Schlüsselwörter
Beckenfraktur - instabiles Becken - Blutung - Beckenschlinge - Schock - präklinische
Versorgung
Key words
pelvic fracture - unstable pelvis - haemorrhage - pelvic binder - shock - prehospital
treatment
Abkürzungen
AIS:
Abbreviated Injury Scale
DGU:
Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie
ISS:
Injury Severity Score
PHTLS®
:
Prehospital Trauma Life Support
Einleitung
Relevanz/Inzidenz
Schwerwiegende Beckenverletzungen sind nach wie vor durch eine hohe Letalitätsrate
gekennzeichnet [1]. Typische Unfallmechanismen für Beckenverletzungen sind Unfälle mit hohem Energieumsatz
(Hochrasanztraumata). Insbesondere bei folgenden Unfallmechanismen muss an eine relevante
Beckenverletzung gedacht werden [2], [3], [4], [5]:
-
Pkw-Insassen in der Nähe des Anpralls bzw. von Fahrzeugdeformationen,
-
eingeklemmte Pkw-Insassen,
-
ungeschützte Verkehrsteilnehmer (Motorradfahrer, Radfahrer, Fußgänger),
-
Sturz aus großer Höhe,
-
Überrolltraumata,
-
Explosionsverletzungen,
-
Verschüttungstrauma/Crush Injury.
Bei älteren, gebrechlichen Menschen und Risikofaktoren wie Osteoporose können Beckenverletzungen
jedoch bereits durch deutlich geringere Gewalteinwirkung verursacht werden [3], [4]. 69,9% der Patienten des TraumaRegisters DGU® mit mindestens einer schwerwiegenden Einzelverletzung (Abbreviated Injury Scale [AIS]
≥ 3) weisen einen entsprechenden Traumamechanismus auf. Die ernsthafte Beckenverletzung
(AIS ≥ 2) hatte in dieser Patientengruppe eine Häufigkeit von 13,3%. International
wird die Häufigkeit nach stumpfem Trauma mit 5 – 11,9% angegeben [4], [6]. Bei schwerverletzten Patienten (Injury Severity Score [ISS] ≥ 16) hat die Beckenverletzung
sogar eine Inzidenz von 19,7% [7]. Das Risiko für eine Beckenverletzung steigt somit mit zunehmender Verletzungsschwere
deutlich an [2].
Merke
Circa 70% aller Traumapatienten mit mindestens einer schwerwiegenden Einzelverletzung
(AIS ≥ 3) haben einen Verletzungsmechanismus, der ein hohes Risiko für eine Beckenverletzung
birgt.
Je schwerer die Gesamtverletzung eines Patienten, desto höher ist das Risiko für eine
relevante Beckenverletzung.
Das Vermeiden eines frühen Verblutungstods hat bei der Behandlung von Beckenverletzungen
die höchste Priorität [1]. Nachfolgend wird die Behandlung des schweren Beckentraumas in der Präklinik und
Schockraumphase mit dem Schwerpunkt auf der Durchführung einer suffizienten Blutungskontrolle
dargestellt.
Definition
-
Abbreviated Injury Scale (AIS): internationale Klassifikation der Verletzungssschwere. Einteilung von Einzelverletzungen
in 6 Schweregrade (1: leicht bis 6: tödlich) unterteilt auf 9 Körperregionen (z. B.
Kopf, Becken ...)
-
Injury Severity Score (ISS): Einteilung der anatomischen Gesamtverletzungsschwere. Summation der Quadrate
der AIS-Werte der 3 am meisten verletzten Körperregionen
Pathophysiologie
Das knöcherne Becken besteht aus dem Os sacrum (Kreuzbein) und den jeweils links und
rechts angrenzenden Ossa ilii (Darmbeine), Ossa pubis (Schambeine) und Ossa ischii
(Sitzbeine). Ventral wird der Beckenring durch die Symphyse, dorsal durch die kräftigen
Ligg. sacroiliacae verbunden. Dieser knöcherne „Käfig“ umschließt und schützt das
Rektum, die Urogenitalorgane, den Plexus lumbosacralis und die Iliakalgefäße [3].
