort wurde das Mädchen bei deutlicher Laktatazidose (pH 7,19; Laktat 9,4 mmol/l, pCO2 4,6 kPa) intubiert. Eine Notfall-CT des Schädels ergab neben ausgeprägten bifrontalen
Hygromen zusätzlich frische, schmalbandige Subarachnoidalblutungen rechts frontal
und temporal ([Abb. 1]).
Aufnahmebefund. Eutropher Säugling, medikamentös sediert (Midazolam und Sufentanil), nasal intubiert
und beatmet, Pulmo seitengleich gut belüftet, reine Herztöne, rhythmische Herzaktion,
periphere Pulse kräftig, Rekapillarisierungszeit: 1 s, Abdomen klinisch unauffällig,
links frontal ein ca. 2 × 1 cm großes Hämatom, vereinzelte petechiale Hautblutungen
an beiden Unterlidern und am Hals rechts, im Übrigen keine äußeren Verletzungszeichen,
Pupillen beidseits rund und eng, rechte Pupille größer als die linke, direkte und
indirekte Lichtreaktion links nicht auslösbar, rechts direkte Lichtreaktion auslösbar,
vordere Fontanelle ca. 1 × 1 cm groß und leicht gespannt, detaillierte neurologische
Untersuchung aufgrund der Sedierung nicht durchführbar, Blutdruck 115/70 mmHg, pulsoxymetrische
Sättigung 100 %, Herzfrequenz 165/min, Atemfrequenz 80 /min.
Verlauf. Nach Beendigung der Sedierung entwickelte das Mädchen nach kurzer Zeit eine ausgeprägte
Tachypnoe unter der Beatmung (Atemfrequenz über 100 /min). Zudem reagierte der Säugling
auf taktile Reize mit unkontrollierten Massenbewegungen. Zu einer Besserung der Bewusstseinstrübung
kam es nicht. Nach Befunderörterung mit der neurochirurgischen Abteilung wurde eine
externe Liquordrainage angelegt. Postoperativ verschlechterte sich der Zustand durch
eine fortbestehende subdurale Blutung rapide. Trotz Schockbehandlung wurde das Mädchen
kardiorespiratorisch instabil. Die Anlage zentraler Gefäßzugänge verlief unter kardiopulmonaler
Reanimation frustran. Verkomplizierend entwickelte das Kind unter den Reanimationsmaßnahmen
beidseitige Pneumothoraces und massive arterielle Gasembolien ([Abb. 2]).
Weniger als 8 Stunden nach der initialen Alarmierung des Notarztes verstarb das Mädchen.
Die rechtsmedizinische Sektion ergab ein mehrzeitiges Schütteltrauma.
Abb. 1 Axiales Schädel-CT des 3,5 Monate alten Säuglings nach mehrzeitigem Schütteltrauma.
Bei klinischem Verdacht auf einen erhöhten intrakraniellen Druck mit Bewusstseinsstörung
und vorgewölbter vorderer Fontanelle wurde der Säugling zur weiteren Behandlung in
das nächstgelegene Zentrum der Maximalversorgung verlegt. a Deutliche bifrontale Hygrome (Sterne) und schmalbandiges frisches Subduralhämatom
frontal rechts (Pfeil). b Schmalbandige frische Subduralhämatome temporal rechts (Pfeile).
Abb. 2 3,5 Monate alter Säugling nach mehrzeitigem Schütteltrauma aus Abb. 1. Beidseitige
Pneumothoraces und massive arterielle Gasembolien. a Thorax-Röntgenbild a. p.: Pneumothoraces bds. (Sterne), intraabdominelle Luft (schwarzer
Pfeil), Pneumoperikard (weißer Pfeil). b Unmittelbar postmortales CT vom Schädel und Thorax: massive arterielle Gasembolien
(Pfeile), externe subdurale Drainage (Stern).
Symptomatik
Die Symptome eines Schütteltraumas variieren je nach Ausmaß der Gewalteinwirkung stark.
Sie reichen von einer leichten Schädelprellung bis zu einer schweren diffusen Hirnschädigung
mit akuter Enzephalopathie oder Todesfolge (Infobox 1). Begleitverletzungen können
vorhanden sein.
Hauptformen des Schütteltraumas
-
akute Enzephalopathie: Koma, zerebraler Anfall
-
subakute nicht-enzephalopathische Präsentation: akute Blutung ohne Vigilanzstörung
-
chronische nicht-enzephalopathische Form: chronisch subdurales Hygrom, schwierig zu
bewerten
Geringgradige Schädigung. Ein leichtgradiges Schütteltrauma kann asymptomatisch verlaufen. Im Übrigen werden
misshandelte Kinder häufig mit unspezifischen Symptomen vorgestellt. Der behandelnde
Kinderarzt sollte Verdacht schöpfen, wenn die Anamnese die festgestellten Befunde
nicht hinreichend erklären kann. Gegebenenfalls sollte die Rechtsmedizin hinzugezogen
werden.
Typische Anzeichen eines leichteren Schütteltraumas sind Erbrechen ohne Fieber und
Enteritis, Inappetenz oder Trinkschwäche. Diese nicht eindeutigen Symptome werden
häufig als Infekt oder Gastroenteritis fehlgedeutet oder führen gar nicht erst zu
einer ärztlichen Konsultation.
Schwere Schädigung. Ein schwerwiegendes Schütteltrauma führt zu zentralneurologischen Phänomenen wie
Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen. Der Zustand des Kindes kann häufig nicht hinreichend
erklärt werden. Charakteristisch sind fehlende äußere Verletzungen, welche die schwerwiegende
Enzephalopathie erklären.
