Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52(04): 246-247
DOI: 10.1055/s-0043-104571
Topthema
Einführung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Antibiotic Stewardship: Es ist fünf vor zwölf!

Berthold Bein
,
Jens Scholz
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Berthold Bein, M.A., DEAA
Chefarzt
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie
ASKLEPIOS Klinik St. Georg
Lohmühlenstraße 5
20099 Hamburg

Publication History

Publication Date:
03 May 2017 (online)

 

Die Entdeckung der Antibiotika zählt ohne Zweifel zu den Meilensteinen der modernen Medizin, und zu Recht wurde der Entdecker des Penicillins, Alexander Fleming, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Doch schon Fleming warnte in seiner Dankesrede vor dem Nobel-Komitee 1945: “It is not difficult to make microbes resistant to penicillin in the laboratory by exposing them to concentrations not sufficient to kill them, and the same thing has occasionally happened in the body”.


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Was damals in der ersten Euphorie als unrealistische Zukunftsvision erschien, ist heute zur bedrohlichen Realität geworden. Die Zahl multiresistenter Erreger (MRE) wächst von Jahr zu Jahr, und Antibiotika werden in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend nicht mehr als lebensrettende Medikamente, sondern als Ursache für Ausbrüche von Infektionen mit multiresistenten Keimen wahrgenommen, die zur Stilllegung ganzer Abteilungen in Krankenhäusern und zum Tod vieler betroffener Patienten führen. Die Ursachen für diesen Paradigmenwechsel sind vielfältig. Nach wie vor sind Antibiotika in vielen Ländern Südeuropas rezeptfrei erhältlich und werden dementsprechend in großen Mengen trotz fehlender Indikation „over the counter“ verkauft. Nicht überraschend ist daher die Tatsache, dass insbesondere in Ländern mit hohem Antibiotikaverbrauch – z. B. Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland und Italien – bis zu 50 % der Staphylococcus-aureus-Stämme gegen Methicillin und viele andere Antibiotika resistent sind (MRSA). Ein weiteres Problem, auch in Deutschland, ist die Verordnung hochpotenter Antibiotika ohne entsprechende Indikation, z. B. zur Therapie einer Influenza oder sogar banalen Erkältung. Auch in unseren Kliniken beruht die Gabe von Antibiotika häufig nicht auf einem entsprechenden Keimnachweis oder eindeutigen klinischen Symptomen, sondern auf unspezifischen Änderungen von entzündungsassoziierten Laborwerten. Die Wahl des Präparats wiederum wird historisch tradiert vorgenommen und orientiert sich oft nicht an neuesten Leitlinien und Empfehlungen. Generell gilt daher immer noch: Es werden zu viele und zu breit wirksame Antibiotika verordnet. Was also ist zu tun? Die „Antibiotic Stewardship“ (ABS), also der rationale und evidenzbasierte Umgang mit Antibiotika, bietet vielversprechende Ansätze.

Antibiotic Stewardship und Hygiene

Wie Petra Gastmeier in ihrem Beitrag eindrucksvoll darlegt, kann ein weiterer Anstieg multiresistenter Erreger nicht allein durch Maßnahmen der Krankenhaushygiene wie Händedesinfektion, Screening und Isolation bzw. Verhinderung der Umgebungskontamination verhindert werden. Das Risiko für einen Patienten, im Rahmen seines Krankenhausaufenthalts einen multiresistenten Keim zu erwerben, hängt ganz entscheidend davon ab, in welchem Maße er zuvor Antibiotika erhalten hat. Eine aktuelle Metaanalyse legt nahe, dass das Risiko für die Infektion mit MRSA im Mittel um den Faktor 1,8 steigt, wenn der Patient zuvor Antibiotika erhalten hatte; für einzelne Präparate konnte aber auch eine Verdreifachung des Risikos gezeigt werden. Demgegenüber stößt die Verhinderung einer Transmission durch hygienische Maßnahmen schnell an ihre Grenzen. Aus hygienischer Sicht sollten demnach endemisch hohe Raten multiresistenter Erreger in erster Linie durch ABS reduziert werden, epidemische Häufungen sollten allerdings überwiegend durch Hygiene und Maßnahmen zur Verhinderung der Transmission kontrolliert werden.


