Einleitung
Die Allgemeinanästhesie beim Pferd ist im Vergleich zum Kleintier mit einer deutlich
höheren Morbidität und Mortalität verbunden (0,5 – 1%) [7], [16]. Lässt sich ein Eingriff mit Sedierung in Kombination mit einer Lokalanästhesie
am stehenden Pferd durchführen, verhindert man dadurch die Nachteile und die Verletzungsgefahr,
die mit der Seiten- oder Rückenlage des Pferdes bei einer Allgemeinanästhesie sowie
der Aufwachphase verbunden sind. Auch bei schmerzhaften Eingriffen in der Allgemeinanästhesie
kann die zusätzliche Anwendung von lokalen Anästhesietechniken helfen, die Dosis der
systemisch verabreichten Anästhetika und damit die Nebenwirkungen zu vermindern [20].
Die Art der Analgesie bei der Lokalanästhesie ist einmalig: die Schmerzweiterleitung
zum Zentralnervensystem wird unterbrochen und das Signal gelangt im Idealfall nicht
in das Rückenmark. Lokalanästhetika können die Allgemeinanästhesie sehr gut analgetisch
ergänzen bzw. generell als ausgezeichnete Analgetika bei schmerzhaften Eingriffen
verwendet werden [17].
Die lokale analgetische Versorgung kann auf verschiedene Arten mit unterschiedlicher
Wirksamkeit durchgeführt werden:
-
topische oder infiltrative Applikation
-
Leitungsanästhesie = gezielte Injektion neben einem oder mehreren Nerven, z. B. die
Leitungsanästhesie am Kopf
-
zentrale Applikation = Injektion in den Epidural- oder Spinalraum, z. B. die kaudale
Epiduralanästhesie.
Neben den klassischen Lokalanästhetika wie Procain, Lidocain, Mepivacain oder Bupivacain,
die zum Teil für das Pferd umgewidmet werden müssen, besitzen auch andere Medikamente
wie α2-Agonisten, Opioide und Ketamin analgetische Eigenschaften, die nicht nur systemisch,
sondern auch lokal angewendet werden können. Pferde zählen zu den lebensmittelliefernden
Tieren und bei der Verwendung von Medikamenten müssen die entsprechenden rechtlichen
Grundlagen eingehalten werden (z. B. der Eintrag in den Equidenpass). Eine Übersicht
zur Anwendung der Lokalanästhetika findet sich in [Tab. 1].
Tab. 1 Übersicht über die Lokalanästhetika, deren Wirkungseintritt und Wirkdauer sowie deren
arzneimittelrechtliche Voraussetzungen für ihre Anwendung beim Pferd.
Wirkstoff
|
Wirkungseintritt
|
Wirkdauer subkutan
|
Bemerkungen
|
Procain
|
5 – 10 min
|
60 – 90 min
|
als veterinärmedizinisches Präparat zugelassen
Tab. 1 (EU) 37/2 010, alle lebensmittelliefernden Tiere
Wartezeit: 1 – 5 Tage (essbare Gewebe)
|
Lidocain
|
5 – 10 min
|
60 – 150 min
|
als veterinärmedizinisches Präparat zugelassen
Tab. 1 (EU) 37/2 010, nur Equiden, nur lokal
Wartezeit: 5 Tage (essbare Gewebe)
|
Mepivacain
|
5 – 10 min
|
70 – 210 min
|
kein veterinärmedizinisches Präparat zugelassen
Tab. 1 (EU) 37/2 010, nur Equiden, intraartikulär, epidural
|
Bupivacain
|
langsam
|
4 – 6 h
|
EU Equidenliste
|
Sedierung für Eingriffe am stehenden Pferd
Sedierung für Eingriffe am stehenden Pferd
Für viele Eingriffe bietet sich die Sedierung beim stehenden Pferd an.
Vorbereitende Maßnahmen
Vor jeder Sedierung eines Pferdes sollten Vorkehrungen getroffen werden, um schnell
reagieren zu können, falls das Pferd doch ataktisch wird und niedergeht. Im Idealfall
wird das Maul vorher ausgespült, um bei einer Not-Intubation keine Futterbestandteile mit dem Endotrachealtubus in
die Trachea vorzuschieben. Alle nötigen Materialien (u. a. Infusion, Sauerstoff) und Medikamente für eine erste Versorgung, im Notfall auch für eine Anästhesieeinleitung mit Intubation,
sollten in Reichweite vorhanden sein.
