ergopraxis 2017; 10(06): 24-27
DOI: 10.1055/s-0043-106266
Ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Das Tele-Therapieprogramm Caspar – Den Therapeuten mit nach Hause nehmen

Christoph Hofstetter

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
09. Juni 2017 (online)

 

Caspar ist eine webbasierte und interaktive Rehaplattform für Therapeuten und Patienten. Unabhängig von Zeit und Ort können sie Übungs- und Trainingsaufgaben durchführen und anschließend ein direktes Feedback per Video oder Chat zu jeder Übung geben. Dies dient der verstärkten Interaktion zwischen Therapeut und Patient sowie dem Selbstmanagement des Patienten, auch außerhalb des Behandlungsraums.


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Christoph Hofstetter

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Christoph Hofstetter ist seit 1986 Physiotherapeut, Sportphysiotherapeut und hat seinen Bachelor mit dem Schwerpunkt Neurorehabilitation absolviert. Er ist Leiter des Therapiezentrums Warburg, klinischer Supervisor in der neurologischen Rehabilitation in Deutschland und der Schweiz sowie Dozent an der SRH Hochschule Gera und IBITA anerkannter Bobath-Instruktor.

Die Idee zu Caspar hatte der Gesundheitsökonom Maximilian Michels. Als langjähriger operativer Geschäftsführer einer stationären Rehabilitationsklinik entschied er sich im März 2016, eine Online-Rehabilitationsklinik zu entwickeln, damit Patienten nach der Rehabilitation weiterhin therapeutisch versorgt sind. Die Möglichkeit, weiter zu trainieren und nicht Opfer des sogenannten „Nachsorgelochs“ zu werden, war ihm wichtig. Hierfür gründete er mit seinen Partnern Benjamin Pochhammer und Max von Waldenfels ein Start-up-Unternehmen und ist seitdem Teil des Microsoft-Accelerator-Programms in Berlin.

Wissenschaftliche Beratung fand das Start-up-Unternehmen durch den Neurologen und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Michael Jöbges von der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera und den Physiotherapeuten Christoph Hofstetter, der das interdisziplinäre Therapiezentrum Warburg leitet, das aus den Therapiebereichen Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie besteht. Christoph Hofstetter ist für die Produktentwicklung und das inhaltliche Produktmanagement verantwortlich. Er testete die Basisversion von Caspar ab Juli 2016 im therapeutischen Alltag in Warburg mit allen Therapeuten und 30 Patienten aus Orthopädie, Neurologie und Pädiatrie. Unterstützt wird die Entwicklung zudem unter anderem von der ZAR-Gruppe und dem Therapiezentrum Activatio in Hamburg, welche ebenfalls mit insgesamt zehn Patienten das System getestet haben.

Befund und Therapie in Caspar dokumentieren

Die Patienten haben in Caspar ihr eigenes Profil mit Benutzernamen und Passwort und können damit über PC, Laptop, Tablet oder Smartphone auf ihr Online-Profil und die darin hinterlegten Trainingspläne zugreifen.

Einer der Patienten ist Thomas Ludwig[*], welcher im Februar 2015 einen Schlaganfall mit Hemiparese links erlitt. Seitdem kommt er regelmäßig zweimal im Jahr für eine Woche ins Therapiezentrum Warburg. Dort erhält er täglich vier Stunden interdisziplinäre Therapie. Der erste Tag beginnt immer mit einer Untersuchung sowie einer interdisziplinären Supervision, in der die behandelnden Ergo- und Physiotherapeuten gemeinsam mit Herrn Ludwig dessen Ziele nach ICF für die kommende Woche in allen Therapiebereichen SMART formulieren.

Die Untersuchung ergibt, dass bei Herrn Ludwig nach wie vor die linken Unterarm- und Fingerbeuger verkürzt sind. Er hat Defizite beim Greifen mit der linken Hand. Das ist die Ursache für seine schnelle neuromuskuläre Ermüdung, die durch einen Ermüdungstremor sichtbar wird. Sein Schriftbild wird bereits nach wenigen Worten undeutlich, wenig später ist das Schreiben wegen der fehlenden Kraft unmöglich. Den Pinzettengriff kann er nur rudimentär ausführen. Klinische Zeichen einer Spastik beobachten die Therapeuten bei ihm nicht. Als Fußgänger ist er ohne Hilfsmittel innerhalb und außerhalb der Wohnung sicher und selbstständig unterwegs.

Mit Herrn Ludwig formuliert das Team in der interdisziplinären Supervision zwei Ziele auf Aktivitätsebene nach ICF:

  • d4402: In zehn Behandlungen ist ein deutliches und ausdauerndes Greifen um ein Glas mit der linken paretischen Hand möglich.

  • d440: In zehn Behandlungen nimmt die Kraft des M. flexor digitorum profundus und M. extensor digitorum des linken Unterarms von neun auf 20 Kilogramm zu (gemessen mit dem Dynamometer).

Der Patient bekommt seinen eigenen Account, für den er der Therapeutin Zugriffsrechte erteilt.


