Schlüsselwörter
Kinderanästhesie - Outcome - Eltern - Neurotoxizität - Anästhetika - Hypotension -
Hypokapnie - institutionelle Faktoren
Key words
pediatric anesthesia - outcome - parents - neurotoxicity - anesthetics - hypotension
- hypocapnia - institutional factors
Einleitung
Die operative Versorgung von Kindern stellt hohe Anforderungen an die beteiligten
Berufsgruppen und gilt zu Recht als anspruchsvoll. Das Risiko schwerer perioperativer
Komplikationen liegt nach aktuellen Daten der APRICOT-Studie bei 5,2%. Als Risikofaktoren
perioperativer Komplikationen zeigten sich hier hauptsächlich das Alter des Kindes,
Grund- und Begleiterkrankungen sowie die körperliche Verfassung [1].
Quelle: KH Krauskopf.
Da Anästhesisten weder diese Faktoren noch die benötigte Operation wesentlich beeinflussen
können, ist es gerechtfertigt zu fragen, was der Anästhesist aktiv tun kann, um das
perioperative Outcome von Kindern positiv zu beeinflussen. Die Möglichkeiten lassen
sich grob in individuell und institutionell klassifizieren. Beide Gruppen der Einflussnahme
sind wichtig und müssen unabhängig voneinander gestärkt werden. Naturgemäß war in
den letzten Jahren der Fokus zahlreicher Publikationen besonders auf eine Verbesserung
der individuellen Fähigkeiten gerichtet.
Zu den individuellen Möglichkeiten gehört u. a. die intraoperative Phase der Narkoseeinleitung
und -aufrechterhaltung. Als wichtige Erkenntnis ist hier in den letzten Jahren immer
mehr eine Aufrechterhaltung der Homöostase identifiziert worden [2]. Grob vereinfacht ist hierunter eine Vermeidung von arterieller Hypotension, Hyper-/Hypoglykämie,
Hypoxämie, Hypokapnie und Hyponatriämie als Folge einer inadäquaten Flüssigkeitssubstitution
zu verstehen. In diesem Artikel möchten wir uns aus diesem Themenbereich auf die Frage
nach dem „richtigen“ Blutdruck beschränken, da hierzu zahlreiche neue Studien erschienen
sind, die sich der Frage annehmen.
In der Grauzone zwischen individueller und institutioneller Entscheidung mit potenziellem
Einfluss auf das Outcome haben wir die Frage einer möglichen Neurotoxizität diskutiert.
Diese ist seit einiger Zeit nicht nur fachlich, sondern auch politisch und emotional
im Fokus und wird in der Öffentlichkeit wahrgenommen [3].
Genauso wichtig ist allerdings die Optimierung der institutionellen Versorgung mit
potenzieller Verbesserung des Outcomes. Dieser Bereich wird schnell übersehen, hält
jedoch zahlreiche Möglichkeiten der Einflussnahme bereit.
Die wichtigsten Punkte zum Thema individuelle und institutionelle Möglichkeiten der
Verbesserung des Outcomes sind in [Abb. 1] zusammengefasst, die sowohl die präoperative, als auch die intra- und postoperative
Phase beinhaltet.
Abb. 1 Algorithmus zur Evaluation Outcome-relevanter Entscheidungen.
Institutionelle Ansätze – Was können wir für Eltern und Kinder tun?
Institutionelle Ansätze – Was können wir für Eltern und Kinder tun?
Antizipiert man die Angst der Eltern vor unerwünschten Folgen des Eingriffs und der
Anästhesie, so erscheint diese zumindest für die ganz kleinen Patienten berechtigt,
wenn man die perioperative Mortalität betrachtet. In einem Review-Artikel haben McCann
und Schouten hierzu ausgeführt, dass sie die anästhesiebedingte Mortalität mit 0,65 – 0,98
Fällen/10 000 Narkosen als gering einstufen, während die perioperative Mortalität
besonders bei Neonaten immer noch sehr hoch ist [2]. So ist die perioperative Sterblichkeit für Neugeborene in den USA ungefähr 70-mal
höher als für Kinder, die älter als 10 Jahre sind [4]. Die höhere Sterblichkeit begründet sich vor allem in der Art der Grunderkrankung
und dem daraus resultierenden Grad der Komplexität des chirurgischen Eingriffs. Hiermit
sind vor allem Kinder mit angeborenen Herzfehlern gemeint, die eine operative Korrektur
desselben benötigen [4].
