Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2017; 24(01): 10-13
DOI: 10.1055/s-0043-100660
Journal-Club
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wichtige raumfahrtmedizinische Publikationen 2016

Praxisrelevante Themen in der Raumfahrtforschung
Jochen Hinkelbein
1   Köln
,
Christopher Neuhaus
2   Heidelberg
,
Matthieu Komorowski
3   London, Großbritannien
,
Douglas D Boyd
4   Houston, USA
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenz

Prof. Dr. med. Jochen Hinkelbein
Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinikum Köln (AöR)
Kerpener Str. 62
50937 Köln

Publication History

Publication Date:
15 February 2017 (online)

 

Pro Jahr werden sehr viele luft- und raumfahrtmedizinische Publikationen veröffentlicht, sodass es schwerfällt den Überblick zu behalten. Die vorliegende Arbeit beschreibt und bewertet wichtige Publikationen des Jahres 2016 aus dem Bereich Raumfahrtmedizin. Dieser Beitrag setzt die Vorstellung wichtiger luftfahrtmedizinischer Publikationen 2016 in Ausgabe 6/16 fort und erhebt nicht den Anspruch, alle wichtigen Studien aus diesem Bereich zu präsentieren. Vielmehr stellen die Autoren einige wenige ausgewählte Publikationen mit praktischer Relevanz dar und beleuchten diese kritisch.


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Neues Trainingskonzept für ESA-Astronauten

Petersen N, Jaekel P, Rosenberger A et al. Exercise in space: the European Space Agency approach to in-flight exercise countermeasures for long-duration missions on ISS. Extrem Physiol Med 2016; 5: 9

Der mittel- und langfristige Aufenthalt in Schwerelosigkeit verursacht einen zunehmenden Knochen- und Muskelabbau, der durch ein abnehmendes Körpergewicht, reduzierte Muskelkraft und eine geringere Knochenmasse gekennzeichnet ist.

Die Autoren beschreiben in ihrem Beitrag, welches Konzept die European Space Agency (ESA) verfolgt, um bei Astronauten auf der Internationalen Raumstation (ISS) und bei Langzeitmissionen (LDMs) einem Abbau mit sogenannten „countermeasures“ entgegenzuwirken. ESA-Astronauten führen dazu ein tägliches Trainingsprogramm auf der ISS durch.

Von den ESA-Astronauten wird seit dem Jahr 2009 das „advanced resistive exercise device“ (ARED) genutzt, mit dem zunehmend mehr Aktivitäten während des Raumflugs durchgeführt werden (33 vs. 46 %) während Laufbandaktivitäten (42 vs. 33 %) und Fahrradergometrie (26 vs. 20 %) deutlich abgenommen haben. Alle 8 ESA-Astronauten konnten für LDMs mit dem ARED und Laufband ihre Aktivität erhöhen, während die Verwendung des Ergometers gleich blieb.

Kommentar

Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die Arbeitsleistung während des Fluges zugenommen hat und eigentlich zu einem vermehrten Muskel- und Knochenschwund hätte führen müssen. Durch das entsprechende Trainingskonzept waren allerdings keine Effekte nachweisbar, trotz vermehrter Arbeitsleistung.


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Ungelöste Fragen zur künstlichen Schwerkraft

Clément GR, Charles JB, Paloski WH. Revisiting the needs for artificial gravity during deep space missions. REACH – Reviews in Human Space Exploration 2016; http://dx.doi.org/10.1016/j.reach.2016.01.001

Es gibt auch Forschungsansätze, um künstliche Schwerkraft zu generieren, damit negative Folgen verminderter Schwerkraft möglichst vermindert oder verhindert werden. Neben den medizinischen Problemen durch eine nicht vorhandene oder künstlich erzeugte Schwerkraft, sind insbesondere auch technische Konzepte eine Herausforderung.

Die Autoren stellen in ihrer Übersichtsarbeit ungelöste Fragen zur künstlichen Schwerkraft vor und versuchen, diese zu beantworten. Sie zeigen Wege auf, wie in Raumschiffen künstlich Schwerkraft erzeugt werden kann und welche ungelösten Probleme es hierbei gibt.

