Die venösen Thromboembolien rangieren neben dem Schlaganfall und dem Myokardinfarkt
auf Platz drei der kardiovaskulären Krankheitsbilder [1]
[2]. Die Inzidenz liegt in der Allgemeinbevölkerung bereits bei ca. 1/1000 [2]
[3] und steigt bei hospitalisierten Patienten je nach Krankheitsbild (Prävalenz Innere
Medizin: 10 bis 20 %, Allgemeinchirurgie: 15 bis 40 %) sowie mit dem Alter deutlich
an [2]
[4]. Die zunehmenden dermatologischen Operationsindikationen sowie immer älter werdende
Patienten setzen daher eine konsequente Anwendung der Thromboseprophylaxe nach aktuellem
Kenntnisstand voraus, um eine signifikante Risikoreduktion zu erreichen [5]. Auch erfordern einige dermatologische Krankheitsbilder explizit die Durchführung
oder zumindest Erwägung einer Thromboseprophylaxe ([Abb. 1] und [Abb. 2]).
Abb. 1 Beispiel für die Anwendung prophylaktischer Antikoagulation in der Dermatologie:
Gesichtserysipel.
Abb. 2 Beispiel für die Anwendung prophylaktischer Antikoagulation in der Dermatologie:
leukozytoklastische Vaskulitis.
Bei einer Thrombose handelt es sich um „Gerinnung am falschen Ort“, wobei sich die
ätiologisch bedeutsamen Faktoren durch die klassische Virchow-Trias darstellen lassen:
-
Endothelschäden der Gefäßwand z. B. intravenöser Katheter
-
Verminderte Blutflussgeschwindigkeit z. B. Riesenhämangiom und Immobilisation
-
Erhöhung der Koagulabilität des Blutes z. B. im Rahmen von Sepsis und malignen Erkrankungen
Insbesondere die Folgen von tiefen Beinvenenthrombosen (TVT) wie Lungenembolien (LE)
können für die Patienten akut lebensbedrohlich sein, sowie langfristig bei Ausbildung
eines postthrombotischen Syndroms oder einer chronischen Rechtsherzinsuffizienz zu
einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen [6]
[7].
Neue Auflage der S3-Leitlinien
Neue Auflage der S3-Leitlinien
Die Einführung konsistenter Leitlinien und standardisierter Strategien zur Risikoabschätzung
im Rahmen einer Thromboseprophylaxe sollen zu einer gesteigerten Patientensicherheit
führen [8]
[9]. Die aktuelle S3-Leitlinie zur Prophylaxe der venösen Thromboembolien (VTE) ist
eine komplett überarbeitete Version der ersten Auflage (2009) und steht seit Oktober
2015 online zur Verfügung. Die Empfehlungen basieren auf einer umfassenden Literaturrecherche
über MEDLINE und Embase nach Publikationen, welche zwischen 2008 bis 2013 erschienen
sind. Es wurden 46 randomisierte kontrollierte Studien (RCT) sowie Aktualisierungen
von Referenzleitlinien eingeschlossen und bewertet [10]. Vertreter aus 27 medizinischen Fachgesellschaften und der Gemeinschaft fachärztlicher
Berufsverbände waren an der formalen Konsensfindung beteiligt. Die Empfehlungen wurden
in den Stärken „soll, sollte und kann“ auf Grundlage der Evidenzstärke (hoch, moderat,
niedrig) konsentiert [11]. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bezüglich des perioperativen Umgangs
mit bereits chronisch antikoagulierten Patienten (z. B. bei Vorhofflimmern) bei dermatochirurgischen
Eingriffen von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) im November 2014
eine eigene Leitlinie speziell zu diesem Thema herausgegeben wurde [12].
Allgemeine Empfehlungen
Bei Patienten mit operativen Eingriffen, akuten Erkrankungen, Verbrennungen und Verletzungen
soll eine individuelle Risikoeinschätzung für das Auftreten einer Thrombose erfolgen.
Da zu diesem Zweck nach wie vor kein zuverlässiger Labortest existiert, wird auch
in der aktuellen Leitlinie anhand von dispositionellen und expositionellen Risikofaktoren
entschieden.