Zur Einstufung der knöchernen Verletzungen des Beckens finden komplexe Frakturklassifikationen
Anwendung [3]. Das exakte Ausmaß dieser Verletzungen ist präklinisch jedoch nicht zu differenzieren
und initial auch ohne spezifische therapeutische Konsequenz, sodass auf eine ausführliche
Darstellung in diesem Beitrag verzichtet wird. Vereinfacht werden stabile (Typ A)
und instabile (Typ B und C) Beckenfrakturen unterschieden.
Prinzipiell führt eine ventrodorsale Krafteinwirkung zu einer „Open-Book“-Verletzung
mit Instabilität in der anterior–posterioren Ebene, eine längsaxiale Krafteinwirkung
zu einer „Vertical-Shear“-Verletzung mit einer kombinierten Rotations- und Vertikalinstabilität.
Bei gleichzeitig auftretenden intrapelvinen Organverletzungen spricht man von einem
„komplexen Beckentrauma“ [3], [8].
Mit zunehmender knöcherner Instabilität steigt das Risiko eines kreislaufrelevanten
Blutverlusts. Meist handelt es sich um venöse Blutungen aus dem Plexus praesacralis
und aus dem frakturierten Knochen. Die direkte Verletzung von Iliakalgefäßen ist selten
[5], [8]. Das Becken ist neben dem Thorax, dem Abdomen, den langen Röhrenknochen und einem
externen Blutverlust einer der 5 relevanten Blutungsräume [8]. Der Blutverlust in das Becken kann hierbei bis zu 4 Litern betragen, sodass das
pelvine Monotrauma bereits eine lebensbedrohliche Verletzung darstellt [3].
Merke
Anterior–posteriore und vertikale Krafteinwirkungen führen gehäuft zu instabilen Beckenverletzungen,
die mit einem relevanten Blutverlust einhergehen können. Das pelvine Monotrauma ist
bereits potenziell lebensbedrohlich.
Mit dem Vorhandensein von intrapelvinen Begleitverletzungen (= komplexes Beckentrauma)
wie Gefäß- und Nervenverletzungen, Verletzungen der Urogenitalorgane oder Darmverletzungen
kommt es zu einem deutlichen Letalitätsanstieg auf bis zu 16,7% bei Schwerverletzten
mit Beckentrauma. Dies wird unter anderem mit einer signifikanten Zunahme von traumaassoziierten
Gerinnungsstörungen im Vergleich zu nicht komplexen Beckentraumata erklärt (64,1%
vs. 44,2%) [1]. Hämodynamisch instabile Beckenverletzungen weisen eine Letalität von bis zu 40%
auf, offene Beckenverletzungen sind durch eine Letalitätsrate von ca. 45% gekennzeichnet
[9], [10].
Merke
Je komplexer das Beckentrauma, desto höher ist die Komplikations- und Letalitätsrate
des Patienten.
Präklinische Behandlung
Da das Beckentrauma bereits als Einzelverletzung eine kritische Hämorrhagie verursachen
kann, ist es notwendig, eine solche Verletzung bereits präklinisch zu erkennen und
die ersten therapeutischen Maßnahmen zu ergreifen. Gemäß prioritätenorientierter Behandlungsalgorithmen
(z. B. Pre Hospital Trauma Life Support, PHTLS®/<C>ABCDE-Algorithmus) erfolgt die Diagnostik und Therapie nach dem Stillen kritischer
externer Blutungen (<C> – Critical Bleeding) und der Sicherung von Atemweg (A – Airway)
und Atmung (B – Breathing) unter Punkt C (Circulation) und ist somit grundsätzlich
identisch zur Behandlung mehrfachverletzter und polytraumatisierter Patienten [11].
