Grundlage dieses Positionspapers ist die in den letzten Jahren zu beobachtende starke
Zunahme aufwendiger häuslicher Krankenpflege (Behandlungspflege nach § 37 SGB V) bei
Patienten mit Tracheostoma. Während die Fallzahl nach einer Erhebung im Jahr 2005
auf ca. 1000 Fälle begrenzt war [1], beträgt sie nach Hochrechnung verschiedener Krankenkassen derzeit vermutlich zwischen
15 000 und 30 000 Patienten. Die Versorgungskosten belaufen sich mittlerweile auf
2 – 4 Milliarden Euro/Jahr. Die genaue Prävalenz ist insbesondere im Hinblick auf
eine gleichzeitige Beatmungstherapie derzeit jedoch nicht über Routinedaten ermittelbar,
da das Kodierungssystem diese Situation bislang nicht abgebildet hat. Das Positionspapier
fasst daher die wesentlichen Erkenntnisse zu diesem Thema zusammen, um die dringende
Notwendigkeit einer strukturierten, sektorübergreifenden und qualitätsgesicherten
Versorgung unter Einbeziehung von Experten in diesem Bereich aufzuzeigen.
Ambulante Versorgung von Patienten mit Tracheostoma und Beatmung
Patienten mit chronischer Atmungsschwäche (= ventilatorische oder auch hyperkapnische
Insuffizienz) und Beatmungspflichtigkeit wurden bis Mitte der 1980er Jahre nahezu
ausschließlich invasiv, also über ein Tracheostoma, beatmet. Im Wesentlichen handelte
es sich um Betroffene mit neuromuskulären Erkrankungen oder um Patienten mit hohem
Querschnitt. Später kamen alle Formen der ventilatorischen Insuffizienz dazu. Die
langfristige Versorgung war überwiegend nur im stationären Bereich zu gewährleisten.
Ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 1999 (AZ: B3 KR 4/98 R vom 28.1.1999)
hat dazu geführt, dass auch im ambulanten Bereich die Versorgungskosten von der gesetzlichen
Krankenversicherung getragen werden müssen. Hiermit hat sich die im § 37 Sozialgesetzbuch
V verankerte ambulante Intensivpflege in Deutschland etabliert.
Mit Einführung der nicht-invasiven Beatmung über Mund-Nasen-Masken Ende der 1980er
Jahre hat sich die Situation in der außerklinischen Beatmung allerdings grundlegend
verändert. Die meisten Betroffenen können nun im gewohnten Umfeld weiterleben, die
Beatmung wird gegebenenfalls unter Hilfestellung einer Assistenzbetreuung sichergestellt.
Die Indikation zur Maskenbeatmung ist auf alle Erkrankungen mit Atempumpenüberlastung
und konsekutiver Hyperkapnie wie z. B. bei COPD, Thorakorestriktion oder Adipositas
ausgeweitet worden, mit nachweislichem Vorteil hinsichtlich Lebenserwartung und Lebensqualität
[2]
[3]. Die Maskenbeatmung wird hierbei komplett autonom und zumeist nur nachts durchgeführt.
Bei einer Maskenbeatmung ist die Sprech- und Schluckfunktion erhalten, soweit die
beteiligten Organsysteme nicht wie z. B. bei amyotropher Lateralsklerose in ihrer
Funktion beeinträchtigt sind. Zudem bleibt die Hustenclearance intakt, sodass es unter
nicht-invasiver Beatmung auch signifikant seltener zu Atemwegsinfektionen kommt als
unter invasiver Beatmung über Kanüle. Im intensivmedizinischen Kontext ist die Anwendung
einer Maskenbeatmung bei akut exazerbierter COPD mit Atempumpenversagen mit einer
NNT (Number needed to treat) von 8 mit einer deutlich geringeren Mortalität behaftet
als die Intubation mit invasiver Beatmung [4]. Bei chronischer Hyperkapnie im Rahmen einer schweren COPD steigt für Patienten
mit Maskenbeatmung die Lebenserwartung etwa um das Dreifache an [2].