-
Das dispositionelle Risiko richtet sich nach angeborenen und erworbenen Risikofaktoren.
-
Das expositionelle Risiko entscheidet sich nach Art und Umfang des operativen Eingriffs,
der akuten Erkrankung und dem Grad der Immobilisation.
Für die Erhebung dispositioneller Risikofaktoren ist eine ausführliche Anamnese (mit
Familienanamnese) erforderlich. Eine bereits stattgehabte VTE führt zu einer relativ
hohen Risikozunahme. Bei Thrombophilien kann es sich je nach zugrundeliegender Störung
um eine geringe bis hohe Risikozunahme handeln. Als Beispiel sei hier die heterozygote
versus die homozygote Faktor-V-Leiden-Mutation genannt [13]. Zu den erworbenen Risikofaktoren zählen Erkrankungen, die mit einer „akute Phase
Reaktion“ einhergehen (Sepsis, Herzinfakt), des Weiteren auch maligne Erkrankungen.
Weitere dispositionelle Risikofaktoren werden in [Tab. 1] aufgeführt. Der Einfluss einzelner oder mehrerer Risikofaktoren auf das Gesamtrisiko
für eine Thrombose oder Embolie kann jedoch laut der Leitlinie aktuell nicht eindeutig
anhand der Datenlage geklärt werden.
Tabelle 1
Dispositionelle Risikofaktoren (nach [11]).
Risikofaktor
|
Relative Bedeutung
|
|
Frühere VTE
|
hoch
|
|
Thrombophile Diathese
|
gering bis hoch
|
Artspezifisch z. B. Antiphosphorlipidsyndrom, Antithrombinmangel, APC-Resistenz, Protein
C/S-Mangel u. a.
|
VTE bei Verwandten 1. Grades
|
mittel
|
Kann ein Hinweis auf eine familiäre Thrombophilie sein
|
Maligne Erkrankung
|
mittel bis hoch
|
|
Chronische Herzinsuffizienz
|
mittel
|
|
Akute Infektion/entzündliche Erkrankung (mit Immobilisation)
|
mittel
|
|
Höheres Lebensalter (> 60 J.)
|
mittel
|
|
Übergewicht (BMI > 30 kg/m2)
|
mittel
|
|
Therapie mit oder Blockade von Sexualhormonen
|
gering bis hoch
|
Substanzspezifisch, z. B. bei Tumorbehandlung, Kontrazeption, postmenopausale Medikamente
|
Schwangerschaft und Postpartalperiode
|
gering
|
|
Nephrotisches Syndrom
|
gering
|
|
Stark ausgeprägte Varikosis
|
gering
|
|
Für das expositionelle Risiko sind in [Tab. 2] Beispiele für die Risikostratifizierung entsprechend der AWMF-Leitlinien abgebildet,
[Tab. 3] zeigt eine mögliche Adaptation für die Dermatologie. Es sei an dieser Stelle hervorgehoben,
dass bei Häufung geringer dispositioneller Risikofaktoren bei niedrigem oder mittlerem
expositionellem Risiko die Verschiebung in einen höheren Risikobereich erfolgt. Es
wird auf eine Risikoeinschätzung in Abhängigkeit von der Dauer der operativen Eingriffe
in Minuten verzichtet, da nach Meinung der Leitliniengruppe dies nicht eindeutig aus
der Studienlage ableitbar ist [11].
Tabelle 2
Risikokategorien und Beispiele für die Einteilung von Patienten (nach [11]).
|
Operative Eingriffe
|
Internistische Krankheitsbilder
|
Niedriges VTE-Risiko[1]
|
|
-
Infektion oder akut entzündliche Erkrankung ohne Bettlägerigkeit
-
Zentralvenöser Katheter, Portkatheter
|
Mittleres VTE-Risiko[1]
|
|
-
Akute Herzinsuffizienz (NYHA III/IV)
-
Akut dekompensierte COPD ohne Beatmung
-
Infektion mit Bettlägerigkeit
-
Stationär behandlungsbedürftige maligne Erkrankung
|
Hohes VTE-Risiko
|
-
Größere Eingriffe Bauch- und Beckenbereich
-
Polytrauma, schwere Verletzungen
-
Größere Eingriffe an der Wirbelsäule, Becken-, Hüft- oder Kniegelenk
|
-
Schlaganfall mit Beinparese
-
Sepsis
-
Intensivmedizinische Behandlung
-
Akut dekompensierte COPD ohne Beatmung
|
1 Patienten ohne bzw. mit geringem dispositionellen Risiko, sonst Einstufung in höhere
Risikokategorien
Tabelle 3
Risikokategorien mit Beispielen für die operative Dermatologie (nach [14]
[20]).
