Schlüsselwörter
Brustkrebs - neoadjuvante Chemotherapie - Krankheitsbewältigung
Einleitung
Die Therapie des Mammakarzinoms hat in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Wandel
erlebt. Nach der Einführung der ersten Zytostatika und der antihormonellen Medikamente
zwischen 1960 und 1970 folgte in den 90er-Jahren die Weiterentwicklung der zytostatischen
Therapieregime und zu Anfang diesen Jahrtausends die Ära der Target-Therapien. Über
diese deutlichen Fortschritte in der systemischen Behandlung des Mammakarzinoms können
in Kombination mit den lokalen Maßnahmen wie Operation und Strahlentherapie heute
über 80 % der Patientinnen geheilt werden.
Auch in der Abfolge der einzelnen Therapieschritte hat in den letzten Jahrzehnten
ein Umdenken stattgefunden. Galt lange Zeit die Sequenz – Operation gefolgt von systemischer
Therapie – als Standard und war die primär systemische/präoperative Therapie Standard
und Teil des Therapiekonzepts bei lokal fortgeschrittenen Erkrankungen und beim inflammatorischen
Mammakarzinom, so hat die Indikation zur neoadjuvanten Therapiesequenz in den letzten
Jahren aufgrund der Studienergebnisse einen wesentlich höheren Stellenwert beim operablen,
nicht metastasierten Mammakarzinom erhalten. Die Verbesserung der Prognose hinsichtlich
erkrankungsfreier Zeit und Gesamtüberleben ist durch eine adjuvante und neoadjuvante
Therapie in gleicher Weise gegeben [1].
Für die präoperative systemische Therapiesequenz sprechen mehrere Argumente:
-
Steigerung der Rate an brusterhaltender Therapie mit gleichzeitiger Reduktion der
chirurgischen Morbidität
-
Operabilität bei primär inoperablen Tumoren
-
prognostische Aussage durch die Assoziation der pathologischen Komplettremission (pCR)
mit einem besseren krankheitsfreien und Gesamtüberleben, insbesondere bei TNBC, Her2-positiven
Karzinomen, G3-Tumoren etc.
-
frühzeitige Responsebeurteilung der Chemotherapie über die In-vivo-Chemosensitivitätstestung
und dadurch konsekutiv bessere Compliance der Patientin
-
Individualisierung der Therapie in Abhängigkeit vom Ansprechen [1], [2]
Die Indikation zur primär systemischen Therapie erfolgt genauso wie in der Adjuvanz
auf der Basis der Prognoseabschätzung und der Prädiktion des Therapieeffekts anhand
traditioneller Parameter wie Nodalstatus, Grading, Proliferationsgrad, Hormonrezeptorstatus,
Her2-Überexpression und Alter der Patientin.
Anhand dieser und weiterer Parameter ergibt sich für jede Patientin ein individuelles
Risiko für ein Krankheitsrezidiv. Bei Patientinnen mit hohem Risiko ist somit eine
Chemotherapie indiziert.
Verschiedene Studien im Bereich der Psychoonkologie haben bereits gezeigt, dass etwa
ein Drittel der Karzinompatienten schwerwiegenden psychischen Stress erlebt und dringenden
Bedarf an professioneller psychologischer Unterstützung hat. Zwischen 41 und 64 %
aller Patienten zeigen signifikant erhöhte Raten an Depression, Angst und Stress,
und zwischen 8 bis 40 % sind von der Diagnose oder der onkologischen Behandlung traumatisiert
[3]. Eine systematische Analyse von 89 englischen und deutschen Originalartikeln oder
Übersichtsarbeiten, publiziert zwischen 1995 und 2010, zeigt, dass Krebspatienten
eine adjustierte Punktprävalenz für eine affektive Störung von 11,1 % und für eine
Angststörung von 10,2 % aufwiesen [4].
Dementsprechend ist die Lebensqualität tendenziell geringer als die der gesunden Normalbevölkerung.
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ergibt sich im Wesentlichen durch die gegebenen
medizinischen Faktoren (Krankheitsstadium, Behandlungsoptionen, therapiebezogene Nebenwirkungen,
Prognose), sie wird aber auch durch soziokulturelle und psychologische Faktoren beeinflusst
[5].
Die Ergebnisse der meisten Forschungsstudien über psychologische Faktoren bei Brustkrebspatientinnen
zeigen, dass ein aktives Bewältigungsverhalten der Patientinnen im Vergleich zu einem
passiv-ängstlichen Bewältigungsverhalten eine günstigere Wirkung entfaltet und dass
Letzteres mit einer schlechteren Adaptation an die Erkrankung und deren Anforderungen
korreliert [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15], [16]. Die Lebensqualität onkologischer Patienten wird zweifellos durch ihre psychische
Befindlichkeit beeinflusst [17]. Brustkrebspatientinnen z. B. haben Angst vor Folgen der Chemotherapie wie Übelkeit,
Haarverlust und Anämie. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Brustkrebspatientinnen
unter Chemotherapie nimmt oft ab, daher besteht das Risiko eines vorzeitigen Therapieabbruchs
[18]. Friedman et al. konnten zeigen, dass sich eine positive Lebenseinstellung auch
günstig auf die Lebensqualität von Brustkrebspatientinnen auswirkt [19]. Eine mögliche Ursache hierfür könnte darin liegen, dass eine positive Lebenseinstellung
einerseits eher dazu befähigt, soziale Unterstützung zu suchen und auch annehmen zu
können, und andererseits dazu führen könnte, sich um Bewältigungsmöglichkeiten zu
bemühen [20], [21].
Manche Forscher hingegen zweifeln an einem bedeutsamen Zusammenhang zwischen der Qualität
der Bewältigung (Coping), psychologischer Situation, Lebensqualität, speziell in Verbindung
mit Überlebenszeit [22], [23], [24], [25], [26], [27], da die Mehrzahl der Studien keine Zusammenhänge ergab. Basierend auf einer Metaanalyse
von 26 Studien kamen Petticrew et al. zu der Schlussfolgerung, dass die Copingqualität
bei Krebspatienten nicht konsistent mit dem Gesamtüberleben korrelierte, ungeachtet
der Tatsache, dass in die Metaanalyse auch komplexe Studien eingeschlossen wurden,
die Interviews anstelle von Fragebögen für die Erfassung von tatsächlichem Bewältigungsverhalten
verwendeten. Die überwiegende Zahl dieser komplexeren Studien kam zu dem Ergebnis,
dass die Qualität des Copings signifikant positiv mit dem Überleben korrelierte [27], [28]. Fragebögen sind erheblich fehlerbehaftet, insbesondere, wenn subjektive Meinungen
über das eigene Verhalten erfasst werden, da der korrelative Zusammenhang zwischen
bekundeter Meinung und tatsächlichem Verhalten nur um .15 liegt [3], [29].
Die psychologische Situation der Frauen mit primärer Brustkrebsdiagnose wird durch
die Tatsache belastet, dass – im Falle der Durchführung einer neoadjuvanten Chemotherapie
– die operative Behandlung um mehrere Monate verzögert wird. Dies bedeutet für manche
Frauen eine zusätzliche Belastung durch das Wissen, dass der Tumor im Körper verbleibt.
