Aktuelle Urol 2017; 48(01): 17-20
DOI: 10.1055/s-0042-119306
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Drei Operationsmethoden bei Urothelkarzinom des distalen Ureters

Seisen T. et al.
Oncologic Outcomes of Kidney Sparing Surgery versus Radical Nephroureterectomy for the Elective Treatment of Clinically Organ Confined Upper Tract Urothelial Carcinoma of the Distal Ureter.

J Urol 2016;
195: 1354-1361
Further Information

Publication History

Publication Date:
12 April 2017 (online)

 

Die radikale Nephroureterektomie (RNU) ist derzeit Standard bei der Behandlung von Urothelkarzinomen des oberen Harntrakts. Aufgrund des besseren onkologischen Outcomes sollte aber die distale Ureterektomie (DU) Mittel der ersten Wahl sein. Zu diesem Schluss kommen Seisen et al., die 3 verschiedene Operationsmethoden verglichen haben.


#

Die Autoren nutzten für ihre Auswertung eine multiinstitutionelle Datenbank (1266 Patienten; 34 europäischen Institutionen). Eingeschlossen wurden 304 Patienten mit begrenzten Urothelkarzinomen des distalen Ureters. Bei 42,1% bzw. 44,1% der Patienten wurde eine RNU (offen oder laparoskopisch) bzw. ein DU durchgeführt; 13,8% unterzogen sich einer endoskopischen Operation (ureteroskopische Ablation des Tumors mittels Laser-Technologie). Patienten mit RNU hatten im Vergleich zur DU-Gruppe mit größerer Wahrscheinlichkeit muskelinvasive Tumoren, ein begleitendes Carcinoma-in-situ sowie eine lymphovaskuläre Invasion.

Zu einem Lokal- bzw. intravesikalen Rezidiv kam es bei 29 (9,5%) bzw. 115 Patienten (37,8%). Nach einem endoskopischen Eingriff war die lokalrezidivfreie 5-Jahres-Überlebensrate mit 35,7% signifikant geringer als in der RNU- (95%) oder in der DU-Gruppe (85,5%). Hinsichtlich der intravesikalen rezidivfreien 5-Jahres-Überlebensrate zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen (46,7% bei RNU, 53,4% bei DU und 58,9% bei ENDO). Nur die endoskopische OP-Methode war damit unabhängiger Prädiktor eines verminderten rezidivfreien Überlebens.

Während des im Mittel 30,7 Monate dauernden Follow-ups verstarben insgesamt 59 Patienten (19,4%), doch nur 8,2% der Todesfälle (25 Patienten) standen in direktem Zusammenhang mit dem Urothelkarzinom. Das 5-Jahres-Gesamtüberleben lag bei 73,5% (RNU), 80,4% (DU), bzw. 74,4% (ENDO). Weder hinsichtlich des 5-Jahres-Gesamtüberlebens noch des krebsspezifischen 5-Jahres-Überlebens (87,4%, 88,1% bzw. 83,3%) zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den 3 Patientengruppen.

Fazit

Die Autoren schlussfolgern, dass nierenschonende Operationsverfahren (DU oder ENDO) eine höhere Lebenserwartung ermöglichen. Im direkten Vergleich fand sich nach den endoskopischen Eingriffen allerdings ein erhöhtes Lokalrezidivrisiko bei ansonsten ähnlichen onkologischen Outcomes. Die distale Ureterektomie führt zu einem, gegenüber der RNU, verbesserten Gesamtüberleben, birgt im Vergleich zur ENDO ein vermindertes Lokalrezidivrisiko und sollte somit als First-Line-Therapie in Betracht gezogen werden. Für Patienten, die sich der engmaschigen Überwachung mit wiederholter diagnostischer Ureteroskopie im Klaren sind, stellt die endoskopische Behandlung eine Alternative dar.

Stephanie Gräwert, Leipzig

Kommentar

Seisen et al. vergleichen in ihrer retrospektiven Analyse einer multi-institutionellen Kohorte die onkologischen Ergebnisse von insgesamt 304 Patienten mit organbegrenztem Urothelkarzinom des distalen Ureters. Aufgrund ihrer Untersuchungsergebnisse schlussfolgern sie, dass im Fall eines distalen und in der präoperativen Bildgebung organbegrenzten Uretertumors die distale Uretersegmentresektion einer radikalen Nephroureterektomie in Bezug auf das Gesamtüberleben und einer endoskopischen Therapie in Bezug auf die lokale Tumorkontrolle überlegen ist.

Die EAU-Leitlinien empfehlen aktuell die distale Uretersegmentresektion als primäre Behandlungsoption bei Low-Risk-Karzinomen, die endoskopisch nicht sanierbar sind [1]. Low-Risk-Karzinome umfassen unifokale Tumoren unter 1 cm Größe mit der histopathologischen Klassifizierung „low grade“ in der Biopsie des Befundes und der Zytologie sowie fehlenden Hinweisen für ein invasives Wachstum in der CT-Urografie. Sofern eines dieser Kriterien nicht erfüllt ist, eine Hydronephrose vorliegt oder eine radikale Zystektomie in der Vorgeschichte stattgefunden hat, wird die radikale Nephroureterektomie empfohlen [1].

Neben der geringeren Morbidität der distalen Uretersegmentresektion mit Neozystostomie, sieht die aktuelle Literatur den Vorteil im Erhalt der Nierenfunktion und Reduktion kardiovaskulärer Morbidität im Langzeitverlauf. Diese Hypothese vertreten auch die Autoren der vorliegenden Studie. Leider liegen keine Daten zu postoperativen Retentionsparametern oder postoperativen kardiovaskulären Ereignissen vor. Befürworter eines nierenerhaltenden Behandlungsansatzes betonen zudem die Möglichkeit einer Salvage-Nephroureterektomie, sollte es im Verlauf zu einem Rezidiv kommen.

