Einleitung
Chronisches Hautjucken ist ein häufiges und bisweilen äußerst quälendes Symptom vieler
Krankheiten. Nicht nur dermatologische, sondern auch viele innere, neurologische und
psychische Erkrankungen können mit chronischem Pruritus einhergehen. Um zu einer raschen
Diagnose zu kommen, sind eine symptomorientierte Anamnese, eine sorgfältige klinische
Untersuchung und eine rationale laborchemische und apparative Diagnostik zielführend.
Demografie Patienten aller Altersklassen sind von Pruritus betroffen. Während bei jüngeren Menschen
als Ursache chronische Dermatosen wie speziell die atopische Dermatitis dominieren,
müssen bei älteren Menschen systemische Erkrankungen, Medikamenteneinnahme, neurologische
Veränderungen oder auch eine multifaktorielle Genese in Betracht gezogen werden [1]. Eine in Deutschland durchgeführte epidemiologische Studie belegt, dass chronischer
Pruritus auch in der Allgemeinbevölkerung nicht selten ist. Nicht in jedem Fall wird
das Symptom als Ausdruck einer Krankheit wahrgenommen [2]
[3] und führt daher auch nicht immer zu einer ärztlichen Konsultation.
Internistische Ursachen für Pruritus Pruritus ist eine Empfindung, die nicht nur Symptom dermatologischer, sondern auch
verschiedener systemischer Erkrankungen sein kann. Aus [Tab. 1] geht hervor, bei welchen internistischen Erkrankungen Pruritus auftreten kann. Darüber
hinaus können auch neurologische und psychiatrische Erkrankungen mit chronischem Pruritus
einhergehen.
Tab. 1
Internistische Erkrankungen, die mit chronischem Pruritus assiziiert sein können.
Organsystem
|
Erkrankungen
|
Renales System
|
Chronische Niereninsuffizienz
|
Hepatobiliäres System
|
Primär biliäre Cholangitis
Primär/sekundär sklerosierende Cholangitis
Medikamentöse/toxische Cholestase
Leberzirrhose
Obstruktive Cholestase
|
Hämatopoetisches System
|
Polycythaemia vera
Essentielle Thrombozythämie
M. Hodgkin
Non-Hodgkin-Lymphome
Hypereosinophilie-Syndrome
Mastozytose
|
Endokrines System
|
Diabetes mellitus
Hypothyreose, Hyperthyreose
Hyperparathyreoidismus
Karzinoidsyndrom
|
Malassimilationssyndrome
|
Fruktose- und Laktoseintoleranz
Eisenmangel
Zöliakie
Anorexia nervosa
Vitamin-B/D-Mangel
|
Infektionskrankheiten
|
Chronische HBV-/HCV-/HIV-/HSV-Infektionen
VZV-Reaktivierung
Helicobacter-pylori-Infektionen
Parasitosen
|
Solide Tumore
|
Solide Tumore aller Organe
|
Wegen der vielfältigen möglichen Ursachen ist die Diagnostik des chronischen Pruritus
eine wichtige und herausfordernde interdisziplinäre Aufgabe.
Niereninsuffizienz Häufig tritt Pruritus bei Patienten mit fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz
auf. Eine repräsentative epidemiologische Studie zeigt: 25,2 % der Dialysepatienten
in Deutschland leiden zum Zeitpunkt der Untersuchung an Juckreiz, und 35,2 % haben
schon vorher einmal daran gelitten, z. T. mit erheblich beeinträchtigter Lebensqualität
[4]
[5]
[6]. Diese Studie berücksichtigt die 2007 eingeführte IFSI-Klassifikation [7] mit der Einteilung des Pruritus in drei verschiedene Klassen ([Abb. 1]) [8].
Abb. 1 Klassifikation des chronischen Pruritus (nach International Forum for the Study of
Itch, IFSI) [7].
Gruppe I: Pruritus auf primär veränderter (entzündlicher) Haut. Gruppe II: Pruritus
auf primär unveränderter (normaler) Haut. Gruppe III: Pruritus mit Dominanz chronischer
Kratzläsionen.
Anamnese
Krankheitsbefunde Wie bei allen chronischen Krankheitszuständen ist auch bei Pruritus die Anamnese
die wichtigste Grundlage, um die Ursache zu finden. Folgende Informationen sind zu
erfragen:
-
Vorerkrankungen und kürzlich aufgetretene Erkrankungen aller Organsysteme
-
Hauterkrankung, Allergien (Kontaktallergie, Soforttyp-Allergie, Allergiepass)
-
Internistische Krankheiten (Hochdruck, Stoffwechselerkrankungen, Tumore, Erkrankungen
von Niere, Leber und Blutsystem)
-
Neurologische Leiden
Medikamentenanamnese Unbedingt ist eine detaillierte Medikamentenanamnese zu erheben [9].
