Einleitung
Mit der klinischen Etablierung der Marknagelosteosynthese durch Kuentscher [1] eröffneten sich neue Möglichkeiten für die Frakturbehandlung an langen Röhrenknochen.
Ohne wesentliche iatrogene Weichteilkompromittierung konnte ein frakturierter Röhrenknochen
über den Marknagel im Markraum stabilisiert und zur Ausheilung gebracht werden. Mit
den Anfängen der systematischen Frakturforschung und Entwicklung von Implantaten durch
die Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) geriet der Marknagel als Osteosyntheseverfahren
vorübergehend aus dem Fokus, um mit Entwicklung der verriegelten Marknägel neue Indikationsspektren
zu erobern, da mit der Plattenosteosynthese zwar eine anatomische Reposition möglich
war, durch die Beeinflussung der Durchblutung jedoch die Infektionsraten stark anstiegen
und die sog. „biologische“ Osteosynthese zur Schonung der Weichteilsituation angestrebt
wurde. Mit dem Marknagel war die Stabilisierung auch in gedeckter Technik möglich
und eröffnete diesem Osteosyntheseverfahren neue Impulse.
Heute sind Marknägel in verschiedenen Varianten an allen langen Röhrenknochen als
Osteosyntheseverfahren etabliert und verfügbar. Das weite Indikationsspektrum und
die demografischen und gesundheitspolitischen Entwicklungen führen dazu, dass die
Indikationen für operative Frakturbehandlungen weiter gestellt sind und damit auch
die absolute Zahl der Infektionen ansteigt, obwohl das Infektionsrisiko insgesamt
eher als niedrig einzustufen ist.
Damit ergibt sich für die Behandlung von Infektionen bei intramedullärem Implantat
die Herausforderung, unter Erhalt der biologischen Voraussetzungen für die Frakturheilung
den Infekt zu sanieren und eine funktionell stabile Konsolidierung des Knochens zu
erreichen.
Die Besonderheiten bei der Diagnostik und Behandlung von Infektionen bei intramedullärem
Implantat sollen in diesem Beitrag dargestellt und eigene Erfahrungen beschrieben
werden.
Hauptteil
Inzidenz
Zuverlässige Angaben über die Häufigkeit von Infektionen bei intramedullärem Implantat
existieren nicht. Es ist bekannt, dass die Häufigkeit von postoperativen Infektionen
nach Osteosynthese von Frakturen der langen Röhrenknochen zwischen 0 und 7% [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12] variiert. Die Unterschiede ergeben sich aus zahlreichen Faktoren, welche die Entstehung
einer postoperativen Infektion begünstigen. So ist das Risiko bei Kompromittierung
des Immunsystems, z. B. beim Polytrauma mit großem Blutverlust ebenso wie durch Erkrankungen,
welche die Durchblutung beeinträchtigen, wie Nikotinkonsum, PAVK und Diabetes mellitus,
erhöht [13], [14], [15]. Dabei ist das Infektionsrisiko auch bei geschlossenen Frakturen erhöht. Wird eine
geschlossene Fraktur im Rahmen der Operation freigelegt, so wird diese in eine offene
umgewandelt und hat ebenfalls ein erhöhtes Infektionsrisiko [16], [17].
Die anatomische Region hat aufgrund unterschiedlicher Perfusionsverhältnisse ebenfalls
Einfluss auf das Infektionsrisiko. Infektionen an der oberen Extremität sind wesentlich
seltener und beeinträchtigen den Patienten in seiner Lebensqualität in aller Regel
weniger.
Die Marknagelosteosynthese ist das ideale Implantat für die Stabilisierung von Frakturen
der langen Röhrenknochen. Neben der optimalen biomechanischen Situation wird das Weichteiltrauma
durch die Operation gering gehalten. Diese Vorteile sind im Falle einer Infektion
jedoch auch die Faktoren, welche die Diagnostik und Therapie zu einer besonderen Herausforderung
gestalten.
Diagnostik
Die Diagnostik der Infektion bei intramedullärem Implantat entspricht den Prinzipien
der septischen Chirurgie und wird wesentlich vom klinischen Verlauf, den Laborbefunden
und der Bildgebung bestimmt. Beweisend für die Infektion sind der positive mikrobiologische
und der histologische Befund. Allerdings stehen diese Informationen erst postoperativ
zur Verfügung.