Auch wenn „nur“ eine Sedierung vorgenommen wird, sollte bei länger andauernden oder
schmerzhaften Eingriffen ein Venenverweilkatheter gesetzt werden. Idealerweise sollte darüber eine kristalloide Lösung mit einer Infusionsrate von 10 ml/kg/h verabreicht werden.
Anzeichen einer tiefen Sedierung
-
tief hängender Kopf mit entspannter Unterlippe
-
halb geschlossene Augen
-
kaum Ohrspiel, eher „hängende“ Ohren
-
kaum Reaktion auf Stimulus
-
breitbeiniger Stand, zum Teil Einknicken oder Ataxie
Abb. 1 Tief sediertes Pferd mit abgestütztem Kopf, Watte in den Ohren und einem Warmluftgebläse
über Hals und Widerrist, um der Auskühlung entgegenzuwirken.(© Eva Eberspächer-Schweda)
Bei der Verwendung von α2-Agonisten schwitzen die Tiere oft sehr stark und kühlen
möglicherweise aus. Eine rektale Temperaturmessung und evtl. wärmende Maßnahmen sind zu ergreifen, wenn die Temperatur unterhalb des
Normwerts (37,5 – 38,0 °C) fällt [4]. Der Kopf sollte abgestützt werden, um ein Anschwellen der Nasenschleimhaut zu verhindern
([Abb. 1]).
Medikamente zur Sedierung und Analgesie
Grundsätzlich stehen 3 Stoffgruppen der Anästhetika für Sedierung und Analgesie des
erwachsenen Pferdes zur Verfügung, die idealerweise intravenös und in Kombination verabreicht werden sollten: Phenothiazine, α2-Agonisten und Opioide.
Phenothiazine: Acepromazin
Acepromazin sollte spätestens ca. 30 min vor der geplanten Sedierung verabreicht werden, um eine erste Beruhigung des Pferdes zu erhalten [3]:
Die Wirkdauer ist mit 4 – 6 Stunden relativ lang. Die Gabe muss in den Equidenpass eingetragen werden.
Um eine tiefe Sedierung einzuleiten, sollte idealerweise eine Kombination aus α2-Agonisten
und Opioiden verwendet werden.
α2-Agonisten: Xylazin, Detomidin, Romifidin
Die Medikamente dieser Stoffgruppe verursachen bei Pferden dosisabhängig Sedierung und Analgesie. Die Dosierungen, Applikationsarten, der maximale Wirkungseintritt und die Wirkdauer
sind in [Tab. 2] zusammengefasst.
Tab. 2 α2-Agonisten für das Pferd.
Wirkstoff
|
Dosis (mg/kg)
|
Applikationsart
|
Dauer bis zur maximalen Wirkung
|
Wirkdauer (Sedierung)
|
Bemerkungen
|
Xylazin
|
0,5 – 1,0
|
i. v.
|
2 – 5 min
|
30 min
|
als veterinärmedizinisches Präparat zugelassen
Tab. 1 (EU) 37/2 010, für alle lebensmittelliefernden Tiere
Wartezeit: 1 Tag (essbare Gewebe)
|
1,0 – 2,0
|
i. m.
|
15 – 20 min
|
30 min
|
Detomidin
|
0,01 – 0,02
|
i. v.
|
2 – 5 min
|
45 – 60 min
|
als veterinärmedizinisches Präparat zugelassen
Tab. 1 (EU) 37/2 010, für alle lebensmittelliefernden Tiere
Wartezeit: 2 Tage (essbare Gewebe)
|
0,01 – 0,04
|
i. m.
|
30 min
|
60 – 90 min
|
0,04
|
transmukosal
|
30 – 45 min
|
60 min
|
Romifidin
|
0,04 – 0,12
|
i. v.
|
2 – 5 min
|
60 – 120 min
|
als veterinärmedizinisches Präparat zugelassen
Tab. 1 (EU) 37/2 010, für alle lebensmittelliefernden Tiere
Wartezeit: 6 Tage (essbare Gewebe)
|
Werden α2-Agonisten alleine verwendet, bleiben die Tiere „weckbar“ und schreckhaft,
was gefährlich für die behandelnde Person sein kann. Empfohlen ist daher die Kombination mit Opioiden, wodurch man eine stabile Sedierung und systemische Analgesie erhält [20], [22].