Kleinkinder und Säuglinge fallen zunächst durch ausgeprägte Schläfrigkeit oder Unruhe,
Trinkunlust, reduzierte Spontanmotorik, verlangsamte Reagibilität sowie vegetative
Symptome wie Temperaturregulationsstörungen auf. Es können fokale neurologische Symptome
wie periphere Lähmungen, pathologische Reflexe, Hirnnervenparesen und Augenbewegungsstörungen
auftreten. Zeichen einer gravierenden diffusen Hirnschädigung sind Stupor oder Koma,
zentrale Apnoen, zerebrale Anfälle sowie Beuge- oder Strecksynergismen [9]. Bei fortschreitenden intrakraniellen Verletzungen im Sinne einer zunehmenden Blutung
oder eines Hirnödems kann es zur Hirnstammeinklemmung mit Bradykardien und letztlich
zum Tod kommen. Objektive Verletzungszeichen fehlen auch bei schwerem Schütteltrauma
häufig. Beim Shaken-impact-Syndrom können jedoch auch Schwellungen am Kopf, Hämatome,
Riss- oder Platzwunden, Deformierung des Schädels, Impressionen, Austritt von Liquor
oder Hirngewebe, sowie Blutungen aus Mund, Nase und Ohren auftreten.
Hirndruck. Die Symptome des begleitenden Hirndrucks werden in 4 Stadien unterteilt (Infobox
2).
Modifizierte Stadieneinteilung des Hirndrucks bei Säuglingen und Kleinkindern
[10]
-
Stadium 1: Die durch das Ödem verursachte Volumenzunahme des Gehirns wird noch von
anderen Kompartimenten kompensiert. Eine Volumenkompensation ist bei Säuglingen durch
noch nicht geschlossene Fontanellen und Schädelnähte möglich. Daher wird Stadium 2
später erreicht.
-
Stadium 2: Der Hirndruck steigt weiter an. Die Kompensationsmöglichkeiten sind erschöpft.
Das Kind erbricht rezidivierend und ist unruhig.
-
Stadium 3: Bewusstseinsstörung. Das Kind ist somnolent bis stuporös und zeigt abgeschwächte
oder inadäquate Reizreaktionen. Kompensatorisch steigt der arterielle Blutdruck an
und die Herzfrequenz fällt ab.
-
Stadium 4: Bewusstlosigkeit. Die Pupillen sind maximal dilatiert und reagieren nicht
auf Licht, in der Folge fällt der arterielle Blutdruck ab. Beuge- und Strecksynergismen
treten auf. Es droht der Hirntod.
Pathophysiologie
Grundlagen des Schüttelns
Bei Schütteltrauma wird das Kind an der oberen Extremität oder am Brustkorb gehalten
und durch kräftiges Schütteln eine unkontrollierte Bewegung des Kopfes nach vorn und
hinten erzeugt. Man spricht von einem Akzelerations-Dezelerations-Trauma. Eine rotatorische
Komponente ist ebenfalls vorhanden.
Säuglinge und Kleinkinder weisen einige anatomische Besonderheiten auf, die dazu führen,
dass Schütteln sich besonders schwerwiegend auswirkt: Im Vergleich zum Rest des Körpers
ist der Kopf sehr groß. Die Nacken- und Haltemuskulatur der Wirbelsäule hingegen sind
nur schwach ausgeprägt. Zudem ist das Gehirn, welches von Liquor umgeben ist, relativ
zu klein und füllt den Schädel nicht aus. Aufgrund dieser Gegebenheiten werden beim
Schütteln eines Kindes starke Scherkräfte erzeugt, die zum einen zum Zerreißen der
Brückenvenen und konsekutiv zum Subduralhämatom führen, zum anderen vor allem auf
axonaler Ebene diffuse Axonschäden hervorrufen und zum Abriss neuronaler Verbindungen
führen. Durch ein zusätzliches plötzliches Aufschlagen des Kopfes entsteht ein noch
schwerwiegenderer Schaden, da durch die plötzliche Dezeleration größere Kräfte einwirken
(Shaken-impact-Syndrom).
Mechanismen der Hirnschädigung
Subduralhämatom. Das Subduralhämatom ist aufgrund der nicht raumfordernden Wirkung meist eher von
diagnostischer als prognostischer Bedeutung. Sein Auftreten ist hochgradig verdächtig
auf eine Misshandlung. Im Verlauf wird es in subdurale Hygrome umgewandelt. Ein Subduralhämatom
kann differenzialdiagnostisch infolge einer vaginalen Geburt auftreten. Dies ist jedoch
meist asymptomatisch und wird innerhalb der ersten 4 – 6 Lebenswochen resorbiert.
Subarachnoiodale und intrazerebrale Blutungen, meist Mikroblutungen, können ebenfalls
auftreten.
Hyperextension der Medulla oblongata. Ein grundlegender Schädigungsgrund ist die Hyperextension der Medulla oblongata,
die im Rahmen des Schüttelns auftritt und zu einer zentralen Apnoe führt. Eine solche
Apnoe kann, sofern sie prolongiert verläuft, unmittelbar zum Tod führen. Wird sie
überlebt, hängt der weitere Verlauf davon ab, wie lange das Gewebe hypoxisch war.
Infolge der Hypoxie entwickelt sich ein Hirnödem. Der Blutfluss im Gehirn ist dann
vermindert. Eine derartige Situation wird meist nur unter Inkaufnahme schwerster neurologischer
Schädigungen überlebt. Nicht selten entwickelt sich im Verlauf ein Hirntod [11].
Hirndruck. Man unterscheidet zwischen primären, direkt durch die Gewalteinwirkung hervorgerufenen
Läsionen und sekundären infolge des Hirnödems und der Hypoxie auftretenden Hirnschädigungen.