Anamnestisch sind offene Frakturen, lange OP-Zeiten, Wundheilungsstörungen, „Allergien“,
Antibiotikagabe etc. hinweisend auf eine Infektion.
Klinisch reicht das Erscheinungsbild der Infektion bei intramedullärem Implantat von
Schmerzen und geringen lokalen Auffälligkeiten bis hin zum septischen Schock.
Während die akute posttraumatische/-operative Infektion eher durch einen markanten
Verlauf mit Fieber, Schmerzen und akuten Infektzeichen gekennzeichnet ist, verläuft
die chronische Infektion überwiegend schleichend, zeitweise undulierend und mit weniger
stark ausgeprägten Infektzeichen. Bei Verdacht auf hämatogene Infektion ist die Fokussuche/-ausschluss
erforderlich.
Laborchemisch ist im klinischen Alltag für die Diagnostik von muskuloskeletalen Infektionen
der CRP-Wert richtungweisend, wenn auch nicht beweisend [18], [19].
In der akuten Situation eines Infektverdachts bestimmen der klinische Verlauf und
der Lokalbefund die OP-Indikation. Beim Verdacht auf eine akute Infektion ist damit
bereits die Indikation zur Revision gestellt. Hier helfen bildgebende Verfahren wenig
weiter. Bei begründetem Verdacht kann mittels CT oder besser MRT eine mögliche Abszessformation
in den Weichteilen detektiert werden und für die präoperative Planung hilfreich sein,
wird aber mitunter in der Aussagefähigkeit durch Artefakte von seiten des Implantates
limitiert.
Bei chronischen Infektionen besteht die Herausforderung in der Detektion des Sequesters/Infektfokus
bei liegendem Implantat. Parallel sind für die Planung der Sanierung und Rekonstruktion
die Abklärung und Optimierung der Durchblutungssituation, der Stabilität bzw. das
Ausmaß des knöchernen Defektes essenziell.
Bei klinischem Verdacht auf eine Infektion bei intramedullärem Implantat gelingt die
Sicherung der Diagnose oft erst postoperativ, sodass ein mehrzeitiges Konzept zur
Sanierung und Rekonstruktion naheliegend ist.
Therapie
Die Grundsätze der septischen Chirurgie mit Sequestrektomie, Implantatentfernung und
Stabilisierung gelten auch bei Infektionen mit intramedullärem Implantat.
Während die Sequestrektomie und die Implantatentfernung an allen Röhrenknochen ähnlich
umzusetzen sind, erfordert die Stabilisierung eines instabilen infizierten Femurs
besonderer Aufmerksamkeit. Vorübergehend kann eine externe Stabilisierung eines Unterschenkels
oder Armes auch im Cast o. ä. erfolgen, ohne dass eine dramatische Beeinträchtigung
des Patienten resultiert. Ganz anders am Femur. Weder durch Cast noch durch Fixateur
externe ist eine komfortable und zufriedenstellende Stabilisierung möglich. Neben
der Weichteilkompromittierung und der limitierten Stabilität kommt hinzu, dass der
Markraum durch Fixateurpins verlegt ist und für das Débridement/Sequestrektomie nicht
zugänglich ist. Zur Bewältigung dieser Situation bietet sich der Marknagel aus mehreren
Gründen als Wechselimplantat für die Sanierung bei Femurinfektionen an.
Nach Entfernung des Marknagels ist der gesamte Knochen für die Sequestrektomie zugänglich,
ohne eine weitere Traumatisierung des umgebenden Gewebes zu verursachen. Nach der
Entnahme von mikrobiologischen und histologischen Proben zur Diagnosesicherung erfolgt
die Sequestrektomie und Markraumüberbohrung, bis der Bohrer Widerstand beim Bohren
erreicht, in aller Regel 0,5 bis 1 mm größer als das entfernte Implantat. Anschließend
Jetlavage des Markraumes und Desinfektion des Situs.