Hintergrund
Prioritätenorientierte Diagnostik und Behandlung schwerverletzter Patienten gemäß
des <C>ABCDE-Algorithmus
<C> – kritische externe Blutung (Critical Bleeding)
A – Atemweg (Airway)
B – Atmung (Breathing)
C – Kreislauf (Circulation)
D – neurologische Defizite (Disability)
E – Entkleiden, Wärmeerhalt (Exposure, Environment)
Eine Untersuchung zur notärztlichen Diagnosequalität bei Pkw-Unfällen kommt zu dem
Ergebnis, dass ⅓ aller präklinisch diagnostizierten Beckenverletzungen bezüglich der
Verletzungsschwere unterschätzt und sogar ⅓ aller relevanten Beckenverletzungen (AIS
≥ 3) übersehen wurden, sodass das Becken als eine präklinische „Blackbox“ imponiert
[2].
Merke
Beckenverletzungen werden präklinisch häufig unterschätzt oder übersehen. Daher ist
es wesentlich, bei jedem Traumapatienten an eine mögliche Beckenverletzung zu denken.
Die Diskussion hinsichtlich der notwendigen Maßnahmen zur bestmöglichen (prä)klinischen
Beurteilung und Diagnostik des Beckens nach Trauma wird teilweise emotional geführt.
In der 2016 aktualisierten „S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ ist
die klinische Untersuchung des Beckens auf Stabilität weiterhin mit Evidenzgrad A
empfohlen, wobei zugleich auf Untersuchungen hingewiesen wird, die dieser Stabilitätstestung
eine sehr geringe Sensitivität hinsichtlich des Erkennens einer instabilen Beckenfraktur
von 26 bzw. 44% bescheinigen [12], [13], [14]. Daher postulieren andere Autoren, dass aufgrund dieser sehr geringen Trefferquote
ein wohl nicht unerheblicher Anteil an Patienten durch die Vorenthaltung einer nicht
invasiven, risikoarmen, externen Beckenstabilisierung mittels Beckenschlinge untertherapiert
wird und möglicherweise durch wiederholte Stabilitätsprüfungen weiteren Schaden nimmt.
Sie empfehlen daher, die präklinische Beckenstabilisierung bereits dann anzuwenden,
wenn durch den Unfallhergang und die klinische Untersuchung des Beckens (ohne Stabilitätsprüfung)
der Verdacht auf ein relevantes Beckentrauma erhoben wird [14].
-
K – Hier begründen bereits Auffälligkeiten in der Beurteilung der Kinematik des Traumas (s. o.),
-
I – bei der Inspektion des Beckens (Fehlstellungen – auch Beinlängendifferenz, Blutungen – auch
urethral, vaginal oder peranal, Ekchymosen/Hämatome, Prellmarken und äußerliche Haut-/Weichteilverletzungen,
Amputationsverletzungen der unteren Extremität) sowie
-
S – Schmerzen im Beckenbereich den Verdacht auf eine instabile Beckenfraktur und
-
S – indizieren so eine präklinische Stabilisierung des Beckens mittels Beckenschlinge [5], [16].
Dieses Vorgehen ist konkordant mit den Empfehlungen etablierter Versorgungskonzepte
aus dem präklinischen Bereich (PHTLS®) [11]. Wir empfehlen daher ebenfalls eine Herangehensweise gemäß „KISS-Schema“ ([Abb. 1]).
Auch die S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung empfiehlt mit Evidenzgrad
A, dass „…(b)ei instabilem Beckenring und hämodynamischer Instabilität … eine mechanische
Notfallstabilisierung vorgenommen werden (soll)“ und beschreibt weiterhin, „dass die
mechanische Stabilisierung (gleich wie) oberste Priorität hat und idealerweise schon
an der Unfallstelle erfolgen soll“ [14].