Der intrakranielle Druck (ICP) steigt. Das intrakranielle Gesamtvolumen setzt sich
zusammen aus Gehirngewebe, Liquor und Blut. Eine Schwellung des Gewebes kann zu Beginn
noch durch eine Verminderung der anderen Kompartimente kompensiert werden. Eine signifikante
ICP-Erhöhung führt zum kapillären Kollaps und somit zur Ischämie von Gehirngewebe.
Diese wiederum verstärkt das Hirnödem. Sind alle Kompensationsmechanismen aufgebraucht,
wird das Gehirngewebe in Richtung des Tentoriumschlitzes (Zwischen- oder Mittelhirn)
oder des Foramen magnum (Medulla oblongata) verschoben. Bei weiter ansteigendem ICP
kommt die zerebrale Perfusion vollständig zum Erliegen, der Hirntod droht.
Dezerebrationssyndrom. Als Folge der Ischämie kann eine funktionelle Abkopplung des Kortex vom Hirnstamm
auftreten. Dies wird als Dezerebrationssyndrom bezeichnet und kann auf verschiedenen
Ebenen lokalisiert sein (Infobox 3):
-
Beim Zwischenhirnsyndrom wird das Diencephalon in Richtung des Tentoriumschlitzes verdrängt. Eine Vigilanzstörung
tritt als Folge der Schädigung des retikulären Systems auf. Die Enthemmung des Tractus
rubrospinalis führt zu Beuge-Streck-Synergismen. Ein Puppenkopf-Phänomen kann beobachtet
werden und der vestibulookkuläre Reflex ist negativ.
-
Das Mittelhirnsyndrom entsteht im Rahmen einer transtentoriellen Herniation des Mittelhirns. Es treten
Strecksynergismen des Rumpfes und der Extremitäten auf. Die mittelweiten bis weiten
Pupillen reagieren schwächer auf Licht. Die weiter werdenden Pupillen sind Ausdruck
einer Kompression der parasympathischen Fasern des N. oculomotorius im Mittelhirn.
-
Beim pontinen Syndrom lösen Schmerzreize leichte Streckbewegungen der Extremitäten aus, der Babinski-Reflex
ist positiv, die Pupillen sind lichtstarr und entrundet.
-
Beim Bulbärhirnsyndrom kommt es zu einer Einklemmung der Pons und der Medulla oblongata mit sehr schlechter
Prognose. Es fehlen jegliche Reaktionen auf Schmerzreize. Reflexe und Pyramidenbahnzeichen
sind nicht mehr auslösbar. Die Pupillen sind maximal weit und lichtstarr.
Da die Kinder nach Misshandlung in der Regel später vorgestellt werden als bei akzidentell
aufgetretenem Schädel-Hirn-Trauma, ist die Prognose beim Schütteltrauma schlechter.
Leitsymptome von Dezerebrationssyndromen
-
Zwischenhirnsyndrom (dienzephales Syndrom): Beuge-Streck-Synergismen, Puppenkopfphänomen
-
Mittelhirnsyndrom: Strecksynergismen, Pupillodilatation
-
pontines Syndrom: leichte Strecksynergismen, lichtstarre weite Pupillen, Pyramidenbahnzeichen
-
Bulbärhirnsyndrom: Areflexie, lichtstarre weite Pupillen, fehlende Abwehr
Retinale Blutungen
Netzhautblutungen treten u. a. bei Stoffwechseldefekten, Neoplasien, genetischen Syndromen
und Unfällen auf. Nach Schütteltrauma werden bei ca. 50 – 100 % der Kinder retinale
Blutungen beobachtet. Dabei sind unzählige, meist bilaterale Netzhautblutungen mit
einer Ausdehnung bis zur Ora serrata der Retina hochgradig verdächtig auf ein Schütteltrauma
[12]. Eine genaue Beschreibung durch einen Ophthalmologen ist notwendig.
Spätfolgen
Kinder, die ein Schütteltrauma überlebt haben, leiden anschließend häufig an relevanten
neurologischen Störungen. Die Kosten, die jedes Jahr dadurch verursacht werden, sind
enorm und verbrauchen beispielsweise in den USA ca. 70 Millionen Dollar pro Jahr im
Gesundheitssystem [13]. Spätfolgen wie Verhaltensstörungen, kognitive Defizite, Hör- und Sehstörungen,
infantile Zerebralparesen und Spätepilepsien treten oft im Zusammenhang mit multizystischer
Enzephalopathie, Porenzephalie, Hirnatrophie und Mikrozephalie als Misshandlungsfolge
auf. Das volle Ausmaß der Schädigung ist oft erst nach mehreren Monaten zu erkennen.
Diagnostik
Bei Verdacht auf ein Schütteltrauma sollten die notwendigen Untersuchungen als Stufendiagnostik
durchgeführt werden (Infobox 4).
Stufendiagnostik bei akuter Enzephalopathie und Verdacht auf ein Schütteltrauma
-
Anamnese und körperliche Untersuchung
-
Basislabor ([Tab. 1])
-
zerebrale Bildgebung
-
Fundoskopie
-
Screening auf Begleitverletzungen
-
Ausschluss seltener Ursachen, falls nötig
Tab. 1
Differenzialdiagnosen und Labordiagnostik.