Zur Reduktion der Keimlast erfolgt nun der Wechsel der Abdeckung, Instrumente und
Handschuhe. Nach lokaler Applikation von Antibiotika im Markraum erfolgt die erneute
Stabilisierung mit einem Implantat der gleichen Dimension des vorher einliegenden
Implantates, um eine zusätzliche Destruktion der Knochensubstanz zu limitieren. Abhängig
vom Weichteilbefund erfolgt der Wundverschluss mit oder ohne Vakuumversiegelung. Es
resultiert eine lagerungsstabile Extremität. Begleitend erfolgt die kalkulierte Antibiotikatherapie.
Diese Prozedur wird bis zum Erhalt von negativen mikrobiologischen Proben in ca. wöchentlichen
Intervallen bis zu 3 Mal vorgenommen. Nach der 1. Revision erfolgt eine CT-Kontrolle,
ggf. als Angio-CT, um noch verbliebene Sequester zu detektieren. Besonders bei ehemaligen
Trümmerfrakturen ist durch das runde Bohrloch ein exzentrisch gelegener Sequester
nicht zu erreichen und bedarf der gezielten Entfernung. Neben der Beurteilung der
Durchblutungssituation bei den oft unphysiologischen Verhältnissen kann die Planung
eventueller plastisch-chirurgischer Operationen mittels CT-Angiografie vorbereitet
werden.
Infektionen bei intramedullärem Implantat an Tibia, Humerus, Ulna oder Radius erfordern
ebenfalls die Implantatentfernung, Sequestrektomie und Aufbohrung des Markraumes.
Obligat ist auch hier die differenzierte Entnahme von Gewebeproben für die mikrobiologische
und histologische Untersuchung zur Sicherung der Diagnose. Bei der Jetlavage sollte
auf einen ausreichenden Abfluss der Spülflüssigkeit und Schonung der Weichteile geachtet
werden. Nach dem Wechsel der Abdeckung und Instrumente hat sich zur Infektberuhigung
die Applikation von topisch wirkenden Antibiotika bewährt. Während sich bei Verwendung
von antibiotikahaltigen Ketten sowohl die Applikation als auch die Entfernung schwierig
gestalten kann, erscheint die Verwendung von antibiotikahaltigen Platzhaltern in Form
von Knochenzementnägeln einfacher in der Handhabung. Abhängig vom Weichteildefekt
erfolgt der Wundverschluss oder die Vakuumversiegelung. Nach Vorliegen des mikrobiellen
Befundes und der Histologie kann die Antibiotikatherapie adaptiert werden. Temporär
kann am Unterschenkel eine Immobilisierung im Cast, an der oberen Extremität im Gilchrist-Verband
vorgenommen werden. Postoperativ erfolgt befundabhängig die CT-Untersuchung zur Beurteilung
der Sequestrektomie, bei erforderlicher plastisch-chirurgischer Behandlung als CT-Angio.
Im Intervall wird die Optimierung der Perfusionsverhältnisse vorgenommen und die Knochen-
und Weichteilrekonstruktion geplant.
Rekonstruktion
Nach Eradikation des Infektherdes hängt das Verfahren der Rekonstruktion vom Ausmaß
der Defektstrecke, der Lokalisation, dem begleitenden Weichteildefekt, Nebenerkrankungen,
dem Patientenwunsch und vielen weiteren Faktoren ab.
Bei kurzen Defekten bietet sich die Verkürzungsresektion und bei keimfreiem Situs
die erneute Marknagelosteosynthese an. Am Unterschenkel ist dieses Verfahren nur möglich,
wenn auch die Fibula verkürzt wird oder nicht sperrt. Bei Erhalt der Unterschenkellänge
können Defekte bis ca. 3 cm auch bei liegendem Marknagel mit einer Spongiosaplastik
aufgefüllt oder mit einem Segmenttransport bei liegendem Marknagel rekonstruiert werden.
Defekte mit einem Ausmaß von mehr als ca. 5 cm können relativ zuverlässig mit dem
Segmenttransport über Marknagel oder Fixateur externe behandelt werden. [20], [21], [22] Nach anfänglichen Erfolgen der Defektrekonstruktion mit der Masquelet-Technik scheint
dieses Verfahren für größere Defekte (> 5 cm) nur bedingt geeignet [23], [24].