Die ERC-Leitlinien von 2015 empfehlen ebenfalls bei traumatisch induziertem Kreislaufstillstand
mit nicht komprimierbarer Blutung unter anderem die Verwendung von Beckenschlingen
zur Therapie des hypovolämischen Schocks als mögliche Ursache des Kreislaufstillstands
[17]. Auch in der taktischen Verwundetenversorgung wird nach massivem stumpfen Trauma
oder einer Explosionsverletzung die Anlage einer Beckenschlinge empfohlen, wenn die
oben aufgeführten anamnestischen und klinischen Auffälligkeiten bestehen [12]. Somit ist auch bei Patienten mit (noch) stabilen Vitalparametern und einem entsprechendem
Trauma eine Beckenschlinge prophylaktisch anzulegen.
Abb. 1 Algorithmus zur Versorgung von Beckenverletzungen mit Beckenschlinge gemäß dem KISS-Schema.
GCS: Glasgow Coma Scale.
Merke
Die manuelle Untersuchung des Beckens auf Stabilität hat eine sehr geringe Sensitivität.
Daher soll bereits bei Verdacht auf eine relevante Beckenverletzung gemäß KISS-Schema
die präklinische Stabilisierung des Beckens erfolgen.
Da bei Blutungen, bedingt durch instabile Beckenfrakturen, aufgrund der großen Verteilungsräume
(intrapelvin, retroperitoneal) nicht mit einer Selbsttamponade zu rechnen ist, liegt
der initiale Behandlungsansatz darin, durch eine Stabilisierung des Beckenrings die
Blutungsräume zu verkleinern sowie pathologische Frakturbewegungen zu reduzieren,
um dadurch die Blutung zu minimieren und eine Gerinnselbildung zu ermöglichen [5], [18], [19]. Neben der klassischen Behelfstechnik der Umschlingung des Beckens mittels Laken
oder ähnlichem (Pelvic-Sheeting) und den zumeist in der Klinik vorgehaltenen Beckenzwingen
befinden sich mittlerweile verschiedene Modelle kommerziell zu erwerbender Beckenschlingen
auf dem Markt (z. B. SAM® Pelvic Sling II™ – SAM Medical®, T-POD™ – Pyng Medical, VBM-Beckenschlinge – VBM Medizintechnik GmbH) [20]. Auch wenn die Evidenz zur Effektivität dieser nicht invasiven, externen Beckenstabilisation
hinsichtlich der Blutstillung noch nicht abschließend geklärt ist [21], empfiehlt, neben der „S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“, auch
die „Europäische Richtlinie zum Management von großen Blutungen bei Trauma“ die frühzeitige
Stabilisierung instabiler Beckenverletzungen bei hämodynamischer Instabilität (Empfehlung
Grad 1B) [22]. Da sich im präklinischen Bereich aktuell noch keine Beckenschlinge/Stabilisierungstechnik
als deutlich vorteilhaft erwiesen hat [18], wird im Folgenden die korrekte externe Beckenstabilisierung anhand zweier weit
verbreiteter Produkte (SAM® Pelvic Sling II™ und T-POD™) und einer Behelfstechnik (Pelvic-Sheeting mittels Rettungsdecke) dargestellt ([Abb. 2]). Ein regelmäßiges Training der Helfer zur korrekt ausgeführten Anlage der vorgehaltenen
Beckenschlinge ist essenziell [18].
Merke
Ziel der präklinischen Beckenstabilisierung ist die Therapie der Blutung, daher sollte
sie frühzeitig durchgeführt werden.
Anlegen einer Beckenschlinge mit kommerziellen Systemen und in Behelfstechnik mit
einer Rettungsdecke
-
Der Patient liegt in Rückenlage, die Beine oberhalb der Knie oder auf Knöchelhöhe
in Innenrotation fixiert, um bereits eine initiale Stabilisierung zu bewirken und
die Übertragung von Bewegungen der Beine auf das Becken zu minimieren [5] ([Abb. 2 a]).
-
Idealerweise ist der Patient bereits entkleidet. Bei notfallmäßiger Anlage der Beckenschlinge
über der Bekleidung ist auf entleerte Taschen und bei Männern auch auf das Genitale
zu achten. Vor und nach Anlage einer Beckenschlinge sollte die periphere Durchblutung
überprüft werden (Cave: 3Ps – Penis, Pocket, Pulse).