Differenzialdiagnosen
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Laboruntersuchungen
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Kommentar
|
alle Zustände, die mit akuten neurologischen Symptomen einhergehen
|
Basisdiagnostik je nach klinischem Bild: Blutzucker, Blutgasanalyse inkl. COHb, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, Lipase,
Lebertransaminasen, Ammoniak, globale Gerinnung inkl. D-Dimer, Blutbild mit Diff.-Blutbild,
CRP, IL-6, Blutkultur, Harnsediment, toxikologisches Screening im Urin, ggf. Liquorzellzählung
und -kultur inkl. Herpes-PCR
|
Ausschluss globaler Ursachen wie Infektionen, Leber- und Niereninsuffizienz, Hypoglykämie,
Elektrolytstörungen, Intoxikationen
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Geburtstrauma
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Basisdiagnostik, ggf. erweiterte Gerinnungsdiagnostik
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selten intrakranielle Blutungen nach operativer Entbindung, selten pathologische Neurologie
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primäre Gerinnungsdefekte
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Einzelfaktorenbestimmung (VIII, XIII), Von-Willebrand-Faktor-Antigen und -Aktivität,
Blutungszeit, Thrombozytenaggregationstests
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immer Ausschluss eines Von-Willebrand-Jürgens-Syndroms
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sekundäre Gerinnungsstörung
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Basisdiagnostik, ggf. Thrombozytenantikörper
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Vitamin-K-Mangel, Thrombozytopenien und Gerinnungsstörungen im Rahmen von Infektionen,
Immunthrombozytopenien
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hämatologische Erkrankungen
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diverse u. a. antithrombozytäre Antikörper, LDH, Tumormarker, Knochenmarkpunktion
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Neoplasien mit erhöhtem Blutungsrisiko, u. a. lymphoblastische Leukämien und Neuroblastom
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Stoffwechseldefekte:
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organische Säuren im Urin
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immer Ausschluss einer Glutarazidurie Typ 1, einer Galaktosämie und eines Harnstoffzyklusdefekts
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Trockenblutprobe (NG-Screening)
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Ammoniak
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Genanalyse, Coeruloplasmin erniedrigt
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Genanalyse
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Genanalyse
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akzidentelles Trauma
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Basisdiagnostik
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Hochgeschwindigkeitstrauma, Sturz aus großer Höhe (über 2 m)
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zerebrale Gefäßfehlbildung
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Basisdiagnostik
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Spontanblutung bei arteriovenöser Malformation oder V.-galeni-Aneurysma
|
Basisdiagnostik
Die Basis bilden stets die Anamnese und klinische Untersuchung, wobei der Spiegelung
des Augenhintergrunds eine besondere Bedeutung zukommt. Im Vordergrund der apparativen
Diagnostik stehen bildgebende Verfahren wie CT und MRT. Ferner bilden laborchemische
Untersuchungen die Grundlage zum Ausschluss relevanter Gerinnungsstörungen, Infektionen
und Stoffwechseldefekte.
Eine umgehende Einbeziehung weiterer Fachrichtungen wie Ophthalmologen, Kinder- und
Neurochirurgen sowie Rechtsmediziner ist sowohl unter diagnostischen als auch forensischen
Gesichtspunkten sinnvoll. Man sollte eine Fotodokumentation etwaiger äußerer Begleitverletzungen
und des Augenhintergrunds anlegen.
Der diagnostische Ablauf richtet sich nach dem klinischen Bild und dem Schweregrad
der Symptome.
Letztliches Ziel der Untersuchungen ist die Unterscheidung zwischen einer akzidentellen
oder sekundären zerebralen Schädigung und einer Schädigung durch missbräuchliche Gewalteinwirkung.
Hierbei muss man je nach Plausibilität unter Berücksichtigung der Anamnese und Symptomatik
die in [Tab. 1] aufgeführten Differenzialdiagnosen bedenken [14].
Laborchemische Diagnostik
Gerinnungsstörungen. Eine Vielzahl kongenitaler Hämostasedefekte kann mit der Entwicklung von Subduralhämatomen
einhergehen. Hierzu zählen unter anderem das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom sowie
ein Mangel an Faktor VIII oder XIII (Infobox 5, [Tab. 1]). Selten können angeborene Thrombozytendefekte oder eine Sichelzellanämie zerebrale
Blutungen verursachen. Erworbene Gerinnungsstörungen ergeben sich überwiegend aus
septischen Infektionsverläufen mit disseminierter intravasaler Gerinnung oder hämatologischen
Neoplasien. Zudem kann ein relevanter Vitamin-K-Mangel selten zu intrazerebralen Hämorrhagien
führen. Es ist jedoch zu bemerken, dass die meisten der hier genannten Störungen der
Hämostase selten, schwere kongenitale Formen mit hohem Blutungsrisiko sogar sehr selten
sind. Außerdem manifestieren sich Gerinnungsdefekte oder erworbene Störungen der Hämostase
meist nicht mit Blutungen im ZNS, sondern eher durch überhäufige Epistaxis, verlängerte
Blutungen bei Bagatellverletzungen sowie gastrointestinale Hämorrhagien oder sie fallen
erstmalig bei operativen Eingriffen auf.
Basisgerinnungsdiagnostik
Daher spielen erweiterte Gerinnungstests in der Akutdiagnostik des Schütteltraumas
lediglich bei nicht eindeutigen Ergebnissen der globalen Gerinnungsparameter im Zusammenhang
mit einer unklaren Befundkonstellation der weiterführenden Diagnostik eine Rolle (z. B.
bei Subduralhämatom und unauffälliger Ophthalmoskopie).
Aus forensischer Sicht ist wegen der Seltenheit der übrigen hämostaseologischen Erkrankungen
lediglich der Ausschluss eines Von-Willebrand-Jürgens-Syndroms zu empfehlen, da dieses
meist nicht mit einer Veränderung der globalen Gerinnungsparameter einhergeht [15].
Infektionen. Bei der Vorstellung eines vigilanzgestörten Säuglings oder Kleinkindes kommt eine
Vielzahl unterschiedlicher Infektionen des ZNS in Betracht. Diese sollten durch eine
unverzügliche Labordiagnostik ausgeschlossen werden. Insbesondere bakterielle Infektionen
des ZNS führen u. a. durch die Entwicklung eines Hirnödems zu Wesensveränderungen.