Spätestens mit der Außerbetriebnahme der ISS in etwa 10 Jahren werden neue, innovative Konzepte für Raumschiffe benötigt. Für Raumschiffe, die ins weite Weltall auf Langzeitmissionen fliegen, ist künstliche Schwerkraft essenziell. Diese wird üblicherweise durch eine Rotation generiert, sodass Raumschiffe aber stabil und schwer wären. Neben der Rotation des ganzen Raumschiffs entlang einer Achse gibt es Überlegungen, lediglich bestimmte Kompartimente, zum Beispiel für die Crew, rotieren zu lassen.

Kommentar

Bisher gibt es einige wenige Konzepte zur Erzeugung künstlicher Schwerkraft im Weltall. Diesen liegen vielfältige Konzepte zugrunde, die aber allesamt noch nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht sind und auch weiterer Entwicklung bedürfen. Zukünftig sollten hier weitere und intensive Forschungsbemühungen realisiert werden.


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Erfassung kognitiver Leistungen von Astronauten

Basner M, Savitt A, Moore TM et al. Development and Validation of the Cognition Test Battery for Spaceflight. Aerosp Med Hum Perform 2015; 86: 942–952

Kognitive Leistungen während des Aufenthalts im Weltraum sind von größter Bedeutung, um einen Erfolg der Mission zu erreichen. Insbesondere physiologische und psychologische Stressoren sind von großer Bedeutung.

Die Autoren haben eine kognitive Testbatterie entwickelt, die viele Bereiche der Kognition erfasst und spezifisch für Astronauten entwickelt wurde. Der Test (cognition) deckt eine Vielzahl kognitiver Fähigkeiten ab und wurde speziell für die hohen Anforderungen der Raumfahrt konzipiert.

Anhand von 10 unterschiedlichen neuropsychologischen Testverfahren werden unter anderem die Bereiche der Emotionsverarbeitung, räumlichen Desorientierung und Entscheidungsfindung überprüft. Die angesprochenen Hirnregionen konnten hierbei jeweils durch funktionelles Neuroimaging (fMRI) visualisiert werden.

Kommentar

Durch die Entwicklung einer speziellen Testbatterie können missionskritische Aspekte bemannter Raumflüge objektiviert werden, die bisher nur subjektiven Einschätzungen der betroffenen Besatzungen unterlagen.

Durch eine standardisierte Erfassung kognitiver Leistungen wird auch der Vergleich zwischen unterschiedlichen Umgebungsbedingungen (Weltall/Erde) und Einflussfaktoren, zum Beispiel Müdigkeit, in dieser speziellen Population ermöglicht.


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Dockingmaßnahmen auf der Internationalen Raumstation

Johannes B, Salnitski V, Dudukin A et al. Performance Assessment in the PILOT Experiment On Board Space Stations Mir and ISS. Aerosp Med Hum Perform 2016; 87: 534–544

Die Ausführung komplexer Aufgaben ist von überaus großer Bedeutung während des Aufenthalts in Schwerelosigkeit. Eine besonders wichtige und komplexe Aufgabe ist das Docking, das oftmals von Hand durchgeführt werden muss.

Die Autoren beschreiben das PILOT-Experiment an Bord der MIR und ISS. Aus den Untersuchungsergebnissen von russischen Kosmonauten der MIR weiß man, dass die Ausführung von handgesteuerten Dockingmaßnahmen nach 90 Tagen ohne Training signifikant verschlechtert ist.

Kommentar

Mittels eines bordeigenen Simulators für Dockingmaßnahmen auf der ISS wurden monatlich Trainings durchgeführt, in denen jeweils 5 trainierte Dockings durchgeführt wurden. Hinsichtlich der Leistung beim Docking zeigten sich zwischen den älteren Daten der MIR und dem modifizierten Trainingskonzept auf der ISS signifikante Unterschiede, die wiederum zu einer deutlichen Verbesserung der Flugsicherheit führten ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Performance auf der MIR und ISS.
Quelle: modifiziert nach Johannes B al. Aerosp Med Hum Perform 2016; 87: 534–544

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Simulierte Schwerelosigkeit und Stammzellen

Cazzaniga A, Maier JA, Castiglioni S. Impact of simulated microgravity on human bone stem cells: New hints for space medicine. Biochem Biophys Res Commun 2016; 473: 181–186

Eine weitere Möglichkeit, Schwerelosigkeit zu erzeugen, ist die Verwendung eines Klinostaten, der durch zufällige Bewegungen nach allen Richtungen Schwerelosigkeit für kleine Probengefäße simulieren kann.

