Aktuelle Dermatologie 2017; 43(01/02): 17-20
DOI: 10.1055/s-0042-123809
State of the Art
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Allergologie[*]

T. Zuberbier
,
T. Dörr
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Torsten Zuberbier
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Charitéplatz 1
10117 Berlin

Publication History

Publication Date:
14 February 2017 (online)

 

Die Zahl der von Allergien Betroffenen nimmt europaweit weiterhin so stark zu, dass das Europäische Parlament 2015 eine Interessengemeinschaft für Allergie und Asthma gegründet hat. Denn während rund 100 Millionen Europäer unter allergischer Rhinitis leiden, haben geschätzte 45 % von diesen niemals eine Allergiediagnose und entsprechende Behandlung erhalten [1]. Der Anstieg der Pollenallergien liegt vor allem an den veränderten Klima- und Umweltbedingungen. Doch neben der klassischen Pollenallergie spielen auch Allergene in Nahrungsmitteln, Arzneimitteln, Metallen und anderen Materialien eine bedeutsame Rolle. Entsprechend der breiten Varianz der Allergene ist auch deren Bedeutung für den einzelnen Patienten sehr unterschiedlich: Während beispielsweise Pollenallergiker die Zeit der allergenen Belastung einschätzen können, leben viele Menschen mit Nahrungsmittelallergien in Unsicherheit vor möglichen verdeckten Allergenquellen.


#

Neues aus der Grundlagenforschung

Aufgrund der steigenden Prävalenz ist es erfreulich, dass es in der Grundlagenforschung eine ganze Reihe von neuen Ansätzen gibt. Ein hochaktueller Aspekt sind die Zusammenhänge der enteralen Mikrobiota mit der Sensibilisierung und Ausprägung von Allergien.

Eine im März durch die Europäische Stiftung für Allergieforschung (ECARF) ausgezeichnete Forschungsarbeit konnte zeigen, dass die Interaktion des bakteriellen Peptidoglykan (PGN) mit dem Pattern-Recognition-Receptor NOD2 eine wichtige Rolle in der Immunantwort spielt. Ein Fehlen einer der beiden Komponenten führt im lymphatischen Gewebe des Darms zu einer vermehrten Aktivierung von Th2-Zellen, deren Zytokinmuster durch IL-4, IL-5 und IL-13 geprägt ist. Diese induzieren in B-Zellen den Immunoglobulin-Switch zu IgE. Entsprechend erhöht sich die IgE-Konzentration und damit das Ausmaß von Sensibilisierung und allergischen Reaktionen [2]. Diese Erkenntnisse könnten die inter- aber auch intraindividuelle Variabilität des Schweregrades von Nahrungsmittelallergien bei gleichem Sensibilisierungsgrad erklären und ergänzen ältere Erkenntnisse, dass Antazida-Therapien ebenfalls Nahrungsmittelallergien verstärken [3].


#

Neues aus der klinischen Forschung

Die Entwicklung von Biologika, monoklonalen Antikörpern gegen verschiedene Liganden und ihre Rezeptoren, hat in den letzten Jahren in vielen medizinischen Indikationen die Behandlung revolutioniert. An der Allergologie schien diese Entwicklung jedoch vorbeizugehen. Dies hat sich nun geändert.

Mit der Erkenntnis, dass in unterschiedlichen allergischen Erkrankungen oft spezifische Patienten-Subpopulationen bestehen und die Signalstoffe unterschiedlich bedeutsam sind, kann eine Biologika-Therapie sehr spezifisch und individualisiert angewendet werden.

Aktuell befinden sich viele Biologika für die Anwendung bei allergischen Erkrankungen in der Prüfung und hierzu werden in den nächsten Monaten interessante Forschungsergebnisse erwartet ([Tab. 1]).

Tab. 1

Überblick über Biologika und deren Entwicklungsstand [4].

Target

pathophysiologische Bedeutung

Biologika

Studienprogramm

IgE

IgE kann mit Fc-Teil an Mastzellen binden; bei Antigenbindung kommt es zur Quervernetzung der IgE-Moleküle mit Aktivierung und Degranulation der Mastzelle

Omalizumab (freies und membrangebundenes IgE)

zugelassen für Asthma (2003) und Urtikaria (2014)

QGE031/Ligelizumab (freies und membrangebundenes IgE; höhere Affinität als Omalizumab)

Chronisch spontane Urtikaria und Asthma

Quilizumab (nur membrangebundenes IgE)

Chronisch spontane Urtikaria

CD20

Oberflächenprotein von B-Lymphozyten in Reifung

Rituximab (Anti-CD20-mAb)

Urtikaria und Fallberichte für die atopische Dermatitis

CD25

Oberflächenprotein-aktivierte T-Lymphozyten; kostimulatorisches Signal für IL-2-Rezeptor

