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DOI: 10.1055/s-0043-108053
Fall für Vier: Ausgeknirscht
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Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. Juli 2017 (online)
Sina Zoll hat mehrmals pro Woche dumpfdrückende Kopfschmerzen. Wenn sie nachts mit den Zähnen knirscht, sind die Beschwerden am nächsten Tag stärker. Doch eine Aufbissschiene brachte bisher keine Erleichterung. Ein Zahnarzt, eine Kieferorthopädin, eine Physiotherapeutin und ein Osteopath schildern, zu welchen Maßnahmen sie bei diesem Fall greifen würden.
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Der Fall


Sina Zoll[*] hat seit zweieinhalb Jahren zwei- bis dreimal pro Woche dumpf-drückende Kopfschmerzen. Die 31-jährige Lehrerin lokalisiert sie frontal und temporal. Bei starken Kopfschmerzen (NRS 8/10) steigen sie von der HWS über das Occiput bis zum Os frontale. Morgens sowie nach anstrengenden Arbeitstagen sind die Beschwerden am schlimmsten. Frau Zoll gibt an, nachts mit den Zähnen zu knirschen und tagsüber, beispielsweise bei Korrekturen von Klausuren, die Zähne zusammenzupressen. Seit neun Monaten trägt sie regelmäßig eine Aufbissschiene, bemerkt aber keinen Effekt. Ihre Beschwerden bessern sich durch Ruhe, im Liegen sowie durch Ibuprofen, das sie etwa einmal pro Monat einnimmt (1 x 300 mg). Sind die Kopfschmerzen präsent, verschlechtern sie sich durch Arbeit und Alltagstätigkeiten. Einen klaren Auslöser kann Sina Zoll nicht benennen, außer dass deren Entstehung ungefähr mit der Geburt ihrer Tochter vor zweieinhalb Jahren zusammenfällt.
Die Patientin war wegen ihrer Beschwerden bereits beim HNO-Arzt, die Nasennebenhöhlen waren unauffällig. Sie beschreibt, dass sie als Kind sehr häufig unter Mittelohrentzündung (Otitis media) litt und die Ohren bis heute „eine empfindliche Schwachstelle“ bei ihr sind. In der Kindheit ist Sina Zoll häufig vom Pferd gestürzt. Eine Gehirnerschütterung wurde nie diagnostiziert. Sie war zehn Jahre lang in kieferorthopädischer Behandlung, da ihr Oberkiefer sehr klein war. Bis heute hat sie das Gefühl, nicht gerade zu beißen. Die Weisheitszähne wurden nicht entfernt.
Frau Zoll ist mit ihrer Lebenssituation zufrieden und momentan nicht außergewöhnlich stark belastet. Sie beschreibt einen guten Allgemeinzustand, nimmt neben den Schmerzmitteln keine weiteren Medikamente und geht regelmäßig zweimal pro Woche zum Sport (Schwimmen und Fitnessstudio).
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Zahnmedizin
Spontane Hypothese
Bei Sina Zoll könnte es sich um Schmerzen im Rahmen einer mit Bruxismus assoziierten
kraniomandibulären Dysfunktion handeln.
Ergänzende Untersuchung
Zuerst muss ich klären, ob tatsächlich eine CMD vorliegt. Hierfür empfiehlt die Arbeitsgruppe
„Mund- und Gesichtsschmerz“ der Deutschen Schmerzgesellschaft die RDC/TMD (Research
Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders) [3]. Das zweiachsige Diagnosekonzept
erfasst somatische Erkrankungen sowie Informationen der Schmerzintensität, des schmerzassoziierten
psychosozialen Befindens, der Somatisierung und Depression. Da subjektive Angaben
von Patienten in Bezug auf Bruxismus wenig verlässlich sind [2], ist eine gerätegestützte
Diagnostik ratsam, zum Beispiel mit dem Brux-Off von OT Bioelettronica. Durch elektromyografische
Aufzeichnungen lässt sich zudem feststellen, ob und in welchem Maß Dysbalancen im
Rekrutierungsmuster der Kiefermuskulatur vorliegen [5].
In der Vergangenheit nahm man an, dass Normabweichungen bei der Zahn- und Kieferstellung nichtadaptierbare Kieferbewegungsmuster initiieren können, die zu neuromuskulären Dysbalancen und Schmerzen führen [10]. Neue Studien zeigen jedoch konsistent, dass okklusale Faktoren in der Ätiologie von CMD-Schmerzen bei weitem keine so große Rolle spielen wie in den letzten Jahrzehnten angenommen [1, 4]. Der generelle Einsatz irreversibler, umfangreicher prothetischer und/oder kieferorthopädischer Maßnahmen nach erfolgreicher Vorbehandlung ist daher nicht mehr gerechtfertigt [9].
Therapiemaßnahmen
Da die bisherige Schienentherapie bei Frau Zoll keine Schmerzreduktion bewirken konnte,
sollte das Schienenkonzept überprüft und gegebenenfalls geändert werden. Mithilfe
des MRS-Konzeptes (Modulare Rehabilitationsschiene nach Schindler) [6] lässt sich
die Therapie ohne großen zeitlichen und finanziellen Aufwand im weiteren Verlauf anpassen.
Stelle ich mit den RDC/TMD lediglich einen myofaszialen Schmerz und keine Gelenkbeteiligung
fest, könnte ich die Schiene der Patientin durch eine Umarbeitung zu einer MRS 2 (Schiene
mit Frontplateau, [ABB. 1]) modifizieren.