Jenseits der fachlichen Kriterien stellt eine hohe emotionale Belastung der Eltern
eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. So konnte Litman et al. in einer
Untersuchung an gesunden Kindern im Bereich der ambulanten Chirurgie bereits 1996
zeigen, dass Mütter von Säuglingen offenbar besonders viel Angst vor der perioperativen
Phase haben [5]. Da sich Angst und Unsicherheit der Eltern auf die Kinder übertragen [6], ist es gerechtfertigt zu fragen, inwiefern sich die emotionale Belastung der Kinder
auf den postoperativen Gesundheitszustand auswirken kann. Kain et al. untersuchten
hierzu 241 Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren, die sich einer Operation im HNO-Bereich
unterziehen mussten. Sie beschrieben, dass ängstliche Kinder eine deutlich höhere
Schmerzempfindlichkeit unmittelbar postoperativ als auch während der ersten 3 Tage
zu Hause angaben. Der Schmerzmittelverbrauch war ebenfalls signifikant erhöht. Weiterhin
traten bei diesen Kindern öfter ein Emergence Delirium und Schlafstörungen auf [7].
Ein aktuelles Thema ist in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit Eltern bei der
medizinischen Versorgung ihrer Kinder anwesend sein sollen, um ihnen die Möglichkeit
zu geben, selbige zu begleiten. Hierzu haben Sanders et al. eine bemerkenswerte prospektive
Kohortenstudie durchgeführt, in der sie auf 22 pädiatrischen Intensivstationen untersuchten,
ob die Anwesenheit der Eltern während eines Intubationsvorgangs die Qualität der durchgeführten
Maßnahme beeinflusste [8]. Die Autoren konnten zeigen, dass die Anwesenheit von Familienmitgliedern nicht
die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen ersten Intubationsversuchs beeinflusste,
nicht mit einer erhöhten Anzahl an Entsättigungsepisoden assoziiert war und nicht
mit einem erhöhten Stresslevel des Teams einherging. Auch wenn wir Zweifel haben,
ob wir diese Praxis in unseren täglichen OP-Ablauf integrieren möchten, so zeigt die
Studie doch sehr gut, dass wir die Familienangehörigen zunehmend in die Versorgung
integrieren dürfen. Es ist völlig klar, dass das Ausmaß der Integration von den jeweiligen
Bedingungen vor Ort abhängen wird.
Merke
Ängstliche Kinder haben postoperativ während der ersten Tage eine deutlich höhere
Schmerzempfindlichkeit. Auch treten ein Emergence Delirium und Schlafstörungen bei
ängstlichen Kindern postoperativ häufiger auf.
Es stellt sich nun die Frage, ob eine Verhaltensänderung bei Eltern und medizinischem
Personal das postoperative Ergebnis beeinflussen kann. Zum ersten Punkt konnte die
Arbeitsgruppe um Kain et al. zeigen, dass eine gezielte verhaltensorientierte präoperative
Vorbereitung von Eltern und Kindern die Angst während der Narkoseeinleitung ähnlich
effektiv reduzierte wie eine medikamentöse Prämedikation mit Midazolam. Weiterhin
benötigten diese Kinder weniger postoperative Analgetika, konnten schneller aus dem
Aufwachraum entlassen werden und zeigten weniger Anpassungsstörungen nach dem Eingriff
[9].
Dieselbe Gruppe hat die Strategie einer Einflussnahme über eine Verhaltensänderung
konsequent weiterentwickelt und die Auswirkungen einer Schulung des medizinischen
Personals auf das postoperative Ergebnis untersucht. Die Autoren beschrieben, dass
eine gezielte verhaltenstherapeutische Intervention beim medizinischen Personal zu
einer Verbesserung der Häufigkeit von „erwünschtem“ Verhalten (ablenkende Gespräche,
Humor, positive Umdeutung unangenehmer medizinischer Prozeduren) gegenüber den Kindern
führte und darüber hinaus auch das Verhalten der Eltern dahingehend beeinflusste,
dass diese häufiger ein „erwünschtes“ Verhalten zeigten, obwohl diese nicht verhaltenstherapeutisch
geschult wurden [10]. Offenbar lässt sich bereits durch eine Schulung des Personals indirekt das Verhalten
der Eltern gegenüber den Kindern positiv beeinflussen und damit das postoperative
Ergebnis verbessern.