Im außerklinischen Bereich ist eine invasive Beatmung über ein Tracheostoma nur bei
wenigen Indikationen erforderlich; ihre Anwendung erfordert daher neben dem Patientenwillen
zu dieser Maßnahme eine solide medizinische Begründung. Indikationen zur invasiven
Beatmung bei Atmungsschwäche oder Atemmuskelüberlastung sind beispielsweise Engen
im Hypopharynx- und Glottis- oder Subglottisbereich, ebenso Gesichtsdeformitäten,
die keinen adäquaten Maskensitz erlauben. Auch neuromuskuläre Erkrankungen mit sofortiger
Luftnot bei Unterbrechung einer Beatmung gehören dazu. Trotzdem ziehen es aufgrund
der genannten Vorteile immer wieder schwer Betroffene vor, 24 h über Maske statt über
Kanüle beatmet zu werden.
Die extreme Zunahme der Fälle mit invasiver Beatmung über Tracheostoma in den letzten
10 Jahren ist ganz überwiegend auf Patienten mit Versagen der Beatmungsentwöhnung
nach Akut-Intensivtherapie zurückzuführen. Die Analyse einer großen Krankenkasse hat
gezeigt, dass ca. 85 % der betroffenen Patienten direkt von Akut-Intensivstationen
in den ambulanten Bereich entlassen werden [5]. Die meisten dieser Patienten werden nicht im eigenen Wohnumfeld betreut, sondern
in Intensivpflege-Wohngemeinschaften, da die Personalkapazität fachkundiger Krankenpflege
aufgrund steigender Fallzahlen bereits nicht mehr für individuelle Versorgungen ausreicht.
Zudem kann über den reduzierten Personalschlüssel eine kostengünstigere Versorgung
angeboten werden, die in dieser Form nahezu einer Pflege in stationären Pflegeeinrichtungen
entspricht, aber als Behandlungspflege innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung
besser vergütet wird.
Aktuelle Erhebungen unter den Weaningzentren der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie
und Beatmungsmedizin im Rahmen des Kompetenznetzwerks WeanNet [6] und andere Daten [7]
[8]
[9]
[10] zeigen, dass ca. 60 – 70 % der Patienten, die auf Akut-Intensivstationen nicht von
der Beatmung entwöhnt wurden, doch noch ein erfolgreiches Weaning erreichen können,
wenn sie in einem spezialisierten Weaningzentrum betreut werden. Dabei schafft die
Hälfte dieser Patienten die Entwöhnung von der invasiven Beatmung mit Hilfe der Umstellung
auf eine nicht-invasive Beatmung über Maske, die eine Entlassung nach Hause ermöglicht.
Zudem werden in solchen Zentren die nach Intensivtherapie häufig vorhandene Muskelschwäche
und Schluckstörung durch multimodale Therapieprogramme beseitigt. Darüber hinaus wird
die Therapie der oft zugrunde liegenden internistischen Multimorbidität optimiert.
Bei Patienten mit Atmungsinsuffizienz infolge vermehrter Atemarbeit wie bei COPD oder
Thorakorestriktion ist die dauerhafte Beatmung via Tracheostoma nicht indiziert. Viele
der nach Intensivtherapie mit invasiver Beatmung in den ambulanten Bereich entlassenen
Patienten mit diesen Erkrankungen könnten erfolgreich entwöhnt werden, wenn sie auf
nicht-invasive Beatmung umgestellt und die einer Dekanülierung oftmals im Wege stehende
Schluckstörung und Muskelschwäche konsequent therapiert würden. Die Erfahrung hat
gezeigt, dass viele dieser Patienten, die von Intensivstationen in die ambulante Beatmungspflege
entlassen wurden und anschließend doch noch den Weg in ein spezialisiertes Weaningzentrum
gefunden haben, erfolgreich entwöhnt werden konnten [9].
Eine invasive Beatmung über Kanüle unter der 24-stündigen Aufsicht und Betreuung von
spezialisierter Pflege ist also nur erforderlich, wenn eine Maskenbeatmung bei schwergradiger
Atmungsschwäche definitiv nicht möglich ist oder ein kontinuierlich lebensbedrohliches
Atmungsversagen vorliegt, das dann auch einen durchgehend kontrollierten Beatmungsmodus
verlangt. Viele der Patienten mit invasiver außerklinischer Beatmung nach Weaningversagen
werden aber assistiert und mit niedrigen Drucken beatmet, wie Erfahrungen des medizinischen
Dienstes und aktuelle Analysen einiger Krankenkassen ergaben. Dies ist ein wichtiger
Indikator dafür, dass grundsätzlich ausreichende Atmungskapazität vorhanden ist und
damit die Umstellung auf eine nicht-invasive Beatmung überprüft werden sollte.