Daclizumab (Anti-CD25-mAb)

Asthma

IL-1β

proinflammatorisches Zytokin, das in vielen autoinflammatorischen Erkrankungen eine Rolle spielt

Canakinumab (anti-IL-1β-Antikörper)

Urtikaria

Rilonacept (IL1-Rezeptordomänen, das IL-1β abfängt)

Urtikaria

Anakinra (rekombinanter IL-1-Rezeptorantagonist)

Atopische Dermatitis

IL-4

wird von Th2-Zellen produziert und hält sie über autokrinen Loop am Leben; Induktion des IgE-Switch in B-Zellen; Stimulation von Mukusproduktion in Becherzellen (z. B. Epithel des Respirationstrakts)

Altrakincept

Asthma

VAK694

Asthma und für Allergische Rhinitis

AMG-317

Asthma

Dupilumab

Asthma und atopische Dermatitis

Pitrakinra

Asthma

QBX258

Asthma

IL-5

Induktion der Reifung eosinophiler Granulozyten

Mepolizumab (anti-IL-5-mAb)

zugelassen für rezidivierendes eosinophiles Asthma seit 12/2015

Reslizumab (anti-IL-5-mAb)

Asthma

IL-9

wird von Th2-Zellen produziert und aktiviert diese im autokrinen Loop; induziert die Reifung und Anlockung von Mastzellen

Enokizumab

Asthma

IL-13

wird von Th2-Zellen produziert; Induktion des IgE-Switch in B-Zellen; Stimulation von Mukus-Produktion in Becherzellen; Myofibroblastendifferenzierung; Kontraktilität glatter Muskelzellen

Anrukinzumab




Asthma

GSK679586

Lebrikizumab

Tralokinumab

QAX576

Asthma und allergische Rhinitis

IL-17

wird von T-Zellen und NK-Zellen produziert; induziert die Produktion proinflammatorischer Zytokine wie IL-1β, IL-6, IL-8 und TNFα

Secukinumab (Anti-IL-17-mAb)

Asthma

Brodalumab (Anti-IL-17R-mAb)

TNF

proinflammatorisches Zytokin

Golimumab

Asthma

Infliximab

Asthma, Urtikaria (Fallberichte) und atopische Dermatitis (Fallberichte)

Etarnercept

Asthma, Urtikaria (Fallberichte) und atopische Dermatitis (Fallberichte)


#

Neues aus den Leitlinien

Neben verschiedenen internationalen Positionspapieren und Leitlinien sind im deutschsprachigen Raum die Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien [5] sowie die Leitlinie für Neurodermitis [6] überarbeitet worden.

Nahrungsmittelallergien

In der Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien wird in klar strukturierten Algorithmen die Vorgehensweise bei Nahrungsmittelallergien und den Differentialdiagnosen dargestellt. Hierbei wird den neuen Erkenntnissen zu möglichen Augmentationsfaktoren und dem Wissen über verspätete IgE-vermittelte Reaktionen Rechnung getragen. Das diagnostische Vorgehen ([Abb. 1]) zeigt die Komplexität, die neben einer sorgfältigen Anamnese in der Diagnostik eine Auswahl von Hauttests oder In-vitro-Diagnostik erfordert. In der Hauttestung können grundsätzliche Reaktionen auf native Allergene mit hoher Sensitivität erkannt werden. Eine neue Domäne der In-vitro-Diagnostik ist das Erkennen von allergenen Profilen im Rahmen der molekularen Allergiediagnostik. Bedeutsam ist diese vor allem in der Einschätzung der zugrunde liegenden Sensibilisierung und des möglichen Schweregrades neuer Reaktionen. Ebenso bedeutsam ist die nochmals unterstrichene Empfehlung, die noch immer weit verbreiteten IgG-Untersuchungen nicht durchzuführen. Wörtlich heißt es in der Leitlinie: „Bestimmungen von Immunglobulin G(IgG)- oder IgG4-Antikörpern bzw. Lymphozytentransformationstests mit Nahrungsmitteln erlauben keine Unterscheidung von Gesunden und Erkrankten […] [7], weder bei Nahrungsmittelallergie noch bei Nahrungsmittelunverträglichkeit. Die mangelnde diagnostische Spezifität bedingt viele positive Befunde bei Gesunden“ [5].

Zoom Image
Abb. 1 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie (modifiziert nach [5].

Goldstandard bleibt letztendlich die kontrollierte orale, möglichst doppel-blinde Provokationstestung zur Überprüfung der klinischen Relevanz bei nicht eindeutiger Anamnese, welche stationär durchgeführt werden sollte.


#

Neurodermitis

Die deutschsprachige Leitlinie zur Neurodermitis trägt ebenfalls zu einer klareren therapeutischen Empfehlung bei. Bislang stehen noch keine Präparate für die systemische Therapie aus der Gruppe der Biologika für die atopische Dermatitis zur Verfügung. Hier sind die positiven Erwartungen für die Zukunft berechtigt (siehe oben).