Abb.: D. Hellmann
Zahlreiche Studien der vergangenen Jahre belegen, dass Heimübungen teils gleichwertige therapeutische Effekte bewirken konnten wie etwa das nächtliche Tragen von Okklusionsschienen [11, 12]. Ebenso konnten sie zeigen, dass sich das kraniomandibuläre System und die Kiefermuskulatur besonders durch aktive koordinative Übungen mit einem hydrostatischen System außerordentlich effektiv trainieren lassen [8]. Ich empfehle Sina Zoll das RehaBite®, ein Instrument, um Muskelschmerzen im Kausystem zu Hause zu behandeln ([ABB. 2]). Es besteht aus einer glyceringefüllten elastischen Beißgabel mit integrierter Kraftkontrolle. Es funktioniert nach dem hydrostatischen Prinzip und ermöglicht damit dem Unterkiefer eine freie Autobalance [7]. Zunächst ermittelt man, wie hoch die schmerzfreie submaximale Muskelkontraktion ist. Mithilfe der Feedback-Vorrichtung trainiert der Patient anschließend mit einem Kraftniveau von 50 Prozent des vorher ermittelten Wertes: Er hält die Kontraktion für zehn Sekunden, öffnet danach den Kiefer bis kurz vor der Schmerzgrenze, schließt ihn bis zur Ruhelage und macht so zehn Sekunden Pause. Diese Übung führt er insgesamt drei Mal à zehn Wiederholungen durch. Durch das Training ändern sich oft spontan die intra- und intermuskulären Kokontraktionsmuster der beteiligten Muskeln und es stellen sich physiologische Aktivierungszustände ein. Zusätzlich rate ich der Patientin zu intensiven Dehnübungen, die sie mit postisometrischer Relaxation infolge des koordinativen Beißens steigern kann. Auch ein koordinatives Training ist in vielen Fällen hilfreich.


Abb.: D. Hellmann
Erwartung
Ich nehme an, dass sich die Beschwerden der Patientin mit der MRS 2 und dem Heimübungsprogramm
bereits deutlich reduzieren. Eine begleitende Physiotherapie wird weitere Erleichterung
bringen, da diese Maßnahme sehr empfehlenswert ist [12].
Daniel Hellmann
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Kieferorthopädie
Ergänzende Untersuchung
Da die ausschließlich nachts getragene Aufbisschiene die Beschwerden kaum verbesserte,
kommt die Patientin in unsere kieferorthopädische Fachpraxis. Die Patientin hat ein
vollbezahntes Gebiss mit wenigen kleinen Füllungen. Der sagittale Überbiss beträgt
5–6 mm (Norm 2–4 mm), der vertikale 6 mm (Norm 2–4 mm). Im Schlussbiss fällt im Verhältnis
zur korrekten Oberkiefer-Mittellinie eine nach links verschobene Unterkiefer-Mittellinie
auf. Zudem greifen die unteren Seitenzähne links über die oberen (Kreuzbiss, [ABB. 3]) und das Kinn der Patientin weicht deutlich nach links ab. Interessanterweise korrigiert
sich die Mittellinie des Unterkiefers bei der Mundöffnung passend zum Oberkiefer:
Öffnet die Patientin den Mund, sind die Kiefer zueinander gerade und das Kinn steht
mittig. Die Diskrepanz zwischen der Kieferstellung im Schlussbiss und der während
der Mundöffnung ist ein deutlicher Hinweis dafür, dass Zahn- und Kieferstellung sowie
die muskuläre Situation der Patientin nicht harmonisieren. Der M. temporalis rechts,
M. masseter links und beide Mm. pterygoidei lat. sind im Tastbefund druckdolent. Knackgeräusche
sind weder tast- noch hörbar.


