Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(05): e28-e33
DOI: 10.1055/s-0042-122119
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ärztlich assistierter Suizid – Umfrage zu § 217 StGB

Physician Assisted Suicide – Survey on § 217 StGB in Germany
Julia Zenz
1   cand.med. Ruhr-Universität Bochum
,
Ruth Rissing-van Saan
2   ehem. Bundesgerichtshof, Karlsruhe
,
Michael Zenz
3   ehem. Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Palliativ- und Schmerzmedizin, Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum und Bergmannsheil
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Michael Zenz
Emeritus Ruhr-Universität Bochum
Henkenbergstr. 63
44797 Bochum

Publication History

Publication Date:
10 March 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Hintergrund Ende 2015 wurde ein neues Gesetz erlassen (§ 217 StGB), das „geschäftsmäßige“ Suizidbeihilfe unter Strafe stellt. Vor Verabschiedung des Gesetzes fand eine intensive Diskussion, die auch aus den Reihen der Palliativmedizin widersprüchliche Einstellungen offenbarte. Auf einem Palliativkongress sollte erstmalig die Einstellung der betroffenen Ärzte und Pflegekräfte zu der neuen Gesetzeslage untersucht werden.

Methoden Anonyme Befragung mit einem Fragebogen aus 8 Fragen anhand einer Likert-Skala zu dem neuen Gesetz und dessen Einfluss auf das persönliche Handeln. 


Ergebnisse 457 Fragebogen konnten ausgewertet werden, 138 von Ärzten und 318 von Pflegekräften, 1 Befragter ohne Angabe des Berufs. Insgesamt wurde das Gesetz sehr zwiespältig gesehen. Eine unpräzise Formulierung des Gesetzes und eine unzureichende Rechtssicherheit wurden kritisiert. Immerhin kannte die Mehrheit der Befragten das Gesetz. Etwa 40 % der Ärzte und Pflegekräfte hielten das Gesetz nicht für sinnvoll.

Folgerung Auch in Fachkreisen wird das neue Gesetz weder als eindeutige Stärkung der Rechtssicherheit noch als sinnvoll angesehen.


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Abstract

Background In late 2015, Germany passed a law (§ 217 StGB) prohibiting persons from aiding others in committing suicide on a regular, repetitive basis. Despite intensive societal debate and surveys about assisted dying, the present study was the first to examine attitudes towards the new legal regulation among professionals.

Methods In early 2016, all participants of a congress on palliative care received a one-page anonymous questionnaire to complete until the end of the conference. The questionnaire consisted of questions regarding assisted suicide and the new law. The participants were asked to express their agreement or disagreement on a 4 to 5-point Likert scale.

Results 457 questionnaires (48 %) were completed, 138 from physicians, 318 from nurses, 1 non specified. More than 80 % knew about the new law. Only half of the respondents supported it. 54 % felt that the law did not sufficiently differentiate between an illegal form of assisted suicide and a form exempt from prosecution. For more than 40 % the new law made no sense.

Conclusion Professionals engaged in terminal care were reluctant to support a criminal liability of “business-like” physician-assisted suicide and suspected greater uncertainty among professionals in end of life care.


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Einleitung

Die Debatte um Medizin am Lebensende und die Grenzen ärztlichen Handelns ist weiterhin aktuell. Im letzten Jahr sah die Europäische Palliativgesellschaft (EAPC) die Notwendigkeit, zu Euthanasie und ärztlich assistiertem Suizid Stellung zu nehmen und zum Ausdruck zu bringen, dass „Euthanasie kein Teil der Palliativversorgung ist“ [1]. In Deutschland hat der Deutsche Bundestag am 06. November 2015 einen Gesetzesentwurf angenommen, der die geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid unter Strafe stellt [2]. Vorstand und Experten der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) hatten bereits zuvor Stellung bezogen und sich klar positioniert [3]: Hilfe beim Sterben: Ja, Hilfe zum Sterben: Nein. Gleichzeitig wurde aber auch Kritik an der neuen gesetzlichen Regelung laut.