Wichtig ist, nicht nur die aktuelle Medikation zu erfragen, sondern auch, ob sie in
der Vergangenheit geändert wurde.
Interessant ist v. a. der unmittelbare Zeitraum vor Auftreten des Pruritus. Auch Bedarfsmedikamente
wie z. B. Beruhigungs-, Schlaf- und Abführmittel sollten berücksichtigt werden. Da
viele Patienten auch Nahrungsergänzungsmittel, Globuli und pflanzliche Präparate zu
sich nehmen, empfiehlt es sich, gezielt danach zu fragen. Patienten werten solche
Produkte meist nicht als Medikamente. Weitere Informationen betreffen alle vom Patienten
benutzten Salben und Cremes: möglicherweise finden sich hier wichtige Hinweise für
eine bestehende Kontaktallergie. Auch die bisherigen systemischen oder lokalen Therapien
zur Behandlung des Pruritus sollten hinsichtlich ihres Erfolges bzw. ihrer Unwirksamkeit
abgefragt werden.
HES Unfälle und Operationen können anamnestisch bedeutsam sein, besonders, wenn sie sich
vor der Manifestation des Pruritus ereigneten bzw. stattfanden. So kann z. B. auch
zur Volumensubstitution applizierte Hydroxyethylstärke (HES) zu chronischem Pruritus
führen.
Vegetative Anamnese Im Rahmen der vegetativen Anamnese ist der Patient gezielt nach begleitenden Beschwerden
wie Müdigkeit, Schlafstörungen, Gewichtsverlust, Fieber, Nachtschweiß, Unruhe, Stress
und Nervosität zu befragen.
Neuropathischer Pruritus In jüngster Zeit gibt es Hinweise darauf, dass chronische Affektionen der Wirbelsäule
den sogenannten neuropathischen Pruritus induzieren können. Darum sollte bei entsprechender
Lokalisation des Pruritus gezielt nach Schmerzen oder Beschwerden im Rücken oder Nacken
gefragt werden. Begleitsensationen wie Brennen, Stechen, Prickeln, Beißen und Ameisenlaufen
können auf mögliche neuropathische Komponenten bzw. auf eine Polyneuropathie hindeuten.
Abdominale Beschwerden Oberbauchbeschwerden können Anzeichen für eine Gastritis, ein Ulcus ventriculi oder
ein Ulcus duodeni sein. Eine Helicobacter-pylori-Infektion kann für den chronischen
Pruritus pathogenetisch relevant sein.
Psychosoziale Anamnese Gerade bei älteren Menschen sollten Veränderungen im sozialen Umfeld gezielt erfasst
werden. So ist z. B. zu erfragen, ob eine Kurzzeitpflege im Heim stattgefunden hat
oder ob die Pflege durch Angehörige erfolgt. Falls nötig empfiehlt es sich, einen
Fragebogen einzusetzen oder Angehörige mit einzubeziehen. Auch die Exploration des
psychosozialen Befindens des Patienten ist im Rahmen der Anamnese bedeutsam.
Bei Verdacht auf eine psychiatrische oder psychosomatische Erkrankung sollte der Patient
fachärztlich untersucht werden.
Schwere psychiatrische Erkrankungen als Ursache für Pruritus sind selten (Dermatozoenwahn).
Bei einer Reihe von Patienten spielen psychische Faktoren eine erhebliche Rolle für
die Auslösung oder Ausprägung des Pruritus. Auch somatoformer Pruritus kann beobachtet
werden.
Zeitliche Aspekte Allgemein ist zu sagen, dass ein plötzlicher Beginn des Hautjuckens bei ansonsten
unauffälliger Pruritusanamnese Hinweis auf ein allergisches Kontaktekzem, eine Urtikaria,
eine Arzneimittelreaktion oder eine Scabies sein kann. Ein langsamer Beginn entspricht
häufiger einer systemischen Ursache oder ist Folge einer schon länger bestehenden
Hautrockenheit (Xerosis cutis). Besonders wichtig ist die Erfassung des exakten Zeitpunktes,
wann der Pruritus begonnen hat. Häufig können Patienten sehr genau Zusammenhänge oder
Fakten beschreiben, die mit dem Beginn der Beschwerden korrelieren (z. B. ein Medikamentenwechsel).
