Aktuelle Dermatologie 2017; 43(03): 110-112
DOI: 10.1055/s-0043-103237
Von den Wurzeln unseres Fachs
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prof. Dr. Ernst Wilhelm Nathan (23. 5. 1889 – 1. 11. 1981)

D. Debus
Klinik für Dermatologie, Klinikum Nürnberg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität
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Dr. Dirk Debus
Klinik für Dermatologie
Klinikum Nürnberg
Paracelsus Medizinische Privatuniversität
Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1
90419 Nürnberg

Publication History

Publication Date:
31 March 2017 (online)

 

„Prof. Dr. Ernst Wilhelm Nathan war der prominenteste jüdische Arzt in Nürnberg. Sein Lebensweg ist in vielen Publikationen über das Schicksal Nürnberger Juden erwähnt und steht für den gnadenlosen Ausschluss jüdischer Bürger unabhängig von ihren Verdiensten.“

Bernd Höffken [1]


Ernst Nathan wurde am 23. 5. 1889 in Darmstadt geboren, seine Eltern waren der Kaufmann Siegfried Nathan und Mathilde Nathan, geb. Katz. Er besuchte in Darmstadt das humanistische „Neue Gymnasium“. Anschließend studierte er in Gießen, München und Berlin.

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Abb. 1 Prof. Dr. Ernst Wilhelm Nathan. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg C 21/VII Nr. 109.
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Abb. 2 Zum Gedenken an Ernst Nathan umbenannte Adresse des Klinikums Nürnberg. Bildnachweis: Klinikum Nürnberg.

Mitarbeiter von Paul Ehrlich und Karl Herxheimer

Nach dem Staatsexamen 1912 und der Promotion wurde er 1913/14 Assistent an der experimentell-biologischen Abteilung des Instituts für experimentelle Therapie in Frankfurt am Main unter der Leitung von Paul Ehrlich (1854 – 1915), der 1910 das Salvarsan und 1912 das Neosalvarsan entwickelt und damit die erste gezielte Therapie der Syphilis eingeführt hatte.

Anschließend absolvierte Nathan die klinische Ausbildung als Assistent und Oberarzt an der ab 1914 universitären Hautklinik in Frankfurt-Sachsenhausen als Schüler von Karl Herxheimer (1861 – 1942), der die Klinik bereits seit 1894 leitete und 1907 aufgrund seiner herausragenden fachlichen Verdienste zum Professor ernannt worden war [2] [3].

Während des Krieges wurde Nathan als Assistent am Reserve-Lazarett in Frankfurt eingesetzt.


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Wissenschaftliche und publikatorische Produktivität

Nathan wurde 1918 in Frankfurt habilitiert und 1922 zum außerordentlichen Professor ernannt. Bevor er 1923 die Leitung der Nürnberger Klinik übernahm, hatte er an die 50 Publikationen verfasst, etliche gemeinsam mit Herxheimer, die sich vor allem mit Nachweisverfahren der Syphilis wie der Wassermannschen Reaktion, anderen Komplementphänomenen, Nebenwirkungen und Weiterentwicklungen des Salvarsan sowie dermatophysiologischen und dermatotherapeutischen Themen beschäftigten.


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Chefarzt der Nürnberger Hautklinik

Zum 1. 9. 1923 wurde Nathan als neuer Chefarzt der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten berufen.

Außer der Klinikleitung übernahm Nathan von seinem Vorgänger Dr. Ernst Epstein (1860 – 1922) auch die Tätigkeit in der Beratungsstelle für Geschlechtskrankheiten der Landesversicherungsanstalt Mittelfranken und wurde zugleich Leiter der neu geschaffenen Poliklinik für Geschlechtskranke. Zusätzlich war Nathan auch für die Untersuchung der Prostituierten zuständig, nachdem diese Aufgabe 1923, nach der Verstaatlichung der Polizei und dem Wegfall der gesundheitspolizeilichen Überwachung der Prostituierten, dem städtischen Gesundheitsamt übertragen worden war [4].