Die Autoren untersuchten den Einfluss dieser simulierten Schwerelosigkeit auf humane Stammzellen aus Knochenmark. Ziel des Versuchsvorhabens war es, den Einfluss der Schwerelosigkeit zu erfassen, da Verlust der Knochendichte und Knochenmasse 2 wichtige Phänomene während längerer Raumflüge sind. Während allerdings die Osteoblasten- und Osteoklastenaktivität im Weltall unter Schwerelosigkeit recht gut untersucht ist, ist über die Funktion und Aktivität von mesenchymalen humanen Stammzellen aus Knochen für die Schwerelosigkeit nahezu nichts bekannt. Mittels eines Klinostaten untersuchten die Autoren die Expression von Proteinen aus den mesenchymalen Knochenstammzellen und haben einige spezifische Proteine analysiert ([Abb. 2]). HSP60, HSP70, COX-2 und SOD2 wurden durch die simulierte Schwerelosigkeit überexprimiert. Von daher schlussfolgern die Autoren, dass die Schwerelosigkeit die Differenzierung der Stammzellen nicht beeinträchtigt.

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Abb. 2 Proteinexpression aus den Knochenmarkszellen.
Quelle: modifiziert nach Cazzaniga A et al. Biochem Biophys Res Commun 2016; 473: 181–186
Kommentar

Raumfahrtassoziierte Osteopenie ist offensichtlich kein Problem einer ungenügenden Differenzierung der Stammzellen im Knochen, sondern scheint eher auf die nachteilige Interaktion zwischen Osteoblasten und Osteoklasten zurückführbar zu sein. Limitierend ist allerdings anzumerken, dass eine vermehrte Expression von Proteinen nicht zwingend auf die Funktion der Zellen zurückschließen lässt. Von daher sollte die vorliegende Studie vorsichtig interpretiert werden. Zukünftig sind weitere Forschungsvorhaben in „echter“ Schwerelosigkeit, zum Beispiel auf der ISS unerlässlich, um die Funktion der mesenchymalen Stammzellen und den Verlust der Knochenmasse bei Raumflügen zu verstehen.


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Forschungsmöglichkeiten in Schwerelosigkeit

Pletser V. European aircraft parabolic flights for microgravity research, applications and exploration: A review. REACH – Reviews in Human Space Exploration 2016; http://dx.doi.org/10.1016/j.reach.2016.05.002

Ein Hauptfokus der letzten 15–20 Jahre im Rahmen raumfahrtmedizinischer Forschungsaktivitäten sind Parabelflüge. Bei diesen werden unterschiedlich lange Phasen von nahezu Schwerelosigkeit (microgravity) oder reduzierter Schwerkraft (vgl. Mars oder Mond) unter Zuhilfenahme verschiedener Flugprofile erzeugt.

Der Autor stellt in seinem Review verschiedene, aktuell genutzte Möglichkeiten zur Forschung in Schwerelosigkeit vor. Entsprechende Plattformen (Raketen, Satelliten, Raumstationen und Luftfahrzeuge) werden von vielen verschiedenen Nationen betrieben und bereitgestellt. Das Ziel dabei ist, kurze Experimente mit reduzierter Schwerelosigkeit durchzuführen und die transienten Phänomene zu beobachten/zu analysieren.

Das Flugmanöver (Parabelflug, parabolic flight) besteht üblicherweise aus eine Phase von 1 g im Horizontalflug, gefolgt von einer 1,8 g-Phase (pull phase), bei der das Luftfahrzeug in einen 45–50° Steigflug gebracht wird. Danach folgt eine Phase von Schwerelosigkeit, die in Abhängigkeit des Manövers oder Flugzeugs 20–30 Sekunden andauert. Am Ende muss das Flugzeug aus einem 40–50° Sinkflug wieder in den Horizontalflug gebracht werden, sodass dann wieder 1,8 g auf das Luftfahrzeug wirken ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Plattform für kurze Experimente im Airbus A310 Zero-G.
Quelle: Prof. Dr. Jochen Hinkelbein

Neben dem ZERO-G-Airbus von Novespace in Bordeaux ([Abb. 4]) stehen auch von der NASA und Roskosmos entsprechend große Flugzeuge bereit. Die Niederlande betreiben eine Cessna Citation II, die wesentlich kleiner ist. In der Schweiz steht eine F-5E Tiger II für militärische Flüge bereit und in Sabadell/Barcelona sogar eine kleine einmotorige Propellermaschine (Mudry Cap 10B).