Uns sind keine Studien bekannt, bei denen die psychologische Situation und die Bewältigungsbemühungen
von Brustkrebspatientinnen unter neoadjuvanter Chemotherapie bislang untersucht worden
wären.
Basierend auf den Ergebnissen der meisten psychoonkologischen Studien über das primäre
Mammakarzinom postulieren wir, dass Patientinnen unter neoadjuvanter Chemotherapie
mit aktivem Bewältigungsverhalten (dazu zählen z. B. eine kämpferische Einstellung,
das aktive Suchen nach sozialer Unterstützung, eine innere Akzeptanz der gegebenen
Situation oder eine aktive Compliance) eine signifikant bessere Anpassung an die Erkrankung
und die Behandlung aufweisen, sowohl zu Beginn als auch nach der Chemotherapie, im
Vergleich zu jenen Patientinnen mit einem passiv-resignativen Bewältigungsverhalten
(zu diesem zählen z. B. eine resignative oder fatalistische Haltung, eine stoisch-passive
Hinnahme, eine geringe bis gar keine Suche nach sozialer Unterstützung).
Methodik
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine prospektive Studie. Unmittelbar
nach der Diagnose und noch vor Beginn des Stagings und der Chemotherapie wurden standardisierte
Interviews mit den Patientinnen durchgeführt. Etablierte psychoonkologische Fragebögen
– die POMS (Profile of Mood Scales), das BSI (Brief Symptom Inventory), die HADS (Hospital
Anxiety and Depression Scale), das BFI (Brief Fatigue Inventory) und der F-SOZU (Fragebogen
zur sozialen Unterstützung) – erfassten die psychische Befindlichkeit und die Stressbelastung.
Semistrukturierte Interviews (jeweils vor und unmittelbar nach der Chemotherapie,
noch vor der operativen Behandlung) inklusive derselben psychoonkologischen Tests
wurden bei Aufnahme der Patientin in die Studie sowie noch vor der operativ-sanierenden
Intervention, somit nach Ende der Chemotherapie, erneut durchgeführt bzw. erhoben.
3,7 bis 5,5 Jahre nach der ersten onkologischen Behandlung wurden medizinische Nachuntersuchungen
durchgeführt. Dies ermöglichte die Untersuchung der Fragestellung, ob das Ausmaß des
psychischen Stresses zu t 1 eine Prädiktion der psychologischen Anpassung zu t 2 und
die patienteneigenen Copingressourcen eine Prädiktion bezüglich eines progressionsfreien,
krankheitsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens erlauben. Forschung über Copingstrategien
und psychischen Stress ist spärlich und muss als inkonsistent bezeichnet werden.
Patientinnen und Behandlung
Von den im Zeitraum zwischen Juni 2008 und Mai 2010 im Brustzentrum des St. Martinus-Hospitals
in Olpe behandelten 356 Patientinnen mit einem primären Mammakarzinom konnten 53 Patientinnen
in die Studie aufgenommen werden. Zentrale Einschlusskriterien für den Studieneinschluss
waren ein stanzbioptisch gesichertes Mammakarzinom – aufgrund bestehender Indikation
die Empfehlung zur neoadjuvanten Chemotherapie – und das Vorliegen der schriftlichen
Einverständniserklärung zur Studienteilnahme, ein Lebensalter über 18 Jahren und ausreichende
deutsche Sprachkenntnisse (aufgrund der Tests und der Interviews). Ausschlusskriterien
waren sprachliche und Verständigungsdefizite, bei Erstellung der Primärdiagnose schon
vorliegende Hinweise auf eine primäre Metastasierung und vorliegende Komorbiditäten
als Kontraindikation gegen eine zytostatische Therapie. Lediglich eine für die Studie
geeignete Patientin lehnte die Teilnahme an den Untersuchungen ab.
Es handelt sich also um eine anfallende Stichprobe, die womöglich keine Repräsentativität
beanspruchen kann. Alle in diesem Zeitraum behandelten Patientinnen wurden auf eine
Studienteilnahme hin angesprochen, sodass vonseiten der Untersucher keinerlei Auswahl
der Studienteilnehmerinnen (Ausnahme: Sprache) erfolgte.
Diejenigen Patientinnen, die aufgrund ihrer onkologischen Parameter laut Empfehlung
des interdisziplinären Tumorboards eine primär systemische Chemotherapie erhalten
sollten, wurden zur Durchführung der Staging-Untersuchungen stationär aufgenommen.
Am Aufnahmetag wurde allen deutschsprechenden Patientinnen durch den ärztlichen Leiter
der Abteilung, Dr. Jürgen Schwickerath, die Studie vorgestellt und nach entsprechender
Aufklärung die Einverständniserklärung zur Teilnahme an der Studie ausgehändigt. Die
in die Studie aufgenommenen Patientinnen wurden durch 2 in der Interviewtechnik zur
Durchführung des Ulmer Coping Manuals (UCM) vorher geschulten Stationsärzten mittels
eines semi-strukturierten Interviews interviewt. Das Brustzentrum am St. Martinus-Hospital
in Olpe beteiligt sich an wissenschaftlichen klinischen Studien und die Mitarbeiter
sind in der Durchführung von wissenschaftlichen Studien erfahren.
Das semi-strukturierte Interview umfasste alle relevanten Themen zum Zeitpunkt der
Durchführung der onkologischen Behandlung, inklusive des Erlebens der Diagnoseübermittlung,
der Entscheidung zur systemischen Therapie, der relevanten Gefühle, der Erwartungen,
Hoffnungen, Ängste, der persönlichen und beruflichen Situation, sowie andere aktuell
persönlich relevante Themen. Die psychologischen Fragebögen wurden am selben oder
am folgenden Tag den Patientinnen zum Ausfüllen gegeben. Das Tumorstadium – TNM-Stadium
– der Erkrankung war zum Zeitpunkt des Interviews weder den Patientinnen noch den
beiden das Interview durchführenden Ärzten bekannt.
Nach Erhalt des histologischen Befunds wurden die Patientinnen über die Diagnose „Brustkrebs“,
über mögliche Behandlungsoptionen und die onkologischen Behandlungsabläufe vom Leiter
der Abteilung informiert. Es wurde keine Aussage zu einer möglichen Prognose gemacht.
Das Risiko für jede Patientin wurde im Rahmen der interdisziplinären Tumorkonferenz
ermittelt, unter Beachtung der St.-Gallen-Risikoparameter. Patientinnen mit Indikation
zur neoadjuvanten Chemotherapie wurden nach der interdisziplinären Tumorkonferenz
über die empfohlene Therapie sowie die Möglichkeit zur Studienteilnahme unterrichtet.
Die Patientinnen erhielten als Standardschema eine Chemotherapie mit 4 × EC q3W, gefolgt
von 4 × Docetaxel q3W im ambulanten Setting. Die Effektivität der primär systemischen
Chemotherapie, sprich die Responserate, wurde über die nach allen 2–3 Zyklen durchgeführte
sonografische Untersuchung durch den Leiter der Abteilung, Dr. Jürgen Schwickerath,
reevaluiert.
