Grundlagen
Ziel und Zweck
Verschiedene Erkrankungen und Verletzungen können sowohl im Rettungsdienst als auch
in der Notaufnahme die Anlage einer Thoraxdrainage (TD) notwendig machen.
Dabei stellt das Thoraxtrauma sicher die häufigste Indikation zur Anlage einer TD
dar. Im Rahmen eines Polytraumas muss mit dem Vorliegen eines Hämatopneumothorax zwischen
9 – 50 % gerechnet werden [1]. Bei internistischen Erkrankungen kann es zu einem primär spontanen Pneumothorax
(mit oder ohne Begleiterkrankung) oder zu einem sekundären Pneumothorax (z. B. bei
Vorliegen eines Lungenemphysems oder Status asthmaticus) kommen. Oft kann, v. a. bei
klinisch unauffälligem Befund, präklinisch abgewartet und auf die Anlage einer TD
verzichtet werden. In der Klinik hat man den Vorteil, mittels Bildgebung (z. B. Röntgen,
CT, Sonografie) eine weitere Sicherung herbeizuführen.
Eine absolute und dringliche Indikation zur Anlage einer TD stellt ein Spannungspneumothorax
dar [1]. Klinisch können im Rahmen einer Spannungssituation folgende Zeichen auffällig sein:
-
ein auf der betroffenen Seite abgeschwächtes oder aufgehobenes Atemgeräusch,
-
der betroffene Hemithorax kann in Inspirationsstellung verbleiben,
-
mittels Perkussion lässt sich ein hypersonorer Klopfschall nachweisen,
-
unter Beatmung können steigende Beatmungsdrücke nachweisbar sein,
-
der Blutdruck kann sinken und die Herzfrequenz steigen (Kreislaufdepression).
Vor Anlage einer TD sollte evaluiert werden, ob gerinnungshemmende Medikamente eingenommen
werden oder aber eine Gerinnungsstörung anamnestisch bekannt ist. Bei einer Spannungspneumothoraxsituation
muss auch unter diesen Bedingungen eine rasche Entlastung des Pleuraraumes herbeigeführt
werden. Innerklinisch sollte (bei stabilen Vitalfunktionen) vor Anlage eine Röntgenthoraxaufnahme
angefertigt und eine Kontrolle der Laborwerte vorgenommen werden, solange kein sicherer
Spannungspneumothorax vorliegt.
Indikationen und Kontraindikationen
Indikationen und Kontraindikationen
Indikationen
Indikationen für die Anlage einer Thoraxdrainage sind:
-
ausgeprägter Spontanpneumothorax mit respiratorischer Kompromittierung
-
stumpfes Thoraxtrauma mit Hinweis für Hämatopneumothorax und Beatmungspflichtigkeit
-
Vorliegen eines Spannungspneumothorax
-
jede Beatmungspflichtigkeit bei Pneumothorax
-
ausgeprägter Pleuraerguss ([Abb. 1])
Abb. 1 Großer Pleuraerguss rechts vor Drainage.
Kontraindikationen
Kontraindikationen für die Anlage einer Thoraxdrainage sind:
Vorgehen
Es werden prinzipiell 3 Techniken zur Entlastung des Pleuraraumes unterschieden. Einerseits
die Anlage der TD nach Monaldi und andererseits nach Bülau. Darüber hinaus kann in
einer dringlichen Situation (z. B. akuter Spannungspneumothorax) durch Punktion mit
einer Flexüle (sog. Nadeldekompression) in Monaldi-Position (2./3. Interkostalraum
medioclaviculär) eine passagere Entlastung vorgenommen werden. Es muss jedoch zeitnah
(d. h. bei prähospitaler Nadeldekompression auch prähospital) eine definitive Versorgung
mittels TD in Bülau-Position durchgeführt werden, da bei Vorliegen eines Hämatopneumothorax
die Intervention mittels Flexülentechnik häufig nicht ausreicht, um z. B. eine größere
Ergussmenge (Blut, Transsudat, Exsudat) zu drainieren. Darüber hinaus besteht ein
relativ hoher Anteil an Therapieversagern bei Nadeldekompressionen. Alternativ kann
an beschriebener Position (Monaldi) im 2./3. Interkostalraum (ICR) medioclaviculär
eine Drainage eingelegt werden. Diskutabel scheint ein solches Vorgehen bei einem
iatrogenen oder atraumatischen Spontanpneumothorax ohne Vorliegen einer größeren Erguss-
oder Hämatothoraxkomponente. In dieser Position werden eher dünnlumigere Drainagen
zur Anwendung kommen. Die Komplikationsgefahren bei Anwendung dieser Technik sind
Gefäßverletzungen (A. thoracica interna, kardiale Verletzungen bei linksseitiger Anwendung),
eine Verletzung des Lungenparenchymes bei unsachgemäßer Anlage sowie eine unzureichende
oder fehlende Entlastung. Derzeit existieren keine belastbaren Daten, die die Bevorzugung
einer der beiden Lokalisationen bei der Minithorakotomie klären [2].