Opioide: Butorphanol und Morphin
Opioide sind auch beim Pferd (wie bei anderen Spezies) in erster Linie Analgetika.
Bei Pferden, die nicht unter Schmerzen leiden, verursachen sie eher Dysphorie und
Aufregung und sind deshalb als alleiniges prophylaktisches Analgetikum nicht geeignet.
In Kombination mit α2-Agonisten können Opioide aber zu einer stabilen Sedierung und Analgesie beitragen ([Tab. 3]) [6].
Tab. 3 Einsatz von Opioiden beim Pferd. Die Dauer bis zur maximalen Wirkung liegt in der
Regel bei wenigen Minuten.
Wirkstoff
|
Dosis (mg/kg)
|
Applikationsart
|
Wirkdauer
|
Bemerkungen
|
Butorphanol
|
0,02 – 0,05
|
i. v.
|
1 – 1,5 h (Sedierung)
|
als veterinärmedizinisches Präparat zugelassen
Tab. 1 (EU) 37/2 010, für alle lebensmittelliefernden Tiere
Wartezeit: 0 Tage
|
0,05 – 0,1
|
i. v.
|
1 – 1,5 h (Analgesie)
|
Morphin
|
0,1 – 0,2
|
i. m., i. v.
|
4 – 6 h
|
kein veterinärmedizinisches Präparat zugelassen
Anwendung bei lebensmittelliefernden Tieren nicht erlaubt
|
Butorphanol und Morphin kommen bei sehr schmerzhaften Eingriffen in Kombination mit
α2-Agonisten zum Einsatz.
Ketamin
Ketamin kann in einer sehr niedrigen Dosis als Dauertropfinfusion hinzugefügt werden,
um mit einer zusätzlichen analgetischen Komponente bei sehr schmerzhaften Eingriffen
zu helfen. In subanästhetischen Dosierungen wird somatischer Schmerz, der bei Eingriffen
an Haut, Muskulatur und Knochen hervorgerufen wird, gut bekämpft und eine Hypersensibilisierung
vermindert [2]. Daher sollte es idealerweise bereits vor Beginn des schmerzhaften Stimulus als
Bolus verabreicht und anschließend als Dauertropfinfusion weitergegeben werden [1]:
-
Ketamin: als Bolus z. B. 0,4 mg/kg langsam i. v., danach weiter als Dauertropfinfusion
z. B. 0,005 – 0,02 mg/kg/min i. v.
Mit diesen Medikamentenkombinationen erhält man eine stabile, tiefe Sedierung, die
je nach Dosis und Wahl des α2-Agonisten 20 – 60 min andauert. Es ist kontinuierlich
auf die Reaktionen des Pferdes auf Stimuli, die Tiefe der Sedierung und den Grad der
Ataxie zu achten und ggf. entsprechend nachzudosieren ([Kasten]). Die Dosis der Wiederholungsboli ist niedriger als der initiale Bolus ([Tab. 2] und [3]).
Lokalanästhetika
Beim Pferd werden am häufigsten die Lokalanästhetika Procain, Lidocain, Mepivacain
und Bupivacain verwendet ([Tab. 1]). Der Wirkungseintritt von Procain und Lidocain ist schnell, der maximale Effekt
tritt bereits nach wenigen Minuten ein. Die Wirkdauer ist eher kurz, bei Procain ca.
60 – 90 min, bei Lidocain etwas länger mit 60 – 150 min. Der Wirkeintritt von Mepivacain
dauert etwas länger als der von Lidocain, die Wirkdauer ist jedoch etwas länger. Die
längste Wirkdauer wird mit Bupivacain erreicht, jedoch muss auch deutlich länger (ca.