Nach Beendigung der Chemotherapie wurden die Patientinnen zur Durchführung der operativen
Behandlung stationär aufgenommen. Ihnen wurden erneut die standardisierten psychologischen
Fragebögen zur Ausfüllung vorgelegt, und es wurde ein weiteres semistrukturiertes
Interview durchgeführt (t 2). Diesmal mit Bezug auf die Erfahrungen der Patientinnen
in der Zeit während der Chemotherapie. Zu diesen zählten das Erleben der Chemotherapie
(u. a. Nebenwirkungen), die Auswirkungen auf den Lebensalltag, auf die private Situation
(Beziehung, Familie, Arbeit), die soziale Kontaktsituation während dieser Behandlungsphase,
Hoffnungen und Ängste, Gedanken über den weiteren Krankheits- und Genesungsverlauf
usw. Insgesamt 10 das Interview strukturierende Fragen wurden durch den Leiter der
Abteilung, Dr. Jürgen Schwickerath, in Absprache mit dem Leiter der Studie und der
Abteilung Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Köln, Prof. Dr. Volker
Tschuschke, festgelegt und für alle Patientinnen konstant gehalten.
Psychologische Belastung und Coping
Das Bewältigungsverhalten der Patientinnen wurde mit dem Ulmer Coping Manual (UCM)
[30] bewertet, einem Ratinginstrument, welches das objektive Rating von Copingressourcen
bzw. Bewältigungsstrategien von Erwachsenen mit somatischen Erkrankungen erlaubt.
Das Rating basiert auf dem Prinzip der Inhaltsanalyse. Jeder einzelne grammatikalische
Satz der Patientinnen in einem semistrukturierten Interview wird objektiv bewertet
durch unabhängige, trainierte und blinde Rater auf dem Boden der 36 Kategorien des
Manuals (6 Skalen). Das UCM wurde in einer DFG-Studie mit Leukämiepatienten entwickelt
und angewendet, die sich einer allogenen Knochenmarktransplantation unterzogen. Die
mithilfe des Manuals ermittelten Bewältigungsstrategien der Leukämiepatienten sagten
das Krankheitsüberleben auf einer 6- bzw. 10-Jahres-Basis voraus [31], [32].
Die semistrukturierten Interviews wurden durch die in das Interview eintrainierten
Ärzte unmittelbar vor dem primären Staging und nach Abschluss der Chemotherapie, vor
der sanierenden Operation, durchgeführt. Die strukturierten Interviews thematisierten
jeweils bis zu 10 Themen, die zum Zeitpunkt des Interviews relevant waren (t 1: vor
dem Staging und der Chemotherapie, t 2: nach Abschluss der Chemotherapie und unmittelbar
vor der Operation). Auf jedes Thema wurde flexibel und ausgiebig eingegangen, basierend
auf den Bedürfnissen jeder einzelnen Patientin, sodass sich jede Patientin zu jedem
Thema ausgiebig und erschöpfend äußern konnte. Alle Interviews wurden digital aufgenommen
und anschließend durch 3 unabhängige, für die medizinischen Daten der Patientinnen
blinde Rater nach dem Ulmer Coping Manual (UCM) kodiert [30]. Die Interviewlängen variierten stark zwischen den einzelnen Patientinnen, da das
semistrukturierte Interview lediglich die Themen des Interviews festlegt und nicht
die Dauer und den Umfang, in dem sich die Patientinnen zu den einzelnen Themen einlassen.
Somit lag die Spannbreite der Dauer der Interviews zwischen ca. 18–20 Minuten Minimum
und ca. einer Stunde. Die Dauer des Interviews (unter Berücksichtigung des Redeanteils
der Interviewer) wird in der Scoreberechnung berücksichtigt, sodass die resultierenden
Scores zeitunabhängig sind. Die Scoreberechnung erfolgt nach folgender Formel:
ScoreSkala = Rohwert × 100/N × Zeit (Dauer) des Interviews,
wobei „Rohwert“ die Summe der Ratings je Skala, „N“ die Anzahl der Unterkategorien
einer Skala und „Zeit“ die Dauer des Interviews in Minuten und Sekunden bedeuten.
Die resultierenden Scores sind intervallskaliert und normalverteilt.
Die Interrater-Reliabilität mit einem durchschnittlichen Kappa von .86 wies eine hohe
Übereinstimmung zwischen den 3 Ratern auf. Die Auswertungsmethode sowie die Kalkulation
des Scores werden detailliert an anderer Stelle erläutert [30]. Ratings mit dem UCM erlaubten bei 52 bzw. 72 Leukämiepatienten, die sich einer
allogenen Knochenmarktransplantation unterzogen, die Prädiktion der Überlebenszeit
jeweils auf einer 6- bzw. einer 10-Jahres-Basis [31], [32].
Die Interviews wurden zudem im Hinblick auf das Vorhandensein subjektiver Theorien
bezüglich einer möglichen Ursache für die Erkrankung untersucht. Die Patientinnen
wurden nicht explizit über mögliche subjektive Annahmen zur Ursache ihrer Erkrankung befragt (sogenannte
Laientheorien), sondern im Interview spontan erwähnte Theorien wurden als persönliche
Ansicht der Patientinnen zur Ursache ihrer Krebserkrankung bewertet. Dies ist eine
konservative Vorgehensweise zur Erfassung von Laientheorien. Wir sind der Auffassung,
dass die spontanen Äußerungen von Patientinnen (versus Nichtvorhandensein einer Laientheorie)
bezüglich möglicher kausaler Erkrankungsursachen ein Bedürfnis widerspiegeln, sich
die eigene Lage verständlich zu machen (eine Erklärung für das Unerklärliche zu finden),
was nachweislich zu einer Beruhigung und weniger Verzweiflung führt. Diese Annahme
basiert auf dem Ergebnis der Studie mit Leukämiepatienten, die sich einer allogenen
Knochenmarktransplantation unterzogen: Patienten mit einer subjektiven Annahme bezüglich
einer möglichen Ursache ihrer Leukämieerkrankung litten signifikant weniger unter
depressiven Symptomen [33], [34].
Die psychoonkologischen Tests wurden zu t 1 (nach Aufnahme zur Diagnostik, vor den
Staginguntersuchungen und somit in Unkenntnis des Krankheitsstadiums und vor der primär
systemischen Chemotherapie) und zu t 2 (nach Abschluss der Chemotherapie und unmittelbar
vor der operativ-sanierenden Behandlung) durchgeführt. Alle dafür verwendeten Tests
sind validierte und zuverlässige Instrumente in der psychoonkologischen Forschung
[35].
Folgende Tests wurden zu beiden Zeitpunkten eingesetzt:
-
Die Profile of Mood Scales (POMS) sind etablierte Skalen im Bereich der Psychoonkologie-Forschung
mit sehr guter Validität und guter Verlässlichkeit [36], [37]. Die deutsche Version beinhaltet die 4 Skalen Depression, Müdigkeit (Fatigue), Missmut
und Energie.
-
Das Brief Symptom Inventory (BSI) ist eine kurze Version der Symptom Check-List (SCL-90-R)
[38]. Es beinhaltet 9 Skalen (von Somatisierung, Angst, Depression bis zu Psychopathologie
wie Paranoia oder Psychose) und wird verbreitet eingesetzt als einer der am besten
validierten psychologischen Tests. In unserer Studie wurde der Global Severity Index
(GSI) angewendet, um die generelle symptomatische Belastung abzubilden.
-
Die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) [39], [40] wird als Screeninginstrument in der psychoonkologischen Forschung verbreitet eingesetzt
und weist gute Qualitätsmerkmale auf.