Anlässlich dieser aktuellen Entwicklungen wurde auf einem Palliativkongress eine Befragung der Teilnehmer zu dem verabschiedeten Gesetzentwurf durchgeführt. Diese Befragung war Teil einer Reihe von 3 Befragungen zum Themenkomplex Entscheidungen am Lebensende [4] [5] [6]. Die ersten beiden orientierten sich an dem etablierten Fragebogen von Seale und hatten keine einheitliche Ablehnung von lebensbeendenden Methoden gezeigt [4] [5] [7]. Die letzte Befragung von 2013 hatte gezeigt, dass eine deutliche Mehrheit der Befragten bei Wünschen nach Lebensbeendigung sowohl Kollegen konsultieren als auch einen längeren Therapieversuch unternehmen würde [6]. Dies ist insoweit wichtig, als die Frage nach „Sterbehilfe“ allein den Aspekt einer Symptombehandlung außer Acht lässt. Eine Untersuchung von Schildmann et al. hatte aufgezeigt, dass 34 % ein berufsrechtliches Verbot der Assistenz zur Selbsttötung ablehnten [8]. In der Diskussion um eine mögliches Verbot einer geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe ist von Kollegen und Juristen auch betont worden, dass der letztlich verabschiedete Gesetzentwurf insbesondere Palliativmediziner in ihrer Arbeit und ihrem Vertrauensverhältnis zum Patienten betreffen würde [9] [10] [11]. Von juristischer Seite wandte man sich gegen „moralistisch und paternalistisch begründete strafrechtliche Verbote der Suizidbeihilfe“ [12] und sah selbst bei einmaligem Hinweis auf Suizidbeihilfe im Ausland das Risiko der Strafbarkeit für einen Arzt [13]. Daher sollte jetzt untersucht werden, wie Ärzte und Pflegekräfte aus dem Bereich Palliativmedizin zu dem Gesetz (§ 217 StGB) stehen, und ob sie sich davon in ihrer täglichen Arbeit beeinflusst oder sogar behindert fühlen.

§ 217 StGB: Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Die vorliegende Befragung wurde auf einem Palliativkongress im März 2016 durchgeführt. Teilnehmer waren Ärzte, Juristen, Psychologen, Theologen, Ehrenamtliche und Pflegekräfte mit Interesse am Bereich Palliativmedizin. Der Fragebogen wurde zusammen mit dem Evaluationsbogen und den Kongressunterlagen ausgehändigt und sollte bis zum letzten Tag des Kongresses abgegeben werden. Insgesamt 950 Teilnehmer waren registriert, davon 337 Akademiker und 509 Pflegekräfte/Ehrenamtliche. Ausgewertet wurden nur die Fragebogen der deutschen Ärzte und Pflegekräfte.

Der erste Teil des Fragebogens bezog sich auf Angaben zur Person des Befragten: Alter, Geschlecht, Beruf, Zusatzqualifikation und Religiosität. Der zweite Teil des Fragebogens bezog sich inhaltlich auf den neuen § 217 StGB. Der Text des § 217 StGB wurde auf dem Fragebogen hinter den Angaben zur Person mit abgedruckt. Der Fragebogen beschäftigte sich in Form einer Likert-Skala mit den Auswirkungen der Gesetzesänderung auf die Selbstbestimmung des Patienten, die Gewissensfreiheit des Arztes und die Rechtssicherheit. Des Weiteren wurde gefragt, ob die Befragten das neue Gesetz sinnvoll finden, und ob sie in der Ausübung ihres Berufes Suizidbeihilfe leisten wollten. Schließlich wurde gefragt, ob die Befragten das Gesetz bereits vor der Befragung kannten.

Fragen des Fragebogens
  1. Verändert das Gesetz die Ausübung der Selbstbestimmung des Patienten?

  2. Beeinträchtigt das Gesetz die Gewissensfreiheit des Arztes?

  3. Fühlen Sie sich durch das neue Gesetz in Ihrer Therapiefreiheit bei Sterbenden eingeschränkt?

  4. Hat das Gesetz Einfluss auf die Rechtssicherheit?

  5. Geht aus dem Gesetz für Sie klar hervor, welche Form der Suizidbeihilfe erlaubt ist und welche nicht?

  6. Finden Sie das Gesetz sinnvoll?

  7. Möchten Sie als Arzt/Pflegekraft Suizidbeihilfe leisten dürfen?

  8. Kannten Sie den Inhalt des Gesetzes?

Die Fragen und Antwortmöglichkeiten wurden zuvor zur Validierung einem interdisziplinären Expertenteam vorgelegt. Es war zusammengesetzt aus Ärzten aus unterschiedlichen Fachbereichen und Juristen. Alle waren Mitglieder einer universitären Ethikkommission und daher mit ethischen Fragestellungen und wissenschaftlicher Methodik, wie sie Gegenstand der vorliegenden Befragung sind, vertraut. Die Fragen und Antwortmöglichkeiten wurden auf Inhalt und Verständlichkeit geprüft und im Anschluss an die Beratung entsprechend überarbeitet.