15 min) auf den Wirkeintritt gewartet werden. Für das Pferd nicht zugelassene Lokalanästhetika
müssen umgewidmet werden.
Maximale Dosierungen
Obwohl es fast unmöglich ist, bei der Anwendung von Lokalanästhetika am Kopf das Volumen
und damit die Dosis so hoch zu wählen, dass Anzeichen einer Überdosierung erkennbar
werden, ist es ratsam, die maximalen Dosierungen der jeweiligen Lokalanästhetika zu
berechnen und diese nicht zu überschreiten.
Folgende Dosierungen sollten nicht überschritten werden [17]:
Allgemeine Hinweise zur Durchführung einer Leitungsanästhesie
Allgemeine Hinweise zur Durchführung einer Leitungsanästhesie
Allgemein muss auf eine saubere Arbeitsweise mit sterilen Kanülen, Spritzen und Medikamenten geachtet werden. Vor der Injektion
muss immer aspiriert werden, um eine versehentliche intravaskuläre Applikation zu
vermeiden. Es sollte stets auf unerwünschte Nebenwirkungen, sowohl systemischer Art,
wie Erregungserscheinungen oder Muskelzuckungen, als auch lokaler Art, wie z. B. ein
Hämatom bei der Leitungsanästhesie des N. maxillaris, geachtet werden.
Kontraindikationen, die gegen die Durchführung einer Lokalanästhesie sprechen, sind eine Hautinfektion
oder Pyodermie an der Einstichstelle, eine bekannte Koagulopathie, Bakteriämie und
Sepsis und natürlich auch, wenn keine sauberen Bedingungen geschaffen werden können.
Die Wahl der Kanülengröße hängt oft von der Präferenz des Durchführenden ab, sollte
aber im Allgemeinen so klein wie möglich gewählt werden, um die Reaktion des Pferdes
und das Gewebetrauma möglichst gering zu halten [9].
Potenzielle Nebenwirkungen müssen im Vorgespräch mit dem Besitzer besprochen werden. Diese können eine Blutung,
eine lokale Reizung des Gewebes und Schädigung der Nerven mit temporärem oder permanentem
Funktionsausfall sein. Bei Überdosierung kann es zu zentralnervöser (z. B. Haut- oder
Muskelzuckungen) und kardiovaskulärer Symptomatik (z. B. Bradykardie) kommen.
Leitungsanästhesie für Eingriffe am Kopf
Leitungsanästhesie für Eingriffe am Kopf
Bei einseitiger Applikation des Lokalanästhetikums ist die ipsilaterale Seite des
Kopfes analgetisch versorgt. Pferde können während der Injektion mit Schlagen des
Kopfes oder der Vorderbeine und nach vorne gehen reagieren, insbesondere, wenn der
Nerv direkt berührt wird. Aus diesem Grund ist immer eine vorherige Sedierung empfohlen.
Einer Leitungsanästhesie für einen Eingriff am Kopf sollte eine Sedierung vorausgehen.
Nachdem die anatomische Lokalisation aufgefunden wurde, sollte die Injektionsstelle
im Idealfall geschoren, gewaschen und desinfiziert werden. Vor jeder Injektion muss
aspiriert werden, um eine intravaskuläre Fehlinjektion auszuschließen.
Die verwendeten Kanülen müssen oft länger sein als die Injektionskanülen, die man
normalerweise zur Verfügung hat. Für die Anästhesie der tief im Gewebe liegenden Nerven
am Kopf bieten sich Spinalkanülen an, die zwar dünn (22 G) aber lang (7,5 – 10 cm und länger) sind und durch ihren
Mandrin die nötige Stabilität erhalten. Weitere Vorteile der Spinalkanüle sind, dass
Gewebe durch den Mandrin und den speziellen kurzen, nicht-scharfen Schliff eher verdrängt
und nicht durchstochen wird. Dadurch wird eine Verschleppung von Hautpartikeln in
den Stichkanal verhindert.
Lokalanästhesie für Eingriffe an den Zähnen
Lokalanästhesie für Eingriffe an den Zähnen
Es gibt 4 Lokalisationen, um Leitungsanästhesien für Eingriffe an den Zähnen schmerzfrei
durchzuführen. Im Oberkiefer sind das die Leitungsanästhesie des N. infraorbitalis
und des N. maxillaris, im Unterkiefer des N. mentalis und des N. alveolaris inferior.