-
Das Brief Fatigue Inventory (BFI) [41], [42] ist ein kurzer Test, um den Schweregrad der krebsspezifischen Erschöpfung oder Fatigue
einzuschätzen. Das Inventar weist exzellente psychometrische Qualitätskriterien auf.
-
Der Fragebogen zur sozialen Unterstützung (F-SOZU) [43], [44] ist ein Instrument, das in Deutschland im Bereich der Psychoonkologie-Forschung
eingesetzt wird, um das Ausmaß der erlebten sozialen Unterstützung zu erfassen. Er
weist mittlere bis gute psychometrische Kennwerte auf.
Statistik
Psychologische Beurteilungen der 53 Patientinnen wurden auf der Basis des „multiplen
Outcome-Kriteriums“ berechnet [45], [46]. Diese Vorgehensweise berücksichtigt die Kombination der Ergebnisse unterschiedlicher
psychologischer Instrumente, sie basiert somit auf den Ergebnissen aller psychologischer
Tests in Kombination und nicht nur auf den Teilergebnissen einzelner Tests. Hierzu
wurde jeder Score jeder einzelnen psychologischen Messung (POMS-Skalen Depression,
Fatigue, Müdigkeit und Energie, BSI-GSI, HADS (Angst und Depression), BFI und F-SOZU)
jeweils in einen T-Score umgewandelt für jeden Messzeitpunkt. Die T-Scores wurden
summiert über alle 9 Skalen je Messzeitpunkt (t 1 und t 2), also vor und nach Chemotherapie.
Das Endergebnis der T-Scores nach der Chemotherapie wurde vom Endergebnis der Scores
vor der Chemotherapie subtrahiert, resultierend in einen „Outcome-T-Score“. Die Summe
der T-Scores vor der Chemotherapie diente als Messung des Schweregrads der psychologischen
Probleme der Patientinnen vor der Behandlung und deren Adaptation an die Situation
zu t 1. Diese Vorgehensweise erlaubt eine zusammenfassende Bewertung des Gesamtstatus
einer Patientin und ist eine in der Forschung etablierte Vorgehensweise [45], [46]. Sie wurde auch bei der großen Studie der Techniker Krankenkasse zur Wirkung ambulanter
Psychotherapie verwendet [47]. Die Vielzahl einzelner Testbewertungen wird reduziert auf ein Datum, das möglichen
Fehlinterpretationen aufgrund einer Alpha-Fehler-Inflation vorbeugt.
Ein Fixed Effects-Model (Mixed-Model-Varianzanalyse) wurde berechnet mit der Differenz
der T-Scores zu t 1 und t 2 als abhängiger Variable und der Verwendung von Copingstrategien
(Skalen des UCM) zu t 1 sowie weiterer Prädiktorvariablen wie Alter, St.-Gallen-Risikostatus
und Wechselwirkungen zwischen einzelnen dieser Variablen als unabhängige Variablen.
Mit dieser Vorgehensweise sollte überprüft werden, welche der somatischen und psychologischen
Variablen die Veränderung von der psychologischen Situation von t 1 (unmittelbar nach
Diagnose und vor der neoadjuvanten Chemotherapie) zu t 2 (unmittelbar nach Beendigung
der neoadjuvanten Chemotherapie und noch vor dem operativen Eingriff) vorauszusagen
gestattet.
Zusätzlich wurden mithilfe des SPSS-Programms, Version 23, Kaplan-Meier-Überlebensanalysen
(mithilfe des Log-Rank-Tests) berechnet, um abzuschätzen, ob Bewältigungsstrategien
vor der Chemotherapie das rezidivfreie oder generelle Langzeitüberleben vorhersagten.
Die Einteilung in hohe oder niedrige Werte erfolgte mithilfe des Medians für die gesamte
Stichprobe in der Verteilung jeder der Copingskalen: Scores unterhalb des Medians
wurden jeweils der Gruppe der „niedrigen Werte“, Scores oberhalb des Medians wurden
jeweils der Gruppe der „hohen Werte“ zugeteilt.
In dieser Berechnung war die abhängige Variable die Überlebenszeit nach Diagnose und
Chemotherapie oder bei zensierten/unvollständigen Daten, die Zeit bis zum letzten
Besuch (Follow-up/Nachsorge) beim behandelnden Arzt, wie diese in den Patientenakten
dokumentiert ist.
Ergebnisse
[Tab. 1] zeigt die zugrunde liegenden demografischen und medizinischen Daten. Die Patientinnen
lebten in einer überwiegend ländlichen Region und hatten im Durchschnitt eine basale
Schulausbildung. Nur ein geringer Anteil der Patientinnen hatte eine Fachhochschulreife
und einen Hochschul- oder Universitätsabschluss. Dies entspricht ungefähr den allgemeinen
Angaben bezüglich des Schulabschlusses in der Befragung der Patientinnen mit der Erstdiagnose
„Brustkrebs“. Ca. 70 % der erfassten Patientinnen hatten kein Abitur oder eine Fachhochschulreife
[48], [49].
Tab. 1 Demografische und medizinische Kennzahlen der Gesamtstichprobe (n = 53).
|
n
|
%
|
Mean
|
SD
|
Range
|
|
Alter
|
53
|
|
50,2
|
9,5
|
34–74
|
|
Nationalität
|
|
|
|
|
|
|
|
48
|
90,6
|
|
|
|
|
|
5
|
9,4
|
|
|
|
|
Ausbildung
|
|
|
|
|
|
|
|
18
|
34,0
|
|
|
|
|
|
1
|
1,9
|
|
|
|
|
|
17
|
32,1
|
|
|
|
|
|
9
|
17,0
|
|
|
|
|
|
2
|
3,8
|
|
|
|
|
|
5
|
9,4
|
|
|
|
|
|
1
|
1,9
|
|
|
|
|
St.-Gallen-Risikokategorie
|
|
|
|
|
|
|
|
21
|
39,6
|
|
|
|
|
|
32
|
60,4
|
|
|
|
|
Tumordicke zu t 1 (in mm)
|
53
|
|
25,9
|
8,6
|
14–50
|
|
|
12
|
22,6
|
|
|
35
|
66,0
|
|
|
1
|
1,9
|
|
|
5
|
9,4
|
|
Tumordicke zu t 2 (in mm)
|
50
|
94,3
|
8,7
|
15,1
|
0–70
|
|
Nodalstatus
|
|
|
|
|
|
|
|
24
|
45,3
|
|
|
|
|
|
19
|
35,8
|
|
|
|
|
|
9
|
17,0
|
|
|
|
|
|
1
|
1,9
|
|
|
|
|
Grading
|
|
|
|
|
|
|
|
27
|
50,9
|
|
|
|
|
|
26
|
49,1
|
|
|
|
|
Her2
|
|
|
|
|
|
|
|
13
|
24,5
|
|
|
|
|
|
40
|
75,5
|
|
|
|
|
medizinischer Status nach 3–5 Jahren
|
|
|
|
|
|
|
|
42
|
79,2
|
|
|
|
|
|
11
|
20,8
|
|
|
|
Das Durchschnittsalter der Patientinnen in unserer Studie lag bei 50 Jahren, mit einer
Spannbreite zwischen 34 und 74 Jahren. Das mittlere Erkrankungsalter liegt in Deutschland
bei 63 Jahren [49]. Demnach handelt es sich bei unserer Stichprobe um vergleichsweise jüngere Patientinnen.