Die dominierenden Erreger bei Neugeborenen und jungen Säuglingen sind Streptococcus
agalactiae, Escherichia coli und Listeria monozytogenes. Kleinkinder erkranken dagegen
eher an Meningoenzephalitiden durch Streptococcus pneumoniae, Neisseria meningitidis
und Haemophilus influenzae Typ B [16]. Auch septische Infektionsverläufe anderer Organsysteme sind bei der Differenzialdiagnostik
einer Vigilanzstörung im jungen Kindesalter miteinzuschließen (Infobox 6). Aufgrund
der kausalen Behandlungsoption sollte man bis zum Gegenbeweis eine Herpesenzephalitis
als mögliche Ursache in Erwägung ziehen.
Das Warten auf laborchemische Infektionsparameter und mikrobiologische Ergebnisse
darf niemals eine zeitgerechte Behandlung verzögern.
Infektionsdiagnostik bei einem vigilanzgestörten Säugling oder Kleinkind
-
großes Blutbild
-
C-reaktives Protein (CRP)
-
Interleukin 6 (IL-6), ggf. Prokalzitonin
-
Blutkultur
-
Liquorstatus: Zellzählung, Protein, Laktat, Glukose
-
Liquordirektpräparat
-
Liquorkultur
Stoffwechseluntersuchungen. Diverse Stoffwechseldefekte können mit neurologischen Allgemeinsymptomen, Subduralhämatomen
und Netzhautblutungen oder begleitenden Befunden (z. B. Frakturen langer Röhrenknochen)
einhergehen und dadurch eine Kindesmisshandlung imitieren. Erwähnenswert sind in diesem
Zusammenhang Harnstoffzyklusdefekte, die Glutarazidurie Typ 1, die klassische Galaktosämie,
das Menkes- und das Ehlers-Danlos-Syndrom sowie die Osteogenesis imperfecta. Meist
macht die klinische Untersuchung das Vorliegen einiger dieser genetischen Erkrankungen
unwahrscheinlich, weshalb man diesbezüglich von der häufig teuren weiteren Diagnostik
absehen kann. Anders verhält sich dies bei der Glutarazidurie Typ 1, der Galaktosämie
und Harnstoffzyklusdefekten, welche sich phänotypisch nicht immer hinreichend charakterisieren
lassen [17].
Des Weiteren sollte man akute allgemeine Stoffwechselstörungen im Sinne einer Urämie,
einer Hypoglykämie oder einer relevanten Entgleisung des Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts
sowie toxikologische Ursachen zügig ausschließen.
Organspezifische Laboruntersuchungen können auch Hinweise auf Begleitverletzungen
innerer Organe liefern.
[Tab. 1] gibt einen Überblick über die notwendige Labordiagnostik, die man je nach klinischer
Präsentation und Anamnese modifizieren sollte.
Ophthalmologische Untersuchung
Generell können retinale Hämorrhagien verschiedene Ursachen haben. Man unterscheidet
einseitige von beidseitigen sowie punktförmige von diffusen Netzhautblutungen. Ferner
können retinale Einblutungen ausschließlich den hinteren Pol betreffen oder sich in
die Peripherie fortsetzen.
Prinzipiell können alle in [Tab. 1] aufgeführten Ursachen jedwede Formen von Netzhautblutungen verursachen, weshalb
die alleinige Fundoskopie bei unklarer Anamnese nicht per se zur Diagnosestellung
eines Schütteltraumas berechtigt. Dennoch machen bestimmte Netzhautbefunde ein Schütteltrauma
wahrscheinlich: Maguire et al. berichten von beidseitigen Netzhautblutungen bei 83 % verglichen mit 5 % bei nicht missbräuchlicher Ursache einer intrakraniellen
Verletzung. Des Weiteren sind ausgedehnte Blutungen bei Schütteltrauma häufig, wohingegen sich bei anderen Ursachen lediglich 10 % der
Blutungen in die Netzhautperipherie fortsetzen. Die Wahrscheinlichkeit für ein Schütteltrauma
bei einer intrakraniellen Verletzung in Kombination mit retinalen Blutungen beträgt
je nach Studie zwischen 58 und 91 % [12]
[14]. Aus forensischen Gründen ist eine Dokumentation mit Netzhautfotografie empfehlenswert.
Die Fundoskopie ist eine einfache und wenig invasive Methode zur Erfassung der für
ein Schütteltrauma typischen Netzhautblutungen.
Zerebrospinale Bildgebung
Im Fall akut aufgetretener zentralneurologischer Symptome sind die zerebrale CT und
MRT der diagnostische Goldstandard. Typischer Befund eines moderaten bis schweren
Schütteltraumas ist eine intrakranielle Blutung. Epidurale Blutungen treten häufiger bei akzidentellen Kopfverletzungen auf, wohingegen subdurale Hämatome signifikant mit einem Schütteltrauma assoziiert sind.
Bei fokalneurologischen Auffälligkeiten muss man zum Ausschluss einer drohenden Hirneinklemmung
eine zerebrale Bildgebung stets vor einer Liquorpunktion durchführen.
Kraniale CT. Die zerebrale CT ist in den meisten klinischen Akutsituationen die Modalität der
ersten Wahl. Dies liegt zum einen an der breiteren Verfügbarkeit, zum anderen an der
schnelleren und sicheren Durchführbarkeit ohne den Bedarf MR-tauglicher Überwachungsgeräte
bei potenziell instabilen Patienten. Die native CT zeichnet sich durch eine hohe Sensitivität
beim Erkennen größerer frischer intrakranieller Blutungen und Hygrome (Kasuistik 1)
sowie von Schädelfrakturen aus. Zudem erlaubt sie die Beurteilung eines möglichen
Hirnödems und älterer ischämischer Veränderungen. Nachteilig ist die hohe Strahlenbelastung,
außerdem lassen sich subtilere Schädigungsfolgen wie petechiale Blutungen, Scherverletzungen
im subkortikalen Marklager und Schäden des kraniozervikalen Bandapparats nicht hinreichend
darstellen.