Merke
Eine gezielte verhaltensorientierte präoperative Vorbereitung von Eltern und Kindern
kann die Angst während der Narkoseeinleitung ähnlich effektiv reduzieren wie eine
Prämedikation mit Midazolam.
Individuelle Fertigkeiten – Bedeutung des Fallaufkommens und des Ausbildungsstands
Individuelle Fertigkeiten – Bedeutung des Fallaufkommens und des Ausbildungsstands
Im Zusammenhang mit der Indikation für einen operativen Eingriff muss auch entschieden
werden, an welcher Institution der Eingriff stattfinden soll. Diese Entscheidung wird
oft nach den chirurgischen Kapazitäten getroffen, ist aber auch mit den anästhesiologischen
Möglichkeiten verknüpft. Betrachtet man in diesem Zusammenhang das Fallaufkommen einer
Institution, so sind beide Aspekte nur schwer voneinander zu trennen.
In einer Studie haben Mudumbai et al. über einen Zeitraum von 10 Jahren die Häufigkeit
von kinderanästhesiologischen Eingriffen in Kalifornien nachuntersucht. Es stellte
sich heraus, dass an fast 90% der Krankenhäuser auch komplexe Eingriffe vorgenommen
wurden, obwohl die Fallzahlen unter 100 per anno lagen [11]. Hierdurch ist noch keine Aussage bezüglich der Qualität der Versorgung getroffen.
Zieht man jedoch zur Beurteilung Daten hinzu, die ganz allgemein das Outcome von Patienten
an Krankenhäusern mit geringen Fallzahlen mit dem an Häusern mit großen Fallzahlen
vergleichen, so erzielten die größeren Häuser bessere Endergebnisse [12], [13]. Die Autoren analysierten hierzu die Daten von ca. 85 000 Patienten, die sich in
einem Zeitraum von 2005 bis 2007 einem allgemein- oder gefäßchirurgischen Eingriff
unterzogen. Sie unterteilten die beteiligten Krankenhäuser anhand der risikoadjustierten
Mortalität in Quintilen und bestimmten die Häufigkeit von schweren Komplikationen
in den jeweiligen Gruppen sowie das Risiko, an diesen zu versterben. Ghaferi et al.
fanden heraus, dass sich die Mortalität hierbei um mehr als den Faktor 3 zugunsten
der Krankenhäuser mit großem Fallaufkommen unterschied [13]. Die Gründe hierfür sind vor allem in den unterschiedlichen Möglichkeiten zu suchen,
entstehende Komplikationen zu beherrschen. So kam es nach dem Auftreten von schweren
Komplikationen in Krankenhäusern mit geringem Fallaufkommen 2- bis 3-mal häufiger
zum Versterben der betroffenen Patienten, dem sogenannten „Failure to Rescue“ [12], [13].
Für die Versorgung von Kindern existieren keine derartigen Untersuchungen, nicht zuletzt,
weil derartige Fallzahlen kaum zu erreichen sind. Wir gehen jedoch davon aus, dass
die für Erwachsene bezüglich des Umgangs mit schweren Komplikationen gefundenen Ergebnisse
auch für ein pädiatrisches Patientenkollektiv zutreffen.
Merke
„Failure to Rescue“ bezeichnet das Versterben von Patienten nach postoperativen Komplikationen
und tritt bei Erwachsenen in Krankenhäusern mit geringem Fallaufkommen 2- bis 3-mal
häufiger auf als in Krankenhäusern mit hohem Fallaufkommen.
Eine bessere Datenlage existiert bezüglich des Einflusses des individuellen Ausbildungsstands
auf das Outcome. So wurde bereits 1991 publiziert, dass es einen Zusammenhang zwischen
der Häufigkeit eines intraoperativen Herzstillstands bei Säuglingen und dem Ausbildungsstand
des Anästhesisten gibt. Keenan et al. werteten hierzu über einen Zeitraum von 7 Jahren
an einem großen universitären Zentrum gewonnene Daten retrospektiv aus und fanden
heraus, dass es in der Gruppe der Säuglinge, die von nicht spezialisierten Anästhesisten
versorgt wurden, zu mehr intraoperativen Herzstillständen kam als in der Vergleichsgruppe
[14]. Unterstützt wurden die Ergebnisse der Studie durch Auroy et al., die beschrieben,
dass sich eine 5-fache Reduktion der schweren Komplikationen durch den Einsatz erfahrener
Anästhesisten erzielen lässt. Als erfahren gelten hier Anästhesisten, die mehr als
200 Kinder im Jahr versorgten, gegenüber den unerfahrenen Anästhesisten, die weniger
als 100 Fälle betreuten [15].