40 % der Patientinnen hatten nach dem St.-Gallen-Kriterium ein hohes Risiko und 60 %
zeigten ein intermediäres Risiko.
Mehr als die Hälfte der Patientinnen hatte befallene Lymphknoten, alle Tumoren waren
mittelgradig oder schlecht differenziert (Grading). Ein positiver Her2-neu-Status
fand sich bei 13 von 53 der in die Studie eingebrachten Patientinnen.
In der Nachbetrachtungszeit von 3,7 bis 5,5 Jahren waren 7 Patientinnen (13,2 %) entweder
verstorben, hatten ein Rezidiv (n = 3) oder eine andere Krebserkrankung (n = 1) entwickelt;
42 Patientinnen (79,2 %) waren krankheitsfrei und wiesen eine Komplettremission auf.
Psychologische Situation der Patientinnen vor und nach der neoadjuvanten Chemotherapie
[Tab. 2] zeigt, dass alle Patientinnen gegenüber der Norm zu t 1 leicht erhöhte psychologische
Symptome (BSI) aufwiesen. Dies war nicht mehr der Fall nach Beendigung der Chemotherapie
(t 2). Weder hatte eine der Patientinnen psychologische Hilfe nachgefragt oder hatte
eine solche erhalten, auch keine zusätzlichen psychosozialen Unterstützungen durch
das Klinikpersonal. Lediglich die POMS-Depressions-Skala zeigte einen hochsignifikanten
Abfall zwischen t 1 und t 2. Die Scores für die soziale Unterstützung (F-SOZU) zeigten
keine Unterschiede, und die Fatigue Scores (BFI) wiesen einen tendenziellen Anstieg
während der Chemotherapie auf. Angst (HADS) zeigte eine hochsignifikante Reduktion
über den Behandlungszeitraum, Depression (HADS) hingegen nicht.
Tab. 2 Psychologische Belastung prä (t 1) und post neoadjuvanter Chemotherapie (t 2).
|
t-Tests
|
n
|
MW
|
SD
|
t-Score
|
p
|
|
* p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001 POMS = Profile of Mood Scales F-SOZU = Fragebogen zur sozialen Unterstützung HADS = Hospital Anxiety- und Depression-Skala
|
|
Brief Symptom Inventory BSI-GSI
|
|
|
|
2,17
|
0,035*
|
|
|
48
|
0,65
|
0,63
|
|
|
48
|
0,49
|
0,41
|
|
Depression POMS
|
|
|
|
6,18
|
0,000***
|
|
|
48
|
2,47
|
0,93
|
|
|
48
|
1,66
|
0,62
|
|
Fatigue POMS
|
|
|
|
− 0,75
|
0,459
|
|
|
47
|
2,50
|
1,10
|
|
|
47
|
2,64
|
0,88
|
|
Energie POMS
|
|
|
|
− 0,91
|
0,371
|
|
|
45
|
2,43
|
0,75
|
|
|
45
|
2,56
|
0,86
|
|
Niedergeschlagenheit POMS
|
|
|
|
1,65
|
0,106
|
|
|
48
|
1,83
|
0,86
|
|
|
48
|
1,63
|
0,82
|
|
soziale Unterstützung F-SOZU
|
|
|
|
0,24
|
0,813
|
|
|
48
|
61,92
|
9,26
|
|
|
48
|
61,58
|
9,78
|
|
Brief Fatigue Inventory BFI
|
|
|
|
− 1,74
|
0,089
|
|
|
48
|
3,43
|
2,12
|
|
|
48
|
4,04
|
1,82
|
|
Angst HADS
|
|
|
|
6,71
|
0,000***
|
|
|
49
|
9,16
|
4,37
|
|
|
49
|
5,33
|
3,72
|
|
Depression HADS
|
|
|
|
1,60
|
0,116
|
|
|
49
|
5,80
|
4,86
|
|
|
49
|
4,76
|
3,89
|
Somit zeigte sich in wichtigen Bereichen (Angst, Depression, allgemeiner psychologischer
Symptomdruck) über den Verlauf der Chemotherapie im Durchschnitt eine Reduktion von
psychologischem Stress – ohne zusätzliche psychologische Unterstützung. Im Durchschnitt
adaptierte die Stichprobe in wichtigen Bereichen an die situativen Erfordernisse.
[Tab. 3] veranschaulicht die Copingressourcen der Patientinnen zu t 1 und t 2. „Resignatives
Coping“ war im Durchschnitt relativ gering ausgeprägt und zeigte dennoch eine hochsignifikante
Reduktion für alle Patientinnen im Verlauf der Chemotherapie (von t 1 nach t 2). „Ablenkendes
Coping“ zeigte einen leichten Anstieg während der Chemotherapie, und „kognitiv-strukturierendes
Coping“ zeigte eine extreme Reduktion. Letzteres deutet auf eine Tendenz zu abwehrender
Haltung hin (der Aspekt der Abwehr wird hier nicht näher untersucht).
Tab. 3 Scores der Bewältigungsstrategien vor (t 1) und nach (t 2) Chemotherapie (t-Tests).
|
t-Tests
|
n
|
MW
|
SD
|
t-Score
|
p
|
|
* p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001
|
|
Resignation/Verzweiflung
|
|
|
|
3,88
|
0,000***
|
|
|
49
|
2,10
|
1,73
|
|
|
49
|
1,21
|
1,11
|
|
Ablenkung von der Krankheit
|
|
|
|
− 1,73
|
0,089
|
|
|
49
|
2,96
|
1,76
|
|
|
49
|
3,61
|
1,97
|
|
kognitive Strukturierung
|
|
|
|
4,62
|
0,000***
|
|
|
49
|
4,06
|
1,83
|
|
|
49
|
2,60
|
2,47
|
|
soziale Kontakte
|
|
|
|
− 3,23
|
0,002**
|
|
|
49
|
3,95
|
2,47
|
|
|
49
|
5,57
|
2,88
|
|
Compliance
|
|
|
|
− 1,45
|
0,154
|
|
|
49
|
3,37
|
2,33
|
|
|
49
|
4,03
|
2,88
|
|
Fighting Spirit
|
|
|
|
− 1,45
|
0,154
|
|
|
49
|
4,83
|
3,45
|
|
|
49
|
5,50
|
3,65
|
Coping in Bezug auf „soziale Unterstützung“ zeigte einen hochsignifikanten Anstieg
zwischen t 1 und t 2 im Schnitt der Gesamtstichprobe. Am meisten beeindruckte „Fighting
spirit-Coping“, welches zu t 1 bereits höher als die anderen Skalen ausgeprägt war
und dennoch während der Chemotherapie weiter anstieg (t 2), wenngleich dieser Anstieg
nicht statistisch signifikant ist.
[Tab. 4] zeigt, dass „aktive Copingstrategien“ (das Einsetzen von „kognitivem Strukturieren“,
von „sozialer Unterstützung“ suchen, „Compliance“ mit der Behandlung zeigen und „Fighting
spirit“ haben) mit einer besseren psychologischen Adaptierung korrelierten. Patientinnen
mit höherer „kognitiver Strukturierung“ zu t 1 erlebten einen signifikant geringeren
psychologischen Stress. Dies war auch tendenziell im Verlauf der Chemotherapie der
Fall (t 2). Patientinnen, die resignierten, zeigten eine signifikant schlechtere psychologische
Adaptation zu t 2, Patientinnen mit einem höheren Score in der Skala „Fighting spirit“
hingegen adaptierten sich signifikant besser an die Behandlung.