Auch die Wahl der Dicke der Drainage hängt entscheidend von der zugrundeliegenden
Pathologie ab – handelt es sich um einen reinen Pneumothorax, so können sicher dünnlumigere
Drainagen (18 – 22 Charr) verwendet werden – derzeit wird sogar die Verwendung von
ZVK-Sets zur Drainage von Pneumothoraces diskutiert [3]
[4]
[5]. Beim Verdacht auf das Vorliegen eines Hämatopneumothorax (ggf. mit gleichzeitig
vorliegender Spannungssituation) sollten dicklumigere Drainagen gewählt werden (28 – 32
Charr).
Aus Sicht der Verfasser sollte im prähospitalen, aber auch notfallmedizinischen Setting
die Anlagetechnik nach Bülau als „Minithorakotomie“ durchgeführt werden. Diese wird
im Folgenden beschrieben. Wichtig ist – auch und gerade – in der Prähospitalphase
ein steriles Arbeiten.
Besteht eine Lungenparenchymverletzung mit der Indikation zur dauerhaften Drainage,
so kann im Rettungsdienst entweder intermittierend oder aber auch kontinuierlich mittels
Absaugpumpe gesaugt werden (Gleiches gilt für den luftgebundenen Transport). Innerklinisch
sollte ein Absaugsystem angeschlossen werden – dies kann mittels verschiedener verfügbarer
Drainagesysteme erfolgen (z. B. 2- oder 3-Kammer-System, Vakuumpumpsysteme).
Nach erfolgreicher Anlage der TD sind die klinischen Zeichen, die zur Anlage geführt
haben, nochmals kritisch zu reevaluieren. Die Kreislaufsituation sollte sich bessern,
das initial aufgehobene Atemgeräusch nun wieder auskultierbar sein und erhöhte Beatmungsdrücke
sollten sich ebenfalls wieder normalisiert haben.
Eine liegende Thoraxdrainage schließt einen Re-(Spannungs-)Pneumothorax nicht aus!
– Bei ausgedehnten Lungenverletzungen kann auch im Rettungsdienst die Anlage weiterer
Drainagen notwendig werden.
Wichtig für eine sichere Handhabung der Technik ist die Kenntnis möglicher Komplikationen.
Bei unsachgemäßer Anwendung kann es im Bereich der Perforationsstelle zu Blutungen
kommen (Verletzung von Interkostal-, Haut und Intrathorakalgefäßen). Dies kann unter
Umständen zusätzlich zu einem bereits bestehenden Hämatopneumothorax vorliegen. Auf
jeden Fall sollte man bei einer größeren Drainagemenge (> 2 l Blut) immer an das Vorliegen
einer zusätzlichen iatrogenen Komponente denken. Weiterhin kann es unter der Drainage
zu einer Lungenparenchymverletzung kommen (intraparenchymale Lage). Bei zu kaudaler
Anlagetechnik kann der intraabdominale Raum getroffen werden, es kann dann entsprechend
zu Leber- und Milzverletzungen kommen.
