physiopraxis 2017; 15(01): 31-33
DOI: 10.1055/s-0042-119497
Therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Training bei Tendinopathien – Sehnenstress

Christian Garlich
,
Max Maier-Lenz

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Publication Date:
07 January 2017 (online)

 

Vor allem unter Sportlern sind Tendinopathien gefürchtet, da die Rehabilitation oft viel Geduld verlangt. Die betroffene Sehne ist dick, schmerzhaft und wenig belastbar. Sich zu schonen, hilft auf Dauer genauso wenig wie einfach weiterzumachen und durchzuhalten. Zwei Sehnenexperten geben Einblicke, wie Tendinopathien entstehen und welche Übungen effektiv sind.


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Christian Garlich

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Christian Garlich, Dipl. MDT, ist Physio- und Manualtherapeut.

Max Maier-Lenz

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Max Maier-Lenz, B.A. und Dipl. MDT, ist ebenfalls Physiotherapeut und KGG-Fachlehrer. Beide arbeiten in Freiburg, absolvierten 2015 in Kopenhagen ihr MDT-Diplom und studieren zudem seit 2012 berufsbegleitend im Masterstudiengang Advanced Practice (Physiotherapeutic Practice) an der University of Dundee, Schottland. Christian Garlich führt in seiner Masterthesis eine Studie zur Prävention von Achillessehnenbeschwerden mit einem Belastungstraining bei Läufern durch (PrePARE). Max Maier-Lenz befasst sich in seiner Masterarbeit intensiv mit der Behandlung von Sehnenbeschwerden.

Die Ursache für und 20 % aller Kniebeschwerden sind Tendinopathien. Unter Volleyballern liegt die Zahl sogar bei 44 %, unter Basketballern bei 31 % [9].

Circa 30 bis 50 Prozent der Beschwerden von Sportlern sind auf chronische Tendinopathien zurückzuführen [1]. Tendenz in den letzten Jahren steigend. Das liegt vermutlich daran, dass immer mehr Menschen Freizeit- und Wettkampfsport betreiben [2–6]. Oft trifft es die Sehnen der Rotatorenmanschette, die Achilles- oder Patellarsehne [7, 8]. Etwa 20 Prozent aller Kniebeschwerden entstehen durch Tendinopathien, wobei die Zahl in risikoreichen Sportarten wie Volleyball mit 44 Prozent und Basketball mit 31 Prozent deutlich darüber liegt [9]. Die Gefahr, eine Allodynie zu entwickeln, liegt bei sportlich Aktiven zwischen 9 und 40 Prozent [10, 11]. Auch Menschen mit körperlich fordernder Arbeit haben ein erhöhtes Risiko [3–6].

Die Tendinopathie ist eine multifaktorielle Erkrankung. Systemerkrankungen, die Genetik oder auch der Alterungsprozess an sich können eine Rolle spielen [12–20]. Entscheidend ist aber häufig die körperliche Belastung. Sehnen sind permanent Zug und Kompression ausgesetzt. Beides kann problematisch sein [21]. Zum Beispiel erfährt die Rotatorenmanschette, besonders wenn ihre Sehnen oder die Bursa subacromialis verdickt sind, erhebliche Scherkräfte, wenn sie mit dem Akromion oder dem Labrum in Kontakt kommt [22]. Ähnliche Kräfte lassen sich auch an der Insertion der Achillessehne bei vermehrter Dorsalextension nachweisen [23]. Bei Ellenbogenbewegungen entstehen Scherkräfte auf die Sehnen der Hand- und Fingerextensoren gegenüber dem Capitulum humeri [24]. Da Kompression und Reibung die Rehabilitationsphase einer Tendinopathie verlängern können, sollten Patienten sie zu Beginn der Therapie vermeiden [23–26] (TAB.).