Tab. 4 Scores der einzelnen Bewältigungsstrategien (Coping) und psychologische Anpassung
(T-Scores) vor (t 1) und nach (t 2) Chemotherapie (t-Tests).
|
t-Tests
|
n
|
Stress (MW)a
|
SD
|
t-Score
|
p
|
|
a psychischer Stress (T-Wert-Normierung) * p < 0,05
|
|
kognitive Strukturierung zu t 1
|
|
|
|
2,203
|
0,033*
|
|
|
22
|
269,20
|
75,65
|
|
|
22
|
228,47
|
42,38
|
|
resignatives Coping zu t 2
|
|
|
|
− 2,194
|
0,034*
|
|
|
22
|
228,55
|
49,23
|
|
|
22
|
269,12
|
71,42
|
|
kognitive Strukturierung zu t 2
|
|
|
|
1,954
|
0,057
|
|
|
21
|
267,95
|
69,20
|
|
|
23
|
231,38
|
54,64
|
|
Fighting Spirit zu t 2
|
|
|
|
2,362
|
0,023*
|
|
|
22
|
270,50
|
70,23
|
|
|
22
|
227,17
|
49,72
|
Prädiktion der Tumorreduktion, Überleben und psychologische Situation
An den Follow-up-Untersuchungen zwischen 3,7 und 5,5 Jahren nach Chemotherapie nahmen
51 von 53 Patientinnen teil. Das Follow-up wurde im Durchschnitt 4,6 Jahre nach der
Chemotherapie durchgeführt, mit einem Minimum von 3,7 Jahren und einem Maximum von
5,5 Jahren. Den besten prädiktiven Wert für eine Tumorreduktion zeigte das St.-Gallen-Risiko,
allerdings nur tendenziell (p < 0,08). Weder irgendein psychologischer Test noch irgendeine
Copingstrategie erwies sich für die Tumorreduktion von prädiktivem Wert. In der Zeitspanne
des Follow-ups verstarben 7 Patientinnen, 3 entwickelten ein Rezidiv, 1 eine andere
Krebserkrankung. Zwischen einem höheren Risiko nach St. Gallen und dem Auftreten eines
Rezidivs, Neuerkrankung oder Tod der Patientinnen bestand kein statistischer Zusammenhang
(χ2 = 0,403, p < 0,525). Bei der Hochrisikogruppe überlebten 68,4 % die Follow-up-Zeitspanne
krankheitsfrei, bei der relativ niedrigen Risikogruppe 76,3 %. Bei einer Hazard Ratio
von 1 besteht kein Unterschied zwischen beiden Gruppen bezüglich der Prognosepower
der Variablen „St.-Gallen-Risiko“.
Im Extremgruppenvergleich – Zugehörigkeit zur Gruppe der höher resignativen oder zur
Gruppe der weniger resignativen Patientinnen – zeigen Patientinnen mit einem geringen
„resignativen Coping“ oder mit einer Reduktion von „resignativem Coping“ während der
Chemotherapie bzw. einem höheren Ausmaß an resignativem Coping, aber einer Abnahme
zum Messzeitpunkt t 2, eine signifikant höhere generelle oder krankheitsfreie Überlebensrate
im Vergleich zu Patientinnen, die einen gleichbleibend höheren Wert an Resignation
zum 2. Messzeitpunkt aufweisen oder sogar noch weiter zunehmen oder generell eine
Zunahme an „resignativem Coping“ haben (Log-Rank-Test [Mantel-Cox]: χ2 = 4,882, p < 0,03) ([Abb. 1]).
Abb. 1 Extremgruppenvergleich: Patientinnen mit unverändertem oder zunehmendem „resignativ-hoffnungslosem
Coping“ (schwarz) vs. Patientinnen mit geringem oder abnehmendem „resignativ-hoffnungslosem
Coping“ (grau) (Log-Rank-Test: χ2 = 4,882; df = 1; p < 0,03).
[Abb. 2] zeigt den Zusammenhang zwischen „resignativem Coping“ und „Fighting spirit-Coping“.
Betrachtet man die Extremgruppen – Patientinnen mit einem höheren Grad an „resignativem
Coping“ und zugleich einem niedrigeren Ausmaß an „Fighting spirit-Coping“ auf der
einen und Patientinnen mit einem geringeren Ausmaß an „resignativem Coping“ und zugleich
einem höheren Ausmaß an „Fighting spirit-Coping“ auf der anderen Seite – so weist
die erste Gruppe eine signifikant niedrigere generelle oder krankheitsfreie Überlebensrate
im Vergleich mit Patientinnen mit einem niedrigeren Grad an „resignativem Coping“
und einem höheren Grad an „Fighting spirit“ auf (Log-Rank-Test [Mantel-Cox]: χ2 = 4,253, p < 0,050).
Abb. 2 Extremgruppenvergleich: Patientinnen mit „resignativ-hoffnungslosem Coping und zugleich
geringem „Fighting spirit-Coping“ (schwarz) vs. Patientinnen mit geringem „resignativ-hoffnunglosen
Coping“ und zugleich hohem „Fighting spirit-Coping“ (grau) (Log-Rank-Test: χ2 = 4,253; df = 1; p < 0,05).
Das Risiko nach St. Gallen als medizinische Variable, „resignatives Coping“ und „sozial
unterstützendes Coping“ als Copingvariablen, Alter als kritische Variable bei Brustkrebs
und das Vorhandensein oder Fehlen von einer möglichen Erklärung für das Auftreten
(Laientheorie) der Erkrankung wurden in einer Mixed-Model-Analyse (Mixed-Model-Varianzanalyse)
mit Fixed Effects mit der psychologischen Veränderung zwischen den Messpunkten vor
und nach der Behandlung (psychologische Adaptation als abhängiger Variable) geprüft
([Tab. 5]).
Tab. 5 Abhängige Variable: T-Score „günstige psychologische Veränderung“ (von t 1 zu t 2)
und Prädiktoren (mixed model analysis, fixed effects).