In der therapierefraktären schweren Neurodermitis haben daher das zugelassene Präparat Ciclosporin und bei dessen Versagen der Off-label-Use von Azathioprin weiterhin ihren Stellenwert.

Zur Bedeutung der Immuntherapie bei Neurodermitis wird die spezifische Immuntherapie eindeutig empfohlen, wenn es um Inhalationsallergene und primär begleitende Inhalationsallergien, Rhinitis und Asthma geht. Anerkannt wird außerdem, dass in einzelnen Fällen mit schwerer Neurodermitis eine spezifische Immuntherapie den Hautzustand verbessern kann. Des Weiteren setzt sich die Leitlinie mit den neuesten Ergebnissen über alternative Herangehensweisen wie diätetischen Supplementen und alternativmedizinischen Therapien auseinander. So konnte beispielsweise Bioresonanztherapie in Studien keinen Einfluss auf die Neurodermitis zeigen.

Auch im haftungsrechtlichen Sinne haben diese Aussagen zu den empfohlenen aber insbesondere auch den nicht empfohlenen Tests und Therapien wie IgG-Bestimmungen oder Bioresonanz der Leitlinien eine hohe Relevanz für die klinische Tätigkeit der Ärzte, insbesondere auch im Rahmen ihrer neu definierten umfassenden Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten.


#
#

Neue Angebote für Patienten

Die Bedeutung von Allergien wird inzwischen auch in vielen Bereichen der Gesellschaft gesehen. Auch wenn in Deutschland leider für Allergien noch immer nicht die gesamtgesellschaftliche Relevanz angemessen berücksichtigt wird, so wäre ein Vorhalten eines Adrenalin-Pens in Schulen ebenso wünschenswert wie das zu lobende Vorhandensein eines Defibrillators an öffentlichen Orten. Hierzu gibt es gute private Initiativen. Eine ist die „Allergikerfreundliche Kommune“ der Stiftung ECARF in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Heilbäderverband. Unter dem Motto „Lebensqualität trotz Allergie“ stehen deutschlandweit bereits mehrere Feriendestinationen zur Verfügung. Weitere werden folgen ([Abb. 2])

Zoom Image
Abb. 2 Zertifizierte allergikerfreundliche Kommunen (modifiziert auf der Basis von Google Maps).
Zusammenfassung

Lange Zeit waren Allergien trotz ihrer Häufigkeit in der Bevölkerung sehr gering in der pharmakologischen Forschung abgebildet. Jetzt scheint ein neues Zeitalter anzubrechen. Die Vielzahl der in der Prüfung befindlichen Biologika zeigt, dass inzwischen den Patienten, die an therapierefraktären schweren allergischen Erkrankungen leiden, berechtigterweise Hoffnung gemacht werden kann. Mit Omalizumab und Mepiluzumab sind bereits 2 Präparate zugelassen.

Ebenso wichtig wie die Erforschung der neuen Wirkstoffe sind jedoch Leitlinien und Metaanalysen, die klare Handlungshinweise für den niedergelassenen Arzt geben, welche in der Vergangenheit verwendeten Therapien sich in klinischen Studien nach der Zulassung als nicht wirksam erweisen. Nicht zuletzt muss den Betroffenen jedoch aktiv geholfen werden. Erschreckend ist hierbei die unverändert hohe Rate an nicht korrekt behandelten Patienten. Neue Therapien nutzen nur, wenn sie angewandt werden. Der Arzt ist hier auch als Berater gefragt.


#
#

Interessenkonflikt

Prof. Zuberbier hat Forschungsstipendien und Honorare erhalten von ALK, Almirall, Abbvie, Astellas, Bayer Health Care, Bencard, Berlin Chemie, FAES, HAL, Henkel, Kryolan, Leti, Meda, Menarini, Merck, MSD, Novartis, Pharmasquire, Quintiles, Serono, Stallergenes, Takeda, Teva, UCB. Er ist Mitglied im Komitee der WHO-Initiative “Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma”, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), Stiftungsvorsitzender des European Centre for Allergy Research Foundation (ECARF), Generalsekretär des Global Allergy and Asthma European Network (GA2LEN) sowie Mitglied des Committee on Allergy Diagnosis and Molecular Allergology der World Allergy Organistion. Frau Dörr gibt an, das kein Interessenkonflikt besteht.

* Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Kompendium Dermatologie 2016; 12: 8 – 10.



Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Torsten Zuberbier
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Charitéplatz 1
10117 Berlin


Zoom Image
Abb. 1 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie (modifiziert nach [5].
Zoom Image
Abb. 2 Zertifizierte allergikerfreundliche Kommunen (modifiziert auf der Basis von Google Maps).