Pneumologie 2016; 70(12): 772
DOI: 10.1055/s-0042-121108
Pneumo-Fokus
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Transplantationsmedizin – Das Leben mit einem fremden Organ

Further Information

Publication History

Publication Date:
08 December 2016 (online)

 

Lungentransplantationen (LTX) sind oftmals die einzig verbleibende Behandlungsoption bei finalen Lungenerkrankungen. Sowohl vor als auch nach LTX gibt es große überlebensrelevante psychosoziale Belastungen und Herausforderungen, die bisher noch nicht qualitativ und im Längsschnitt untersucht wurden.
Patient 2016; DOI: 10.1007/s40271-016-0174-z

In einer aktuellen Studie wurden daher 40 erwachsene Patienten (davon 55 % männlich) nach LTX nach 2 Wochen (T1), 3 Monaten (T2) und 6 Monaten (T3) zur Häufigkeit von verschiedenen Gedanken, Gefühlen und Einstellungen zur LTX sowie der medikamentösen Behandlung interviewt. Im Mittel standen Patienten 9 Monate auf der Warteliste und waren nach LTX durchschnittlich 4,5 Wochen im Krankenhaus. Die 6-Monats-Überlebensrate lag in der Studie bei 100 %. Die Patienten berichteten von massiven körperlichen Verbesserungen (Bewegung ohne externe Sauerstoffzufuhr, keine Atemnot mehr, Sport treiben können), die mit einer Erleichterung und steigenden Lebenszufriedenheit einhergingen. Sich wieder um die eigene Familie kümmern zu können, trug besonders zum verbesserten emotionalen Befinden bei.

Hilfreich trotz körperlicher und emotionaler Beschwerden

Dennoch gab es weiterhin eine Vielzahl belastender körperlicher (Schmerzen, Fatigue, wiederkehrende Infektionen) und psychischer Beschwerden (Überforderungs- und Hilflosigkeitserleben, Sorgen hinsichtlich Organversagen und Abstoßungsreaktionen, Schlafstörungen, Depressivität und Ängstlichkeit), insbesondere aufgrund des langwierigen Heilungsprozesses, unerwünschter medikamentöser Nebenwirkungen (UEW), wiederholter Krankenhausaufenthalte und Unsicherheiten im Umgang mit der Medikation und auftretenden Symptomen. Die UEW zu T1 umfassten v. a. gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit/Erbrechen), später Gewichtsveränderungen und neurologische Beschwerden (Tremor). Die medikamentöse Behandlung (Umfang, UEW) wurde als einschränkend im Alltag und organisatorische Herausforderung erlebt. Nur etwa 40 % der Patienten beurteilten ihre medikamentöse Adhärenz als gut. Körperliche Beschwerden zu T1 und T2 waren mit vermehrtem emotionalem Distress zu T2 und T3 assoziiert.

Fazit

Körperliche Beschwerden belasten Patienten nach LTX besonders häufig und werden zeitlich von höheren emotionalen Belastungen gefolgt. Etwa 30 % der Patienten berichteten von klinisch relevanten emotionalen Schwierigkeiten durch die LTX (Unsicherheit und Angst hinsichtlich Erkrankungsverlauf und Behandlungsregime, Schuldgefühle gegenüber Spender). Hierzu scheint Handlungsbedarf auf Seiten des Behandlungsteams (Patientenschulungen, vermehrte Unterstützung beim Übergang ins häusliche Umfeld/Selbstmanagement) zu bestehen. Mit Ausnahme des Einschränkungserlebens im Alltag (deutlicher Anstieg von T1 [43 %] zu T2 [70 %]) persistiert das Belastungserleben der Patienten inhaltlich über die Zeit und scheint so den langwierigen Anpassungsprozess an das Transplantat und Transplantationserleben abzubilden. Die Transplantation wurde von Patienten mehrheitlich als rational-mechanischer Prozess erlebt. Von Integrationsprobleme des Organs in das eigene Körpererleben berichteten die wenigsten Patienten.

Dr. Sarah Weusthoff, Hannover


#
#