|
Variable
|
Schätzung
|
SD
|
df
|
t
|
p
|
95 %-Konfidenzintervall
|
|
untere Grenze
|
obere Grenze
|
|
* p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001
|
|
Intercept
|
− 165,87
|
120,45
|
54
|
− 1,377
|
0,174
|
− 407,36
|
75,62
|
|
St.-Gallen-Risikokategorie
|
− 105,66
|
53,12
|
54
|
− 1,989
|
0,052
|
− 212,16
|
0,84
|
|
Alter
|
3,38
|
2,32
|
54
|
1,458
|
0,151
|
− 1,27
|
8,03
|
|
Laientheorie
|
54,50
|
15,96
|
54
|
3,414
|
0,001***
|
22,49
|
86,50
|
|
Coping soziale Unterstützung zu t 1
|
191,63
|
72,23
|
54
|
2,653
|
0,010**
|
46,81
|
336,45
|
|
resignatives Coping zu t 1
|
− 51,73
|
19,20
|
54
|
− 2,694
|
0,009**
|
− 90,23
|
− 13,24
|
|
St.-Gallen-Risikokategorie* resignatives Coping
|
70,75
|
34,00
|
54
|
2,081
|
0,042*
|
2,58
|
138,91
|
|
Coping soziale Unterstützung zu t 1* Alter
|
− 3,30
|
1,39
|
54
|
− 2,368
|
0,022*
|
− 6,09
|
− 0,51
|
Das Alter und das St.-Gallen-Risiko hatten keinen Einfluss auf die psychologische
Adaptation der Patientinnen zu t 2. Dagegen hatten das Vorhandensein einer möglichen
Erklärung für das Auftreten der Erkrankung (Laientheorie) und ein erhöhter Grad an
„sozial unterstützendem Coping“ zu t 1 eine hochsignifikante prädiktive Wirkung (Laientheorie)
bzw. eine signifikante Prädiktion (gute soziale Unterstützung) der psychologischen
Adaptation zu t 2. Patientinnen mit einer subjektiven Attribution der Ursache für
den Krebs sowie Patientinnen, die aktiv nach sozialer Unterstützung suchten, zeigten
eine bessere psychologische Anpassung (Adaptation) zu t 2. Ebenfalls waren ein ausgepägtes
resignatives Bewältigungsverhalten ein negativer Prädiktor wie ein ausgeprägtes Suchen
nach sozialer Unterstützung ein positiver Prädiktor für bessere psychologische Anpassung
zu t 2.
Außerdem ergab sich ein interaktiver Effekt zwischen Alter und resignativem Coping
als signifikanter Prädiktor für eine schlechtere psychologische Anpassung zu t 2.
Ältere Patientinnen waren resignierter vor der neoadjuvanten Chemotherapie, was eine
signifikant schlechtere psychologische Anpassung zu t 2 voraussagte.
Ältere Patientinnen suchten signifikant weniger nach sozialer Unterstützung, was offensichtlich
von einer schlechteren psychologischen Anpassung (Adaptation) gefolgt war. Umgekehrt
gilt: Jüngere Patientinnen suchten mehr nach sozialer Unterstützung und adaptierten
besser an die Situation.
Diskussion
Diese Studie berichtet prospektiv über die psychologische Adaptation von Brustkrebspatientinnen,
die eine neoadjuvante Chemotherapie vor der operativen Behandlung erhalten haben.
Die Einschlusskriterien für den Studieneinschluss waren ein stanzbioptisch gesichertes
Mammakarzinom, das Vorliegen der schriftlichen Einverständniserklärung zur Studienteilnahme,
ein Lebensalter über 18 Jahren und ausreichende deutsche Sprachkenntnisse (wegen der
deutschsprachigen Tests und der Interviews). Die untersuchten psychologischen Variablen
umfassten psychischen Stress, soziale Unterstützung, Fatigue, subjektive Glaubensvorstellungen
über die Entstehung der Erkrankung (Laientheorie) und die Bewältigungsressourcen der
Patientinnen. Die Bewältigungsstrategien (Coping) wurden prospektiv untersucht und
objektiv mithilfe von semistrukturierten Interviews erfasst, unmittelbar vor der neoadjuvanten
Chemotherapie und nach Beendigung der Chemotherapie und noch vor dem operativen Eingriff.
Medizinische Daten wurden dokumentiert und zu den Follow-up-Untersuchungen zwischen
3,7 und 5,5 Jahren nach Chemotherapie auf mögliche Zusammenhänge mit den psychologischen
und den Copingvariablen hin untersucht.
Im Allgemeinen wiesen die Patientinnen im Durchschnitt einen erhöhten Grad an psychischem
Stress zum Zeitpunkt der Diagnose und vor der systemischen Therapie (t 1) auf. Während
wichtige psychologische Variablen wie allgemeiner psychischer Symptomstress (BSI),
Depression (POMS) und Angst (HADS) im Verlauf der chemotherapeutischen Behandlung
eine Abnahme zeigten (t 2 im Vergleich zu t 1), blieben andere Variablen konstant
erhöht. Patientinnen, die spontan eine Erklärung über die Ursache ihrer Erkrankung
beim 1. Interview zu t 1 äußerten, zeigten eine signifikant bessere psychologische
Adaptation über den Verlauf der Chemotherapie und zu t 2. Nur sehr wenige Studien
berichten über Korrelationen zwischen psychologischer Adaptation und Attributionen
bezüglich der Ursache von Krebs. Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Die wenigen
diesbezüglichen Studien zeigten keine Korrelation zwischen Attributionen (Laientheorien
über die mögliche Ursache) und Anpassung an Brustkrebs [50], [51]; andere zeigten signifikante Zusammenhänge mit einer besseren Anpassung an eine
Leukämieerkrankung und an die erfolgte allogene Knochenmarktransplantation [33], [34]. Forschung im Bereich von Kranheitsverarbeitung über die Erfassung von Copingstrategien
und von subjektiven Krankheitsentstehungstheorien ist mit vielen Schwierigkeiten behaftet.
Unter dem Blinkwinkel, dass viele Krebspatienten ihre sehr eigenen Theorien über die
Ursachen ihrer Erkrankung entwickeln, gewinnt dieser Aspekt an Bedeutung für zukünftige
Forschung [50], [51].
Kausales Denken ist fester Bestandteil der menschlichen Natur. Menschen suchen nach
Ursachen und Gründen für die Geschehnisse in ihrem Leben. Man kann darüber spekulieren,
ob subjektive Theorien zur Ursache der eigenen Erkrankung eher hilfreich sind und
Ängste abpuffern, im Gegensatz zu einer ohnmächtigen und unerklärlichen Rat- und Hilflosigkeit.
Ärzte und Mitarbeiter im Gesundheitswesen sollten die persönlichen Glaubensvorstellungen
der Patienten im Hinblick auf die Konsequenzen hin beachten: Sind patientenseitige
Überzeugungen („Laienätiologien“) eher hilfreich – weil diese die Patienten eher beruhigen
– oder sind sie dysfunktional hinsichtlich der Compliance mit der Therapie und dem
Aufbau von Hoffnung und erschweren eher die therapiebezogene Compliance – weil die
Patienten agitiert bleiben und die eigenen Krankheitstheorien sie eher nicht beruhigen?
Im letzteren Fall wäre eine psychoonkologische Intervention erforderlich, weil die
Patienten sonst in einem erhöhten Stresszustand verbleiben würden und eine Anpassung
an die Erkrankung und die notwendigen Behandlungsmaßnahmen somit erschwert oder unmöglich
gemacht und zudem die allgemeinen oder krankheitsfreien Überlebenschancen der Patienten
verringert würden. Dies könnte bei unserer Stichprobe der Fall gewesen sein.
Unsere Studie zeigt, dass Brustkrebspatientinnen mit erschwerter Anpassung an die
Krankheitssituation vor Beginn der (neoadjuvanten) Therapie identifiziert werden können.
Sie sind tendenziell älter und weisen Defizite im Bezug auf das Einholen von sozialer
Unterstützung durch Familienangehörigen und Freunde auf. Sie haben meist keine eigene
Krankheitstheorie (Laienätiologie) für die Erkrankung, sind häufig depressiv belastet,
blicken pessimistischer in die Zukunft, wirken hoffnungslos und haben hohe Werte in
„resignativem Coping“. Diese Frauen haben offenbar Schwierigkeiten mit der Bewältigung
ihrer Situation und könnten dadurch ein erhöhtes Risiko für den weiteren Krankheitsverlauf
haben.