Risikokategorie
|
Größe des Eingriffs mit Beispielen
|
Niedriges Risiko (Ohne Risikofaktoren)
|
Kleinerer Eingriff
Biopsie an Haut und Schleimhaut, oberflächliche Gewebsabtragungen: Dermabarsio, Kürretage,
Dermabrush, einfache Exzisions- und Rekonstruktionstechniken: Lipomexstirpation, Dehnungsplastik,
einfache Hauttransplantationen und lokale/regionale Nahlappenplastiken ohne Immobilisation,
einfache Narbenkorrekturen, lokale Phlebektomie, isolierte Perforantesdissektionen,
einfache proktologische Eingriffe
Mittlere Eingriffe
Lokale/regionale Lappenplastik und Hauttransplantationen und Narbenkorrekturen in
Gelenknähe mit postoperativer Immobilisation, Sentinel-Lymphnodektomie, TLND axillär,
kleinere Varizenoperationen und Ulkustherapie, Liposuktion, Acne Inversa axillär
|
Mittleres Risiko
|
Mittlere Eingriffe mit dispositionellen Risikofaktoren
Große Eingriffe (ohne dispositionelle Risikofaktoren)
ausgedehnte Lappenplastik und Transplantate (> 10 cm), TLND inguinal, Krossektomie
und komplettes Varizenstripping, Dekubitusoperation, Ulkustherapie (Shaving, Deckung),
Abdominalplastik, Acne Inversa inguinal/gluteal
|
Hohes Risiko
|
Große Eingriffe mit dispositionellen Risikofaktoren
|
Das Gesamtrisiko ergibt sich aus der Einschätzung beider Risikoarten und der Patient
sollte in eine von drei Gruppen eingeteilt werden. Diese orientieren sich an der geschätzten
Häufigkeit für das Auftreten distaler, proximaler TVT und/oder tödlicher LE ohne Thromboseprophylaxe.
-
Niedriges Risiko: distale TVT 10 %, proximale TVT < 1 %, tödliche LE < 0,1 %
-
Mittleres Risiko: distale TVT 10 – 40 %, proximale TVT 1 – 10 %, tödliche LE 0,1 – 1 %
-
Hohes Risiko: distale TVT 40 – 80 %, proximale TVT 10 – 30 %, tödliche LE > 1 %
Die Art der VTE-Prophylaxe sollte in Abhängigkeit von dieser Einteilung in die entsprechende
Risikogruppe erfolgen [11].
Prinzipien der Thromboseprophylaxe
Prinzipien der Thromboseprophylaxe
Nach Klassifizierung des Patienten in eine der genannten Risikokategorien kann die
Indikation bezüglich der Thromboseprophylaxe gestellt werden.
Bei Patienten mit niedrigem VTE-Risiko sollten die Basismaßnamen zur Thromboseprophylaxe angewendet werden. Diese umfassen
Anleitung zu Eigenübungen, Bewegungsübungen, Frühmobilisation und ausreichende Hydrierung.
Bei Patienten mit mittlerem und hohem VTE-Risiko soll eine medikamentöse VTE-Prophylaxe durchgeführt werden, welche ebenfalls mit
Basismaßnahmen kombinierte werden sollte [11]. Zahlreiche Studien haben bereits gezeigt, dass die Gabe gerinnungshemmender Medikamente
das Risiko einer VTE um die Hälfte reduzieren kann [11]
[15].
Zusätzlich können bei allen Patienten physikalische Maßnahmen durchgeführt werden,
hierzu zählen medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS) und die intermittierende
pneumatische Kompression (IPK) [11].