-
Die Beckenschlinge wird unterhalb der Knie von seitlich eingeführt und mittig bis
an das Gesäß herangeführt.
-
Nun muss ein Helfer von kranial des Patienten her über dessen Körper stehen und das
Becken mit beiden Händen etwas vom Boden anheben, sodass der zweite Helfer von kaudal
die Beckenschlinge auf Höhe der Trochanteren positionieren kann ([Abb. 2 b]). Dieses Vorgehen hat sich bewährt, da der Versuch, die Beckenschlinge unter dem
Gesäß mittels Sägebewegungen zu positionieren, bei unpassendem Untergrund, nicht vollständig
entkleideten oder stark übergewichtigen Patienten häufig misslingt. Die zu hohe Anlage
ist ein relevanter Fehler und unbedingt zu vermeiden [23].
-
SAM® Pelvic Sling II™: Nach erneuter Kontrolle der korrekten Anlagehöhe (Trochanter major/großer Rollhügel)
wird der schwarze Gurt durch die orange Schnalle geführt und langsam unter transversalen
Zug genommen. Hierbei muss der zweite Helfer durch Greifen der orangen Lasche einen
Gegenzug aufbauen. Nachdem ein deutlicher „Klick“-Laut vernommen wurde (Kraftbegrenzung
bei ca. 150 N), muss die Spannung am Gurt gehalten und dieser mittels Kletttechnik
seitlich fixiert werden ([Abb. 2 c]).
-
T-POD™: Nach erneuter Kontrolle der korrekten Anlagenhöhe (Trochanter major/großer Rollhügel)
wird der Gurt mittels Schere so gekürzt, dass mittig ein Bereich von 15 – 20 cm frei
bleibt. Danach wird die Zugvorrichtung mittels Kletttechnik an beiden Gurtenden fixiert.
Nun wird durch gleichmäßigen Zug an der Zugschnur Spannung auf das System gebracht.
Die aufgewendete Kompressionskraft muss hierbei abgeschätzt werden. Die Zugschnur
wird dann unter Spannung, über Kreuz an den vorgesehenen Haken aufgewickelt und abschließend
mittels Klett fixiert ([Abb. 2 d]).
-
Rettungsdecke (zu einem breiten Band von ca. 10 cm entfaltet): Nach erneuter Kontrolle
der korrekten Anlagenhöhe (Trochanter major/großer Rollhügel) wird die Rettungsdecke
mittig kräftig zusammengedreht. Es empfiehlt sich, eine Klemme oder Kabelbinder zu
verwenden, um die Enden sicher fixieren zu können ([Abb. 2 e]). Eine behelfsmäßige Schienung kann auch mit Kleidungsstücken oder Beckengurten
von Rucksäcken durchgeführt werden (Cave: Der Anwendung originärer Beckenschlingen
sollte immer Vorzug gegeben werden.)
-
Bei Verdacht auf eine Femurfraktur sollte diese während der Anlage der Beckenschlinge
auf Zug gehalten werden.
-
Nach erfolgter Anlage ist die Uhrzeit der Applikation zu notieren. Des Weiteren sind
Position und Festigkeit der Beckenschlinge regelmäßig zu überprüfen, insbesondere
nach Manipulation am Patienten und Umlagerung.
Der häufigste Fehler bei der Anlage ist die zu weit kraniale Positionierung der Beckenschlinge.
Dies führt zu einer Fixation in Fehlstellung und im Extremfall sogar zu einer Erweiterung
des Beckenraums mit Vergrößerung des potenziellen Blutungsraums [23]. Das Aufsuchen und sichere Identifizieren der Trochanteren ist zur Anlage der Beckenschlinge
obligat. Das medizinische Personal muss die korrekte Anlage mit den zur Verfügung
stehenden Beckenschlingen regelmäßig trainieren.