Die elektive nierenerhaltende Chirurgie hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen [2] [3] [4]. Langzeitbeobachtungen zeigten eine gute Tumorkontrolle bei Patienten nach distaler Uretersegmentresektion bei imperativer Indikation. Diese besteht bei chirurgischer oder funktioneller Einzelniere, signifikanter Niereninsuffizienz oder bilateralen Tumoren. Die Autoren der Studie sehen aufgrund ihrer Ergebnisse in der nierenerhaltenden Chirurgie einen in Bezug auf die onkologische Sicherheit gleichwertigen Therapieansatz.

Entgegen der aktuellen EAU-Leitlinien, empfehlen sie die distale Uretersegmentresektion auch bei ausgewählten Patienten mit High-Risk-Tumoren. Zu diesem Schluss kommt die Autorengruppe auch in einem systematischen Review, der kürzlich im Journal European Urology erschienen ist [5]. Gleichzeitig weisen sie aber auch auf die aktuell unzureichende Datenlage mit einer begrenzten Anzahl von retrospektiven Studien hin, die Patienten mit elektiver sowie imperativer Indikation und verschiedenen klinisch-pathologischen Charakteristika einschließen [4] [5]. So hatten im aktuellen Studienkollektiv Patienten mit radikaler Nephroureterektomie, im Vergleich zu denen mit endourologischer Sanierung oder Segmentresektion, mehr Komorbiditäten und weniger aggressive Tumoren mit einem entsprechend geringerem Risiko eines krebsspezifischen Todes. Zudem fanden vor dem chirurgischen Eingriff keine systematischen Biopsien des Tumors statt. Auf diese fehlende Vergleichbarkeit der 3 Behandlungsarme und statistische Limitationen durch das retrospektive Design, mögliche Selektionsbias und eine insgesamt geringe Patientenzahl wurde bereits von Becker und Kluth im begleitenden Editorial Comment hingewiesen.


#

Fazit

Auch wenn die aktuelle Datenlage schwach ist, sollte bei Patienten mit Low-risk-Urothelkarzinomen des distalen Ureters eine nierenerhaltende Therapie angestrebt werden. Voraussetzung ist eine sorgfältige präoperative Abklärung des Befundes und der Ausschluss eines Tumorbefalls des Nierenbeckens und proximalen Ureters.

Bei organbegrenzten High-Risk-Urothelkarzinomen des distalen Ureters sollte eine distale Uretersegmentresektion mit dem Patienten diskutiert werden. Eine eindeutige Therapieempfehlung lässt sich hier aktuell aber nicht aussprechen, da die Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien fehlen. Sollte bei High-Risk-Karzinomen eine elektive nierenerhaltende Chirurgie durchgeführt werden, ist eine engmaschige Nachsorge erforderlich und im Falle eines Rezidivs eine frühzeitige und aggressive Therapie.


#
#

Der Autor

Zoom Image

PD Dr. Philipp Nuhn
Klinik für Urologie,
Universitätsmedizin
Mannheim
Philipp.Nuhn@medma.uniheidelberg.de

  • Literatur

  • 1 Rouprêt M, Babjuk M, Böhle A et al. EAU guidelines: Upper Urinary Tract Urothelial Cell Carcinoma. 2016
  • 2 Jeldres C, Lughezzani G, Sun M. et al. Segmental ureterectomy can safely be performed in patients with transitional cell carcinoma of the ureter. J Urol 2010; 183: 1324
  • 3 Lughezzani G, Jeldres C, Isbarn H. et al. Nephroureterectomy and segmental ureterectomy in the treatment of invasive upper tract urothelial carcinoma: A population-based study of 2299 patients. Eur J Cancer 2009; 45: 3291
  • 4 Fukushima H, Saito K, Ishioka J. et al. Equivalent survival and improved preservation of renal function after distal ureterectomy compared with nephroureterectomy in patients with urothelial carcinoma of the distal ureter: A propensity score-matched multicenter study. Int J Urol 2014; 21: 1098-1104
  • 5 Seisen T, Peyronnet B. Dominguez-Escrig et al. Oncologic outcomes of kidney-sparing surgery versus radical nephroureterectomy for upper tract urothelial carcinoma: A systematic review by the eau non-muscle invasive bladder cancer guidelines panel. Eur Urol 2016; DOI: 10.1016/j.eururo.2016.07.014.

  • Literatur

  • 1 Rouprêt M, Babjuk M, Böhle A et al. EAU guidelines: Upper Urinary Tract Urothelial Cell Carcinoma. 2016
  • 2 Jeldres C, Lughezzani G, Sun M. et al. Segmental ureterectomy can safely be performed in patients with transitional cell carcinoma of the ureter. J Urol 2010; 183: 1324
  • 3 Lughezzani G, Jeldres C, Isbarn H. et al. Nephroureterectomy and segmental ureterectomy in the treatment of invasive upper tract urothelial carcinoma: A population-based study of 2299 patients. Eur J Cancer 2009; 45: 3291
  • 4 Fukushima H, Saito K, Ishioka J. et al. Equivalent survival and improved preservation of renal function after distal ureterectomy compared with nephroureterectomy in patients with urothelial carcinoma of the distal ureter: A propensity score-matched multicenter study. Int J Urol 2014; 21: 1098-1104
  • 5 Seisen T, Peyronnet B. Dominguez-Escrig et al. Oncologic outcomes of kidney-sparing surgery versus radical nephroureterectomy for upper tract urothelial carcinoma: A systematic review by the eau non-muscle invasive bladder cancer guidelines panel. Eur Urol 2016; DOI: 10.1016/j.eururo.2016.07.014.

Zoom Image