Geburtshilfe Frauenheilkd 2022; 82(06): 640-642
DOI: 10.1055/s-0042-1749049
Abstracts | BGGF
Geburtshilfe

Klinisches Management der Plazenta percreta – ein Fallbericht

Authors

  • V Neuwald

  • M Rauh

  • M Vural

  • A Hefter

  • A Köninger

 
 

Einleitung Das Risiko für Plazentationsstörungen ist in den vergangenen Jahren auch durch die zunehmende Anzahl an Sectiones angestiegen [1]. In den Vereinigten Staaten von Amerika betrug die Inzidenz 2016 bereits 1/272 Geburten [2]. Die Plazenta percreta als Extremform ist oft verbunden mit lebensbedrohlichem maternalem Blutverlust [3]. Weltweit werden unterschiedliche Therapieansätze verfolgt: Das Belassen der Plazenta in situ, die lokale Resektion oder die Hysterektomie [3] [4].

Fallbericht – Klinischer Verlauf Eine 36-jährige IV-Gravida/II-Para stellte sich in unserem Perinatalzentrum Level I mit 15+6 Schwangerschaftswochen (SSW) aufgrund einer starken vaginalen Blutung bei bekannter Plazenta praevia totalis vor. Die Patientin befand sich im Z.n. sekundärer Sectio caesarea bei Präeklampsie, primärer Sectio caesarea 3 Jahre danach bei HELLP-Syndrom und wiederum 2 Jahre später im Z.n. einer Abortcürettage in der 11. SSW.

Es zeigte sich sonographisch der hochgradige V.a. Plazenta praevia et percreta. Alle sonographischen Diagnosekriterien diesbezüglich waren erfüllt: Bridging vessels, ausgedehnte Hypervaskularisation, Lakunen und Auswölbung der Plazenta im Sectionarbenbereich (Bulging) ([Abb. 1]). Zusätzlich bestanden ein Anhydramnion bei frühem vorzeitigem Blasensprung, ein ausgedehntes retroamniales Hämatom, sowie eine Amnionseparation.

Zoom
Abb. 1  Transabdominale Darstellung des unteren Uterinsegments mit 17+2 SSW; Zeichen einer Plazenta percreta mit ausgedehnter Hypervaskularisation, Bridging vessels, Lakunen und Auswölbung der Plazenta im Sectionarbenbereich (Bulging). (Quelle: AK)

Trotz schlechter fetaler Prognose entschied sich die Patientin für ein abwartendes Procedere. Während des stationären Aufenthaltes wurden regelmäßig vaginale Abstriche entnommen und antibiogrammgerechte Therapien durchgeführt – zuletzt mit Meropenem. Bei anämisierenden Blutungen wurde mit 17+2 SSW ein Erythrozytenkonzentrat (EK) transfundiert. Mit 19+1 SSW erging die Indikation zur radiologischen Embolisation der distalen Äste der Aa. uterinae [5]. Dies konnte nach Aufklärung über eine mögliche Minderperfusion des Fötus unter maximaler Strahlenreduktion in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Nach dem Eingriff war die vaginale Blutung deutlich reduziert ([Abb. 2]). In der Folge entwickelte sich ein pseudoseptisches Bild am ehesten infolge einer partiellen plazentaren Nekrose mit Verbrauchskoagulopathie. Das Bild remittierte jedoch rasch.

Zoom
Abb. 2  Transvaginale Darstellung der Bridging vessels vor a und nach b Embolisation selektiver Uterinaäste. (Quelle: AK)

Wegen erneuter starker Blutung wurde mit 24+6 SSW die RDS-Prophylaxe durchgeführt und mit 25+3 SSW ein EK transfundiert (Hb 8,4g/dl). Drei Tage später zeigte sich in der transrektalen sonographischen Untersuchung nur noch eine fragliche Placenta praevia totalis bei weiterhin massiver perkreter Plazentation im ehemaligen Sectionarbenbereich. Es bestand weiterhin ein Anhydramnion, sowie ein gutes fetales Dopplerprofil bei SGA (small for gestational age)-Fet (SG 478g, < 3. Perzentile [Perz.]).

Mit 26+1 SSW kam es bei Wehentätigkeit zu einer kreislaufrelevanten Blutung, sowie einem Nabelschnurvorfall, sodass die eilige Sectio caesarea indiziert wurde. Diese wurde per Längslaparotomie mit Kindsentwicklung über den Fundus uteri durchgeführt (Kindsdaten: Junge, 490g [2.Perz.], Körperlänge 28cm [2.Perz.], Kopfumfang 20cm [<1.Perz.], art. BGA pH 7,29, BE -2,3 mmol/l). Anschließend erfolgte die systematische Blasendissektion und anschließend fokale Resektion der Plazenta percreta mit umschriebener iatrogener Blasenverletzung. Die Rekonstruktion von Uterus und Blase wurde mit Einzelknopfnähten durchgeführt. Es wurden insgesamt 9 Erythrozytenkonzentrate, 6 Gefrierplasmen, 2 Thrombozytenkonzentraten, 8g Fibrinogen und 2g Tranexamsäure transfundiert. Die Patientin war stets kreislaufstabil. Nach einer zweitägigen Überwachung auf Intensivstation wurde die Patientin wieder auf Normalstation übernommen. Die Antibiose mit Metronidazol und Cefuroxim wurde für sieben Tage weitergeführt. Der Blasendauerkatheter konnte nach unauffälligem Zystogramm neun Tage postoperativ entfernt werden. Anschließend erfolgte die Entlassung in gutem Allgemeinzustand.

