Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2017; 24(01): 8-9
DOI: 10.1055/s-0043-100903
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine Bestandsaufnahme

Effektivität und Sicherheit eines Herpes-Zoster-Lebendimpfstoffs
Linda Sanftenberg
1   München
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Korrespondenz

Dr. rer. nat. Linda Sanftenberg
Lehr- und Forschungskoordinatorin Institut für Allgemeinmedizin Klinikum der Universität München Campus Innenstadt
Pettenkoferstr. 8a
80336 München

Publication History

Publication Date:
15 February 2017 (online)

 

Herpes Zoster (HZ) ist eine häufige und schmerzhafte Erkrankung, welche durch die Reaktivierung des ruhenden Varizella-Zoster-Virus in den Ganglien verursacht wird. Besonders ältere Menschen und Immunkomprimierte sind betroffen und leiden oftmals unter einer postherpetischen Neuralgie (PHN), der häufigsten komplizierten Verlaufsform. Diese Studie vermittelt einen Überblick über die klinische Effektivität, Sicherheit und Verträglichkeit des einzigen zugelassenen Lebendimpfstoffs (Zostavax®) gegen HZ bei immunkompetenten und immunkomprimierten Patienten.


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Dieser Lebendimpfstoff wurde erstmals 2006 in den USA für Patienten ≥ 60 Jahre gegen HZ zugelassen. Im gleichen Jahr erfolgte die Freigabe gegen HZ und PHN in Europa, die Impfempfehlungen variieren aber noch immer zwischen einzelnen Ländern und Regionen. Da der Lebendimpfstoff die Entwicklung von HZ in immungeschwächten Patienten hervorrufen kann, wird er für diese Personen aktuell nicht empfohlen. Aufgrund der hohen Inzidenz und von HZ und möglicher Komplikationen, könnte die Impfung aber gerade für diese Patienten entscheidende Verbesserungen mit sich bringen. Um die Effektivität und die Dauer des Impfschutzes zu beurteilen, wurden in zahlreichen Studien Patientendaten im Zeitraum 2006 bis 2014 retrospektiv ausgewertet und nun als Übersichtsartikel dargestellt.

Die Ergebnisse der Auswertung:

  • Immunkompetente Patienten ≥ 60 Jahre haben ein signifikant reduziertes Risiko an HZ zu erkranken (51–55 % Impfeffektivität).

  • Bei älteren Patienten ≥ 65 Jahre sinkt die Impfeffektivität auf 48 % ab und auch die Wahrscheinlichkeit einer PHN nach 30 Tagen (62 % Impfeffektivität) beziehungsweise 90 Tagen (59 % Impfeffektivität) geht deutlich zurück.

Weiterhin wurde eine graduelle Abnahme des Impfschutzes von 68,7 % im ersten Jahr, über 49,5 % im zweiten Jahr, 39,1 %–32,9 % in den Jahren 3–6, bis hin zu einer Impfeffektivität von 16,5 % im siebten Jahr erfasst. Acht Jahre nach der Immunisierung lag die Impfeffektivität bei 4,2 %, sodass hier kein Schutz mehr gewährleistet werden kann.

Auch Daten immunkomprimierter Patienten wiesen auf eine ausreichende Effektivität und Sicherheit der Impfung hin. So zeigten Patienten mit rheumatoider Arthritis oder entzündlichen Darmerkrankungen ≥ 60 Jahre eine höhere Inzidenz an HZ zu erkranken, wenn diese nicht geimpft waren. Die Impfeffektivität wurde hier mit 42–49 % bemessen. Auch hier scheint die Effektivität mit zunehmenden Alter leicht abzusinken (Patienten ≥ 65 Jahre: 37 %).

Die Impfung birgt selbst für Immunkomprimierte offenbar kein erhöhtes Risiko an Varizellen oder HZ zu erkranken.

FAZIT

Die Ergebnisse vorausgegangener klinischer Phase-III-Studien, scheinen sich mit den Analysen retrospektiv ausgewerteter Patientendaten zu decken. Gesundheitliche Risiken oder Langzeitfolgen konnten nicht bemerkt werden und der Impfschutz scheint sowohl für die Allgemeinbevölkerung als auch für immunkomprimierte Patienten gegeben zu sein, wobei eine Auffrischimpfung sinnvoll sein kann.