Durch das beschriebene Vorgehen kann eine sichere und komplikationsarme Anlage einer
TD erfolgen. Wichtig ist, dass die Technik unter guter Supervision erlernt wird (Training
im Simulator, Übung z. B. am anatomischen Präparat) [6].
Schritt für Schritt
Die Anlage einer Thoraxdrainage in Bülau-Position umfasst folgende Arbeitsschritte:
-
Vorbereiten und Funktionskontrolle des benötigten Materials
-
Lokalisieren der Drainage-Position
-
Desinfektion
-
Abdecken des OP-Gebietes
-
Inzision
-
Präparation
-
Platzieren der Thoraxdrainage
-
Annaht der Thoraxdrainage
-
Lagekontrolle der Thoraxdrainage
-
Anschließen des Heimlich-Ventils
Schritt 1 Lokalisieren der Drainage-Position
Schritt 1 Lokalisieren der Drainage-Position
Die Anlage der TD in Bülau-Position erfolgt im 3. – 5. Interkostalraum (ICR) in Höhe
der vorderen bis mittleren Axillarlinie im sogenannten „Triangle of safety“ ([Abb. 2]). Dieses „Dreieck der Sicherheit“ wird ventral vom lateralen Rand des M. pectoralis
major und dorsal vom Rand des M. latissimus dorsi begrenzt. Kaudal bildet der 5. ICR
in Höhe der Mamille den Abschluss. Ein Abwinkeln des Armes nach kranial sollte vermieden
werden, da durch dieses Manöver die Mamille als Orientierung nach kranial verzogen
werden kann (Cave: vorliegende Begleitverletzungen). Es genügt, den Arm in leicht
abgewinkelter Form zu lagern.
Abb. 2 „Triangle of safety“.
Die Insertionsstelle in den Thorax liegt in Höhe der Mamille (durchgezogene Linie)
– die Hautinzision sollte 1 – 2 ICR darunter erfolgen (gepunktete Linie). Inzidiert
man zu hoch, besteht die Gefahr, zu nahe nach axillär zu gelangen, und die dort liegenden
Strukturen zu verletzen [7]
[8].
Schritt 2 Desinfektion
Die Desinfektionslösung sollte „dachziegelartig“ aufgetragen werden ([Abb. 3]).
Abb. 3 Desinfektion.
Schritt 3 Abdecken des OP-Gebietes
Schritt 3 Abdecken des OP-Gebietes
Nach der Desinfektion wird das OP-Gebiet abgedeckt ([Abb. 4]). Hier hat sich die Verwendung industriell vorgefertigter Sets bewährt (diese beinhalten
Tupfer, Abdecktuch, Waschklemme, Spritzen (5er und 10er) sowie verschiedene Kanülen).
Insbesondere sollten Abdecktücher Verwendung finden, die möglichst einen unbehinderten
Blick auf die Anatomie erlauben.
Abb. 4 Abdecken des OP-Gebietes.
Schritt 4 Inzision
Im nächsten Schritt erfolgt bei ansprechbaren Patienten eine Lokalanästhesie der Inzisionsstelle,
nachfolgend wird eine ausreichend große Inzision durchgeführt (ca. 4 – 5 cm), optimal
im Bereich der submammären Fettfalte (s. gestrichelte Linie, [Abb. 5]).
Abb. 5 Inzision.
Schritt 5 Präparation
Unter stumpfer Präparation mittels digitaler Kontrolle und ggf. Nutzung einer Klemme
(z. B. Overholt) wird möglichst atraumatisch der 5. ICR aufgesucht ([Abb. 6]). Es hat sich bewährt, nach Auffinden des entsprechenden ICR nochmals eine Lokalanästhesie
der betreffenden Interkostalmuskulatur vorzunehmen. Die Perforation derselben und
die nachfolgende Verletzung der Pleura parietalis werden oft als sehr schmerzhaft
empfunden (ggf. auch bei Analgosedation). Wesentlich ist immer am Oberrand der Rippe
zu präparieren und zu perforieren, um Komplikationen (z. B. Verletzung der Gefäßnervenscheide
am Unterrand der Rippe) zu vermeiden. Die Perforation des ICR kann mit dem Finger
oder mit geschlossener Klemme durchgeführt werden – meist erfolgt der Durchtritt nach intrathorakal unter
kontrolliertem Druck. Besteht eine Spannungssituation, entleert sich hörbar Luft (zischendes
Geräusch). Hat man mit der Klemme stumpf perforiert, dann wird diese intrathorakal
längs des ICR solange vorsichtig gespreizt, bis eine manuelle Passage mit dem Finger
gelingt (wichtig: es erfolgt niemals ein Schließen der Branchen innerhalb des Wundspaltes).