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Abb. 4 Airbus A310 Zero-G.Quelle: Prof. Dr. Jochen Hinkelbein
Kommentar

Die Bedeutung von Parabelflügen und entsprechenden Experimenten hat in den letzten Jahren zugenommen. Neben den klassischen Experimenten mit Schwerelosigkeit, unter anderem für physiologische, biologische, physikalische oder materialtechnische Forschungsvorhaben, sind in den letzten Jahren auch Experimente mit reduzierter Schwerkraft im wissenschaftlichen Fokus. Diese sind insbesondere für Forschungsaktivitäten mit Blick auf Raumflüge zum Mond und Mars unerlässlich.


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Zerebrale Hämodynamik in Schwerelosigkeit

Marshall-Goebel K, Ambarki K, Eklund A et al. Effects of short-term exposure to head-down tilt on cerebral hemodynamics : a prospective evaluation of a spaceflight analog using phase-contrast MRI. J Appl Physiol (1985) 2016; 120: 1466–1473

Schwerelosigkeit hat auch relevante Auswirkungen auf das optische und hämodynamische System. Ein Hauptproblem nach Beginn der Schwerelosigkeit im Weltall sind Flüssigkeitsverschiebungen, die zu veränderter Hämodynamik und veränderten Druckverhältnissen im knöchernen Schädel führen können. Ein relevantes Krankheitsbild ist das sogenannte „intracranial pressure syndrome“ mit einem (zumindest passageren) Anstieg des intrakraniellen Drucks (ICP).

Die Autoren nutzten ein Schwerelosigkeitsanalogon, nämlich die Kopftieflagerung (head-down tilt), um die Auswirkungen nicht vorhandener Schwerkraft zu erforschen. Zur Analyse der Effekte wurde die Kernspintomografie (MRI) genutzt.

Mit unterschiedlichen Winkeln zur Kopftieflage (0°, -6°, -12°, -18°; jeweils mit und ohne 1 % CO2 in der Atemluft) haben die Autoren die Auswirkung bei 9 männlichen Probanden auf folgende Parameter in den großen Halsgefäßen untersucht: Blutfluss, Gefäßdurchmesser, Flussbeschleunigung.

Der arterielle Blutfluss war mit allen Ausprägungen einer Kopftieflage signifikant reduziert ([Abb. 5]). Im venösen System war der Gefäßdurchmesser größer, der Fluss signifikant verlangsamt. Nach Zugabe von 1 % CO2 in die Atemluft war der Blutfluss im arteriellen System bei Kopftieflage verbessert.

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Abb. 5 Blutfluss (ml/min) in Abhängigkeit des Winkels der Kopftieflage. Arterielles System (Punkte), venöses System (Quadrate).
Quelle: modifziert nach Marshall-Goebel K et al. J Appl Physiol (1985) 2016; 120: 1466–1473
Kommentar

Die vorliegende Studie zeigt sehr schön, dass durch eine simulierte Schwerelosigkeit – hier mittels Kopftieflage erreicht – die zerebrale Hämodynamik deutlichen Veränderungen unterworfen ist. Der verminderte zerebrale Blutfluss (CBF) kann unter Umständen beim Raumflug relevante Änderungen der zerebralen Hämodynamik hervorrufen und so auch bekannte Phänomene, zum Beispiel Kopfschmerzen oder Beeinträchtigung des optischen Systems, verursachen. Entsprechende Schlussfolgerungen lassen sich sicher auf die Raumfahrt übertragen, jedoch ist bei der Interpretation zu berücksichtigen, dass es sich nur um ein Schwerelosigkeitsanalogon handelt.


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Kompensationsmechanismen bei Muskelatrophie

Alkner BA, Norrbrand L, Tesch PA. Neuromuscular Adaptations Following 90 Days Bed Rest With or Without Resistance Exercise. Aerosp Med Hum Perform 2016; 87: 610–617

Eine der vielfältigen Herausforderungen bei längeren Weltraumflügen stellt die durch Inaktivität beziehungsweise fehlende Schwerelosigkeit verursachte Muskelatrophie dar.