TAB. Kompressionsbelastungen von Sehnen und Strategien und wie sich diese vermeiden lassen

Betroffener Muskel

Ort der Kompression

Position der Kompression

Strategien, die Kompression zu vermeiden

Insertion der Achillessehne

Proximaler Kalkaneus

Dorsalextension

Dorsalextension vermeiden, Fersenerhöhung

M. tibialis posterior

Malleolus medialis

Dauerhafte anatomische Fehlstellung

Einlagen/Fersenerhöhung

M. biceps brachii (Caput longum)

Sulcus intertubercularis

Extension Schultergelenk

Extension vermeiden

M. supraspinatus

Tuberculum majus

Adduktion Schultergelenk

Adduktion vermeiden

Ischiokrurale Muskulatur (proximal)

Tuber ischiadicum

Flexion Hüftgelenk

Sitzen limitieren/Flexion vermeiden

M. gluteus medius/minimus

Trochanter major

Adduktion Hüftgelenk

Lumbopelvikale Kontrolle, auf dem Rücken schlafen

M. adductor longus/M. rectus abdominis

Ramus pubicus

Abduktion und Extension Hüftgelenk

Abduktion und Extension limitieren

M. peroneus longus/brevis

Malleolus lateralis

Dauerhafte anatomische Fehlstellung

Fersenerhöhung

M. pectoralis

Tuberositas humeri

Außenrotation Schultergelenk

Außenrotation vermeiden

M. quadriceps femoris

Condylus femoris

Tiefe Kniegelenkfexion

Tiefe Kniegelenkfexion limitieren

M. extensor carpi radialis brevis

Capitulum humeri

Supination/Pronation Ellenbogengelenk

Supination/Pronation limitieren

Angelehnt an Cook JL, Purdam C, 2012 [25]

Eine rezidivierende, mechanische Überlastung führt zu einem degenerativen Umbauprozess des Sehnengewebes. In Tiermodellen konnten Forscher nachweisen, dass nach drei- bis vierwöchiger Überlastung die Entzündungsfaktoren im Blut ansteigen [27, 28]. Hält die Überlastung weiter an, steigert sich diese Entzündungsaktivität [29] und es wird unter anderem der Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) ausgeschüttet, der für die Neubildung von Blutgefäßen zuständig ist [30]. Bedingt durch die erhöhte VEGF-Ausschüttung zeigen 47 bis 82 Prozent der Patienten mit Tendinopathien eine vermehrte Gefäßbildung in der betroffenen Sehne [31–36]. Doch die Bedeutung dieser Neovaskularisation ist noch nicht ganz klar. Zudem sprossen sensible Nervenendigungen in das Gewebe ein [37, 38]. Diese schütten zusammen mit den Sehnenzellen die Entzündungsmediatoren Substanz P und Prostaglandin E2 aus [39–41]. Die Folge davon ist, dass sich die Schmerzen verstärken, die Kollagensynthese abnimmt, eine Abbaureaktion des Sehnengewebes einsetzt und die Sehne weniger belastbar ist [42].

Dass die Sehne ihre Belastbarkeit einbüßt, liegt zudem am „Stress Shielding“ [26, 43, 44]. Das bezeichnet das Phänomen, dass Zonen innerhalb der Sehne zu wenig mechanischem Stimulus [45] oder einer ungleichen Kraftverteilung ausgesetzt sind [46]. Dies kann zu Abbau und Apoptose der Sehnenzellen führen [45]. Dem wirken zielgerichtete, genau dosierte Übungen entgegen [44] (S. 34).