Kommentar

Die Abnahme der virusspezifischen Immunantwort führt zur Reaktivierung des Varizella-Virus. Dies kann infolge des Alterungsprozesses, einer erworbenen oder angeborenen Immunschwäche geschehen. So zeigt sich eine international altersspezifische Verteilung mit einer starken Zunahme der Inzidenz im Alter von 50 Jahren und mehr. Bei den über 80-Jährigen steigt die Inzidenz für HZ sogar auf 8–12 pro 1000 Personen an [1].

Weitere Risikofaktoren an HZ zu erkranken sind mechanische Traumen, psychischer Stress und das weibliche Geschlecht [2]. Es wurde zudem ein leicht erhöhtes Risiko für die Entwicklung von HZ bei Diabetes Typ-2-Patienten im Alter von 18–64 Jahren nachgeweisen. Besonders gefährdet sind Typ-2-Diabetes-Patienten ≥ 65 Jahre [3]. Auch das vermutete Risiko einer HZ-Erkrankung und einer vorangegangenen Therapie mit Statinen ist nun bestätigt worden [4].

Neben der PHN als Komplikation, tritt in 10–20 % der Erkrankungsfälle ein HZ ophthalmicus (HZO) auf, aber auch viszerale und neurologische Erkrankungen wie Enzephalitis oder Myelitis sind möglich. In den ersten 4–6 Wochen nach einer HZ-Erkrankung kann ein 1,5-fach erhöhtes Risiko eines hämorrhagischen Schlaganfalls festgestellt werden [5]. Umso wichtiger ist es deshalb, die genannten Risikopatienten aufzuklären und eine entsprechende Impfung anzubieten. Auch sollte über eine Anpassung der öffentlichen Impfempfehlung nachgedacht werden. Für die praktische Umsetzung im Praxisalltag ist es wichtig, eine fokussierte und den zeitlichen Möglichkeiten angepasste Beratungsstruktur zu schaffen. Die Verwendung einer Impfsoftware mit Recall-Funktion für Arzt und Patient mit der Möglichkeit der individuellen Anpassung auf die Bedürfnisse des Einzelnen wäre sinnvoll und in jeder Praxis einsetzbar.

Literatur

  • Kawai K, Gebremeskel BG, Acosta CJ. Systematic review of incidence and complications of herpes zoster: towards a global perspective. BMJ Open 2014; 4: e004833

  • Harpaz R, Ortega-Sanchez IR, Seward JF. Prevention of herpes zoster: recommendations of the Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP). MMWR Recomm Rep 2008; 57:1-30

  • Guignard AP, Greenberg M, Lu C et al. Risk of herpes zoster among diabetics: a matched cohort study in a US insurance claim database before introduction of vaccination, 1997–2006. Infection 2014; 42: 729-735

  • Matthews A, Turkson M, Forbes H, Langan SM, Smeeth L, Bhaskaran K. Statin use and the risk of herpes zoster: a nested case-control study using primary care data from the U.K. Clinical Research Practice Datalink. Br J Dermatol 2016; 175: 1183-1194

  • Schink T, Behr S, Thöne K et al. Risk of Stroke after Herpes Zoster – Evidence from a German Self-Controlled Case-Series Study. PLoS One 2016 11: e0166554


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  • Literatur

  • 1 Ansaldi F, Trucchi C, Alicino C et al. Real-World Effectiveness and Safety of a Live-Attenuated Herpes Zoster Vaccine: A Comprehensive Review. Adv Ther 2016; 33: 1094-1104

Korrespondenz

Dr. rer. nat. Linda Sanftenberg
Lehr- und Forschungskoordinatorin Institut für Allgemeinmedizin Klinikum der Universität München Campus Innenstadt
Pettenkoferstr. 8a
80336 München

  • Literatur

  • 1 Ansaldi F, Trucchi C, Alicino C et al. Real-World Effectiveness and Safety of a Live-Attenuated Herpes Zoster Vaccine: A Comprehensive Review. Adv Ther 2016; 33: 1094-1104