Die bedeutendste Studie zu diesem Thema wurde 2010 publiziert. Die Autoren untersuchten
in einer prospektiven Kohortenstudie den Zusammenhang zwischen dem perioperativen
Auftreten respiratorischer Komplikationen in Abhängigkeit von der familiären Vorgeschichte
und der anästhesiologischen Versorgung [16]. Bezüglich des anästhesiologischen Managements arbeitete die Gruppe heraus, dass
es bei einer intravenösen Narkoseeinleitung im Gegensatz zu einer inhalativen Einleitung
zu weniger respiratorischen Komplikationen kam. Umgekehrt verhielt es sich bei der
Fortführung der Anästhesie. Bezüglich des Einflusses des Ausbildungsstands der Anästhesisten
war die Betreuung durch spezialisierte Kinderanästhesisten von signifikantem Vorteil
bei der Vermeidung von Atemwegskomplikationen. Bestätigt wird dies durch die prospektiv
erhobenen Ergebnisse der multizentrischen Kohortenstudie APRICOT. Die Bewertung von
31 127 Anästhesien hinsichtlich der Häufigkeit schwerer Komplikationen ergab, dass
die Erfahrung des dienstältesten Anästhesisten, gemessen in Jahren, die Komplikationshäufigkeit
senkt [1].
Ein weiterer wichtiger Punkt zur Verbesserung der Anästhesiequalität liegt in der
Vermeidung von Dosierungsfehlern. Für Kinder wissen wir, dass die Probleme hauptsächlich
bei Ampullenverwechslungen, falsch aufgezogenen Spritzen und Dosierungsfehlern liegen.
Eindrückliche Ergebnisse zeigte eine prospektive Beobachtungsstudie an 277 Patienten
mit 3671 perioperativen Medikamentenapplikationen. Bei jedem 20. Patienten (5,3%)
kam es hierbei zu Medikationsfehlern respektive unerwünschten Medikamentenwirkungen.
Diese Zahlen liegen wesentlich höher als bislang aus retrospektiven Studien angenommen
[17]. Ein relevanter Faktor zur Risikoreduktion liegt demnach im reibungslosen Zusammenspiel
institutioneller Voraussetzungen und individueller Erfahrung [18], [19], [20].
Aus den hier genannten Studien lässt sich schlussfolgern, dass jede Institution sorgfältig
prüfen sollte, ob ihre (institutionelle) Erfahrung und der Ausbildungsstand der Mitarbeiter
eine komplikationsarme Versorgung besonders der Säuglinge und Neonaten sicherstellen
können. Bei großen und seltenen Operationen in diesem Patientengut ist die Versorgung
an einem hierfür spezialisierten Zentrum anzustreben.
Merke
Die Häufigkeit von Medikationsfehlern, respiratorischen Komplikationen und intraoperativen
Herzstillständen lässt sich durch institutionelle Maßnahmen sowie individuelle Schulung
und Erfahrung reduzieren.
Individuelles Management – intraoperative Kontrolle des Blutdrucks
Individuelles Management – intraoperative Kontrolle des Blutdrucks
Die intraoperative Kontrolle des Blutdrucks wurde zuletzt bezüglich ihrer Wertigkeit
für den Gesundheitszustand der operierten Kinder vielfach diskutiert [2]. So ist der Blutdruck zwar kein Surrogatparameter für den Blutfluss, aber wichtig
für die Autoregulation der Gewebeperfusion. In diesem Zusammenhang ergaben sich folgende
Fragen:
-
Wie ist der Blutdruck zu messen?
-
Beeinflusst der Blutdruck den Gesundheitszustand der Kinder und, wenn ja, wie?
-
Wie ist ein altersbezogener adäquater Blutdruck zu definieren?
Wie ist der Blutdruck zu messen?
Entscheidend für die Messung valider Blutdruckwerte ist, dass der tatsächliche Blutdruck
umso mehr überschätzt wird, je kleiner das Kind und je niedriger der Blutdruck ist.
Grundvoraussetzungen für eine verlässliche Messung sind deshalb immer die für den
Patienten richtige Manschettengröße (zu schmale Manschetten führen zu falsch hohen
Werten) sowie die an vielen Blutdruckmessgeräten notwendige richtige Alterseinstellung
[21].