Interventionen zur Thromboseprophylaxe
Interventionen zur Thromboseprophylaxe
Physikalische Maßnahmen
Im Gegensatz zur ersten Auflage der Leitlinien wird in der aktuellen Version der Stellenwert
der MTPS relativiert, diese werden in der Regel nicht mehr als Alleinmaßnahme zur
Thromboseprophylaxe empfohlen und auch für die Kombination mit medizinischer Thromboseprophylaxe
besteht lediglich eine Kann-Indikation [11]. Die kürzlich erschienene CLOT-1-Studie konnte keinen klaren Vorteil der Anwendung
von MTPS gegenüber deren Nicht-Anwendung zeigen [16]. Im Gegensatz dazu konnte die CLOT-3-Studie einen deutlichen Vorteil des Einsatzes
der IPK gegenüber des Nicht-Einsatzes zeigen [17]. Aufgrund weiterer Studienergebnisse, welche in eine ähnliche Richtung weisen, wird
in den neuen S3-Leitlinien der IPK ein neuer Stellenwert zugewiesen. Im Falle von
Kontraindikationen für eine medizinische Prophylaxe vor allem bei zu hohem Blutungsrisiko
ist die Frage nach einer physikalischen Thromboseprophylaxe individuell zu prüfen
[11].
Anders als die MTPS bei der Prophylaxe haben die medizinischen Kompressionsstrümpfe
in den S2-Leitlinien zur Therapie der TVT insbesondere zur Verhütung eines postthrombotischen
Syndroms einen klaren Stellenwert [7].
Medikamentöse Thromboseprophylaxe
Das Spektrum der zugelassenen Antikoagulanzien in der Thromboseprophylaxe bestimmter
Indikationen hat sich seit den letzten Leitlinien um die nicht-Vitamin K-abhängigen
oralen Antikoagulanzien (NOAK) erweitert. Sodass für den operativen Knie- und Hüftgelenksersatz
nun auch Dabigatan, Rivaroxaban und Apixaban zur Thromboseprophylaxe zur Verfügung
steht [11].
Im Allgemeinen kommen nach wie vor die niedermolekularen Heparine (NMH), unfraktioniertes
Heparin (UFH) und Fondaparinux zur medizinischen Thromboseprophylaxe zur Verwendung.
Die Auswahl des entsprechenden Wirkstoffs sollte das individuelle Blutungsrisiko,
die Nieren- und Leberfunktion sowie ein mögliches HIT II-Risiko berücksichtigen [11]. Eine Übersicht mehrerer Medikamente zur Thromboseprophylaxe mit Dosierungsvorschlägen
ist in [Tab. 4] dargestellt.
Tabelle 4
Zusammenfassung der verfügbaren Präparate zur medikamentösen Thromboseprophylaxe mit
Dosierungsempfehlungen und Anpassung bei Niereninsuffizienz (nach [7]
[20]).
Präparat
|
Dosierung Prophylaxe
|
Therapie
|
Niereninsuffizienz
|
Heparine
Unfraktioniertes Heparin (UFH)
Niedermolekulare Heparine (NMH)
|
5000 IE 2 – 3 × tgl. 7500 IE 2 × tgl.
3000 IE s. c. 1 × tgl. 5000 IE s. c. 1 × tgl. 2000/4000 IE s. c.1 × tgl.
2850 IE s. c. 1 × tgl.
0,25 ml (= 1432 IE) s. c. 1 × tgl. 3500 IE s. c. 1 × tgl.
|
5000 IE Bolus, dann aPTT gesteuert (1,5 bis 2 mal der Norm)
8000 IE s. c. 2 × tgl. 100 od. 200 IE s. c. 2 bzw. 1 × tgl. 1 mg pro kg KG s. c. 2 × tgl.
Gewichtsadaptiert
Gewichtsadaptiert 175 IE pro kg KG
|
Goldstandard
Akkumulationsgefahr Akkumulationsgefahr GFR < 30 ml/min, nur 3000 IE 1 × tgl., Anti-FXa-Monitoring GFR < 30 ml/min nur im Rahmen einer Dialyse anwenden, Anti-FXa-Monitoring GFR < 30 ml/min Anti-FXa-Monitoring ab GFR < 20 ml/min Akkumulationsgefahr
|
Faktor Xa-Inhibitor (Subcutan)
|
2,5 mg 1 × tgl.