Auch der zeitliche Verlauf des Pruritus ist zu erfragen, z. B. ob er immer gleich
stark ist, tageszeitlich bedingt schwankt oder anderen Einflüssen unterliegt.
Lokalisation allgemein In der Vergangenheit ging man davon aus, dass generalisierter Pruritus in der Regel
systemisch bedingt ist. Dies konnte so nicht bestätigt werden [10]. Zwar ist bei Dermatosen (z. B. atopisches Ekzem, Psoriasis) der Pruritus häufiger
auf die entzündeten Hautstellen begrenzt, aber auch hier gibt es viele Patienten mit
generalisiertem Pruritus. Insofern sollte stets danach gefragt werden, welche Hautstellen
betroffen sind. Oft kann die Lokalisation des Pruritus wichtige differentialdiagnostische
Hinweise geben. Man muss jedoch berücksichtigen, dass auch im Falle eines initial
lokalisierten, z. B. neuropathischen Pruritus eine sekundäre Generalisierung möglich
ist [12].
Pruritus im Genitoanalbereich Von anamnestischem Interesse sind Erkrankungen des Darmes, insbesondere Hämorrhoidalleiden,
eingesetzte Kosmetika, gynäkologische und urologische Vorgeschichte und sexuelle Besonderheiten.
Auch chronische Rückenleiden sind zu berücksichtigen, da diese neben Schmerzen auch
Juckempfindungen im Analbereich hervorrufen können [11].
Patientensicht einbeziehen Stets ist der Patient bezüglich seiner eigenen Theorie zur Ursache des Juckreizes
zu befragen. So könnte vermehrtes Hautjucken durch Wasserkontakt beim Duschen oder
Baden auf einen aquagenen Pruritus hinweisen. Dieser tritt häufig bei Xerosis cutis
auf, ist aber auch stets Anlass für die Abklärung einer hämatologischen Ursache. Viele
Patienten haben ihre eigene Methode, den Juckreiz zu mindern. Auch danach sollte gezielt
gefragt werden. So kühlen Patienten mit neuropathischem Pruritus ihre Haut, z. B.
mit kalten Waschlappen, kalten Duschen oder mit der Auflage von Eisbeuteln.
Klinische Befunde
Körperliche Untersuchung Um die Ursache für einen chronischen Pruritus zu finden, darf man sich keinesfalls
auf die Inspektion einzelner Körperareale beschränken.
Es sollte die gesamte Haut inklusive Schleimhäute, Kopfhaut, Haare, Nägel und Genitoanalregion
untersucht werden.
Typisch ist das „Schmetterlingszeichen“: Am gesamten Rücken finden sich Kratzläsionen
– bis auf eine Aussparung in der Mitte zwischen den Schulterblättern ([Abb. 2]), weil der Betroffene dort nicht mit den Händen hingelangt. Im Rahmen der allgemeinen
körperlichen Untersuchung müssen auch die Lymphknoten beurteilt werden. Zudem sollte
auf Körpergeruch geachtet werden, wie er bei Leber- und Nierenkranken oft in typischer
Weise vorkommt. Die Färbung der Haut und der Skleren kann Hinweise auf einen Ikterus
oder eine Anämie geben ([Abb. 3]).
Abb. 2 Sogenanntes „Schmetterlingszeichen“ am Rücken einer Patientin mit chronischem Pruritus
bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz.
Abb. 3 Hautveränderungen bei cholestatischem Pruritus. Ikterus sowie hyperkeratotische,
z. T. exkoriierte Knoten im Sinne einer Prurigo nodularis. (Der Bauch ist durch einen
mäßigen Aszites leicht vorgewölbt.)
Prurigo nodularis Wenn die Haut Knoten und Knötchen aufweist, kann eine sogenannten Prurigo nodularis
(IFSI-Klasse III) vorliegen. Die Ätiologie ist in vielen Fällen gemischt oder systemisch
bedingt. Eine Prurigo nodularis tritt häufig bei atopischer Dermatitis oder ausgeprägter
atopischer Hautdiathese auf.
Kratzspuren Nicht selten setzen Patienten zum Kratzen Gegenstände (z. B. Bürsten und Stifte)
ein, die entsprechende Schädigungsmuster bzw. Kratzspuren auf der Haut hinterlassen.