Während sich der Ringfixateur durch die Variabilität, Stabilität und beim Hexapod-Fixateur
auch durch eine 3-dimensionale Korrekturmöglichkeit auszeichnet, erscheint der Monorail-Fixateur
komfortabler, aber bei anspruchsvoller OP-Technik nicht bei allen Situationen vorteilhaft.
Bei der Rekonstruktion von Diaphysendefekten mit einer vaskularisierten Fibula ist
eine sichere Stabilisierung in aller Regel mit Fixateur externe oder Platte erforderlich.
Eine belastbare Stabilität ist nach einem Zeitraum von ca. 1 – 2 Jahren zu erwarten.
Bei der Stabilisierung mit einer Platte ist immer zu berücksichtigen, dass neben der
kompromittierten Markraumdurchblutung dann zusätzlich auch die periostale Durchblutung
gestört ist und ein zusätzlicher Zugang mit entsprechender Weichteilschädigung erforderlich
ist. Bei geplantem extramedullärem Zugang aus anderen Gründen (z. B. Segmentresektion)
spielt dieser Aspekt eine untergeordnete Rolle.
Semizirkuläre Knochendefekte bis zu ⅔ der Zirkumferenz können bei ausreichender Stabilität
und Durchblutungssituation mit Spongiosa, Knochenersatzmaterial oder vaskularisiertem
Knochen überbrückt werden. Die Entscheidung zur Auswahl eines erfolgversprechenden
Verfahrens hängt von zahlreichen Faktoren ab, ist immer individuell und sollte den
Prinzipien der septischen Chirurgie entsprechen.
Die Infektion bei intramedullärem Implantat an der unteren Extremität bedeutet immer
eine erhebliche Beeinträchtigung der Mobilität des Patienten. Abhängig von den Nebenerkrankungen
und der Compliance resultiert oft die Rollstuhlabhängigkeit für den Zeitraum der Sanierung.
Die Therapie von Infektionen bei intramedullärem Implantat an Humerus, Ulna und Radius
gestaltet sich demgegenüber vergleichsweise einfach, sofern ausreichend knöcherne
Substanz für die Rekonstruktion vorhanden ist.
Abhängig vom Ausmaß der Infektion, der resultierenden Defektsituation, der Durchblutungsverhältnisse,
der Nebenerkrankungen und dem Patientenwunsch kann auch die Amputation als Therapieoption
ein geeignetes Verfahren zur Infektbehandlung darstellen.
Schlussfolgerungen
Infektionen bei intramedullärem Implantat stellen trotz moderner Implantate, hochwirksamer
Antibiotika und gewebeschonender OP-Verfahren immer noch eine interdisziplinäre Herausforderung
dar. Der Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung liegt in der radikalen chirurgischen
Sanierung des Infektionsherdes. Im Vorfeld operativer Maßnahmen ist die Optimierung
der Durchblutung und der Nebenerkrankungen anzustreben. Da der Markraum offen kaum
zugänglich ist, erfolgt die Sequestrektomie über Aufbohren der Markhöhle und ggf.
offene Sequestrektomie. Tibia und obere Extremität lassen sich für ein implantatfreies
Intervall gut mit einem Cast/Gilchrist-Verband ruhigstellen, am Femur erscheint der
Marknagelwechsel für die Stabilisierung im Intervall ein geeigneter Kompromiss zwischen
immobilisierender Instabilität und Herdsanierung zu sein. Nach Sicherung der Diagnose
mit mikrobiologischen und histologischen Proben erfolgt die Rekonstruktion des Knochens
und ggf. der Weichteile. Abhängig vom Ausmaß des Defektes, der Lokalisation, der Begleitumstände
und des Patientenwunsches kommen die Spongiosaplastik, Masquelet-Technik, die Verkürzungsosteotomie,
die Segmentresektion mit anschließendem Segmenttransport, der freie Fibulatransfer
bis hin auch zur Amputation jeweils als das individuell geeignete Verfahren zur Anwendung.
Zur Therapie dieses multifaktoriellen Krankheitsbildes ist ein interdisziplinär angestimmtes
Therapiekonzept unabdingbar.