|
7,5 mg 1 × tgl. (ziwschen 50 bis 100 KG)
|
Prophylaxe bei GFR 20 – 50 ml/min: 1,5 mg 1 × tgl., Therapie bei GFR < 30 KI
|
Orale Faktor Xa-Inhibitoren
-
Rivaroxaban (Xarelto®)
-
Arixtra (Eliquis®)
-
Edoxaban (Lixiana®)
|
Zur Prophylaxe nach Knie- und Hüftgelenksersatz: 10 mg 1 × tgl. Zur Prophylaxe nach Knie- und Hüftgelenksersatz: 2,5 mg 2 × tgl.
|
15 mg 2 × tgl. für die ersten 21 Tage, dann 20 mg 1 × tgl. 10 mg 2 × tgl. für die ersten 7 Tage, dann 5 mg 2 × tgl. NMH, UFH oder FDX mind. 5 Tage, dann 60 mg 1 × tgl.
|
Dosisanpassung ab GFR < 50 ml/min möglich, < 15 ml/min KI Mit Vorsicht anwenden ab GFR < 30 ml/min, < 15 ml/min KI
|
Direkte Thrombininhibitoren
|
Zur Prophylaxe nach Knie- und Hüftgelenksersatz: 110 mg 2 × tgl.
|
NMH, UFH oder FDX mind. 5 Tage, dann 150 mg 2 × tgl.
|
GFR < 30 ml/min KI
|
Cumarinderivate
|
INR 2 – 3 INR 2 – 2,5
|
INR 2 – 3 INR 2 – 3
|
relative KI relative KI
|
Die in der Tabelle aufgeführten Informationen entstammen den Fachinformationen der
jeweiligen Medikamente, wie sie vom Hersteller zur Verfügung gestellt werden und sind
ohne Gewähr.
Unfraktioniertes Heparin
Bei UFH handelt es sich um ein Gemisch aus Mukopolysacchariden, welches seine gerinnungshemmende
Wirkung vor allem durch die Potenzierung (ca. 1000-fach) der Antithrombinwirkung gegenüber
Faktor Xa und Thrombin entfaltet. Die mittlere Halbwertszeit beträgt ca. 2 h und es
wird unabhängig von Leber- und Nierenfunktion eliminiert [18]
[19]. Für die Verwendung zur Thromboseprophylaxe wird eine sogenannte „low-dose-heparin“-Gabe
von 2 – 3 × 5000 bzw 2 × 7500 IU täglich empfohlen. Hierunter ist ein Monitoring der
Gerinnungshemmung mittels aPTT möglich aber nicht erforderlich [11].
Niedermolekulare Heparine
NMHs werden durch verschiedene Fragmentierungsverfahren aus UFH gewonnen und stellen
eine heterogene Substanzklasse dar. Den NMHs werden gegenüber den UFHs einige Vorteile
zugeschrieben, dazu zählen z. B. die einmal tägliche Gabe, die bessere Bioverfügbarkeit
und ein geringeres Blutungsrisiko. Daher sollte den NMHs im Allgemeinen der Vorzug
gewährt werden [11]. Dennoch scheint die Inzidenz von VTEs unter beiden Substanzen gleich zu sein [18]. Es sind präparatespezifische Besonderheiten und Darreichungsformen der verschiedenen
NMHs zu beachten. Die mittlere Halbwertszeit beträgt in prophylaktischer Anwendung
ca. 4 – 6 Stunden. Ein Monitoring wird nicht empfohlen, ist aber mittels der Bestimmung
des Anti-Faktor Xa möglich und nur bei bestimmten Indikationen erforderlich [11]. Eine dieser Indikationen stellt eine stark eingeschränkte Nierenfunktion (GFR < 30 ml/min)
dar, hier ist das Monitoring und ggf. eine Dosisreduktion oder Applikation von UFH
zu erwägen [11]
[20].
Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II
Bei der Anwendung von Heparinen soll an das Risiko einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie
Typ II (HIT II) gedacht werden, insbesondere wenn Hinweise auf eine VTE unter Heparin
bestehen. Unter der Anwendung von NMH wird deutlich seltener eine HIT II beobachtet
als unter UFH (Differenz von ca. einer Zehnerpotenz), daher sollte unter UFH eine
regelmäßige Thrombozytenkontrolle erfolgen, welche nach den aktuellen Leitlinien unter
NMH in der Regel entfallen kann. Die Leitliniengruppe gibt zu bedenken, dass ein Thrombozytenabfall
in diesem Fall ein plötzliches Ereignis ist, welches sich nicht durch starre Zeitvorgaben
der Thrombozytenkontrolle erfassen lässt und dass das klinische Bild einer HIT II
auch ohne gravierenden Thrombozytenabfall auftreten kann [11].
Bei einer HIT II handelt es sich um eine immunologisch vermittelte Thrombozytopenie,
welche oft mit dem Auftreten von arteriellen und venösen Thrombosen einhergeht. Auch
Hautnekrosen und entzündliche Areale um die Einstichstelle können auftreten [21]. Bei Verdacht auf einer HIT II sollte das verwendete Heparin unmittelbar abgesetzt
werden und durch ein anderes nicht HIT II auslösendes Antikoagulanz (z. B. Danaparoid,
Agatroban) ersetzt werden [11].
Fondaparinux
Ist ein synthetisch hergestelltes Pentasaccharid, welches mit einer HWZ von 17 bis
21 h antithrombinvermittelt spezifisch Faktor Xa inhibiert. Zur primären Thromboseprophylaxe
besteht die Zulassung in einer Dosierung von einmal täglich 2,5 mg s. c., welche aufgrund
renaler Ausscheidung bei einer Kreatinin-Clearance im Bereich von 20 – 50 ml/min auf
1,5 reduziert werden sollte. Die Prophylaxe sollte frühestens 6 h postoperativ beginnen,
dann ist sowohl die Wirksamkeit als auch das Sicherheitsprofil vergleichbar mit dem
von Heparin. Aufgrund der Seltenheit einer HIT II kann auch bei Fondaparinux die Thrombozytenkontrolle
entfallen [11]
[22].
Dauer der VTE-Prophylaxe
Die vorherige Empfehlung zur Beginn und Dauer einer prophylaktischen Antikoagulation
wurde prinzipiell beibehalten. Die medikamentöse Thromboseprophylaxe sollte zeitnahe
zur Risikosituation begonnen werden. In Europa (im Gegensatz zu Nordamerika) ist die
präoperative (einmalige) Gabe von Heparin weit verbreitet. Jedoch gibt es keine zuverlässigen
Daten, die einen Vorteil gegenüber des postoperativen Beginns der Heparingabe belegen,
sodass insbesondere bei erhöhtem perioperativen Blutungsrisiko ein postoperativer
Beginn möglich ist. Fondaparinux, Danaparoid, Rivaroxaban, Dabigatran und Apixaban
werden grundsätzlich erst postoperativ verabreicht, wobei die medikamentenspezifischen
Dosierungen und Zeitintervalle zu beachten sind. Die Dauer einer medikamentösen Prophylaxe
soll sich anhand bestehender bzw. vorbestehender Risikofaktoren wie z. B. Immobilisation
orientieren und falls notwendig auch ambulant fortgeführt werden. Allgemein entspricht
die Dauer der medikamentösen Thromboseprophylaxe bei laparoskopischen und minimalchirurgischen
Eingriffen denen der entsprechenden offenen Verfahren. In den aktuellen Leitlinien
lassen sich für die großen Operationen der Allgemeinchirurgie, der orthopädischen
Chirurgie sowie für die Gynäko- und Urochirurgie präzise Zeitinterfalle finden. Bei
größeren Eingriffen im Bauch- und/oder Beckenbereich sollte immer für 7 Tage antikoaguliert
werden. Als einer der wenigen dermatochirugischen Eingriffe wird in den aktuellen
Leitlinien die Varizenchirurgie erwähnt, hierbei sind Basismaßnahmen und Kompression
des operierten Beins ausreichend, wenn keine weiteren Risikofaktoren vorliegen. Im
Falle von Immobilisation und/oder stationärer Aufnahme sollte auch in diesen Fällen
eine medikamentöse Thromboseprophylaxe erfolgen [11].