Eine Forschungsgruppe hat sich mit der muskulären Funktion beziehungsweise Atrophie sowie neuronalen Defiziten der unteren Extremität in Abhängigkeit von regelmäßiger körperlicher Aktivität beschäftigt. Probanden simulierten die Inaktivität der Schwerelosigkeit durch 90-tägige Bettruhe, die bei der Interventionsgruppe durch regelmäßige Kniebeugen unterbrochen wurde. In der Muskelfunktionsprüfung mittels EMG und isometrischer Kraftmessung konnte ein protektiver Effekt der körperlichen Aktivität gezeigt werden. Phänotypische Unterschiede der Probanden waren aufgrund ausgeprägter Atrophie und neuronalen Adaptationsvorgängen nicht nachweisbar ([Abb. 6]).

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Abb. 6 EMG/Kraft-Zunahme im zeitlichen Verlauf.
Quelle: modifiziert nach Alkner BA et al. Aerosp Med Hum Perform 2016; 87: 610–617
Kommentar

Insbesondere mehrjährige Forschungsflüge mit Destination Mars erfordern protektive Strategien zur Kompensation der durch Schwerelosigkeit bedingten Muskelatrophie. Aufgrund vielfältiger Forschungsbemühungen werden in diesem Gebiet stetig neue Erkenntnisse zu erwarten sein.


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Zusammenhang von Strahlung und Schwerelosigkeit

Bellone JA, Gifford PS, Nishiyama NC et al. Long-term effects of simulated microgravity and/or chronic exposure to low-dose gamma radiation on behavior and blood-brain barrier integrity. npj Microgravity 2016; 2: 16019

Eine weitere Anforderung an zukünftige Langzeitmissionen ist der adäquate Schutz der Besatzung vor negativen Effekten durch ionisierte Strahlung. Hierdurch werden nicht nur potenziell Schäden auf zellulärer Ebene hervorgerufen, sondern auch Änderungen der Kognition und Emotion von exponierten Astronauten vermutet.

Eine Studie an Mäusen hat den Zusammenhang von Strahlung und Schwerelosigkeit anhand etablierter Testbatterien (Rotarod, open field, tail suspension test, elevated zero maze, aqua maze) sowie der Expression von Aquaporin 4 als Integritätsparameter der Blut-Hirn-Schranke untersucht.

Hierbei konnten die Forscher zeigen, dass bei unveränderter sensomotorischer oder kognitiver Funktion Änderungen im Risikoverhalten der Mäuse nachgewiesen werden konnten. Eine erhöhte Risikobereitschaft konnte auch in vorherigen Simulationsmodellen für Schwerelosigkeit durch Kopfbewegungen an menschlichen Probanden demonstriert werden. Die Expression von Aguaporin 4 (AQP4) war signifikant erhöht. Dies führt zu subtilen Flüssigkeitsverschiebungen und Hirnödem mit konsekutiven behavioralen Veränderungen.

Kommentar

Die genauen Zusammenhänge zwischen neuronalen und emotionalen Änderungen in Schwerelosigkeit und kosmischer Strahlung bleiben komplex und wenig verstanden. Die in der vorliegenden Studie verwendeten Strahlungsdosen waren deutlich höher als die Belastung im Weltraum. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um Besatzungen für Langzeitmissionen adäquat auf diese Effekte vorzubereiten beziehungsweise davor zu schützen.


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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Jochen Hinkelbein
Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinikum Köln (AöR)
Kerpener Str. 62
50937 Köln

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Abb. 1 Performance auf der MIR und ISS.
Quelle: modifiziert nach Johannes B al. Aerosp Med Hum Perform 2016; 87: 534–544
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Abb. 2 Proteinexpression aus den Knochenmarkszellen.
Quelle: modifiziert nach Cazzaniga A et al. Biochem Biophys Res Commun 2016; 473: 181–186
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Abb. 3 Plattform für kurze Experimente im Airbus A310 Zero-G.
Quelle: Prof. Dr. Jochen Hinkelbein
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Abb. 4 Airbus A310 Zero-G.Quelle: Prof. Dr. Jochen Hinkelbein
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Abb. 5 Blutfluss (ml/min) in Abhängigkeit des Winkels der Kopftieflage. Arterielles System (Punkte), venöses System (Quadrate).
Quelle: modifziert nach Marshall-Goebel K et al. J Appl Physiol (1985) 2016; 120: 1466–1473
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Abb. 6 EMG/Kraft-Zunahme im zeitlichen Verlauf.
Quelle: modifiziert nach Alkner BA et al. Aerosp Med Hum Perform 2016; 87: 610–617