Beeinflusst der Blutdruck den Gesundheitszustand der Kinder und, wenn ja, wie?
Es ist zu beurteilen, ob ein niedriger intraoperativer Blutdruck den Gesundheitszustand
beeinflusst. Im Jahr 2014 haben McCann et al. eine Fallserie von 6 kinderchirurgischen
Patienten publiziert, die postoperativ an einer neu aufgetretenen Enzephalopathie
mit Krampfanfällen und teilweise schweren Entwicklungsverzögerungen litten. Eines
der Kinder verstarb an den Folgen der Enzephalopathie. In der retrospektiven Analyse
der intraoperativen Vitalparameter wurden verschiedene Parameter als ursächlich für
die zerebralen Veränderungen angesehen, u. a. das Auftreten einer intraoperativen
Hypoglykämie, Hypothermie, Hyperoxie und Hypokapnie. Als besonders relevant für das
Entstehen einer postoperativen Enzephalopathie bewerteten die Autoren jedoch das Absinken
des systolischen Blutdrucks unter 60 mmHg in der Mehrzahl der gemessenen Werte, obwohl
bei diesen Patienten nur ca. 11% der Blutdruckwerte mehr als eine Standardabweichung
unterhalb des Mittelwerts der offiziellen Definition einer Hypotension (45 mmHg) der
Gesellschaft für Pediatric Anesthesia (2009) lagen [22].
Die Relevanz der Aufrechterhaltung eines adäquaten Blutdrucks für die Wahrung der
zerebralen Perfusion wird durch neuere Untersuchungen von Michelet et al. unterstützt.
In einer prospektiven Beobachtungsstudie untersuchten die Autoren die Effekte intraoperativer
Blutdruckänderungen bei Säuglingen, die jünger als 3 Monate waren, auf die zerebrale
Sauerstoffsättigung, die mittels Nah-Infrarot-Spektroskopie gemessen wurde. Sie berichteten,
dass ein Abfall des systolischen Blutdrucks um mehr als 20% des Ausgangswerts mit
einer mehr als 10-prozentigen Möglichkeit verbunden war, dass es zu einer zerebralen
Entsättigung kam [23].
Wie ist ein altersbezogener adäquater Blutdruck zu definieren?
Mit der Bewertung der genannten Studie ist die Frage verbunden, wie ein altersbezogener
adäquater Blutdruck zu definieren ist. Bis vor Kurzem war völlig unklar, in welchem
Bereich Normwerte für den Blutdruck bei Kindern in der perioperativen Phase zu definieren
sind. Durch die Studie von de Graaff et al. verfügen wir erstmals über Referenzwerte,
die den tatsächlichen intraoperativen Verlauf eines Patientenkollektivs widerspiegeln.
Hierzu untersuchten die Autoren in einer retrospektiven Kohortenstudie 116 362 Kinder
unter 18 Jahren. Dabei lagen sowohl die Werte der 50. Perzentile als auch diejenigen
innerhalb der 2-fachen Standardabweichung deutlich niedriger als die der wachen Patienten.
Eingeschlossen wurden lediglich Patienten mit ASA I und II. Bedingt durch das Design
der Arbeit waren keine Aussagen darüber möglich, ob diese Blutdruckwerte als „ausreichend“
gelten können, da Fragen zur Organperfusion mit Enzephalopathie oder Nierenversagen
ebenso wie zur Länge des Krankenhausaufenthalts oder zur Mortalität unbeantwortet
blieben [24]. Gerade bei Patienten mit Vorerkrankungen ist jedoch anzunehmen, dass die Autoregulationskurve
hin zu höheren Blutdruckwerten verschoben ist [25].
Eine Umfrage unter Mitgliedern der Society of Pediatric Anesthesia (SPA) und der Association
of Paediatric Anaesthetists (APA) 2009 zur Definition intraoperativer Hypotension
zeigte zum Teil beträchtliche Unterschiede zwischen den Werten, die von den 483 teilnehmenden
Kinderanästhesisten als behandlungsbedürftig angesehen wurden. Für 2-jährige Kinder
beispielsweise wurden systolische Werte von 55 mmHg (SPA) bis 60 mmHg (APA) als Schwellenwerte
einer intraoperativen Hypotension angegeben [26]. Legt man diese Definition zugrunde, so zeigen 2 neuere retrospektive Studien, dass
bei einer relevanten Anzahl der Kinder perioperativ Blutdrücke gemessen werden, die
als kritisch anzusehen sind. Abhängig vom Alter wurden bis zu 21% der Patienten mit
einem mittleren Blutdruck von weniger als 35 mmHg gefunden, nach der Einleitung von
Säuglingen sogar 25,5% des untersuchten Kollektivs [27], [28].