Zerebrospinale MRT. Aufgrund der besseren Darstellung von Weichteilstrukturen sollte man bei Verdacht
auf ein Schütteltrauma umgehend eine zerebrale MRT durchführen (spätestens nach 3
Tagen). Ein weiterer Vorteil der MRT ist die höhere Sensitivität beim Erkennen kleinerer
Blutungen im Bereich der Konvexität, der hinteren Schädelgrube und auf dem Tentorium
cerebelli. Zur Detektion etwaiger Verletzungen des Bandapparats sollte man stets den
kraniozervikalen Übergang mit einschließen. Da ein missbräuchliches Schädel-Hirn-Trauma
in bis zu 60 % der Fälle mit spinalen Verletzungen (inkl. sub- und epiduralen spinalen
Blutungen) vergesellschaftet sein kann, ist eine Erweiterung der MR-Bildgebung auf
die Wirbelsäule empfehlenswert.
Zur Dokumentation der zeitlichen und örtlichen Entwicklung der geschädigten Hirnareale
sollte die zerebrale MRT nach 2 – 3 Monaten wiederholt werden. Dies kann bei vormals
untypischen Befunden zur Klärung der Schädigungsgenese beitragen ([Abb. 3]) [18]
[19].
Abb. 3 Längerfristige Entwicklung geschädigter Hirnareale nach Schütteltrauma. a Sagittales Schädel-MRT eines 5 Wochen alten Säuglings nach Schütteltrauma: parasagittale
subdurale (Pfeil) und intrazerebrale Blutung (Stern). b Axiales Schädel-MRT desselben Kindes im Alter von 3 Monaten: nahezu vollständige
porenzephale Auflösung der Hirnstrukturen.
Ergänzende bildgebende Verfahren
Augenscheinliche Begleitverletzungen im Rahmen eines Schütteltraumas führen im Allgemeinen
unverzüglich zu einer weiterführenden radiologischen Diagnostik. Dies ermöglicht jedoch
nicht nur das Erkennen der vermuteten Verletzungen, sondern zudem die Diagnose etwaiger
okkulter Frakturen und Organschäden.
Bei dringendem Verdacht auf ein Schütteltrauma sollte man auch ohne erkennbare Hinweise
auf weitere Verletzungen eine ergänzende bildgebende Diagnostik durchführen.
Diesbezügliche Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie,
DGKJ und DGKCh für Kinder unter 2 Jahren sind in modifizierter Form in [Tab. 2] dargestellt [20].
Tab. 2
Radiologische Zusatzdiagnostik bei Kindern unter 2 Jahren (nach [20]).
Empfohlene radiologische Zusatzdiagnostik
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Kommentar
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Schädelsonografie
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Vorteil: Farbduplex bei einem Verdacht auf erhöhten Hirndruck sinnvoll, schnell verfügbar Nachteil: stark untersucherabhängig, v. a. kalottennah und infratentoriell nur eingeschränkt
einsehbar
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Abdomensonografie
|
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Skelettstatus (Röntgen)
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Schädel in 2 Ebenen
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verzichtbar bei Vorliegen eines cCT mit Knochenalgorithmus
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Arme und Beine a. p.
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bei Frakturhinweis zusätzlich zweite Ebene
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Thorax a. p.
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bei fraglichem Befund ggf. zusätzliche Schrägaufnahme
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Becken a. p.
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bei Mädchen ohne Gonadenschutz
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Wirbelsäule seitlich
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ggf. zusätzlich a. p., wenn im Thorax- und Becken-Röntgen nicht hinreichend beurteilbar
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Für alle Röntgenaufnahmen gilt: Bei weiter bestehendem Frakturverdacht ohne bisherigen Nachweis erhöht eine
Wiederholung der Untersuchungen nach 14 Tagen die diagnostische Ausbeute.
Skelettszintigrafie nur komplementär, vorteilhaft bei nicht dislozierten, subtilen oder okkulten Rippenfrakturen.
Wahrscheinlichkeit eines Schütteltraumas
Im klinischen Alltag kann der Verdacht auf eine Kindesmisshandlung weitreichende Konsequenzen
haben: Information der Rechtsmedizin und Kriminalpolizei oder Sorgerechtsentzug. Daher
darf sich die Diagnose eines Schütteltraumas nicht ausschließlich auf Ungereimtheiten
in der Anamnese und allgemein ungewöhnliche klinische Befunden stützen. Obgleich subdurale
Hämatome mit einem Schütteltrauma assoziiert sind, erlaubt deren alleinige Feststellung
nicht per se die Diagnosestellung.
Die Kombination mehrerer typischer Befunde erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit eines
Schütteltraumas deutlich. Maguire et al. stellten 2011 eine Analyse von 1053 Kindern
mit intrakraniellem Trauma vor. Hiervon hatten 348 Kinder ein nachweisliches Schütteltrauma
erlitten. Untersucht wurde die Assoziation einer intrakraniellen Schädigung mit verschiedenen
weiteren klinischen Befunden sowie deren Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit eines
Schütteltraumas. Untersuchte klinische Befunde waren offensichtliche Kopf- und Halsverletzungen,
zerebrale Anfälle, retinale Blutungen, Apnoen, Frakturen langer Röhrenknochen und
Rippenfrakturen. Lab einer dieser spezifischen Befunde zusätzlich vor, erhöhte dies
im Vergleich zu einer alleinigen intrakraniellen Verletzung die Wahrscheinlichkeit
eines Missbrauchs nahezu auf das Vierfache. Bei der Kombination einer intrakraniellen
mit einer retinalen Blutung betrug der positive prädiktive Wert für ein Schütteltrauma
58 %. Der größte Effekt bestand bei zusätzlichen Rippenfrakturen: Der positive prädiktive
Wert für ein Schütteltrauma betrug hierbei 65 %. Bei einer Kombination von mindestens
3 spezifischen Befunden lag der positive prädiktive Wert für ein Schütteltrauma bei
über 85 %. Lagen alle 6 untersuchten Zusatzbefunde vor, waren andere Schädigungsursachen
nahezu ausgeschlossen, der positive prädiktive Wert betrug dann 97 % [21].