Im Folgenden werden Schritt für Schritt die anatomische Lokalisation, das Vorgehen
und das desensibilisierte Gebiet beschrieben.
N. infraorbitalis
Mithilfe des 3-Finger-Griffs wird die anatomische Lokalisation, das For. infraorbitale, palpiert ([Abb. 2]). Dabei wird die rechte Hand für die linke Kopfseite verwendet und umgekehrt. Der
Daumen liegt in der Incisura nasoincisiva, der Mittelfinger rostral an der Crista
facialis und der Zeigefinger schiebt zuerst den M. levator labialis superioris nach
oben und kommt dann ungefähr auf dem For. infraorbitale zum Liegen.
Die 22 G und 5 cm lange Kanüle wird vor dem Foramen platziert, dann werden nach Aspiration ca. 5 ml eines Lokalanästhetikums
injiziert ([Abb. 3]). Ein Vorschieben der Nadel in das Foramen um ca. 5 – 8 cm ist möglich. Bei nur
leicht sedierten Tieren ist mit Abwehrreaktionen zu rechnen.
Abb. 2 Leitungsanästhesie des N. infraorbitalis: 3-Finger-Griff zur Palpation des For. infraorbitale.(©
Eva Eberspächer-Schweda)
Die sensorische Blockade betrifft in Abhängigkeit von Eindringtiefe und Verteilung
des Lokalanästhetikums den rostralen Anteil der Maxilla.
Abb. 3 Leitungsanästhesie des N. infraorbitalis: Position der Nadel zur Injektion.(© Eva
Eberspächer-Schweda)
Bei guter Verteilung des Lokalanästhetikums im Kanal werden folgende Strukturen desensibilisiert
[11]:
-
Inzisivi des Oberkiefers
-
Prämolaren des Oberkiefers bis im optimalen Fall die Molaren 1 und 2 mit anschließender
Gingiva
-
Oberlippe, Nasenrücken bis fast zum medialen Kanthus des Auges
N. maxillaris
Der traditionelle Zugang zum N. maxillaris, die Palatine Bone Insertion (PBI) in der Fossa pterigopalatina, erfolgt von lateral durch die aseptisch präparierte
und zuvor lokalanästhesierte Haut. Bei durchschnittlich großen Pferden erfolgt der
senkrechte Einstich mit einer 22 G und über 10 cm langen Spinalkanüle ventral des lateralen Kanthus des Auges direkt am ventralen Rand des Arcus zygomaticus
([Abb. 4]). In leichtem Winkel nach kranial schiebt man die Nadel ca. 5 – 7 cm, bei größeren
Pferden bis zu 12 cm vor, bis man auf Knochen trifft. Spürt man bereits nach wenigen
Zentimetern einen knöchernen Widerstand, sitzt die Nadel kaudal auf dem Unterkieferast
oder rostral am Os zygomaticum. Man sollte dann die Kanüle leicht zurückziehen, die
Position korrigieren und erneut vorschieben. Nach Aspiration können ca. 10 – 20 ml (2 ml/100 kg Körpergewicht) Lokalanästhetikum appliziert werden ([Abb. 5]). Diese in der Zwischenzeit veraltete Technik wird zwar bei sedierten Tieren gut
toleriert, kann jedoch mit Komplikationen wie starken Blutungen mit retrobulbärem
Hämatom, Kreislaufkollaps und Erblindung einhergehen.
In der Literatur wird deshalb eine neue Technik beschrieben, die Injektion in den extraperiorbitalen Fettkörper (Extraperiorbital Fat Body Insertion, EFBI). Bei dieser Technik sticht man an der
gleichen Stelle ein wie bei der traditionellen Technik, schiebt die Kanüle jedoch
nicht so weit vor. Nach ca. 30 – 35 mm Eindringtiefe durchdringt die Kanüle spürbar
die tiefe Faszie des M. masseter. Man schiebt die Kanüle dann noch ca. 15 – 20 mm
in den extraperiorbitalen Fettkörper vor und injiziert nach Aspiration ca. 10 bis max. 20 ml (2 ml/100 kg Körpergewicht) Lokalanästhetikum
[23]. Durch dieses Vorgehen reduziert man die Gefahr einer Blutung.