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Evidenz für einzuhaltende untere Grenzen
des Blutdrucks schwach ist. Daher wird von einigen Autoren ein „adäquater Blutdruck“
als derjenige bezeichnet, bei dem die Organperfusion, vor allem aber der zerebrale Blutfluss (cerebral blood flow, CBF), im Normbereich liegen. Der CBF ist dabei direkt vom Blutdruck abhängig.
Merke
Formel für den zerebralen Blutfluss
CBF = (MAP – ICP)/CVR
Abkürzungen:
CBF: Cerebral Blood Flow (zerebraler Blutfluss)
CVR: Cerebrovascular Resistance (zerebraler Gefäßwiderstand)
ICP: Intracranial Pressure (intrakranieller Druck)
MAP: Mean arterial Pressure (mittlerer arterieller Druck)
Der CBF ist das Blutvolumen, das pro Zeiteinheit ein Hirnareal durchströmt und die
Sauerstoffversorgung der Neurone gewährleistet. Er ist zudem abhängig von den Stellgrößen,
die den zerebrovaskulären Gefäßwiderstand beeinflussen. Dazu gehören als wichtige
Parameter der pH, pCO2, pO2, aber auch Änderungen der Kalium- oder Adenosinkonzentration. Unter physiologischen
Bedingungen besteht für den CBF dabei eine zerebrale Autoregulation. Bei gleichbleibendem
zerebralem Perfusionsdruck kann das Gehirn durch Veränderung des zerebrovaskulären
Gefäßwiderstands der Arteriolen bei Schwankungen des MAP den CBF konstant halten (Bayliss-Effekt)
[2], [25].
Eine Quantifizierung des zerebralen Blutflusses ist naturgemäß schwierig, als Surrogatparameter
bietet sich die zerebrale Sauerstoffsättigung an, die mittels NIRS-Verfahren gemessen
werden kann. So konnten Rhondali et al. in einer retrospektiven Studie an 338 Kindern
unter 6 Monaten zeigen, dass sich die zerebrale Perfusion anhand des mittleren arteriellen
Blutdrucks gut abschätzen lässt. Die Autoren empfehlen für Patienten in dieser Altersklasse,
dass ein mittlerer arterieller Blutdruck von mehr als 35 mmHg nicht unterschritten
werden soll, um kritische Verringerungen des zerebralen Blutflusses zu vermeiden [29]. Dies korreliert auch mit den von de Graaff erhobenen Werten [24]. Für Säuglinge über 6 Monate sollte ein Grenzwert des mittleren arteriellen Druckes
von 43 mmHg nicht unterschritten werden ([Tab. 1]), insbesondere nicht in Verbindung mit PaCO2- und Hb-Abfällen [30].
Tab. 1 Empfohlene untere Grenzwerte für den mittleren arteriellen Blutdruck von Säuglingen.
Alter
|
unterer Grenzwert
|
< 6 Monaten
|
35 mmHg
|
> 6 Monate
|
43 mmHg
|
Der Einfluss einer Hypokapnie während einer Sevofluran-Anästhesie auf Perfusion und
Metabolismus im sich entwickelnden Gehirn wurde tierexperimentell an 28 Ferkeln belegt.
Insbesondere die Kombination aus Hypotension und Hypokapnie führte zu erkennbaren
Veränderungen der zerebralen Perfusion, Zeichen neuronaler Dysfunktion und früher
neuronaler Ischämie [31].
Merke
Die Vermeidung intraoperativer Hypotensionen und Hypokapnien ist wichtiger Bestandteil
der perioperativen Homöostase und Voraussetzung zur Aufrechterhaltung der zerebralen
Perfusion. Insbesondere die Kombination von Hypotension und Hypokapnie gilt es zur
Vorbeuge neuronaler Ischämien zu vermeiden.