Bei einer typischen intrakraniellen Verletzung ohne adäquate Anamnese ist nach dem
Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen die Diagnose eines Schütteltraumas zu stellen.
Spezifische Begleitverletzungen stützen die Diagnosestellung. Entsprechende Zusatzuntersuchungen
sind obligat.
Therapie
Hirngewebe hat eine geringe Hypoxietoleranz. Ein rechtzeitiges Handeln ist daher von
entscheidender Bedeutung. Ziel der Therapie ist es, eine sekundäre Hirnschädigung
nach Möglichkeit zu vermeiden oder zu vermindern und eine Regeneration des funktionsgestörten
Hirngewebes zu begünstigen. Außerdem soll eine Homöostase mit Normoxie, Normotonie,
Normoglykämie und einem Vermeiden einer Hyperthermie erreicht und drohende Komplikationen
(Infektionen, Sepsis, Gerinnungsstörungen) verhindert werden.
Die Akuttherapie orientiert sich am Ausmaß der Schädigung und wird auf der Intensivstation
gehandhabt wie ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Ein interdisziplinäres Team aus Pädiatern,
Neuropädiatern, Kinderchirurgen, Kinderradiologen und Neurochirurgen berät, welche
Maßnahmen sinnvoll sind. Erforderlich ist eine Überwachung von Kreislauf und Atmung
auf der Intensivstation einschließlich einer engmaschigen neurologischen Beurteilung.
Konservative Therapie
Besteht kein akuter Hinweis auf eine Einklemmung oder akuten Hirndruck, ist zunächst
eine konservative Therapie und Beobachtung angezeigt. Die Sicherung der vitalen Funktionen
sowie eine Schockbehandlung hat Vorrang vor anderen Maßnahmen.
Unterstützende Maßnahmen. Eine Infusionstherapie dient der Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung des intravasalen Volumenstatus.
Generell sollte man isoosmolare Lösungen wie isotone Kochsalzlösung, Ringer-Lösung
oder kolloidale Lösungen verwenden. Auf den Einsatz glukosehaltiger Lösungen sollte
man verzichten, da diese rasch metabolisiert werden und durch einen Überschuss an
freiem Wasser das Hirnödem verstärken. Kreislaufunterstützende Medikamente wie Dopamin
und Noradrenalin gibt man bedarfsweise zum Erreichen einer arteriellen Normotonie.
Ist der Patient bewusstlos (Orientierungswert: GCS < 9) ist meist eine frühzeitige
Intubation und Beatmung unter adäquater Analgosedierung erforderlich. In allen übrigen Fällen sollte man
aufgrund der dann besseren neurologischen Beurteilbarkeit auf eine Sedierung verzichten.
Die Sauerstoffsättigung sollte über 90 % und der pO2 über 60 mmHg betragen. Eine systemische Hypoxie und Hyperkapnie ist maßgeblich an
der Entstehung des erhöhten Hirndruckes beteiligt.
Eine bedarfsadaptierte Schmerztherapie sollte man in jedem Fall durchführen. Will man Opioide vermeiden, kann man z. B.
Metamizol und Paracetamol i. v. im 3-stündlichen Wechsel verabreichen.
Der Oberkörper sollte 30° hochgelagert werden. Dies begünstigt die hirnvenöse Drainage. Eine dadurch bedingte Senkung des
ICP wurde jedoch nicht nachgewiesen. Als Nebenwirkung kann bei fehlender orthostatischer
Gegenregulation eine arterielle Hypotonie auftreten.
Hirnprotektive Therapie. Eine Hypothermie wurde in der Vergangenheit empfohlen, wird derzeit aber kontrovers diskutiert. Einer
potenziell vorteilhaften Wirkung auf das Gehirngewebe stehen zahlreiche negative Nebeneffekte
wie arterielle Hypotonie, längerer Beatmungsbedarf und mangelnde neurologische Beurteilbarkeit
entgegen. In einer internationalen Multicenter-Studie von Hutchinson et al. (2008)
zur Hypothermietherapie bei Kindern nach Gehirnverletzungen erbrachte die Hypothermie
(33,1 °C ± 0,5 °C) keinen Vorteil gegenüber der Normothermie, sondern erhöhte das
Mortalitätsrisiko sogar [22]. Weitere Forschungsanstrengungen sind notwendig, um künftig eine sichere Anwendung
der Hypothermie zu gewährleisten. Folglich ist bei allen Patienten außerhalb von Studien
eine Normothermie anzustreben.
Zur hirnprotektiven Therapie durch eine Senkung eines erhöhten ICP stehen verschiedene
weitere Möglichkeiten zur Verfügung, für die aber bisher aufgrund der mangelnden Datenlage
hinsichtlich des neurologischen Outcomes keine allgemeine Empfehlung ausgesprochen
werden kann [10].
Generell ist das Ziel der Beatmung eine Normoxie und Normokapnie. Besteht der Verdacht auf eine transtentorielle Herniation,
kann man zur kurzfristigen Senkung des Hirndrucks eine milde Hyperventilation anstreben
(Ziel-pCO2: 30 mmHg). Eine längerfristige Hyperventilation wird nicht empfohlen, da der niedrige
CO2-Partialdruck zu einer Vasokonstriktion der zerebralen Gefäße führt und damit möglicherweise
zu einer Ischämie [23].