Abb. 4 Leitungsanästhesie des N. maxillaris: Lokalisation der Einstichstelle ventral des
lateralen Kanthus.(© Eva Eberspächer-Schweda)
Die neue Technik desensibilisiert folgende Strukturen:
-
alle Zähne im Oberkiefer
-
einschließlich der Gingiva, der Schleimhaut der Kieferhöhle und des paranasalen Sinus,
des Gaumendachs, Teilen des weichen Gaumensegels
-
die Haut einschließlich der Nüster bis zum medialen Kanthus des Auges [9]
Die Sicherheit dieser lokalanästhesiologischen Technik wird erhöht, indem man die
Punktion des perineuralen Gebiets Ultraschall-gesteuert durchführt [21].
Abb. 5 Leitungsanästhesie des N. maxillaris: Injektion von 15 ml Lokalanästhetikum zur sensorischen
Blockade des N. maxillaris.(© Eva Eberspächer-Schweda)
N. mentalis
Um das For. mentale, das in der Mandibula auf Höhe der Mitte des zahnfreien Raumes (Diastema) liegt,
palpieren zu können, muss ein Teil des M. depressor labii inferioris nach dorsal geschoben
werden. Nach dem Einstich durch die Haut mit einer 22 G und 2,5 cm kurzen Kanüle und Aspiration kann man ca. 5 ml Lokalanästhetikum direkt an der Austrittstelle des Nervs aus dem For. mentale appliziert.
Damit versorgt man analgetisch:
Es gibt die Möglichkeit, eine etwas längere Spinalkanüle (22 G, 7,5 – 10 cm) zu verwenden und diese evtl. im Kanal weiter vorzuschieben. Dadurch
erweitert man die Leitungsanästhesie bis zum 3. Prämolar oder mit guter Verteilung und Verwendung von ca. 10 ml Lokalanästhetikum, sogar noch
weiter bis zum 1. Molar ([Abb. 6]) [24]. In der Regel reagieren Pferde heftig auf dieses Vorgehen und sollten daher tief sediert sein. Da sich im Kanal neben den Nerven auch Venen und Arterien befinden, besteht
die Gefahr einer Gewebsverletzung und/oder Blutung, weshalb von dieser Technik eher
abzuraten ist. Als Alternative wird die Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior
empfohlen.
Abb. 6 Leitungsanästhesie des N. mentalis: Lokalanästhesie des rostralen Anteils der Mandibula.(©
Eva Eberspächer-Schweda)
N. alveolaris inferior
Es gibt unterschiedliche Einstichstellen, um den N. alveolaris inferior, der aus dem
N. mandibularis hervorgeht und innerhalb des Unterkieferasts bis zum For. mentale
zieht, lokal auf Höhe des For. mandibulae zu desensibilisieren. Allerdings scheint es keinen Unterschied zu machen, ob man
vertikal oder in einem Winkel von kaudal einsticht [14].
Beim vertikalen Vorgehen nimmt man eine 20 – 22 G und ca. 15 cm lange Spinalkanüle (für große Tiere auch länger) und sticht an der tiefsten Stelle der medialen Seite
der Mandibula ein. Man schiebt senkrecht, evtl. leicht nach kaudal gerichtet nach
oben vor. Am Schnittpunkt einer gedachten Verlängerung der Kauflächen im Unterkiefer
nach kaudal und einer zweiten gedachten Linie senkrecht nach unten vom lateralen Augenwinkel
liegt das For. mandibulae ([Abb. 7]) [5]. Die Nadelposition kann – bevor man einsticht – außen nachvollzogen werden. Nach
Positionierung der Kanüle und Aspiration können ca. 10 – 20 ml Lokalanästhetikum appliziert werden.
Insbesondere bei der Applikation von großen Volumina und beidseitiger Lokalanästhesie
kann es durch eine Desensibilisierung des N. lingualis zu Zungenverletzungen kommen.
Eine Besitzeraufklärung über diese mögliche Komplikation vor dem Eingriff ist angeraten.