Um die Hautbefunde besser einordnen zu können, muss auch das Kratzverhalten der Patienten
gezielt erfragt werden. So macht es z. B. einen Unterschied, ob der Patient kratzt,
reibt oder die juckenden Stellen anderweitig manipuliert.
Effloreszenzen Auch gering ausgeprägte Effloreszenzen können einer (chronischen) Dermatose entsprechen.
Daher sollte in diesen Fällen ein Dermatologe hinzugezogen werden. Hautkolorit, Morphologie
und Verteilungsmuster der Effloreszenzen sowie mögliche Hautzeichen einer systemischen
Erkrankung sind zu dokumentieren Primäre und sekundäre, also durch Kratzen verursachte
Effloreszenzen wie z. B. Exkoriationen, Erosionen, Krusten oder Petechien müssen erfasst
und unterschieden werden ([Abb. 4]).
Abb. 4 Typische Hautveränderungen bei urämischem Pruritus. Kratzspuren am Bauch mit Exkoriationen.
Labordiagnostik bei Patienten ohne primäre Hautveränderungen
Labordiagnostik bei Patienten ohne primäre Hautveränderungen
Neue Leitlinien Die S2-Leitlinien zu Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus wurden aktuell
überarbeitet. Die Neufassung gibt vor, wie bei Patienten ohne entsprechende Vorinformation
oder Hinweise auf eine bestehende innere oder neurologisch-psychiatrische Erkrankung
zu verfahren ist [8]. Empfohlen wird folgende Labordiagnostik:
-
Bilirubin, Transaminasen (GPT [ALAT], GOT [ASAT]), Gamma-Glutamyl-Transferase (GGT,
Gamma-GT), alkalische Phosphatase
-
Blutbild mit Differenzialblutbild, Ferritin
-
Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und C-reaktives Protein (CRP)
-
Blutzucker nüchtern
-
Kreatinin, Harnstoff, errechnete glomeruläre Filtrationsrate (eGFR), K+, Urin (Streifentest)
-
Laktatdehydrogenase (LDH)
-
Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH)
Anhand dieser Parameter gewinnt der Arzt erste Hinweise auf evtl. bestehende innere
Krankheiten (z. B. Niereninsuffizienz, Lebererkrankungen, Störungen im blutbildenden
System). Bei auffälligen Befunden schließen sich differenzialdiagnostische Untersuchungen
an ([Tab. 2]). Je nach Entität ist eine spezifische fachärztliche Weiterbehandlung erforderlich.
Tab. 2
Fakultative weitergehende Labordiagnostik entsprechend der klinischen, chemischen
und apparativen Vorbefunde (angelehnt an die S2-Leitlinien Pruritus 2016 [8]).
Befund
|
Untersuchung
|
Analer Pruritus
|
Parasiten, Wurmeier
digital-rektale Untersuchung
PSA
|
Aquagener und genitaler Pruritus, Pruritus unklarer Genese
|
Laktose-/Sorbit-Intoleranztest
|
Blutbildveränderungen, Verdacht auf lymphoproliferative Erkrankungen
|
Vitamin B12
Folsäure
Eiweißelektrophorese
Immunfixation
JAK2-Status Durchflusszytometrie
ggf. KM-Punktion
|
Eisenmangel, Stuhlunregelmäßigkeiten
|
Stuhluntersuchung auf okkultes Blut
|
Pathologische Leberwerte
|
Hepatitisserologie
-
anti-HVA-IgM
-
HBsAg,
-
anti-HBc,
-
anti-HCV
Gallensäuren
AMA (antimitochondriale Antikörper)
pANCA (perinukleäre antineutrophile ytoplasmatische Antikörper)
ANA (antinukleäre Antikörper)
SMA (glatte Muskulatur-Antikörper)
SLA (lösliches Leberantigen-Antikörper)
LKM (Leber-Nieren-Mikrosomen-Antikörper)
Gewebstransglutaminase-AK
Alpha-Fetoprotein (bei Leberzirrhose/hepatischer Raumforderung)
|
Pathologische Nüchternglukose
|
HbA1c
Glukose-Toleranztest
|
Primäre oder sekundäre Hautveränderungen
|
Direkte und indirekte Immunfluoreszenz
Auto-Antikörper gegen dermale Proteine (BP 180, 230, Desmoglein)
|
V. a. Allergie
|
Gesamt-IgE, ggf. spezifische IgE
Prick-Test
Epikutantest
|
V. a. endokrine Erkrankungen
|
Parathormon
fT3, fT4
Phosphat, Ca2+
25-OH-Cholecalciferol
TRAK (TSH-Rezeptor-AK)
TPO-AK (Thyreoperoxidase-AK)
|
V. a. HIV
|
HIV-Serologie, ggf. Lues-Serologie
|
V. a. Mastozytose
|
Tryptase
|
V. a. neuroendokrine Tumore
|
Chromogranin A
|
V.a. Porphyrien
V. a. neuroendokrine Tumore
V. a. Mastozytose
|
24h-Sammelurin:
-
Porphyrine
-
5-Hydroxyindolessigsäure
-
Methylimidazolessigsäure
|
Einem chronischen Pruritus ohne Hautveränderungen liegt häufig eine der drei folgenden
Erkrankungen zugrunde: Eisenmangel, Niereninsuffizienz und Lebererkrankungen.