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Klinikweites Change Management

In der täglichen, klinischen Praxis stellt sich aber das Problem, wie ein ABS-Programm bei begrenzten personellen Ressourcen umgesetzt werden kann. Wie Jan R. Ortlepp in seinem Beitrag ausführt, kann dies nur dann gelingen, wenn ein klinikweites „Change Management“ etabliert wird. Es fokussiert darauf, die Bedeutung des Problems MRE allen Mitarbeitern und Stakeholdern zu verdeutlichen und gibt darauf aufbauend ein klares Ziel – konkret die Reduktion der Antibiotikaverordnungen – vor. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn Klinikleitung und Geschäftsführung hierfür an einem Strang ziehen und gemeinsam in eine bessere Verzahnung von Klinik, Mikrobiologie und Hygiene investieren.


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Management beim konkreten Fall

Am Beispiel eines konkreten Ausbruchsgeschehens mit einem extrem gefährlichen MRE, einem gegen 4 Antibiotikaklassen resistenten (4 MRGN) Acinetobacter baumanii, verdeutlichen Anette Friedrichs, Bibiane Steinborn und Swantje Eisend die Bedeutung dieser Verzahnung für das erfolgreiche Management eines solchen Ausbruchs an einem großen Universitätsklinikum. Es wird klar, dass ein ABS-Programm nur dann funktionieren kann, wenn die Leitung des Klinikums dafür ein Mandat erteilt und die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stellt. Ein bis zwei VK pro 500 Krankenhausbetten erscheint dabei zunächst ambitioniert. Die Kostenreduktion durch eine rationellere Antiinfektiva-Verordnung kann diese Investition jedoch rechtfertigen, vom Nutzen bei einem konkreten Ausbruch einmal ganz abgesehen. Der Nutzen und Mehrwert eines ABS-Programms muss letztlich im Vorher-nachher-Vergleich auch an harten Endpunkten wie Liegedauer, Beatmungstagen und Sterblichkeit bemessen werden. Die Daten dazu aus der Literatur sind vielversprechend. In einem konkreten Fall wie dem hier geschilderten wird ein Klinikum sich auf jeden Fall glücklich schätzen, ein ABS-Team zur Verfügung zu haben. Nur so sind die komplexen Herausforderungen bezüglich Mitarbeiterschulung, Patientenisolierung, Festlegung der notwendigen Hygienemaßnahmen und korrekter Dosierung der Reserve-Antibiotika zeitnah und konsequent zu bewältigen.

Letztlich sind aber alle klinisch tätigen Ärzte gefordert, sich hinsichtlich ABS weiterzubilden und eine eigene Expertise in diesem Bereich zu erwerben. Unser Fachgebiet ist in vielen medizinisch relevanten Bereichen mit wichtigen Initiativen vorangegangen, sei es bei der kardiopulmonalen Reanimation oder dem rationellen Umgang mit Blutprodukten. Auch im Bereich ABS sind wir gefordert, zum Wohle unserer Patienten tätig zu werden. Es ist fünf vor zwölf!

Ihre
Berthold Bein und Jens Scholz


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Über die Autoren

Berthold Bein

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Prof. Dr. med., MA, DEAA, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie an der Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg. Von 2009–2015 war er DGAI-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. Seine Schwerpunkte sind: hämodynamisches Monitoring, Antibiotic Stewardship und Patient Blood Management.

Jens Scholz

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Prof. Dr. med., seit August 2000 Ordinarius für Anästhesiologie, im April 2009 zum Vorstandsvorsitzenden des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein gewählt. Er gehört zum Herausgeber-Team der AINS. Von 2002–2009 war Prof. Scholz DGAI-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. Von 2003–2009 war er Vorsitzender des wissenschaftlichen Komitees der DGAI und von 2004–2009 Vorsitzender des AK Notfallmedizin der DGAI. Seit 2006 ist Prof. Scholz Mitglied der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften). E-Mail: vv@uk-sh.de

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