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Ruhr Universität Bochum genehmigt (Reg. Nr.: 4502 – 12 vom 5.4.2016).Die statistische Auswertung erfolgte mittels SPSS Version 23.00 (IBM Corporation, Armonk, NY, USA). Das Signifikanzniveau wurde auf p≤ 0,05 festgelegt. Getestet wurde anhand des Chi-Quadrat-Tests.


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Ergebnisse

457 von 950 Fragebogen konnten ausgewertet werden. Die Rücklaufquote lag bei 48,1 %. 138 Ärzte und 318 Pflegekräfte füllten den Fragebogen aus, ein Befragter ohne Angabe des Berufs ([Tab. 1], [2]).

Tab. 1

Demografische Daten.

n (%)

Geschlecht

weiblich

367 (80,3)

männlich

 83 (18,2)

keine Angabe

  7 (1,5)

Alter

≤ 35 Jahre

 35 (7,7)

36 – 45 Jahre

 81 (17,7)

46 – 55 Jahre

215 (47,0)

56 – 65 Jahre

107 (23,4)

> 65 Jahre

 15 (3,3)

keine Angabe

  4 (0,9)

Tab. 2

Berufszugehörigkeit.

Beruf

n (%)

Beruf

Arzt

138 (30,2)

Pflegekraft

318 (69,6)

keine Angabe

  1 (0,2)

ärztliche Zusatzweiterbildung Palliativmedizin

ja

125 (90,6)

nein

 13 (8,8)

ärztliche Zusatzweiterbildung Schmerzmedizin

ja

 28 (20,3)

nein

110 (79,7)

Knapp die Hälfte der Befragten hielt das Gesetz für einschränkend bezogen auf die Selbstbestimmung. Eine eindeutige Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit wurde nicht angegeben. Auch eine Einschränkung der Therapiefreiheit wurde nicht gesehen. Eine Stärkung der Rechtssicherheit wurde nur von etwas mehr als 30 % der Befragten gesehen. Eine Abgrenzung einer verbotenen zu einer erlaubten Form der Suizidbeihilfe durch das neue Gesetz war nur für eine Minderheit der Befragten möglich. Auch hielten nur etwa die Hälfte der Befragten überhaupt das Gesetz für sinnvoll. Die Frage, ob sie als Arzt oder Pflegekraft Suizidbeihilfe leisten dürfen wollen, verneinte eine deutliche Mehrheit der Befragten.

Fast 90 % der Befragten gaben an, den Inhalt des Gesetzes zumindest teilweise gekannt zu haben. Signifikante Unterschiede zwischen Ärzten und Pflegenden zeigten sich bei den Fragen 2, 3, 4 und 8 (p≤ 0,001; [Tab. 3]).

Tab. 3

Ergebnisse der Befragung. Unterschiede zwischen Ärzten und Pflegekräften.

Frage

Antwort

Ärzte

n (%)

Pflegekräfte

n (%)

Gesamt

n (%)

1. Verändert das Gesetz die Ausübung der Selbstbestimmung des Patienten?

nein

68 (49,6)

124 (40,8)

192 (43,5)

einschränkend

52 (38,0)

104 (34,2)

156 (35,4)

sehr einschränkend

 6 (4,4)

 25 (8,2)

 31 (7,0)

kann ich nicht sagen

11 (8,0)

 51 (16,8)

 62 (14,0)

2. Beeinträchtigt das Gesetz die Gewissensfreiheit des Arztes?

ja

17 (12,3)*

 41 (13,4)

 58 (13,0)

wahrscheinlich

22 (15,9)*

 82 (26,8)

104 (23,4)

wahrscheinlich nicht

22 (15,9)*

 52 (17,0)