Einfluss von Anästhetika auf das sich entwickelnde Gehirn
Einfluss von Anästhetika auf das sich entwickelnde Gehirn
In den letzten Jahren hat die Frage nach einer potenziellen Neurotoxizität von Allgemeinanästhetika
die Diskussion bezüglich des Outcomes relevanter Parameter im Bereich der Kinderanästhesie
dominiert. So befassten sich allein im Jahr 2011 nahezu die Hälfte aller Publikationen
im Bereich der Kinderanästhesie mit dem Thema der möglichen negativen Einflüsse von
Anästhetika auf das sich in Entwicklung befindliche Gehirn [32]. Die in Tierversuchen gewonnenen Ergebnisse und auch die Resultate von In-vitro-Experimenten
zeigten übereinstimmend, dass alle untersuchten Allgemeinanästhetika unabhängig vom
molekularen Wirkmechanismus zu neuroanatomischen Veränderungen führten. Die neuroanatomischen
Veränderungen wiederum induzierten lang anhaltende funktionelle Defizite in allen
untersuchten Spezies bis hin zu Primaten [33].
Im Gegensatz zu den experimentellen Daten waren die aus kontrollierten klinischen
Studien erzielten Ergebnisse weit weniger beunruhigend. So zeigten sowohl die gerade
erst publizierte Zwischenanalyse der GAS-Studie („General Anesthesia versus Spinal
Anesthesia“) als auch der PANDA-Studie („Pediatric Anesthesia and Neurodevelopment
Assessment“), dass eine kurze, einmalige Exposition gegenüber Anästhetika nicht zu
Verschlechterungen in der neurokognitiven Entwicklung der untersuchten Kinder führte
[34], [35].
Diese Schwierigkeiten der inhaltlichen Zusammenführung der diskrepanten Ergebnisse
der Laboruntersuchungen und klinischen Studien sind sicherlich zum einen in der komplexen
Konstellation zwischen frühkindlicher Applikation von Anästhetika und einer um viele
Jahre verzögerten klinischen Manifestation zu finden: Die Phase intensiver Synapsenneubildung,
der „Brain Growth Spurt“, erfolgt beim Menschen mit großen Unterschieden zu den meisten
Vergleichsspezies, vor allem aber auch mit individueller und regionaler Varianz. In
dieser Phase gelten Neurone als besonders empfindlich gegenüber äußeren und inneren
Einflüssen. Beim Menschen dauert diese Phase deutlich länger als bei Nagern, Schweinen
und Affen [36]. Weiterhin sind beim Menschen nicht alle Hirnregionen gleichzeitig betroffen, und
es zeigen sich auch innerhalb einer Hirnregion deutliche zeitliche Unterschiede bezüglich
des „Brain Growth Spurts“, wie in Untersuchungen an verschiedenen kortikalen Schichten
gezeigt werden konnte [37].
Es ist kaum möglich, einzelne Hirnregionen funktionell spezifischen Verhaltenstests
zu unterziehen. Die weitere Entwicklung der Kinder mit einem Aufwachsen in einem komplexen,
stimulierenden sozialen Umfeld erschwert das spätere Herstellen eines monokausalen
Zusammenhangs ebenfalls. Weiterhin verfügt das menschliche Gehirn über zahlreiche
Kompensationsmechanismen, um eventuell entstandene Beeinträchtigungen auszugleichen.
So untersuchte eine große schwedische Kohortenstudie deshalb bei allen Kindern der
Geburtsjahrgänge 1973 – 1993 Faktoren, die nach OP/Narkose die Ergebnisse des Schulabschlusses
sowie den IQ-Test bei der Einberufung zum Militär beeinflussten. Eine einzelne Operation
in Vollnarkose im Alter von unter 4 Jahren zeigte dabei deutlich geringere Auswirkungen
auf die durchschnittliche Schulnote als die Bildung der Mutter, das Geschlecht des
Kindes oder der Geburtszeitpunkt innerhalb eines Kalenderjahrs [38].
Ausgehend von dieser Datenlage veröffentlichte die FDA am 14. Dezember 2016 jedoch
einen Sicherheitshinweis und ließ die Etiketten gebräuchlicher Medikamente zur Anästhesie
und Sedierung bei Kindern unter 3 Jahren und Schwangeren im 3. Trimenon mit einem
Warnhinweis versehen [39].
Gänzlich fehlen bislang allerdings Daten, die speziell das Risiko einer Anästhesieexposition
des Feten in utero auf dessen weitere neurologische Entwicklung bewerten [40]. Ebenso ist das Verschieben oder Verhindern einer klar indizierten Operation oder
Diagnostik/Intervention in Allgemeinanästhesie bei Kindern unter 3 Jahren aufgrund
der vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz nicht zu rechtfertigen [41].