Als Vorbeugung gegen Zungenverletzungen sollte außerdem für 4 – 5 Stunden nach dem
Eingriff kein Futter angeboten werden [8].
Ein intraorales Vorgehen (wie beim Kleintier) mit einer leicht gebogenen langen Spinalkanüle ist erst kürzlich
beim Pferd beschrieben worden. Dadurch, dass bereits mit einem geringen Volumen der
Nerv desensibilisiert werden konnte, vermindert sich möglicherweise das Auftreten
von durch das Pferd selbst zugefügten Zungenverletzungen [15].
Abb. 7 Auffinden der Lokalisation des For. mandibulare medial am Unterkiefer am Schnittpunkt
einer gedachten Verlängerung der Kaufläche und einer zweiten gedachten Linie senkrecht
nach unten vom lateralen Augenwinkel.(© Eva Eberspächer-Schweda)
Lokalanästhesie für Eingriffe an den Augen
Lokalanästhesie für Eingriffe an den Augen
Die lokalanästhetischen Techniken können eingesetzt werden, um einerseits eine motorische
Blockade (Akinesie des oberen Augenlids) und andererseits eine sensorische Blockade
hervorzurufen [18]. Die sensorische Blockade (= Analgesie) kann dazu dienen, chirurgische Eingriffe
auch beim sedierten Pferd durchführen zu können oder als zusätzliche analgetische
Komponente bei der Allgemeinanästhesie die Dosis und damit die Nebenwirkungen der
Anästhetika zu minimieren.
Leitungsanästhesie des (Ramus zygomaticus des) N. auriculopalpebralis
Dies ist eine der am häufigsten durchgeführten Leitungsanästhesien am Auge des Pferdes.
Bei schmerzhaften Prozessen kann Blepharospasmus eine Untersuchung oder Behandlung
unmöglich machen. Durch die Desensibilisierung des rein motorischen N. auriculopalpebralis,
der dorsal des Jochbogens verläuft, kommt es zu einer Akinesie des oberen und teilweise
des lateralen unteren Augenlids. Dabei ist zu beachten, dass die Sensorik, also das
Schmerzempfinden, vollständig erhalten bleibt. Aus diesem Grund sollte diese Leitungsanästhesie mit einer Sedierung und sensorischen Schmerzausschaltung kombiniert werden (s. Leitungsanästhesie der Augenlider). Die Augen sind bis zur vollständigen
Wiederherstellung der Motorik vor Sonnenlicht, Staub und Austrocknung zu schützen.
Abb. 8 Leitungsanästhesie des N. auriculopalpebralis: Lokalisation des N. auriculopalpebralis
am höchsten Punkt des Arcus zygomaticus.(© Eva Eberspächer-Schweda)
Es gibt 2 Vorgehensweisen, die je nach persönlicher Präferenz durchgeführt werden
können:
-
Aufsuchen der Lokalisation 1,5 – 2 cm unterhalb des höchsten Punkts des kaudalen Teils
des dorsalen Randes des Arcus zygomaticus. Vorschieben der Kanüle (22 G und 1,5 – 2,5 cm
lang) subkutan bis an den oberen Rand des Arcus zygomaticus. Der Nerv verläuft parallel
zum Jochbein und ist leicht zu palpieren. Nach Aspiration können ca. 2,5 – 5 ml Lokalanästhetikum
appliziert werden ([Abb. 8]) [11].
-
Aufsuchen der Lokalisation des Nerven nahe der Ohrbasis und kaudal des Ramus mandibulae.
Die dort applizierten 2,5 – 5 ml Lokalanästhetikum verursachen möglicherweise eine
ausgeprägtere Akinesie als die erste beschriebene Methode.
Lokalanästhesie der Augenlider
Das obere, untere und dritte Augenlid werden überwiegend von 4 sensorischen Nerven
innerviert, die gezielt desensibilisiert werden können. Jeder dieser Nerven kann mit
einer 22 – 25 G und 1,5 – 2,5 cm langen Kanüle und 2 – 5 ml Lokalanästhetikum anästhesiert werden. Eine lokalanästhetische Versorgung aller 4 Nerven anästhesiert
die Augenlider vollständig sowie umliegendes Gewebe teilweise [10].