 74 (16,7)

nein

72 (52,2)*

 63 (20,6)

135 (30,4)

kann ich nicht sagen

 5 (3,6)*

 68 (22,2)

 73 (16,4)

3. Fühlen Sie sich durch das neue Gesetz in Ihrer Therapiefreiheit bei Sterbenden eingeschränkt?

ja

16 (11,6)*

 21 (6,9)

 37 (8,4)

wahrscheinlich

10 (7,2)*

 33 (10,9)

 43 (9,7)

wahrscheinlich nicht

20 (14,5)*

 38 (12,5)

 58 (13,1)

nein

87 (63,0)*

132 (43,4)

219 (49,5)

kann ich nicht sagen

 5 (3,6)*

 80 (26,3)

 85 (19,2)

4. Hat das Gesetz Einfluss auf die Rechtssicherheit?

es stärkt die Rechtssicherheit

50 (36,5)*

 95 (30,7)

145 (32,5)

kann ich nicht sagen

50 (36,5)*

161 (52,1)

211 (47,3)

es vermindert die Rechtssicherheit

37 (27,0)*

 53 (17,2)

 90 (20,2)

5. Geht aus dem Gesetz für Sie klar hervor, welche Form der Suizidbeihilfe erlaubt ist und welche nicht?

ja

28 (20,3)

 49 (15,6)

 77 (17,0)

eher ja

40 (29,0)

 72 (22,9)

112 (24,7)

nein, eher nicht

36 (26,1)

125 (39,7)

161 (35,5)

nein, bestimmt nicht

31 (22,5)

 54 (17,1)

 85 (18,8)

kann ich nicht sagen

 3 (2,2)

 15 (4,8)

 18 (4,0)

6. Finden Sie das Gesetz sinnvoll?

ja

27 (19,6)

 63 (19,9)

 90 (19,8)

wahrscheinlich

48 (34,8)

 86 (27,2)

134 (29,5)

nein, eher nicht

44 (31,9)

107 (33,9)

151 (33,9)

nein, bestimmt nicht

15 (10,9)

 18 (5,7)

 33 (7,3)

kann ich nicht sagen

 4 (2,9)

 42 (13,3)

 46 (10,1)

7. Möchten Sie als Arzt/Pflegekraft Suizidbeihilfe leisten dürfen?

ja

11 (8,0)

 19 (6,1)

 30 (6,7)

ja, wahrscheinlich

22 (16,1)

 47 (15,1)

 69 (15,4)

nein, eher nicht

51 (37,2)

112 (35,9)

163 (36,3)

nein

46 (33)

 93 (29,8)

139 (31,0)

kann ich nicht sagen

 7 (5,1)

 41 (13,1)

 48 (10,7)

8. Kannten Sie den Inhalt des Gesetzes?

ja

95 (69,3)*

123 (39,2)

218

teilweise

37 (27,0)*

144 (45,9)

181 (40,1)

nein

 5 (3,6)*

 47 (15,0)

 52 (11,5)

* p ≤ 0,001.


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Diskussion

Dies ist nach der Gesetzesnovelle zum Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe die erste Untersuchung über die Akzeptanz des neuen Gesetzes. Nach langen Diskussionen in der Öffentlichkeit, in medizinischen und juristischen Fachkreisen sowie im Bereich der Unterstützer einer „organisierten Sterbehilfe“ (http://www.sterbehilfedeutschland.de/) interessierte jetzt die Einstellung des betroffenen Fachpersonals, das täglich mit Sterbenden umgeht.

Ziel des neuen § 217 StGB ist es zu verhindern, dass sich Suizidbeihilfe als Dienstleistungsangebot etabliert [14]. Bestraft werden soll bereits die abstrakte Gefährdung des Lebens. So wird nicht vorausgesetzt, dass es zur lebensbeendenden Handlung selbst kommt, vielmehr wird bereits die Förderung der geplanten Selbsttötung unter Strafe gestellt [14] [15]. Von der Strafandrohung ausgenommen sind Angehörige des Sterbewilligen und ihm nahestehende Personen. Ärzte und Pflegende sind im Gegensatz zu Angehörigen und nahestehenden Personen im Gesetz nicht genannt.