Auch wenn dieser Warnhinweis nur im Zuständigkeitsbereich der FDA gültig ist, gehen
wir davon aus, dass er zu einer zunehmenden Verunsicherung nicht nur der Eltern, sondern
auch bei Anästhesisten in Deutschland führen wird. Es ist daher zu befürchten, dass
es zu Verzögerungen bei notwendigen chirurgischen und diagnostischen Prozeduren kommt
und der hierdurch verursachte Schaden den einer möglichen Belastung durch eine Anästhesie
überwiegt.
Merke
Bislang existiert keine ausreichende Evidenz, dass eine mutmaßlich anästhetikainduzierte
Neurotoxizität beim Menschen klinisch relevant ist. Das Verzögern einer klar indizierten
chirurgischen oder diagnostischen Prozedur in Allgemeinanästhesie bei Kindern ist
deshalb nicht zu rechtfertigen.
Wie sind die Perspektiven?
Wie sind die Perspektiven?
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, anhand ausgewählter Punkte institutionelle und
individuelle anästhesiologische Möglichkeiten der Verbesserung des Outcomes von Kindern
nach operativen Eingriffen darzustellen. Die Auswahl der hier aufgeführten Themen
ist naturgemäß unvollständig und unterliegt einer subjektiven Einschätzung, uns waren
hierbei 2 Dinge besonders wichtig: Zum einen eine Betonung der strukturellen oder
institutionellen Voraussetzungen, die nicht zuletzt auch die individuellen Möglichkeiten
der an einer Institution beschäftigten Anästhesisten bestimmen. Die andere wichtige
Erkenntnis ergibt sich aus der begrenzten Aussagefähigkeit der zum Thema bereits publizierten
Studien.
Wie sind also die Perspektiven? In den letzten Jahren sind Initiativen implementiert
worden, welche die Verbesserung der Durchführung von Kinderanästhesien zum Ziel haben.
Hierzu gehört die Safe tots.org Initiative (Safe Anesthesia For Every Tot Initiative), die zum einen die perioperativen Risikofaktoren bezüglich einer zerebralen Morbidität
thematisiert, zum anderen aber auch den institutionellen Kontext einbezieht [42], [43].
Die deutlichen Unterschiede in der Häufigkeit für das Auftreten schwerer Komplikationen
zwischen den teilnehmenden Ländern der APRICOT-Studie weisen ebenfalls daraufhin,
dass institutionelle und individuelle Maßnahmen in der Zukunft Potenzial zur Qualitätsverbesserung
bieten [1]. Es ist anzunehmen, dass bei einer gleichbleibenden Anzahl von Kinderanästhesien
diese zunehmend in dafür ausgerichteten großen Zentren durchgeführt werden.
Kernaussagen
-
Eine verhaltensorientierte präoperative Vorbereitung von Eltern und Kindern wirkt
sich positiv auf den postoperativen Verlauf der Kinder aus.
-
Maßnahmen zur Reduktion von Angst und Unsicherheit der Eltern sind im postoperativen
Verlauf verbunden mit geringerem Schmerzmittelbedarf, weniger Emergence Delir und
weniger Schlafstörungen.
-
Ein hohes Fallaufkommen und die Erfahrung des Anästhesisten wirken sich positiv aus
hinsichtlich der Anzahl intraoperativer Herzstillstände, Vermeidung von Atemwegskomplikationen
sowie der Häufigkeit postoperativer Komplikationen.
-
Institutionelle Konzepte zur Reduktion von Medikationsfehlern beeinflussen das Behandlungsergebnis
positiv.
-
Zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden zerebralen Perfusion sollen Hypotensionen
vor allem in Verbindung mit paCO2- und Hb-Abfällen vermieden werden.
-
„Failure to Rescue“ ist abhängig vom Fallaufkommen der Klinik. Hohe Fallzahlen wirken
sich positiv aus.
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Zwischenergebnisse von GAS- und PANDA-Studie zeigen, dass die einmalige kurze Exposition
gegenüber Anästhetika nicht zu einer Verschlechterung der neurologischen Entwicklung
führt.
-
Das Verzögern einer klar indizierten chirurgischen oder diagnostischen Prozedur in
Allgemeinanästhesie bei Kindern ist nach aktueller Datenlage nicht zu rechtfertigen