Die 4 Nerven, ihr jeweiliges Innervationsgebiet und die Vorgehensweise werden im folgenden
Überblick beschrieben:
N. supraorbitalis
Der Nerv innerviert:
Der N. supraorbitalis entspringt dem For. supraorbitale, das ca. 5 – 7 cm dorsal des medialen Kanthus des Auges im Proc. zygomaticus des
Os frontale zu palpieren ist. Die Kanüle sollte nicht tiefer als ca. 1 cm in das Loch
vorgeschoben werden. Nach Aspiration wird injiziert.
N. lacrimalis
Der Nerv innerviert:
Die Kanüle sollte subkutan am lateralen Kanthus eingestochen werden und nach medial
knapp unterhalb des Orbitarands gerichtet vorgeschoben werden. Nach Aspiration erfolgt
die Injektion.
N. infratrochlearis
Der Nerv innerviert
Die Kanüle wird am palpierbaren kleinen Knochenvorsprung über dem medialen Kanthus
eingestochen. Nach Aspiration wird injiziert.
N. zygomaticus
Der Nerv innerviert
Die Injektion erfolgt subkutan am lateralen Rand der knöchernen Orbita genau dort,
wo der supraorbitale Anteil des Arcus zygomaticus nach oben steigt [19].
Lokalanästhesie des Augapfels
Für Eingriffe an der Kornea, Parazentese der vorderen oder hinteren Augenkammer zu
diagnostischen Zwecken oder die Enukleation eignet sich eine retrobulbäre Lokalanästhesie
der Nerven, die sensorisch und motorisch den Augapfel und die Orbita versorgen. Bei
dieser Technik kann von dorsal oder lateral vorgegangen werden. Häufig wird die Vorgehensweise
von dorsal bevorzugt. Bei Eingriffen am stehenden Pferd ist eine vorherige tiefe Sedierung wichtig.
Mit einer 22 G und 10 – 12 cm langen Spinalkanüle wird nach Rasur und Desinfektion des Einstichbereichs bei normaler, entspannter Kopfhaltung
senkrecht zum Boden ca. 1,5 cm kaudal der Mitte des Proc. zygomaticus des Os frontale in Richtung des letzten Prämolaren im Oberkiefer der gegenüberliegenden
Seite eingestochen ([Abb. 9]) [13]. Sobald man die Faszie, die den dorsalen Muskelkonus umgibt, mit der Nadelspitze
berührt, bewegt sich der Augapfel nach dorsal. In dem Moment, in dem man die Faszie
und Muskulatur durchsticht, rotiert der Augapfel wieder in seine zentrale Position.
Nach Aspiration können ca. 10 – 12 ml Lokalanästhetikum im retrobulbären Fettkörper im Bereich um den N. opticus appliziert werden [12].
Abb. 9 Lokalanästhesie des Augapfels: Dorsaler Zugang beim retrobulbären Block.(© Eberspächer
E. AnästhesieSkills. Stuttgart: Schattauer 2017)
Für die Praxis
Bevor man die beschriebenen lokalanästhetischen Techniken am Patienten einsetzt, sollte
man sich mithilfe eines Pferdeschädels und -kadavers die anatomischen Lokalisationen
darstellen und die Einstichtechnik üben. Es lohnt sich, mit Methylenblau die Injektionsstellen
am Kadaver zu überprüfen. Nachdem einige Übung erlangt wurde, lassen sich diese Techniken
auch beim Patienten einsetzen. Eine Übersicht über die beschriebenen Injektionsstellen
(außer dem dorsalen Zugang für die retrobulbäre Leitungsanästhesie) findet sich in
[Abb. 10].
Abb. 10 Schematischer Überblick der beschriebenen lokalen Blöcke am Kopf des Pferdes. A:
N. frontalis, B: N. lacrimalis, C: N. infratrochlearis, D: N. zygomaticus, E und F:
N.auriculopalpebralis, G: N. infraorbitalis, H: N. mentalis, I: N. alveolaris inferior.(©
Eberspächer E. AnästhesieSkills. Stuttgart: Schattauer 2017)