Die Beurteilung des grundsätzlichen Weaningpotenzials bei den überwiegend schwerkranken
und multimorbiden Patienten erfordert allerdings eine große klinische Erfahrung bei
gleichzeitig hochspezialisierter Ausbildung. Ärzte mit diesen notwendigen Kenntnissen
und vor allem die spezialisierten multiprofessionellen Behandlungsteams sind hauptsächlich
in Kliniken tätig. Die außerklinische Versorgung von Patienten mit invasiver Beatmung
erfordert somit grundsätzlich ein intersektorales Betreuungskonzept, das sich an aktuellen
medizinischen Standards und Leitlinien orientiert [11].
Ambulante Versorgung von Patienten mit Tracheostoma ohne Beatmung
Neben der starken Zunahme von Patienten mit invasiver außerklinischer Beatmung ist
zu beobachten, dass Patienten nach Langzeitbeatmung auf Intensivstationen vermehrt
mit Tracheostoma und noch liegender Trachealkanüle in eine 24-stündige ambulante Intensivpflege
entlassen werden. Argument hierfür ist zumeist eine Schluckstörung oder eine Bewusstseinsstörung
mit Aspirationsgefahr. Allerdings wird eine Schluckstörung durch eine Trachealkanüle
eher gefördert; die Hustenkapazität ist bei geblockter Kanüle und Atmung über die
sogenannte „Feuchte Nase“ wegen des fehlenden Glottisschlusses massiv herabgesetzt.
Aspirationen auch von Speichel werden hierdurch begünstigt. Die Blockung einer Kanüle
verhindert die Speichelpenetration in die Trachea nicht [12]. Vermehrte Atemwegsinfektionen sind die Folge, die wiederum zur Begründung des persistierenden
Tracheostomas herangezogen werden.
Für die Prognose betroffener Patienten ist es günstiger, wenn die Trachealkanüle entfernt
und das Tracheostoma verschlossen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, sind allerdings
spezielle Behandlungstechniken erforderlich, die aufgrund des – insgesamt betrachtet
– seltenen Vorkommens dieser Fälle jedoch nicht überall beherrscht werden. Hierdurch
wird häufig fälschlicherweise die Indikation zum Verbleib des Tracheostomas mit Kanüle
gestellt. Bei neurologisch schwer eingeschränkten Patienten ist darüber hinaus eine
langwierige intensive Logopädie und Physiotherapie unter Anwendung mechanischer Hustenhilfen
erforderlich. So kann auch bei diesen Patienten häufig noch eine Dekanülierung erreicht
werden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Verordnung einer 24-stündigen ambulanten
Intensivpflege wegen eines Tracheostomas mit oder ohne Beatmung in vielen Fällen nicht
notwendig ist, da keine Indikation für ein Tracheostoma bzw. eine invasive außerklinische
Beatmung besteht.
Eine qualitätsgesicherte, leitliniengestützte medizinische Betreuung betroffener Patienten
erfordert daher ein Versorgungsnetzwerk, das nicht nur die ambulante ärztliche Betreuung
sicherstellen, sondern über einen primär sektorübergreifenden Ansatz auch die ärztlichen
Experten aus spezialisierten Zentren einbeziehen muss, um die Indikation für das persistierende
Tracheostoma mit Kanüle kritisch zu prüfen. Empfehlenswert ist bereits eine Experten-gesicherte
primäre Indikationsstellung im Rahmen des Entlassungsmanagements aus der Klinik. Ebenso
wäre ein verpflichtendes Patientenregister sinnvoll, um die insgesamt betrachtet wenigen
Patienten einer medizinisch qualitativen Betreuung zuzuführen, aber auch um die Versorgungsforschung
in diesem Bereich zu befördern. Regional organisierte, intersektoral ausgerichtete
und multiprofessionell aufgestellte telemedizinische Netzwerke könnten bei der Sicherstellung
der Betreuung durch ärztliche Spezialisten und weitere spezialisierte Therapeuten
gute Unterstützung leisten.