Ein häufiger Fehler ist das versehentliche Dislozieren der Klemme mit nachfolgend
nochmaliger Perforation an einer 2. oder auch 3. Stelle – die Folge kann dann ein
Hautemphysem sein, da neben der eigentlichen Drainagestelle noch weitere Perforationen
vorliegen.
Abb. 6 Digitales „Präparieren“ mit Finger und Klemme.
Schritt 6 Platzieren der Thoraxdrainage
Schritt 6 Platzieren der Thoraxdrainage
Die meisten industriell gefertigten Drainagen sind mit einem Trokar (Stahlmandrin)
versehen – in der Vergangenheit hat man diesen Trokar oft zur Perforation nach intrathorakal
genutzt. Diese Technik war jedoch mit der Gefahr einer Lungenparenchymverletzung assoziiert.
Bildgebend konnte daher oft eine intrapulmonale Lage der TD diagnostiziert werden,
die als Komplikation eine Fistelung zur Folge hatte. Die Anlagetechnik mittels Trokar
wird daher heutzutage als absolut obsolet betrachtet. Aus diesem Grund sollte die
Drainage ohne Trokar platziert werden – dies geschieht am sichersten unter Zuhilfenahme
einer gebogenen Klemme ([Abb. 7]).
Abb. 7 Platzieren der Thoraxdrainage mittels Klemme (ohne Trokar).
Schritt 7 Annaht der Thoraxdrainage
Schritt 7 Annaht der Thoraxdrainage
Abhängig von der führenden Pathologie kann noch in der Notfallsituation versucht werden
die TD entweder ventral (z. B. Pneumothorax) oder dorsal (z. B. Hämatopneumothorax
oder Pleuraerguss) zu platzieren. Abschließend wird die Insertionsstelle vernäht ([Abb. 8]) – dies kann mittels vorgelegter Tabaksbeutelnaht erfolgen – oder aber mit Einzelknopfnähten
sowie einer Annaht der Drainage an der Haut.
Abb. 8 Annaht der Thoraxdrainage.
Schritt 8 Lagekontrolle der Thoraxdrainage
Schritt 8 Lagekontrolle der Thoraxdrainage
Abschließend wird mittels Schlitzkompressen und einem herkömmlichen Wundverband das
OP-Gebiet abgedeckt und gesichert. Nachfolgend sollte sowohl bei prähospital als auch
bei innerklinisch erfolgter Anlage eine bildgebende Lagekontrolle erfolgen (CT- oder
Röntgenthoraxaufnahme, [Abb. 9]).
Abb. 9 Lagekontrolle der Thoraxdrainage rechts.
Schritt 9 Anschließen des Heimlich-Ventils
Schritt 9 Anschließen des Heimlich-Ventils
Im präklinischen Setting wird initial immer über die liegende Drainage abgesaugt –
danach sollte ein Heimlich-Ventil an die TD angeschlossen werden – dies verhindert
eine Luftaspiration über die Drainage ([Abb. 10]).
Abb. 10 Kennzeichnung der Anschlussrichtung des Heimlich-Ventils.
Kennzeichnung des Heimlich-Ventils mit Symbolen für die Richtung des Anschlusses beachten.
Video
Das [Video 1] zeigt das Vorgehen bei der Thoraxdrainage Schritt für Schritt.
Video 1 Thoraxdrainage.
Erstveröffentlichung
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: M. Bernhard und J.-T. Gräsner. Notfalltechniken
Schritt für Schritt. Stuttgart: Thieme; 2016: 131–142