Bisher war nicht bekannt, wie Ärzte und Pflegende nach erfolgter Novellierung des Gesetzes darüber denken. Es war auch noch nichts dazu bekannt, wie Ärzte und Pflegekräfte aus einem zentralen Bereich der Versorgung am Lebensende, der Palliativmedizin zu dieser Gesetzesänderung stehen. Die ausgewählten Fragen lehnten sich an Befürchtungen an, die im Vorfeld der Novellierung von Palliativmedizinern und Juristen genannt wurden [9] [10] [11] [13]. Der Mehrheit der hier Befragten war der Inhalt des Gesetzes zumindest teilweise bekannt. Dies verdeutlicht die Nähe und das Interesse der befragten Gruppe zu dieser Thematik. Allerdings gaben auch über 50 % der Befragten an, dass aus dem Gesetz nicht klar hervorgeht, welche Handlungen zukünftig erlaubt sein sollen und welche nicht. Dies gibt Anlass zum Nachdenken, versorgen die hier Befragten doch gerade diejenigen, die durch das Gesetz laut der Gesetzesbegründung geschützt werden sollen: alte und kranke Menschen [14]. Positiv zu bewerten ist allerdings, dass in der neuen Vorschrift des § 217 StGB der missverständliche Begriff „Sterbehilfe“ nicht verwendet wird. Dieser ist in seiner Bedeutung unklar, können hierunter sowohl der zulässige Therapieabbruch als auch die strafrechtlich sanktionierte Tötung auf Verlangen verstanden werden. In einer Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrer zur aktuellen Gesetzesänderung wird unter dem Begriff Sterbehilfe gar jede Hilfe verstanden, die einer „schwer erkrankten oder sterbenden Person im Hinblick auf ihren geäußerten oder mutmaßlichen Willen geleistet wird, um ihr einen ihren Vorstellungen entsprechenden menschenwürdigen Tod zu ermöglichen“ [16]. Solche Unklarheiten in den Begrifflichkeiten tragen dazu bei, dass eine zielführende Debatte erschwert wird und viele Argumente durch den Begriff „Hilfe“ verfälscht werden oder einfach nicht verstanden werden [17]. Die Ergebnisse von Befragungen zu diesem Komplex können wesentlich von der Wortwahl beeinflusst werden [18] [19].

Immerhin fast jeder zweite (40 %) fand das Gesetz nicht sinnvoll. In der Literatur wird argumentiert, dass der Gesetzgeber mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (Patientenverfügungsgesetz – § 1901a BGB) und die Rechtsprechung mit den Grundsätzen zum rechtmäßigen Behandlungsabbruch und zur Selbsttötung bereits hinreichende Regelungen für Fragestellungen am Lebensende getroffen haben [20]. Bemängelt wird allerdings, dass diese Regelungen in medizinischen Fachkreisen nicht hinreichend bekannt sind [20]. Dies führt zu Unsicherheiten im Rahmen der Behandlung schwer kranker Menschen am Lebensende und zu unnötigem Leiden [21]. Zudem wird mit guter Berechtigung vertreten, dass das Strafrecht ohnehin kein geeignetes Mittel sei, die dem § 217 StGB zugrunde liegende Problematik zu lösen, denn das Arzt-Patienten-Verhältnis sei aufgrund seiner speziellen Natur nur beschränkt rechtlich regulierbar [16]. Hierzu passt es auch, dass knapp die Hälfte der hier Befragten keine Aussage dazu machen konnten, welche Auswirkungen das Gesetz auf die Rechtssicherheit hat [22]. Als weiterer Kritikpunkt wird angeführt, dass § 217 StGB auch gegen den Grundsatz verstoße, dass das Strafrecht nur als Ultima Ratio zur Anwendung kommen sollte [16] [22].