Fallbericht – Postoperativer Verlauf In einer ambulanten Vorstellung 4 Wochen postoperativ zeigte sich der Uterus sonographisch gut rekonstruiert ([Abb. 3]) bei unauffälligen Lochien.

Zoom
Abb. 3  Transvaginale Sonographie 4 Wochen nach Sectio cesarea mit Kindsentwicklung über den Fundus, Blasendissektion und fokaler Resektion der Plazenta. (Quelle: AK)

Das Neugeborene wurde 184 Tage stationär betreut. Im Verlauf wurden u.a. eine schwere bronchopulmonale Dysplasie, eine Lungenhypoplasie, ein schweres Atemnotsyndrom, eine Neugeboreneninfektion sowie eine transfusionspflichtige Anämie und eine Thrombozytopenie behandelt. Erfreulicherweise konnte der Junge mit einem korrigierten Lebensalter von 8 Wochen und 1 Tag bei perzentilengerechter Entwicklung, gutem Trinkverhalten und einer High-Flow-Atemunterstützung nach Bedarf nach Hause entlassen werden.

Zusammenfassung Derzeit gibt es keinen Standard bei der Versorgung von Patientinnen mit Plazentationsstörungen. Im Vordergrund steht die präpartale, sonographische Diagnose, um rechtzeitig zusammen mit der Patientin eine für sie und das Kind bestmögliche Behandlung festlegen zu können. Der experimentelle Einsatz einer partiellen Uterina-Äste-Koagulation bei vitalem Kind ermöglichte über mehrere Wochen eine fast komplette Blutungsfreiheit. Im vorliegenden Fall gelang es, organerhaltend zu operieren und die percrete Plazenta durch fokale Resektion zu entfernen. Der Fall illustriert zudem, dass ein extrem früher Blasensprung mit Anhydramnion nicht zwangsläufig zum Exitus letalis führen muss.


  • Literatur

  • 1 Wu S, Kocherginsky M, Hibbard JU. Abnormal placentation: twenty-year analysis. Am J Obstet Gynecol 2005; 192: 1458-1461
  • 2 Hecht JL, Baergen R, Ernst LM. et al. Classification and reporting guidelines for the pathology diagnosis of placenta accreta spectrum (PAS) disorders: recommendations from an expert panel. Mod Pathol 2020; 33: 2382-2396
  • 3 Van Beekhuizen HJ, Stefanovic V, Schwickert A. et al. International Society of Placenta Accreta Spectrum (IS-PAS) group. A multicenter observational survey of management strategies in 442 pregnancies with suspected placenta accreta spectrum. Acta Obstet Gynecol Scand 2021; 100: 12-20
  • 4 Palacios-Jaraquemada JM, Basanta N, Labrousse C, Martínez M. Pregnancy outcome in women with prior placenta accreta spectrum disorders treated with conservative-reconstructive surgery: analysis of 202 cases. J Matern Fetal Neonatal Med 2021; 11: 1-5
  • 5 Köninger A, Schwenk U, Iannaccone A. et al. Uterine Artery Embolization in the Twentieth Week of Pregnancy in Abnormally Invasive Placenta with Live Birth. J Vasc Interv Radiol 2021; 32: 339-342

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
19. Mai 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Wu S, Kocherginsky M, Hibbard JU. Abnormal placentation: twenty-year analysis. Am J Obstet Gynecol 2005; 192: 1458-1461
  • 2 Hecht JL, Baergen R, Ernst LM. et al. Classification and reporting guidelines for the pathology diagnosis of placenta accreta spectrum (PAS) disorders: recommendations from an expert panel. Mod Pathol 2020; 33: 2382-2396
  • 3 Van Beekhuizen HJ, Stefanovic V, Schwickert A. et al. International Society of Placenta Accreta Spectrum (IS-PAS) group. A multicenter observational survey of management strategies in 442 pregnancies with suspected placenta accreta spectrum. Acta Obstet Gynecol Scand 2021; 100: 12-20
  • 4 Palacios-Jaraquemada JM, Basanta N, Labrousse C, Martínez M. Pregnancy outcome in women with prior placenta accreta spectrum disorders treated with conservative-reconstructive surgery: analysis of 202 cases. J Matern Fetal Neonatal Med 2021; 11: 1-5
  • 5 Köninger A, Schwenk U, Iannaccone A. et al. Uterine Artery Embolization in the Twentieth Week of Pregnancy in Abnormally Invasive Placenta with Live Birth. J Vasc Interv Radiol 2021; 32: 339-342

 
Zoom
Abb. 1  Transabdominale Darstellung des unteren Uterinsegments mit 17+2 SSW; Zeichen einer Plazenta percreta mit ausgedehnter Hypervaskularisation, Bridging vessels, Lakunen und Auswölbung der Plazenta im Sectionarbenbereich (Bulging). (Quelle: AK)
Zoom
Abb. 2  Transvaginale Darstellung der Bridging vessels vor a und nach b Embolisation selektiver Uterinaäste. (Quelle: AK)
Zoom
Abb. 3  Transvaginale Sonographie 4 Wochen nach Sectio cesarea mit Kindsentwicklung über den Fundus, Blasendissektion und fokaler Resektion der Plazenta. (Quelle: AK)