Eisenmangel Eisenmangel führt nicht selten zu genitoanalem, aber auch generalisiertem Pruritus.
Üblicherweise sind bei Eisenmangel das mittlere korpuskuläre Volumen (MCV), das mittlere
korpuskuläre Hämoglobin (MCH) und das Serum-Hämoglobin vermindert. Die „Überlagerung“
durch andere Erkrankungen wie
kann die Ergebnisse der o. g. Indizes verfälschen. Auch wenn das Blutbild keine Mikrozytose
zeigt, kann trotzdem ein funktioneller Eisenmangel bestehen, z. B. bei fortgeschrittener
Niereninsuffizienz. Andererseits gibt es Krankheitsbilder wie die Thalassämie, wo
eine Mikrozytose vorliegt, die Eisenwerte aber im Normbereich sind. Bei unklaren Befunden
ist die Analyse der Eisenspeicherparameter oft hilfreich. Doch auch die Bestimmung
von Ferritin und Transferrinsättigung führt nicht immer zu einem eindeutigen Befund.
Denn Ferritin kann als sog. Akutphasenprotein im Rahmen einer Leberzirrhose, einer
Tumorerkrankung oder einer Infektion erhöht sein, obwohl ein Eisenmangel besteht [13]
[14]. Hier hilft ggf. die Bestimmung von hypochromen Erythrozyten und Retikulozyten-Hämoglobin.
Niereninsuffizienz Kreatinin ist als Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels einfach im Serum nachweisbar.
Je nach Analysemethode und Labor ergeben sich unterschiedliche Normalwerte. Allerdings
kann sich auch hinter einem „normalen“ Serum-Kreatinin eine bereits erheblich eingeschränkte
Nierenfunktion im Sinne einer verminderten glomerulären Filtrationsrate verstecken
([Abb. 5]). Abhängig von Muskelmasse, Muskelumsatz und Muskelstoffwechsel ist bei eingeschränkter
Nierenfunktion das Serum-Kreatinin mehr oder weniger erhöht.
Abb. 5 Zusammenhang zwischen Serum-Kreatinin und glomerulärer Filtrationsrate (GFR) (Bildnachweis:
Kuhlmann et al. Nephrologie. 6. Auflage 2015. Thieme Stuttgart, New York).
-
So hat z. B. ein junger muskelkräftiger Mann mit grenzwertig erhöhtem Serum-Kreatinin
von 1,5 mg/dl u. U. eine normale Nierenfunktion.
-
Hingegen kann bei einer älteren, immobilen Patientin mit gleich hohem Serum-Kreatinin
eine Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate von 60 – 70 % vorliegen.
Um die Nierenfunktion besser einschätzen zu können, gibt es verschiedene Vorgehensweisen.
Zum einen besteht die Möglichkeit, die Kreatinin-Clearance zu bestimmen (cave: Sammelfehler!).
Zum anderen kann eine der gebräuchlichen Formeln zur Abschätzung der GFR (eGFR mittels
MDRD oder CKD-EPI-Formel) zum Einsatz kommen. Alter und Geschlecht des Patienten fließen
in beide Formeln mit ein.
Lebererkrankungen Bereits Jahre, bevor der Bilirubinwert erhöht ist, kann bei der primären biliären
Cholangitis Pruritus auftreten. Allerdings sind zu diesem Zeitpunkt meistens bereits
alkalische Phosphatase, γ-GT sowie immunologische Parameter wie antinukleäre und antimitochondriale
Antikörper erhöht. Bei Patienten mit aktiver Hepatitis C sind die Transaminasen gelegentlich
nicht oder nur geringfügig erhöht. Allerdings sind Hepatitis-C-Antikörper in der Regel
1 – 5 Monate nach Krankheitsbeginn nachweisbar. Im Zweifel ist die Hepatitis-C-RNA
zu bestimmen.