Eine solche gesetzliche Regelung wird lediglich als „symbolische“ Suizidprävention angesehen, die an der zugrunde liegenden Problematik vorbeigeht [15]. Untersuchungen unter Palliativpatienten haben gezeigt, wie vielfältig die Gründe sind, die einen Patienten zum Sterbewunsch bewegen können, und dass diese Wünsche sich über die Zeit hinweg oftmals ändern können [23] [24] [25]. Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, dass alle, die an der Betreuung von Patienten am Lebensende – aber auch weit vorher – beteiligt sind, mit ihren Patienten offen über Wünsche und Ängste auch in Bezug auf einen möglichen Suizidwunsch sprechen können [3] [26]. Indem § 217 StGB jedoch ein abstraktes Gefährdungsdelikt postuliert, wonach jegliche geschäftsmäßige Förderung des Sterbewunsches des Patienten unter Strafe gestellt wird, ohne dass es tatsächlich zur Selbsttötung kommen muss, könnte grundsätzlich auch ein Gespräch über die Möglichkeit der Selbsttötung unter bestimmten Voraussetzungen unter Strafe gestellt werden [15]. Dass Ärzte und Pflegekräfte verunsichert sind, wenn solche Spekulationen von einem Lehrstuhl für Strafrechtliches Medizin- und Biorecht geäußert werden, ist nicht verwunderlich. Wie aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, mag die Strafbarkeit von Fachpersonal im Rahmen eines palliativmedizinischen Settings durch die Schaffung des § 217 StGB zwar nicht beabsichtigt gewesen sein, jedoch wird durch die neue Vorschrift der strafrechtliche Druck erhöht, sodass eine offene Kommunikation erschwert sein könnte [2] [15]. Deshalb muss in der Diskussion deutlich gemacht werden, was der Gesetzgeber tatsächlich verbieten wollte, nämlich die regelhaft vorgenommene und von vorneherein auf Wiederholung angelegte professionelle Förderung oder Unterstützung von Selbsttötungen. In der Palliativmedizin tätige Personen mit ihrer auf Leidenslinderung und nicht auf Lebensverkürzung ausgerichteten Tätigkeit fallen nicht hierunter. Wie bisher straffrei bleibt auch die in Einzelfällen, d. h. in individuellen Ausnahmesituationen, aus Gewissensgründen erfolgte Förderung eines freiverantwortlich gefassten Selbsttötungsentschlusses (siehe Seite 10, 12, 18 in [14]). Etwas über 20 % der Befragten gaben an, bei einem Suizid Hilfe leisten zu wollen. Die Mehrheit der Befragten lehnte dies hingegen ab. Dies entspricht auch Ergebnissen aus vorhergehenden Studien sogar in Ländern, die die Tötung auf Verlangen legalisiert haben [6] [27] [28].

Fast die Hälfte der Befragten (42,3 %) stufte das neue Gesetz als einschränkend bzw. sehr einschränkend bezogen auf die Selbstbestimmung des Patienten ein. Auf diese Problematik wurde auch in der juristischen Literatur bereits hingewiesen [4] [16]. Es gibt in Deutschland ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, das auch durch die Gesetzesänderung zur Patientenverfügung noch einmal bestätigt wurde [22]. Indem die neue Gesetzgebung die Suizidbeihilfe aber unter bestimmten Voraussetzungen unter Strafe stellt, könnte demnach in dieses Recht eingegriffen werden. Allerdings wird z. T. auch bestritten, dass hinter der Entscheidung für einen Suizid überhaupt eine selbstbestimmte Entscheidung stehen kann [29] [30] [31]. Neben der Selbstbestimmung wird auch die Gewissensfreiheit des Arztes von der gesetzlichen Regelung berührt. Einigkeit besteht darin, dass ein ausnahmsloses berufsrechtliches Verbot der Suizidbeihilfe aufgrund der grundrechtlich gewährleisteten Berufs- und Gewissensfreiheit der Ärzte verfassungswidrig wäre [14]. Der neue § 217 StGB knüpft die Strafbarkeit aber an bestimmte Voraussetzungen, sodass nicht jede Form der Suizidbeihilfe hiernach unter Strafe gestellt wird. Allerdings sieht auch etwa ein Drittel der Befragten die ärztliche Gewissenfreiheit durch diese Regelung als eingeschränkt an. Diese Frage wurde auch den Pflegenden gestellt, da sie eng in die Therapie am Lebensende involviert sind, obwohl sie zu entsprechenden Handlungen nicht legitimiert sind [32]. Die Therapiefreiheit war nur von einer Minderheit als eingeschränkt angesehen worden.