Thromboseprophylaxe bei Verbrennungen, Steve-Johnson-Syndrom und toxischer epidermaler
Nekrolyse
Thromboseprophylaxe bei Verbrennungen, Steve-Johnson-Syndrom und toxischer epidermaler
Nekrolyse
Die aktuellen Leitlinien empfehlen eine medikamentöse Thromboseprophylaxe, wenn es
durch das Ausmaß der Verbrennung zu einer Immobilisation kommt oder weitere Risikofaktoren
vorliegen. Der durch Verbrennungen bedingt prothrombotische Effekt wird durch Hypovolämie,
Verlust antikoagulatorischer Proteine und Komplementaktivierung verursacht und kann
zu schweren Mikrozirkulationsstörungen führen. Die Inzidenz für VTE bei schweren Verbrennungen
liegt zwischen 0,2 bis 6 %, das Risiko für eine LE bei 0,2 bis 1,2 % [11]
[23]
[24]. Es ist anzunehmen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Verbrennung und
dem Thromboserisiko besteht. Eine ähnliche Situation (Hypovolämie, Proteinverlust,
Komplementaktivierung) findet sich bei dem Steve-Johnson-Syndrom (SJS) und der toxischen
epidermalen Nekrolyse (TEN). Daher ist auch in diesen Fällen, vor allem bei entsprechenden
zusätzlichen Risikofaktoren eine medikamentöse Thromboseprophylaxe angebracht [20].
Thromboseprophylaxe bei internistischen Komorbiditäten
Thromboseprophylaxe bei internistischen Komorbiditäten
Die Datenlage bezüglich der Thromboseprophylaxe bei internistischen Patienten ist
deutlich schlechter als bei chirurgischen Patienten, dennoch findet man hierzu klare
Empfehlungen in den Leitlinien, die sich seit der letzten Auflage nicht geändert haben.
Bei stationären Patienten im Rahmen akuter internistischer Erkrankungen mit Bettlägerigkeit
soll eine medikamentöse Thrombosprophylaxe mit NMH (Hochrisikoprophylaxedosis) oder
Fondaparinux für 6 – 14 Tage oder für den Zeitraum des stationären Aufenthalts erfolgen.
Bei internistischen Patienten mit Bettlägerigkeit findet sich eine TVT-Rate von 11 – 15 %.
Zusätzliche Risikofaktoren sind Sepsis, Herzinsuffizienz (NYHA III oder IV) und exazerbierte
COPD [11]. Ähnliche Situationen können sich auch bei dermatologischen Krankheitsbildern wie
z. B. bullöses Pemphigoid, Dekubitus, Erysipel und Ulcera cruris finden [20].
Bei stationärer Behandlung im Rahmen maligner Erkrankungen (ohne Operation) soll eine
medikamentöse Thromboseprophylaxe mit NMH oder Fondaparinux für die Dauer des gesamten
Krankenhausaufenthaltes erfolgen. Hospitalisierte Tumorpatienten haben ein TVT-Risiko
von bis zu 20 % [25]
[26], wobei sich unterschiedliche Angaben in der Literatur finden lassen. Dennoch zählt
die VTE zu einer der häufigsten Todesursachen von Patienten mit malignen Erkrankungen.
Die Ursachen dafür finden sich u. a. in den prokoagulatorischen Veränderungen bei
malignen Erkrankungen (z. B. paraneoplastisches Syndrom) sowie in der Behandlung (z. B.
Chemotherapie, Katheter). Das Ausmaß der Risikoerhöhung ist zudem abhängig von der
Tumorart, der Tumorausdehnung und dem Therapiestadium [11].
Fazit
Die VTE als ernstzunehmende Komplikation ist aufgrund des demografischen Wandels sowie
der zunehmenden operativen Möglichkeiten auch für die dermatologische Praxis von Bedeutung.
Die aktuellen S3-Leilinien geben allgemeine Empfehlungen zur Thromboseprophylaxe für
die Gebiete der operativen und nicht-operativen Medizin basierend auf dem patientenindividuellen
dispositionellen und expositionellen Risiko. Generell werden Basismaßnahmen und ab
einem mittleren Risiko eine medikamentöse Thromboseprophylaxe empfohlen. Eine generelle
Empfehlung für Thromboseprophylaxestrümpfe gibt es nicht mehr.