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Klinischer Schwerpunkt Venerologie

Die Zahl der Beratungen und Behandlungen nahm stetig zu, sodass die Zusatzfunktionen von Nathan nicht mehr nebenamtlich zu leisten waren. Daher stellte die Stadt Nürnberg 1929 einen hauptamtlichen Geschlechtskrankenfürsorgearzt ein, Dr. Anton Munk. Dieser war auch für die Untersuchung der Prostituierten und die Anordnung von Zwangsmaßnahmen zuständig und kooperierte eng mit Nathan und dem Städtischen Krankenhaus. Auch die stationäre Belegung mit Geschlechtskranken nahm weiter zu, sodass 1929 die venerologische Abteilung von 100 auf 142 Betten ausgebaut wurde.

„Auch hier profilierte er sich mit zahlreichen Arbeiten auf den Gebieten der experimentellen Biologie, Serodiagnostik, Syphilis, Pathologie und Therapie von Hauterkrankungen, besonders unter immunbiologischen und chemisch-biochemischen Aspekten. Neben seinen Pflichten im Städtischen Krankenhaus nahm er auch einen Lehrauftrag an der Universität Erlangen wahr“ [5]. 1929 wurde Nathan zum Stadtobermedizinalrat ernannt.

Abb. 3 und Abb. 4 Zwei der zahlreichen gemeinsamen Publikationen von Karl Herxheimer und Ernst Nathan am Universitätsklinikum Frankfurt. Bildnachweis: Julius Springer Verlag, Berlin.

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Sozialmedizinisches Engagement

Auf Antrag von Nathan wurde im gleichen Jahr eine eigene Krankenhausfürsorgerin für die weiblichen Geschlechts-kranken eingestellt, zu deren Aufgaben die wirtschaftliche und gesundheitliche Fürsorge, Fragen der Berufsumschulung, der Wohnung nach der Entlassung und die Beschäftigung der Kranken während des Krankenhausaufenthaltes zählten. „In den Stunden der Bettruhe am Vormittage liest die Schwester den Mädchen aus guten Volksschriften vor. An den Samstagnachmittagen werden Singstunden veranstaltet“ [6]. 1932/33 wurden 121 Prostituierte zur stationären Behandlung von Munk in die städtische Hautklinik eingewiesen [4].

„Als Klinikleiter gelang es ihm, Grundlagenforschung, klinische Versorgung und soziale Fürsorge in vorbildlicher Weise miteinander zu verbinden.“[1]

In einem späteren Schreiben vom 1. 7. 1974 äußert Nathan sich über die Jahre, „in denen die Hautklinik wuchs und zu einem weithin wissenschaftlich bekannten Institut wurde. Ungefähr 70 klinische und wissenschaftliche Arbeiten wurden […] in diesen 10 Jahren veröffentlicht“ [1].

Im Juni 1964 erinnert er sich, „dass die Jahre unvergessen sind, während derer ich im Krankenhaus als Vorstand der Hautklinik ärztlich und wissenschaftlich gearbeitet habe und die zu den glücklichsten Jahren meines Lebens gehört haben, bis alles, was ich dort klinisch und wissenschaftlich aufgebaut hatte, jäh unterbrochen und zerstört wurde“ [1].


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„Fegt alle hinweg“[7]

Bereits im Oktober 1923 hatte der spätere Gauleiter der NSDAP für Mittelfranken Julius Streicher in seinem „Stürmer“ [8] gedroht, die „schandbare Verknoblauchung“ und „Verjudung des Krankenhauses“ zu beseitigen: „Einen Trost haben wir noch: Die Herren Dr. Veithe und Dr. Nathane werden an dem Tag aus ihrem neuen Amtsbereich herausgeholt, an welchem die Hakenkreuzfahne auf dem Luppe-Rathaus weht.“

Streicher sollte Recht behalten, denn Ende März 1933 wurde Nathan als Chefarzt der Hautklinik, ungeachtet seines menschlichen und fachlichen Renommees, wie alle jüdischen Deutschen in städtischen oder staatlichen Positionen, suspendiert und kraft „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im September 1933 ohne Ruhegehalt entlassen. Der damalige Krankenhausdirektor Prof. Dr. Erwin Kreuter schrieb an den Stadtrat: „Herr Prof. Nathan ist bereit, sofort seinen Urlaub anzutreten. Ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, dass im Augenblick kein Vertreter vorhanden ist, der die Verantwortung für die Klinik übernehmen kann“ [9].