Abb. 2 Anlage einer Beckenschlinge mit kommerziellen Systemen und in Behelfstechnik mit
einer Rettungsdecke. a Die Beine werden oberhalb der Knie und/oder auf Knöchelhöhe in Innenrotation fixiert.
b Die Beckenschlinge wird auf Höhe der Trochanteren positioniert. c Fixierte Beckenschlinge SAM® Pelvic Sling II™. d Fixierte Beckenschline T-POD™. e Behelfsmäßige Schienung mit Rettungsdecke.
Cave
Eine zu weit kraniale Anlage kann den potenziellen Blutungsraum vergrößern.
Neben dem frühzeitigen Erkennen und Therapieren eines C-Problems (z. B. Stillen oder
Vermindern einer aktiven Blutung durch die Anlage einer externen Beckenstabilisation)
ist zumeist eine ergänzende Therapie des Volumenmangelschocks und seiner Folgen (Hypovolämie
→ Hypoperfusion → Gewebehypoxie → Azidose → Koagulopathie) notwendig. Initial sollen
hierfür kristalline Lösungen (isotone, balancierte Vollelektrolytlösungen) verwendet
werden. Ziel ist es, einen systolischen Blutdruck von 80 – 90 mmHg aufrechtzuerhalten
(bei zusätzlichem Schädel-Hirn-Trauma sind normotone Blutdruckwerte anzustreben).
Moderne kolloidale Lösungen können ebenfalls verwendet werden. Bei Nichtansprechen
auf die initiale Volumengabe muss die Therapie zum Aufrechterhalten des Zielblutdrucks
um Vasopressoren und ggf. Inotropika ergänzt werden [14], [22]. Bei präklinischem Verdacht auf eine massive Hämorrhagie sollte frühzeitig 1 g Tranexamsäure
über 10 Minuten intravenös verabreicht werden, um einer traumainduzierten Koagulopathie
mit Hyperfibrinolyse entgegenzuwirken. Basismaßnahmen wie der Erhalt einer normwertigen
Körperkerntemperatur dürfen insbesondere auch hinsichtlich der Verstärkung einer Blutungsneigung
nicht vernachlässigt werden [14].
Primäre innerklinische Behandlung
Ein präklinischer Verdacht auf eine Beckenfraktur ist eine Schockraumindikation [14]. Zur Diagnostik sollte eine Beckenübersichtsaufnahme und/oder eine Computertomografie
mit Kontrastmittel durchgeführt werden. Bei korrekt angelegter Beckenschlinge können
rein ligamentäre Open-Book-Verletzungen kaschiert werden, sodass konventionelle Röntgenaufnahmen
und dynamische Untersuchungen unter Bildverstärker mit dafür geöffneter Beckenschlinge
zur Diagnostik notwendig sein können („Clear-the-Pelvis-Algorithmus“) [14], [24]. Bei instabilem Beckenring mit hämodynamischer Instabilität wird eine mechanische
Notfallstabilisierung zum Schließen des Beckenrings mittels Beckenschlinge (sofern
präklinisch noch nicht angelegt), Fixateur externe oder Beckenzwinge empfohlen. Bei
persistierender Blutung sollte eine chirurgische Blutstillung ggf. mit Tamponierung
oder bei arteriellen Blutungen eine Angioembolisation, gegebenenfalls auch additiv,
erfolgen [14]. Zusätzlich zur präklinisch begonnenen Volumentherapie muss bei hämodynamisch instabilen
Patienten eine vollumfängliche und engmaschig kontrollierte Gerinnungsoptimierung
erfolgen (Damage Control Resuscitation). Dies beinhaltet neben den (weniger aussagekräftigen)
Standardlabortests nach Möglichkeit auch viskoelastische Testverfahren und ein invasives
hämodynamisches Monitoring. So können der pH-Wert, die Körperkerntemperatur, der Kalziumspiegel,
der Hämoglobinwert, die Thrombozytenzahl, die Fibrinogenkonzentration und die Konzentration
von Gerinnungsfaktoren rasch kontrolliert (point-of-care-Diagnostik) und angepasst
(target controlled therapy) werden [14], [22].