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Ein eigener Therapeut für zu Hause

Um die Therapieziele zu erreichen, legen die Therapeuten in Warburg großen Wert darauf, dass ihre Patienten einerseits individuelle Übungen erhalten und diese andererseits auch nach dem Aufenthalt im Therapiezentrum weiter durchführen.

Um Herrn Ludwig das zu erleichtern, nimmt er am Modellprojekt Caspar teil. Nach der schriftlichen Zustimmung legt die Therapeutin von Herrn Ludwig einen Patientenaccount für ihn an und schickt die Zugangsdaten an seine private Mailadresse. Nun kann sie in nur wenigen Minuten einen Trainingsplan nach den ICF-Therapiezielen und einigen Assessments erstellen ([ABB. 3], S. 25). Caspar bietet dafür Schemata für die soziale und medizinische Anamnese sowie ein therapeutisches Befundscreening für Patienten aus der Orthopädie und Neurologie.

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ABB. 1 Bei Caspar wird jeder Patient in der Therapie gefilmt und bekommt die Videos in seinen eigenen Account hochgeladen. So kann er mit sich selbst zu Hause trainieren.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com (nachgestellte Situation)
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ABB. 2 Das Dashboard ist Dreh- und Angelpunkt von Caspar. Es liefert eine Übersicht über die Trainingsintensität, die absolvierten Übungen, das Stimmungsprotokoll und die Ergebnisse der Assessments.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 3 Unter dem Reiter „Therapieziel“ bietet Caspar Therapeuten eine Maske, in der sie Therapieziele für den jeweiligen Patienten SMART und nach ICF dokumentieren können.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com

In einer der Therapiesitzungen mit Herrn Ludwig filmt die Therapeutin die einzelnen Übungen mit dem Tablet und hinterlegt diese im Trainingsplan ([ABB. 4]–[7], S. 25 und 26). Wieder zu Hause angekommen, kann Herr Ludwig sich mit dem Laptop direkt in sein Caspar-Konto einwählen und mit seinem Training loslegen. Das Programm sagt ihm dabei noch einmal, wann er welche Übung machen muss und wie diese richtig durchzuführen sind. Gleichzeitig überwacht das System den kompletten Vorgang und speichert die Ergebnisse. Nach jeder einzelnen Übung kann Herr Ludwig ein Feedback in Form einer Videoaufnahme oder eines Chats geben. Die behandelnde Therapeutin bekommt die Feedbacks in Echtzeit in ihrem Therapeuten-Dashboard angezeigt und steht somit im ständigen Kontakt mit ihrem Patienten – ohne zeitlich und örtlich anwesend sein zu müssen.

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ABB. 4 Der Trainingsplan listet Übungen auf, die sich der Patient im Video ansehen kann. Zu jeder Übung hat ihm sein Therapeut eine kurze Beschreibung sowie die Intensität notiert.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 5 Im Stehen trainiert Herr Ludwig unter Abnahme der Schwerkraft die Reich- und Transportbewegung des linken Arms. Seine Therapeutin filmt mit dem Tablet, damit er sich die Übungen daheim noch einmal anschauen kann.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 6 Teil des Therapieplans ist es, dass Herr Ludwig seinen M. pectoralis major und M. latissimus dorsi mobilisiert. Durch das exzentrisch antagonistische Loslassen dieser Muskeln trainiert er ebenfalls die Reichbewegungen des linken Arms.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 7 Bei der seitlichen Mobilisation des M. pectoralis major dreht sich der Oberkörper als Punctum mobile vom Arm als Punctum fixum weg. Herr Ludwig führt alle Übungen im Stand durch, um gleichzeitig seine Koordination und Stehbalance zu trainieren.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 8 Das Team von Caspar. Oben von links: Tatjana Radovancev (Physiotherapeutin), Katrin Vettermann (Ergotherapeutin), Karin Ehrhardt (Ergotherapeutin und Inhaberin des Therapiezentrums Warburg) Unten von links: Benjamin Pochhammer (Geschäftsführer), Christoph Hofstetter (Physiotherapeut und Inhaber des Therapiezentrums Warburg), Maximilian Michels (Geschäftsführer)
Abb.: T. Burkard

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Die Therapieergebnisse auf einen Blick beurteilen

Mithilfe des Dashboards können Therapeuten die Übungsergebnisse, die dazugehörigen Feedbacks und den Übungsverlauf ihrer Patienten beobachten und jederzeit Anpassungen vornehmen oder mit dem Patienten Kontakt aufnehmen. Bei dem Video-Call beispielsweise können sie gemeinsam die Trainingspläne anpassen und neue Übungen besprechen.

Kommt Herr Ludwig das nächste Mal nach Warburg, kann er gemeinsam mit seiner Therapeutin alle Trainingsergebnisse mithilfe des Caspar-Dashboard besprechen ([ABB. 2], S. 24). Die Reassessments werden dabei mit den Eingangsassessments verglichen. Ein grafischer Vergleich seiner Ergebnisse im Verlauf bzgl. Assessments und Trainingsprogramm wird im Dashboard angezeigt.