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Praxis in eigener Wohnung

Zunächst konnte Nathan in seiner Wohnung im Wetzendorfer Weg 1 (heutige Rückertstraße, Ecke Friedrich-Ebert-Platz) weiter praktizieren. Hier lebte er mit seiner Frau Lotte (geb. Berlin), welche er am 5. 3. 1926 in Fürth geheiratet hatte, und dem gemeinsamen Sohn Robert, geb. am 26. 8. 1928.


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Emigration nach New York

Nach dem Approbationsentzug jüdischer Ärzte durch die Nationalsozialisten vom 30. 9. 1938 war jedoch auch dies nicht mehr möglich. Nathan konnte am 29. 3. 1939 nach New York emigrieren.

Nach Bestehen des amerikanischen Staatsexamens Ende 1940 konnte Nathan wieder als Dermatologe arbeiten, u. a. am Mount Sinai Hospital und am Stuyvesant Square Hospital, dem früheren New York Skin and Cancer Hospital, er hatte eine Lehrtätigkeit an der New York University Post-Graduate Medical School (unter der Leitung von Marion Baldur Sulzberger, u. a. gemeinsam mit Max Jessner) und hielt darüber hinaus Fachvorträge. Am 31. 1. 1945 erwarb er die amerikanische Staatsbürgerschaft.

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Abb. 5 New York Bulletin College of Medicine, No. 47, 1950. Ernst Nathan wird erstmals als M. D. Associate Clinical Professor aufgeführt. Bildnachweis: NYU Health Sciences Library, Medical Archives.

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Weitere Schicksalsschläge

Erst nach Kriegsende erfuhr Nathan vom Tod seiner Mutter Mathilde, geb. Katz, im KZ Theresienstadt im Jahre 1943. Am 19. 8. 1946 starb Nathans Sohn Robert im Alter von nur 17 Jahren durch einen Unfall. Am 21. 8. 1948 starb seine Frau Lotte „nach 4 ½ Jahren schwerstem Leiden“ [10].


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Dr. Ernst Nathan Funds

Ernst Nathan starb nach jahrzehntelanger ärztlicher Tätigkeit in New York am 1. 11. 1981 [11]. Seine Witwe Betty Nathan, welche er am 14. 9. 1949 geheiratet hatte, richtete den „Dr. Ernst Nathan Fund of Dermatological Research“ und den „Dr. Ernst Nathan Fund of Biomedical Research“ ein. Sie starb am 18. 1. 1983 ebenfalls in New York [12].


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Gedenken in Nürnberg

Am 23. 5. 1995 wurde auf Initiative des damaligen Gesundheitsreferenten Klaus-Peter Murawski eine Gedenktafel für Nathan im Innenhof der Hautklinik aufgestellt, die sich mittlerweile vor dem neuen Eingang der Hautklinik vor Haus 16 befindet.

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Abb. 6 Gedenktafel aus dem Jahr 1995. Bildnachweis: Klinikum Nürnberg.

Am 30. 9. 1998, zum 60-jährigen Gedenken des Approbationsentzugs, wurde auf Initiative der Nürnberger Regionalgruppe der IPPNW ein Teilabschnitt der Flurstraße, und somit die Adresse des Klinikums Nord, in Prof.-Ernst-Nathan-Straße umbenannt. Die Straßenbezeichnung erinnert seitdem an den Approbationsentzug jüdischer Ärzte und stellvertretend an alle Opfer des unmenschlichen NS-Regimes [12].


