Einleitung Sozialer und pathologischer Alkoholkonsum, assoziierte
psychische Erkrankungen und die daraus resultierenden biopsychosozialen
Folgeprobleme zeigen deutliche Geschlechterunterschiede. Die Entwicklung
geschlechtssensitiver Ansätze könnte daher die Prävention
und Behandlung von alkoholbezogenen Störungen effektiv voranbringen.
Material und Methodik In der vorliegenden Studie (Müller et
al. 2021; doi: 10.1111/acer.14550) wurden mittels Fragebögen die
Motive für Alkoholkonsum bei 181 alkoholabhängigen
stationären Patient*innen (43% Frauen) und bei 220 nicht
süchtigen Proband*innen aus der Allgemeinbevölkerung
(44% Frauen) erhoben und ausgewertet. In beiden Gruppen wurden die
gegenwärtigen Trinkmotive erhoben, in der Gruppe der Patient*innen
zusätzlich retrospektiv die Trinkmotive vor Beginn der
Abhängigkeit.
Ergebnisse Als häufigste gegenwärtige Trinkmotive
berichteten die alkoholabhängigen Patient*innen die
Bewältigung von Stress (♀ 62%, ♂ 50%), das
Verlangen nach Alkohol (♀ 55%, ♂ 60%) und die
Reduktion von depressiver Stimmung (♀ 45%, ♂ 43%)
und Angst (♀ 45%, ♂ 29%). Die nicht
süchtigen Proband*innen gaben an, Alkohol vor allem zur
Erleichterung sozialer Kontakte zu trinken (♀ 54%, ♂
64%). Wir fanden signifikante Geschlechterunterschiede in der Gruppe von
alkoholabhängigen Patient*innen und hier vor allem bei den
retrospektiv angegebenen Konsummotiven vor Beginn der Alkoholabhängigkeit.
Im Geschlechtervergleich berichteten Frauen häufiger Alkoholkonsum zur
Bewältigung von Stress (Odds Ratio [OR] 2,82), depressiver Stimmung (OR
2,29) und Angst (OR 2,23), Männer hingegen zur Partner*innensuche
(OR 3,81) und zur Erleichterung sozialer Kontakte (OR 3,79).
Zusammenfassung Diese Studienergebnisse bilden die Grundlage zur
Entwicklung geschlechtssensitiver Ansätze in frühen Stadien
alkoholbezogener Erkrankungen.