Abb.: Stelzenmüller W, Wiesner J. Therapie von Kiefergelenkschmerzen. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; C. Ricken
Die Auswertung der kieferorthopädischen Planungsunterlagen ergibt einen orthognath (korrekt) eingebauten Oberkiefer mit leichter Kompression beidseits. Zudem ist der Oberkiefer zu eng. Der Unterkiefer zeigt eine asymmetrische links leicht verbreiterte Kieferform. Die Bisslage ist im Verhältnis zur Norm rechts nach anterior und links nach distal verschoben. Dies weist auf eine Schwenkung des Unterkiefers im Schlussbiss nach links hin. Im Röntgen bestätigt sich ein brachiocephaler Schädelaufbau, der sich durch die breite Unterkieferbasis zeigt.
Therapiemaßnahmen
Wir beginnen direkt mit der Entkopplung der Okklusion durch sogenannte Aufbissbehelfe.
Hierfür kleben wir auf die letzten Unterkiefermolaren flache Kunststoffaufbisse und
sperren somit die Okklusion. Die Aufbisse gestalten wir so, dass die Mittellinie des
Unterkiefers passend zur Oberkiefermitte eingestellt ist. Wir korrigieren die Unterkieferschwenkung
und stellen den Unterkiefer zusätzlich in leicht protrudierter Stellung ein. Die Muskulatur
wird aufgrund der anterioren, zentrierten Stellung des Unterkiefers entlastet. Da
die Patientin die Aufbisse nicht herausnehmen kann, wirken sie rund um die Uhr. Sie
wirken bissvertiefend, da die aufbisstragenden Zähne durch den Kaudruck intrudiert
(in Richtung Kieferknochen verlagert) werden. Dies ist bei dem vorliegenden Tiefbiss
jedoch nicht erwünscht. Um dies zu vermeiden, erhält die Patientin zusätzlich innerhalb
von zwei Wochen eine Multibandbehandlung (festsitzende Spange), welche die Molaren
aktiv extrudiert. Zudem formt sie die Zahnbögen in beiden Kiefern aus. Ein Lippenschild
im Oberkiefer hilft, den zu schmalen Kiefer in der Breite nachzuentwickeln.
Erwartung
Die Patientin fühlt sich schon einige Tage nach der Eingliederung des Aufbissbehelfs
deutlich entlastet. Etwa sechs Monate später ist es ihr durch die Dehnung im Oberkiefer
möglich, den Unterkiefer annähernd gerade zu schließen. Durch die begleitende Physiotherapie
und Osteopathie verbessert sich ihr Beschwerdebild zunehmend.
Nach Abschluss der kieferorthopädischen Behandlung kann Sina Zoll den Unterkiefer zum Oberkiefer gerade schließen, und wir können die Aufbissbehelfe sukzessive herausnehmen. Nach der Entfernung der festen Spange erhält die Patientin einen Schienenpositioner ([ABB. 4]), den sie zur Retention nachts tragen soll. Damit vermeiden wir, dass die Zähne wieder in den Kreuzbiss zurückfallen. Nach einem halben Jahr bekommt die Patientin zusätzlich eine Retentionsplatte ([ABB. 5]). Diese trägt sie seither nachts im Wechsel mit dem Schienenpositioner im Ober- und Unterkiefer. Auf festsitzende Retainer (eine etwas härtere Retentionsplatte) habe ich bewusst verzichtet, um die Zähne nicht dauerhaft zu fixieren. Claudia Ricken