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  • Literatur

  • 1 Höffken B. Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933. Berlin: Metropol-Verlag; 2013
  • 2 Riecke E. Deutscher Dermatologenkalender. Leipzig: Barth; 1929
  • 3 Löser C, Plewig G. Pantheon der Dermatologie. Herausragende historische Persönlichkeiten. Heidelberg: Springer; 2008
  • 4 Windsheimer B. 100 Jahre Klinikum Nürnberg. Die Geschichte des Nürnberger Gesundheitswesens im späten 19. und 20. Jahrhundert. Nürnberg: Tümmels; 1997
  • 5 Jochem G, Rieger S. http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_NU_JU_nathan.pdf
  • 6 Rothmann HL. Geschlechtskrankheiten und Prostitution in Nürnberg 1870 – 1930. Eine medizinhistorische Quellenstudie [Dissertation]. Erlangen: Universität Erlangen; 1952
  • 7 „Fegt alle hinweg, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen wollen!“ Zitat von Dr. Gerhard Wagner, dem Vorsitzenden des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes, im März 1933.
  • 8 Streicher J. Verjudung des Krankenhauses. Der Stürmer, Nürnberger Wochenblatt zum Kampf um die Wahrheit Oktober 1923; 16: 3
  • 9 Vasold M. Das Städtische Krankenhaus Nürnberg während des Dritten Reiches. Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 1998; 61: 763-765
  • 10 Todesanzeigen im AUFBAU vom 16. November 1945, 30. August 1946 und 27. August 1948.
  • 11 Landes E. Charakterköpfe der Frankfurter Medizinischen Fakultät. Ein Beitrag zur Dermatologie in Frankfurt am Main. Hessisches Ärzteblatt 1991; 10: 516
  • 12 Debus D. Abteilung Haut und Liebe – Die Geschichte der Hautklinik am Klinikum Nürnberg. Akt Dermatol 2010; 36: 268-277

Korrespondenzadresse

Dr. Dirk Debus
Klinik für Dermatologie
Klinikum Nürnberg
Paracelsus Medizinische Privatuniversität
Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1
90419 Nürnberg

  • Literatur

  • 1 Höffken B. Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933. Berlin: Metropol-Verlag; 2013
  • 2 Riecke E. Deutscher Dermatologenkalender. Leipzig: Barth; 1929
  • 3 Löser C, Plewig G. Pantheon der Dermatologie. Herausragende historische Persönlichkeiten. Heidelberg: Springer; 2008
  • 4 Windsheimer B. 100 Jahre Klinikum Nürnberg. Die Geschichte des Nürnberger Gesundheitswesens im späten 19. und 20. Jahrhundert. Nürnberg: Tümmels; 1997
  • 5 Jochem G, Rieger S. http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_NU_JU_nathan.pdf
  • 6 Rothmann HL. Geschlechtskrankheiten und Prostitution in Nürnberg 1870 – 1930. Eine medizinhistorische Quellenstudie [Dissertation]. Erlangen: Universität Erlangen; 1952
  • 7 „Fegt alle hinweg, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen wollen!“ Zitat von Dr. Gerhard Wagner, dem Vorsitzenden des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes, im März 1933.
  • 8 Streicher J. Verjudung des Krankenhauses. Der Stürmer, Nürnberger Wochenblatt zum Kampf um die Wahrheit Oktober 1923; 16: 3
  • 9 Vasold M. Das Städtische Krankenhaus Nürnberg während des Dritten Reiches. Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 1998; 61: 763-765
  • 10 Todesanzeigen im AUFBAU vom 16. November 1945, 30. August 1946 und 27. August 1948.
  • 11 Landes E. Charakterköpfe der Frankfurter Medizinischen Fakultät. Ein Beitrag zur Dermatologie in Frankfurt am Main. Hessisches Ärzteblatt 1991; 10: 516
  • 12 Debus D. Abteilung Haut und Liebe – Die Geschichte der Hautklinik am Klinikum Nürnberg. Akt Dermatol 2010; 36: 268-277

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Abb. 1 Prof. Dr. Ernst Wilhelm Nathan. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg C 21/VII Nr. 109.
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Abb. 2 Zum Gedenken an Ernst Nathan umbenannte Adresse des Klinikums Nürnberg. Bildnachweis: Klinikum Nürnberg.
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Abb. 5 New York Bulletin College of Medicine, No. 47, 1950. Ernst Nathan wird erstmals als M. D. Associate Clinical Professor aufgeführt. Bildnachweis: NYU Health Sciences Library, Medical Archives.
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Abb. 6 Gedenktafel aus dem Jahr 1995. Bildnachweis: Klinikum Nürnberg.