Langsam mit hoher Belastung trainieren

Sowohl isometrische als auch isotonische Übungen ([„SO ERKLÄREN SIE ES IHREN PATIENTEN“]) kommen in der Therapie zum Einsatz. Auf isotonische Belastung reagieren viele Patienten anfangs mit einer Schmerzzunahme. Um weniger irritierende Therapiestrategien zu finden, untersuchten Ebonie Rio und ihr Team aus Melbourne bei Volley- und Basketballern mit Patellatendinopathie, wie effektiv isometrische Kontraktionen mit 70 bis 80 Prozent der Maximalkraft sind [47, 48]. Die Studien zeigten, dass isometrische Übungen im Vergleich zu isotonischen die Schmerzen deutlicher reduzieren. Isotonische Belastungen sollte der Patient daher erst dann wieder durchführen, wenn diese nur noch einen geringen Schmerz (3/10 NRS, Numerische Rating-Skala) auslösen und sich die Symptome innerhalb von 24 Stunden nicht mehr bleibend verschlechtern. Um dies zu überprüfen, kann der Patient testweise drei bis vier Serien mit 15 Wiederholungen durchführen. Funktioniert dies gut, ist die Tendinopathie nicht mehr irritierbar [49]. Anschließend stellt sich die Frage, ob das isotonische Training konzentrisch oder exzentrisch aufgebaut sein soll.

Peter Malliaras und Kollegen aus London verglichen in einer systematischen Übersichtsarbeit mehrere Trainingsprotokolle für Patienten mit Achilles- und Patellatendinopathie [50]. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass ein allgemein isotonisches Training (konzentrisch und exzentrisch) genauso gut oder sogar effektiver ist als ein rein exzentrisches Training. Eine solche isotonische Trainingsform ist zum Beispiel das Heavy-Slow-Resistance-Training (HSR), bei dem der Patient mit hohen Belastungsamplituden (6 bis 15 Maximalwiederholungen) in einem langsamen Tempo (6 Sekunden pro Wiederholung) und einer Frequenz von dreimal pro Woche trainiert. Mads Kongsgaard und sein Team aus Kopenhagen konnten nachweisen, dass das HSR in der Behandlung einer Patellatendinopathie erfolgreicher ist als ein rein exzentrisches Training [51]. Demnach ist nicht entscheidend, ob der Patient exzentrisch oder konzentrisch trainiert. Relevant ist vielmehr, dass er mit hohen Belastungen und sehr langsam übt [52, 53].

So erklären Sie es Ihren Patienten:

Bei konzentrischen Übungen verkürzt sich der Muskel (Ursprung und Ansatz nähern sich an), da er einen Widerstand überwindet, zum Beispiel die Wadenmuskulatur beim Zehenstand. Bei exzentrischen Übungen verlängert sich der Muskel (Ursprung und Ansatz entfernen sich voneinander), indem er versucht, eine Bewegung abzubremsen und langsam nachzugeben, beispielsweise die Wadenmuskulatur beim Senken der Fersen.


In der Isometrie bleibt der Abstand zwischen Muskelursprung und -ansatz nahezu gleich (iso = gleich, metrie = Maß). Der Muskel spannt an, ohne dass er sich sichtbar verkürzt oder verlängert, zum Beispiel beim Unterarmstütz. Häufig wird Isometrie auch als statisches Üben bezeichnet. Isotonische Übungen sind hingegen dynamisch. Hierbei wechseln sich konzentrische und exzentrische Muskelspannung ab und die Spannung des Muskels bleibt über den gesamten Bewegungsweg gleich (iso = gleich, Tonus = Spannung).

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Abb.: Martinan/istockphoto.com

Häufig verschlechtern sich die Symptome erneut, wenn die Patienten mit sportartspezifischen Aktivitäten beginnen [49, 54]. So verletzen sich laut prospektiven Studien 27 bis 44 Prozent der Fußballer mit einer vorausgegangenen Achillodynie innerhalb eines Jahres nach Wiedereingliederung in den Sport erneut an der Achillessehne [55, 56]. Interessanterweise betraf das vor allem die Fußballer, die eine eher kürzere Rehaphase (< 10 Tage) hatten [55]. Therapeuten sollten daher den Patienten die notwendige Rehabilitationszeit gewähren, das Training stufenweise aufbauen und stets die Symptome im Blick halten [49, 54]. Karin Grävare Silbernagel und Kollegen aus Newark, USA, fügten daher im späteren Reha-Verlauf plyometrische Übungen in ihrem Trainingsprotokoll hinzu, um die Patienten adäquat auf ihren Sport vorzubereiten [57].

Christian Garlich, Max Maier-Lenz


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Abb.: Martinan/istockphoto.com