Abb.: Stelzenmüller W, Wiesner J. Therapie von Kiefergelenkschmerzen. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; C. Ricken
Claudia Ricken
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Physiotherapie
Spontane Hypothese
Aufgrund der aus der HWS aufsteigenden Beschwerden und der dumpf-drückenden Qualität
sind die zervikogenen Kopfschmerzen mein erster Ansatzpunkt. Den Schwerpunkt der Untersuchung
lege ich auf die kraniozervikale Region, wo die Patientin weiterhin ihre Beschwerden
lokalisiert. Aus der Literatur ist bekannt, dass bei HWSDysfunktionen, die länger
als drei Monate bestehen, die kraniomandibuläre Region betrachtet werden sollte [13].
Weiter belegen Studien, dass Patienten mit zervikogenen Kopfschmerzen und Zeichen
in der kraniomandibulären Region langfristig von einer zusätzlichen kraniomandibulären
Behandlung profitieren [14]. Folglich ist meine primäre Hypothese eine Störung in
der kraniomandibulären Region, gefolgt von einer Dysfunktion in der kraniofazialen
Region. Auf diesen Bereich hatten in der Vorgeschichte von Sina Zoll mehrere Faktoren
potenziell einen großen Einfluss (häufige Otitis media, Stürze).
Ergänzende Untersuchung
Ich untersuche zuerst die artikulären und muskulären Strukturen der kraniomandibulären
Region. Da Frau Zoll berichtet, dass sie häufig presst und morgens mit Beschwerden
aufwacht, erwarte ich einen Hypertonus und aktive Triggerpunkte in den Mundschließern.
Aufgrund ihrer Schmerzbeschreibung frontal und temporal suche ich gezielt nach Triggerpunkten
im M. temporalis und M. sternocleidomastoideus und kann hierüber die Beschwerden der
Patientin reproduzieren. Mit dem Pain Pressure Threshold (PPT) quantifiziere ich die
Untersuchung am M. temporalis. Durch den Hypertonus der Mundschließer erwarte ich
eine schlechte isolierte Ansteuerung der kieferstabilisierenden Muskulatur. Das untersuche
ich mit einem isometrischen Stabilitätstest, indem ich Widerstände an der Mandibula
gebe. Bei Patienten mit Bruxismus und Bracing zeigt die empirische Erfahrung, dass
die Zungenmuskulatur im Krafttest schwach ist. So ist es auch bei Sina Zoll.
Zusätzlich screene ich die kraniofaziale Region mit sechs standardisierten Tests, die zugleich Techniken sind. Hierbei lege ich zum Beispiel die Hände an den Kopf der Patientin und übe Druck auf das Cranium aus ([ABB. 6]). Dabei stellt sich heraus, dass die Kompression zwischen Os occiput und Os frontale die Schmerzen reproduziert und der Rebounce (das Reaktionsverhalten eines Objektes aufgrund einer zunehmenden externen Kraft) verändert ist. Danach führe ich einen Wiederbefund durch, bei dem sich die bisherigen Befundparameter deutlich verbessert haben.


Abb.: M. Hoffmann
Therapiemaßnahmen
Da sich die Beschwerden durch die kraniofazialen Techniken bereits deutlich verbessert
haben, führe ich diese in der ersten Sitzung erneut durch. Die Triggerpunktbehandlung
plane ich in die folgenden Sitzungen ein. Des Weiteren bespreche ich den Therapieplan
mit Frau Zoll und passe ihn an ihre Ziele und Erwartungen an.
Die aktuelle Evidenzlage für die physio-/manualtherapeutische Behandlung von verschiedenen CMD-Formen ist nicht eindeutig. Generell empfiehlt sich die Kombination von Manueller Therapie und Übungstherapie für die kraniomandibuläre und -zervikale Region [15]. Entsprechend des Wiederbefundes erhält Sina Zoll ein Selbstmanagementprogramm [16] und erlernt die Habitual-Reversal-Technik, eine Übung für die motorische Kontrolle der Mundschließer. Hierfür legt sie sich im Sitzen ihre Faust unter das Kinn und öffnet ihren Mund gegen den Widerstand der Faust. Dadurch werden Mundöffner, die Antagonisten, aktiviert (PATIENTENINFORMATION, S. 35). Ich empfehle ihr zudem eine Ergonomieberatung für die Arbeit am Schreibtisch und Entspannungstechniken.
Erwartung
Ich bitte die Patientin, ihre Kopfschmerzen in einem Tagebuch zu dokumentieren. Ich
erwarte eine Veränderung von Intensität und Frequenz der Beschwerden innerhalb von
zwei bis drei Sitzungen. Eine Prognose, wann Frau Zoll wieder schmerzfrei ist, lässt
sich noch nicht stellen. Voraussetzung für eine rasche Verbesserung der Symptome ist
eine gute Compliance.
Marisa Hoffmann
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Osteopathie
Ergänzende Anamnese
Die Ursache der Kopfschmerzen liegt aus osteopathischer Sicht vermutlich in der engen
Beziehung des Kiefergelenks zu Zwerchfell, Oberbauchorgane und kleinem Becken. Ein
balanciertes Kiefergelenk ermöglicht eine gesunde Atemfunktion und das freie Schwingen
des Zwerchfells und somit der Oberbauchorgane. Zudem sind die Schädelknochen wie das
Os temporale und Os frontale sowie der Oberkiefer eng mit den Beckenknochen und -organen
verbunden [17, 18, 21].
Ergänzende Untersuchung
Da eine Asymmetrie im Art. temporomandibularis oft zu Bruxismus führt, starte ich
hier mit der Untersuchung [17, 18, 21]. Bei Frau Zoll zeigt sich eine durch eine beidseitige
Hypertonie im M. temporalis ausgelöste Asymmetrie. Da die Entstehung der Kopfschmerzen
mit der Geburt der Tochter zusammenfällt, untersuche ich auch die Beckenregion und
stelle fest, dass das Lig. pubovesicale schmerzhaft verspannt ist. Man spricht in
diesem Fall von myofaszialen Schmerz in Zusammenhang mit Bruxismus. Ebenfalls zeigt
sich eine Restriktion des Sakrums nach anterior, was durch die Stürze vom Pferd entstanden
sein kann. Aus osteopathischer Sicht liegen bei Patienten mit Bruxismus erfahrungsgemäß
oft Dysfunktionen des Zwerchfells mit Atemstörungen vor sowie Störungen des autonomen
Nervensystems und der Oberbauchorgane [17, 18]. Bei Frau Zoll finde ich eine leichte
Ptose (Senkung) des Magens und eine Dysfunktion des Omentum minus („kleines Netz“),
welches das Zwerchfell direkt beeinflusst [20].
Therapiemaßnahmen
Ich beginne mit der Mobilisation des Lig. pubovesicale in Rückenlage ([ABB. 7]). Ich stehe seitlich von Frau Zoll und lege meine kraniale Hand oberhalb des Os pubis
lateral der Medianlinie mit etwas Hautvorschub auf, meine Finger zeigen nach kaudal.
Das ipsilaterale Bein halte ich mit der kaudalen Hand in Flexion. Nun übe ich mit
der kranialen Hand vorsichtig Druck nach posterior und inferior aus, um zwischen Harnblase
und Os pubis (Spatium retropubicum) zu gelangen. Die Mobilisation verstärke ich, indem
ich das Bein mit der kaudalen Hand in Zirkumduktion führe. Im Verlauf wandere ich
langsam mit den Fingern nach medial in Richtung Symphyse [19].