Im Gegensatz zu dieser problematischen Untergruppe wiesen Frauen mit besserer sozialer
Unterstützung nach der Diagnosestellung und noch vor Beginn der Chemotherapie eine
bessere Anpassung an die Situation auf. Sie hatten eher einen ausgeprägten „Fighting
spirit“ und hegten eigene Theorien über die Ursache ihrer Krebserkrankung. Sie waren
auch tendenziell jünger. Diese Patientinnen zeigten eine signifikant bessere psychologische
Anpassung an die Erkrankung und die systemische Therapie gleichermaßen. Patientinnen
ohne resignative Bewältigungshaltungen bzw. mit einem geringen „resignativen Coping“
zu t 1 – und auch während der Behandlung und mit einem hohem „Fighting spirit“ – wiesen
eine signifikant bessere allgemeine oder krankheitsfreie Überlebensrate auf.
„Resignatives Coping“ und „Fighting spirit-Coping“ korrelierten signifikant negativ
zu t 1 (r = − 0,360, df = 52, p < 0,009). Coping bezogen auf „soziale Unterstützung“
und „Fighting spirit-Coping“ korrelierten signifikant positiv zu t 1 (r = 0,296, df = 52,
p < 0,033).
Die Qualität der Verarbeitung und der Bewältigung der Krebsdiagnose vonseiten der
Patientinnen zum Zeitpunkt der Erstdiagnose und noch vor der onkologischen Behandlung
sagte in unserer Studie die psychologische Anpassung voraus und beeinflusste den Krankheits-
und Genesungsverlauf. Risikopatientinnen sollten bei der Erstdiagnose identifiziert
werden, da sie zusätzliche unterstützende Begleitung benötigen [52].
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Patientinnen mit der Erstdiagnose „Brustkrebs“
ein hohes Bedürfnis nach psychosozialer Unterstützung über die Familie, Freunde und
Bekannte haben. In unserer und auch in anderen Studien erscheint eine gute soziale
Unterstützung entscheidend zu sein für die psychologische Anpassung und womöglich
sogar für das Überleben mit Krebs [52], [53], [54], [55], [56], [57], [58]. Die Frauen in unserer Studie, die ein besseres Coping in Bezug auf „soziale Unterstützung“
aufwiesen, hatten auch eine bessere „kognitive Strukturierung“, einen stärkeren „Fighting
spirit“ und weniger oder kein „resignatives Coping“. Somit erscheint ein frühes und
sorgfältiges psychologisches Screening in Bezug auf die Copingressourcen von Brustkrebspatientinnen
empfehlenswert. Vulnerable Patientinnen benötigen zusätzliche psychologische Maßnahmen,
damit sie die Möglichkeit erhalten, ihre Copingmöglichkeiten zu verbessern. Mehrere
methodisch anspruchsvolle Studien zeigen, dass die Qualität der Copingressourcen eine
bessere Vorhersagekraft für die psychologische Anpassung und auch das Überleben hat
[6], [7], [14], [15], [16], [27], [31], [32], [52], [53], [54], [55], [56], [57], [58]. Bei Patientinnen mit gynäkologischen Malignomen unter Chemotherapie konnte bereits
vor der Chemotherapie – nach operativem Eingriff – nachgewiesen werden, dass die empfundene
Lebensqualität der Patientinnen bereits vor der Chemotherapie die Lebensqualität nach
dem 6. Chemotherapiezyklus voraussagte [59].
Die Ressourcen der Patientinnen zum Zeitpunkt der Diagnose können entsprechend beeinflusst
werden durch kurze, aber intensive psychoonkologische Interventionen [59], [60], [61], [62], [63]. Obwohl viele Studien keine signifikanten Zusammenhänge zwischen psychoonkologischen
Interventionen und Effekten auf das Überleben zeigen [64], [65], [66], [67], [68], ist diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend zu beantworten. Die meisten
dieser Studien haben unzureichende Methoden eingesetzt, welche die Copingressourcen
von Patienten nicht angemessen zu erfassen gestatten. Sie verwandten Fragebögen zur
Messung des Copingverhaltens. Fragebögen sind jedoch kein valides Instrument zur Identifikation
des wahren Copingverhaltens. Sie tendieren dazu, eher eine soziale Erwünschtheit oder
die Abwehr der Patienten zu messen anstatt die oft schmerzhafte Selbstoffenbarung.
Die geringe Teilnehmerzahl ist eine Schwäche dieser Studie. Eine Stärke der Studie
sind ihre prospektive Natur mit einem 3- bis 5-jährigen Follow-up, objektive Bewertungen
des Bewältigungsverhaltens, der Gebrauch von gut etablierten psychoonkologischen Messverfahren
und die multiple Ergebniskriteriumsmessung.
Die Daten aus der Nachsorge bezüglich des Nichtauftretens eines Rezidivs, einer fehlenden
Neuerkrankung, kein tumorbedingtes Versterben und den erhobenen Scores der als positiv
einzuschätzenden Copingstrategien lassen einen Zusammenhang zwischen einem krankheitsfreien
und dem allgemeinen Überleben vermuten, was – neben einem erneuten Follow-up – unbedingt
in einer weiteren Untersuchung anhand einer deutlich größeren Stichprobe überprüft
werden sollte. Auf jeden Fall sprechen die hier dargestellten Ergebnisse schon jetzt
für eine höhere Sensibilität und ein sorgfältiges psychoonkologisches Screening von
Patientinnen, die sich einer neoadjuvanten Chemotherapie unterziehen wollen, um gegebenenfalls
rechtzeitig psychoonkologisch hilfreiche Interventionen veranlassen zu können.
Schlussfolgerungen
Brustkrebspatientinnen, die eine neoadjuvante Chemotherapie erhalten sollen, erleben
einen erheblichen psychischen Stress durch die Mitteilung der Diagnose. Ihre spezielle
Situation umfasst nicht nur den Schock der Diagnose, sondern auch die Tatsache, dass
aufgrund einer Risikosituation zuerst eine neoadjuvante Chemotherapie durchgeführt
und der Tumor erst nach Abschluss der Chemotherapie operativ entfernt wird und somit
vorerst im Körper verbleibt. Dies mündet in eine große Herausforderung an die betroffene
Frau, nicht nur mit der schwierigen Situation der „Brustkrebs-Diagnose“ umgehen zu
müssen, sondern zusätzlich auch noch mit der Angst einer persistierenden Bedrohung
im Körper. Offensichtlich erfordert diese Situation Kräfte, über die nicht jede Frau
verfügt. Frauen ohne aktive und hilfreiche Bewältigungsstrategien (Copingstrategien)
haben ein erhöhtes Risiko für eine psychologische Fehlanpassung.
Ein vorsichtiges psychoonkologisches Screening im Hinblick auf potenzielle psychosoziale
Defizite oder mangelnde Copingressourcen der Frauen wird dringend empfohlen und dies
möglichst unmittelbar nach der Diagnose und noch vor jeglicher onkologischen Behandlung.
So könnte eine mögliche Vulnerabilität abgeklärt werden, um dann gegebenenfalls eine
angemessene psychoonkologische Unterstützung veranlassen zu können.