Osmodiuretika wie Mannitol können eine kurzzeitige Senkung des ICP erzielen. Für eine hirnprotektive
Wirkung von Mannitol oder hypertoner Kochsalzlösung gibt es bisher keine ausreichende
Evidenz, die eine Empfehlung prinzipiell rechtfertigen würde. Mannitol wird in den
USA häufig eingesetzt, um ein Hirnödem zu behandeln. Dennoch ist keine Empfehlung
zum generellen Einsatz gerechtfertigt, da randomisierte kontrollierte Studien fehlen
[24].
Entsprechend der AWMF-Leitlinie soll auf Glukokortikoide verzichtet werden, da hierunter eine signifikant höhere 14-Tage-Letalität aufgetreten ist. Ebenso
gibt es derzeit keine Empfehlung für 21-Aminosteroide, Kalziumantagonisten, Glutamatrezeptorantagonisten
und Tris-Puffer.
Ein Ausfall der Hormonachsen ist im Rahmen der Schädigung möglich. Peripher wirkende
Hormone sollte man ggf. ersetzen. Auf das Auftreten eines Diabetes insipidus sollte
man achten und ihn ggf. frühzeitig mit Desmopressin behandeln.
Mydriatika sind grundsätzlich kontraindiziert, da sie eine Pupillodilatation bewirken und eine Beurteilung der Pupillomotorik im
Anschluss nicht mehr zulassen.
Neurochirurgische Therapie
Einer akuten klinischen Verschlechterung mit Pupillodilatation oder Reaktionsstörungen
der Pupillen auf Licht liegt meist eine Einklemmung basaler Hirnstrukturen zugrunde.
Als ultima ratio ist in einem solchen Fall schnellstmöglich eine Dekompressionskraniektomie einschließlich großzügiger Duraerweiterungsplastik zur Entlastung möglich. In einer
Studie von Cho et al. wurde der Effekt einer Dekompressionskranektomie untersucht
[25]. Die Patienten wurden in 3 Gruppen unterteilt:
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Hirndruck mit ICP unter 30 mmHg, medikamentöse Therapie
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Hirndruck mit ICP über 30 mmHg, medikamentöse Therapie
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Hirndruck über 30 mmHg, operative Dekompression
Die Mortalität in der Interventionsgruppe war niedriger als bei konservativer Therapie.
In einer anderen Studie wurde der Effekt einer Kraniektomie nach Schütteltrauma und
nach akzidentellen Hirnverletzungen verglichen. Dabei stellte sich heraus, dass die
Mortalität und die Anzahl der Kinder mit schlechter Prognose bei den Kindern, die
ein Schütteltrauma erlitten hatten, auch nach einer Dekompression höher war [26]. Die momentanen Studiendaten zur therapeutischen Kraniektomie nach Schütteltrauma
sind kontrovers.
Bei einer Verlegung des Liquorabflusses mit konsekutivem Hydrocephalus internus occlusus
ist die Anlage einer Ventrikeldrainage indiziert.
Im Falle eines Hirntodes ist eine organprotektive Therapie unbedingt erforderlich,
bis ein ausführliches Gespräch mit den Eltern hinsichtlich einer möglichen Organspende
geführt wurde.
Nachsorge
Langfristig bedarf es beim Überleben des Kindes einer umfassenden Förderung und Rehabilitation
sowie neuropädiatrischen Nachsorge der oft schwer geschädigten Kinder mit Physiotherapie,
Ergotherapie, Logopädie, Heilpädagogik und Hilfsmittelversorgungen.
Prävention
Ein häufiger Trigger, der zu einer Episode mit Schütteln führt, ist prolongiertes
Schreien. Dies bietet Möglichkeiten zur Prävention durch Aufklärungsprogramme für
Eltern, die vermitteln, wie schreiende Kinder beruhigt werden können. Laut einer amerikanischen
Studie wissen zwischen 50 und 75 % der jungen Erwachsenen nicht, welche Auswirkungen
das Schütteln eines Kindes haben kann. Entsprechende Aufklärungskampagnen der American
Acadamy of Pediatrics sind in den USA bereits etabliert [27].
Programme, die Eltern bereits in der Geburtsklinik über das Schütteltrauma informieren,
wurden in langfristig angelegten Studien untersucht. Dabei zeigte sich, dass nach
Einführung eines solchen Programmes die Inzidenz des Schütteltraumas um 47 % sank
[28]. Andere Programme wie „All Babies Cry (ABC)“ [29] oder „PURPLE Crying Program“ [30] erzielten ebenfalls gute Erfolge.
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Je eher bei unspezifischer Symptomatik an ein Schütteltrauma gedacht wird, desto eher
kann eine adäquate Diagnostik und Therapie eingeleitet werden.
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Diagnostik und Therapie sind interdisziplinär und richten sich nach der akuten Symptomatik.
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Die Basisdiagnostik umfasst neben Anamnese und aktuellem Status stets angepasste Laboruntersuchungen,
eine Fundoskopie und eine zerebrale Bildgebung mit CT und/oder MRT.
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Subdurale Blutungen, die mit Netzhautblutungen und Rippenfrakturen einhergehen, sind
pathognomonisch für ein schweres Schütteltrauma.
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Eine frühzeitige Verlegung in ein Klinikum der Maximalversorgung ist ratsam.
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Ein rasches rechtsmedizinisches Konsil ist indiziert.
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Eine perinatale Elternaufklärung ist eine effektive Maßnahme zur Prävention des Schütteltraumas.
Hinweis auf Erstveröffentlichung
Hinweis auf Erstveröffentlichung
Dieser Beitrag erschien erstmals in Intensivmedizin up2date 2016; 12(03): 307 – 321