Der Klinikarzt 2016; 45(11): 513
DOI: 10.1055/s-0042-120470
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Adipositas: eine Herausforderung unserer Zeit

Jacob Stephan
1   Kardio-Metabolisches Institut und Praxis für Prävention und Therapie, Villingen-Schwenningen
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Publication Date:
29 November 2016 (online)

Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist die drastische und weltweite Zunahme der Adipositas und ihren Folgeerkrankungen. Wir müssen dringend handeln und auch behandeln, denn die Adipositas ist eine Krankheit (WHO und in einigen Teilen der westlichen Welt wie den USA als solche anerkannt).

Bei der Entwicklung des Übergewichtes und der Adipositas sind sehr viele Faktoren beteiligt, die wir hier in dem Themenheft nicht alle ansprechen können. Bereiche wie (Epi-)Genetik, Pädiatrische Adipositas-Therapieansätze, Essstörungen, endokrine Ursachen, die psychosozialen Aspekte – um einige Beispiele zu nennen –, haben wir aussparen müssen, auch hier gibt es viel Interessantes zu berichten (vielleicht in einem weiteren Themenheft). In der vorliegenden Ausgabe werden u. a. sehr häufige mit dem Gewicht assoziierte, aber in der Praxis oft nicht so genau wahrgenommene Probleme angesprochen.

Die Autoren Herkenrath und Randerath beschreiben den Einfluss der Adipositas auf die respiratorische Funktion, die auf unterschiedliche Art und Weise Menschen mit Übergewicht oder Adipositas beeinträchtigt, angefangen mit restriktiver Ventilationsstörung bis hin zu ausgeprägten schlafbezogenen Atemstörungen, die für den Patienten nicht nur lästig sind und oft den Antrieb und die Lebensqualität einschränken, sondern auch das kardiovaskuläre Risiko deutlich erhöhen. Hier kann bei differenzierter Diagnostik und anschließend zielgerichteter Therapie gut geholfen werden.

Ein weiterer, oft vernachlässigter Faktor, der im Rahmen der Adipositas sehr häufig auftritt, ist die Hyperurikämie, die heute nicht nur als Gichtauslöser gesehen wird. Frau Prof. Gresser erklärt die neuen Erkenntnisse aus der Epidemiologie, Grundlagenforschung und der Therapie. Hyperurikämie kann durch eine Überaktivität der Xanthinoxidase mit verursacht sein; hier zeigt die Forschung eine enge Interaktion mit dem kardiovaskulären System. Um Schäden zu vermeiden, sollte die Hyperurikämie frühzeitig behandelt werden.

Das Thema iatrogene Beiträge zur Gewichtszunahme beschreibe ich am Beispiel der „Diabetes Medikamente und ihren Einfluss auf das Gewicht“, die es dem Menschen mit Diabetes mellitus über viele verschiedene Ebenen erschweren, ein vernünftiges Gewichtsmanagement zu erreichen, angefangen von den immer noch vorhandenen und oft unnötigen, veralteten Ernährungsempfehlungen bis hin zur direkten Beeinflussung durch die Auswahl der Medikamente.

Ist die Adipositas vielleicht wirklich gar nicht so schlimm? Dies wird durch das Schlagwort „Adipositas Paradox“ suggeriert. Ein ausgewiesener, erfahrener Kardiologe, Herr Prof. Holubarsch widmet sich diesem Thema, das doch immer wieder kontrovers diskutiert wird, und schlägt Lösungen vor.

Sind alle Adipösen (immer) ähnlich gefährdet oder gibt es Gruppen, die eine besondere und intensive Betreuung brauchen, bei denen – auch unter prospektiv gesundheitlichen aber auch wirtschaftlichen Aspekten – eine Intervention dringend geboten ist? Dieses Thema stellen uns die Herren Blüher und Sharma mit dem Edmonton Obesity Staging System (EOSS) vor. Es könnte uns ein objektivierbares Instrument bieten, z. B. die richtigen Patienten für ein sehr intensives Gewichtsmanagement, d.h. bariatrische Chirurgie auszuwählen, erste Daten sprechen dafür.

Ist eine bariatrische Intervention erfolgt, wie sieht dann die gute Nachsorge aus? Denn immer mehr Patienten müssen nach bariatrischer Chirurgie weiterbetreut werden, vom Spezialisten – am besten in einem multidisziplinären Team – aber auch vom Hausarzt. Die Hamburger Autorengruppe Stumpenhagen, Schulze zur Wiesch und Aberle beschreiben, wie eine strukturierte bariatrische Nachsorge aussehen soll, und was sie leisten kann. Hierbei spielen neben der Supplementation von Vitaminen und einer breiten „internistischen“ Kontrolle auch die gute und enge psychologische Mitbetreuung eine besondere Rolle.

Ja, in dem Themenheft können wir nur einige Themen ansprechen; es wäre schön, wenn einige dieser Beiträge dazu beitragen, dass Menschen mit Übergewicht oder Adipositas mit ihren gesundheitlichen Problemen ganzheitlich ernst genommen werden, und das Problem nicht einfach auf fehlende Disziplin und letztendlich Eigenschuld des Betroffenen geschoben wird. Denn die WHO sagt seit langem: Adipositas ist eine Krankheit.

Wir brauchen daher multidisziplinäre Teams mit kooperationswilligen Spezialisten, sicher auch eine entsprechende Honorierung für die qualifizierte Betreuung, und vor allem das Ernstnehmen der Erkrankung Adipositas sowie ein empathisches Begleiten der Betroffenen.

Ihr