Bei den meisten Lebererkrankungen, die mit Pruritus einhergehen, finden sich entweder
erhöhte Transaminasen, erhöhtes Bilirubin und/oder erhöhte Cholestaseparameter (alkalische
Phosphatase, γ-GT).
Weiterführende Untersuchungen
Weiterführende Untersuchungen
Spezielle dermatologische Untersuchungen Bei Verdacht auf eine spezifische Dermatose ist ggf. eine Probebiopsie der Haut mit
dermatohistologischer Untersuchung durchzuführen. Besteht eine Scabies schon lange
Zeit und/oder wurde diese lokal mit Kortison behandelt, kann dies ein Ekzembild imitieren.
Dieser Befund ist daher ebenfalls dermatohistologisch abzuklären. Bei Verdacht auf
eine Epizoonose kann die dermatoskopische Untersuchung helfen, z. B. Milbengänge zu
erkennen. Da starker Pruritus auch bei blasenbildenden Immundermatosen unter dem Bild
von Exkoriationen auftreten kann, sollte man die Diagnose durch eine direkte Immunfluoreszenz
(DIF) absichern. Ein HES-induzierter Pruritus kann nur durch eine elektronenmikroskopische
Untersuchung der Haut diagnostiziert werden. Besteht der Verdacht auf ein allergisches
Kontaktekzem, sind Epikutantests durchzuführen. Bei Atopie und Verdacht auf eine Soforttyp-Allergie
sind entsprechende Pricktests und eine In-vitro-Diagnostik mit Gesamt-IgE und entsprechenden
IgE-Bestimmungen sinnvoll.
Abhängig von Hautbefunden und Differentialdiagnosen sind bakteriologische und mykologische
Untersuchungen zu veranlassen.
Bildgebende Verfahren Bei chronischem Pruritus unklarer Genese beschränkt man sich nach den Laboruntersuchungen
im ersten Ansatz auf eine Sonographie des Bauchraumes und ein Röntgenbild des Thorax.
Mit Hilfe dieser Verfahren sollen Hinweise auf eine lymphoproliferative oder maligne
Erkrankung erhalten werden. Spezifische klinische oder laborchemische Befunde (z. B.
Hinweise für eine maligne Erkrankung) können weitere apparative Untersuchungen erforderlich
machen. Zur weiteren Einordnung von Nieren- oder Lebererkrankungen kommen Sonographie,
Szintigraphie und Schnittbildtechniken (CT, MRT) zum Einsatz. Bei analem Pruritus
sollte stets eine Proktoskopie, ggf. auch Rektoskopie erfolgen, bei genitalem Pruritus
ist eine gynäkologische bzw. urologische Untersuchung indiziert. Bei Verdacht auf
neuropathischen Pruritus bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und/oder entsprechender
Anamnese ist ein MRT anzufertigen.
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Chronischer Pruritus ist ein häufiges Symptom. Er beeinträchtigt die Lebensqualität
stark und bedarf einer sorgfältigen ärztlichen Abklärung.
-
Chronischer Pruritus kann alle Altersgruppen betreffen und Ausdruck einer dermatologischen,
allergologischen, internistischen, neurologischen oder psychiatrischen Erkrankung
sein.
-
Chronischer Pruritus kann als Symptom der Diagnose einer inneren Erkrankung vorausgehen.
-
Chronischer Pruritus hat häufig eine multifaktorielle Genese und muss interdisziplinär
abgeklärt werden.
-
Zur umfassenden Anamnese bei chronischem Pruritus gehört es, alle aktuell und zuvor
verwendeten Präparate sorgfältig zu erfassen – auch Medikamente, die im Rahmen von
Operationen verabreicht wurden.
-
Aufgrund der demographischen Entwicklung und der Zunahme von chronischem Juckreiz
bei älteren Menschen werden Allgemeinärzte und Internisten immer häufiger damit konfrontiert
sein.
-
Auch unter Einsatz aller diagnostischen Möglichkeiten ist es oft nicht möglich, die
zugrundeliegende Erkrankung zu eruieren [15]
[16]. In diesem Fall empfiehlt sich – bei Persistenz des Hautjuckens – eine Wiederholung
der Untersuchung nach 12 Monaten.