Abb.: M. Kauert
Um das Sakrum zu mobilisieren, wähle ich eine Pumptechnik in Bauchlage. Hierbei drücke ich mit beiden Händen auf das Sakrum: auf S 1 nach vorne unten gerichtet, auf S 2 und S 3 gerade nach vorne und S 4 bis zum Steißbein nach vorne oben gerichtet [20].
Zur Dehnung des Omentum minus liegt Frau Zoll erneut in Rückenlage, die Beine befinden sich in Extension. Ich lege meine Finger rechts und links der Medianlinie unterhalb des Proc. xyphoideus auf und übe vorsichtig Druck nach posterior in die Tiefe aus; so kann ich das Omentum minus erreichen. Nun ziehe ich beide Hände behutsam auseinander und halte den Zug für 45 bis 60 Sekunden [19].
Eine Magenptose lässt sich nicht vollständig beheben. Vielmehr versucht man die Mobilität zu steigern. Hierfür legt sich die Patientin in Seitenlage rechts mit angewinkelten Beinen. Ich stelle mich hinter sie, lege beide Hände auf den kaudalen Magenrand und mobilisiere sanft und intermittierend in Richtung ihrer linken Schulter [19].
Den M. temporalis behandle ich, indem ich die Finger an verschiedenen Stellen auflege und behutsamen Zug nach kranial ausübe: für die hinteren Muskelfasern hinter den Ohren, für die mittleren oberhalb der Ohren und für die vorderen oberhalb und vor den Ohren, etwa einen Zentimeter hinter den äußeren Augenrändern [19, 21].
Erwartung
Ich möchte Frau Zolls Selbstheilungskräfte wieder aktivieren, indem ich das parietale
und viszerale System beeinflusse. Ich erwarte, dass sich ihre Kopfschmerzen nach der
vierten bis fünften Behandlung bessern. Eventuell muss ich meine Therapie beim nächsten
Mal anpassen, da in der Osteopathie in jeder Behandlung der gesamte Organismus neu
getestet wird.
Marco Kauert
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* Name von der Redaktion geändert












Abb.: D. Hellmann


Abb.: D. Hellmann


Abb.: Stelzenmüller W, Wiesner J. Therapie von Kiefergelenkschmerzen. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; C. Ricken


Abb.: Stelzenmüller W, Wiesner J. Therapie von Kiefergelenkschmerzen. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; C. Ricken


Abb.: M. Hoffmann


Abb.: M. Kauert