Auch unter Palliativmedizinern gibt es Befürworter einer Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids im Rahmen der Palliativversorgung [11] [33]. Nur sollte dies nicht mit Ängsten geschürt werden, die zu einer unnötigen Verunsicherung sowohl der Patienten als auch der Behandler beitragen können [11]. Diese Ängste wurden von prominenten Juristen als unbegründet zurückgewiesen [20]. Leider sind bei der öffentlichen Anhörung zum Gesetz zwar zahlreiche Juristen aber keine offiziellen Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands gehört worden. Auch die Beschlüsse des Deutschen Ärztetags von 2011, insbesondere § 16 Musterberufsordnung und die völlig unterschiedlichen Berufsordnungen der Landesärztekammern haben viel zur Verunsicherung beigetragen.

Nimmt man einmal eine Grenze von 80 % Befürwortung oder Ablehnung als relativ eindeutiges Votum an, so wurde lediglich die Frage nach einer möglichen Einschränkung der Therapiefreiheit relativ klar verneint. Alle anderen Fragen, auch die nach einer Stärkung der Rechtssicherheit und die Frage, welche Art der Suizidbeihilfe tatsächlich gemeint ist, fanden leider keine eindeutige Befürwortung. Die kontroverse Diskussion vor und auch nach der Gesetzgebung spiegelt sich in unseren Ergebnissen, ebenso die Verunsicherung, die auch nach dem Gesetz verblieben ist. Will man das Wirken von Vereinen, die die Zeit bis zum Zugang zu einer Suizidbeihilfe von der Höhe des Mitgliedbeitrags abhängig machen [34], regulieren, bedarf es einer gesetzlichen Regelung. Für die Arbeit in Hospiz und Palliativmedizin bedurfte es keiner gesetzlichen Regelung. Unsere Ergebnisse zeigen eine große Verunsicherung. Der Gesetzgeber ist gefordert, möglichst bald Klarheit zu schaffen, damit das Gesetz nicht nur von einer Minderheit als sinnvoll angesehen wird. Man muss aber auch akzeptieren, dass bei einem solch kontroversen Thema ein Konsens nicht zu erreichen ist. Es zeigt sich aber in den Ergebnissen auch, dass dringend weiterer Bedarf an Studien, sachlicher Auseinandersetzung und intensivierter Aus- und Weiterbildung besteht, so wie es bereits angemahnt war [1].

Limitationen

Studienplanung, Durchführung und Auswertung der Untersuchung konnten aufgrund der Aktualität nur innerhalb kurzer Zeit erfolgen. Insoweit fehlte eine mehrfache Validierung und breit abgestimmte Fragenauswahl. Die Fragen sollten die vor Novellierung geäußerten Bedenken artikulieren und jetzt bestätigen oder verwerfen. Auch stellt die Auswahl der Befragten ein Bias dar, das aber gewünscht war. Neurologen haben eventuell häufiger mit solchen Patienten und Fragen zu tun. Die gute Kenntnis des betreffenden neuen Gesetzes unterstreicht im Vergleich zu einer älteren Untersuchung bei Neurologen die Berechtigung der Auswahl [21]. Sozial erwünschte Antworten konnten bei der Frage nach eigener Bereitschaft zu Suizidbeihilfe nicht ausgeschlossen werden.


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Fazit

Das neue Gesetz hat – jedenfalls bis zur verfassungsrechtlichen Klärung – Klarheit darüber geschaffen, dass ein regelmäßiges und z. B. an Mitgliedsbeiträge gebundenes Angebot zur Suizidbeihilfe strafbar ist. Es hat aber auch erhebliche Unsicherheiten hinterlassen, die eine offene Auseinandersetzung mit Ängsten und Wünschen von Patienten mit Suizidwünschen behindern könnte.

Kernaussagen
  • Das neue Gesetz stellt ein „geschäftsmäßiges“ Angebot zu Suizidbeihilfe unter Strafe.

  • Den Befragten ist nicht eindeutig klar, welche Form der Suizidbeihilfe damit gemeint ist.

  • Eine Stärkung der Rechtssicherheit kann deshalb nicht gesehen werden. Deshalb wird das Gesetz auch nicht als sinnvoll betrachtet.

  • Etwa 20 % der Ärzte und Pflegekräfte aus dem Bereich Palliativmedizin möchten Suizidbeihilfe leisten dürfen.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Extended Abstract


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Michael Zenz
Emeritus Ruhr-Universität Bochum
Henkenbergstr. 63
44797 Bochum