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Dokumentations- und Interaktionssystem

Caspar wird aktuell in 23 ambulanten Rehabilitationszentren, einer Akutklinik und zwei Rehabilitationskliniken für neurologische Rehabilitation eingesetzt. Hier findet das Programm seine Anwendung in der Einzel- und Gruppentherapie der Phase C. Jetzt schon ist es als Dokumentations- und Interaktionssystem nutzbar. Voraussetzung ist, dass der Patient den Therapeuten und Ärzten die Genehmigung erteilt.

Therapeuten können für ihre Patienten Standardtherapiepläne mithilfe einer Video-Bibliothek erstellen, die aus über 300 Videos besteht. Therapieinhalte der Videos stehen für die Bereiche Orthopädie, Neurologie und Geriatrie zur Verfügung. Auf Videos zur Anleitung und Selbsthilfe für den Patienten und seine Angehörigen besteht ebenfalls Zugriff. Darüber hinaus soll Caspar jeden Tag wachsen und weiterentwickelt werden. Eine App für Smartphones ist seit Januar 2017 erhältlich.

Ab Juni 2017 wird die Video-Bibliothek um weitere 200 Videos zur Handtherapie in der Ergo- und Physiotherapie, Selbsthilfe und Patientenedukation erweitert. Dann besteht die Möglichkeit eines Befundscreenings und einer Reporting-Funktion, mit deren Hilfe Therapieberichte für den Arzt oder die eigene Dokumentation erstellt und ausgedruckt werden können.

Das Programm sagt den Patienten, wann sie welche Übung machen sollen und wie sie diese richtig durchführen.


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Patienten für Übungen zu Hause motivieren

Mit Caspar und seiner Videofunktion wollen die Entwickler erreichen, dass die Patienten deutlich motivierter sind, auch zu Hause zu üben, wenn sie mit sich selbst und nicht mit einem meist gesunden Model trainieren. Die Patienten können nach ihren Übungen per Mail in Caspar direkt ein Feedback zu ihren Übungen an ihren Therapeuten schreiben.

Bei Herrn Ludwig bewährt sich das besonders beim Üben des Pinzettengriffs. Diesen kann er nach einer Woche sicher und ausdauernd durchführen. Auch das Ziel, die Kraft in Hand- und Armmuskulatur auf 20 Kilogramm zu steigern, erreicht er, sodass er gemeinsam mit seinen Therapeuten neue Ziele stecken kann. Mit seinen Übungen aus der Therapiewoche in Warburg, welche in Caspar abrufbar sind, verlässt Herr Ludwig das Therapiezentrum.

Christoph Hofstetter


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*Name von der Redaktion geändert




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ABB. 1 Bei Caspar wird jeder Patient in der Therapie gefilmt und bekommt die Videos in seinen eigenen Account hochgeladen. So kann er mit sich selbst zu Hause trainieren.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com (nachgestellte Situation)
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ABB. 2 Das Dashboard ist Dreh- und Angelpunkt von Caspar. Es liefert eine Übersicht über die Trainingsintensität, die absolvierten Übungen, das Stimmungsprotokoll und die Ergebnisse der Assessments.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 3 Unter dem Reiter „Therapieziel“ bietet Caspar Therapeuten eine Maske, in der sie Therapieziele für den jeweiligen Patienten SMART und nach ICF dokumentieren können.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 4 Der Trainingsplan listet Übungen auf, die sich der Patient im Video ansehen kann. Zu jeder Übung hat ihm sein Therapeut eine kurze Beschreibung sowie die Intensität notiert.
Abb.: Tele-Therapieprogramm Caspar; vivat/fotolia.com
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ABB. 5 Im Stehen trainiert Herr Ludwig unter Abnahme der Schwerkraft die Reich- und Transportbewegung des linken Arms. Seine Therapeutin filmt mit dem Tablet, damit er sich die Übungen daheim noch einmal anschauen kann.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 6 Teil des Therapieplans ist es, dass Herr Ludwig seinen M. pectoralis major und M. latissimus dorsi mobilisiert. Durch das exzentrisch antagonistische Loslassen dieser Muskeln trainiert er ebenfalls die Reichbewegungen des linken Arms.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 7 Bei der seitlichen Mobilisation des M. pectoralis major dreht sich der Oberkörper als Punctum mobile vom Arm als Punctum fixum weg. Herr Ludwig führt alle Übungen im Stand durch, um gleichzeitig seine Koordination und Stehbalance zu trainieren.
Abb.: C. Hofstetter (nachgestellte Situation)
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ABB. 8 Das Team von Caspar. Oben von links: Tatjana Radovancev (Physiotherapeutin), Katrin Vettermann (Ergotherapeutin), Karin Ehrhardt (Ergotherapeutin und Inhaberin des Therapiezentrums Warburg) Unten von links: Benjamin Pochhammer (Geschäftsführer), Christoph Hofstetter (Physiotherapeut und Inhaber des Therapiezentrums Warburg), Maximilian Michels (Geschäftsführer)
Abb.: T. Burkard