Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(20): 1481
DOI: 10.1055/s-0043-111141
Editorial
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Zentren in der Medizinischen Versorgung: Wo geht’s hin?

Centers in Health Care: whereto?
Georg Ertl
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Publication Date:
10 October 2017 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

„Zentrum“ ist ein ungeschützter Begriff, der im Gesundheitswesen mittlerweile eine inflationäre Verbreitung erfährt. Häufig handelt es sich um eine Werbemaßnahme, was nicht ausschließt, dass Zentren in der Patientenversorgung, aber auch in der Forschung besondere Leistungen erbringen. Die Steigerung von Zentrum ist „Zertifiziertes Zentrum“. Ein zertifiziertes Zentrum hält nachweislich Strukturen und Personal vor, die nicht generell vorhanden sind, und lässt sich dafür regelmäßig überprüfen. Wer überprüft, ist nicht festgelegt. Die fachliche Expertise ist bei den wissenschaftlichen Fachgesellschaften, und dort muss auch die Verantwortung liegen. Nicht alle Fachgesellschaften haben allerdings entsprechende Verfahren entwickelt. Außerdem wird nicht selten dabei die Latte so hoch gelegt, dass selbst Universitätskliniken die Kriterien nicht vollumfänglich erfüllen. Dies macht zunehmend Schwierigkeiten, da der Gemeinsame Bundesausschuss die Kriterien gerne übernimmt und der Medizinische Dienst der Krankenkassen diese auch einfordert.

Ob diese Strukturen und Personal zu besseren Leistungen führen, wird meist nicht überprüft, ist aber auch schwer messbar. Allerdings gibt es Ansätze von Versorgungsforschung, essenzielle Bestandteile einer Zentrumsversorgung mit einer Regelversorgung zu vergleichen. So hat die INH-Studie (Interdisciplinary Network for Heart Failure) zeigen können, dass ein Versorgungsprogramm, das durch speziell ausgebildetes Pflegepersonal unterstützte Kooperationen eines Zentrums mit Praxen nutzt, die Mortalität und langfristig auch die Hospitalisierung im Vergleich zur Regelversorgung deutlich senkt (Circ Heart Fail 2012; 5: 25 – 35). Dies macht deutlich, dass es nicht das Zentrum alleine ist, das zu einer besseren Versorgung führt. Um Sektorengrenzen im Gesundheitssystem zu überwinden, ist die Vernetzung entscheidend.

Zentren definieren sich oft über Spezialisierung und ein relativ hohes Patientenaufkommen durch lokale Konzentrierung von Leistungen. Es kann sein, dass die Peripherie des Zentrums dabei eine Einbahnstraße bedient, was unter verschiedenen Aspekten (z. B. ortsnahe Versorgung, Kosten) nicht ideal ist und auf erhebliche Vorbehalte bei den zuweisenden Praxen und Kliniken stößt. Zeitgemäßer im Sinne der Qualität der Patientenversorgung und der Interessen der peripheren Krankenhäuser und Praxen ist es, das Zentrum als einen Leistungsanbieter im Netzwerk zu verstehen. Aufgabe eines solchen Netzwerkes ist es, spezielle Leistungen zu konzentrieren, aber die Möglichkeiten der Versorgung durch periphere Kliniken und Praxen zu nutzen und auch auszubauen. Diese Verantwortung für einen Standort oder eine Region sollte das Zentrum übernehmen. Der Nationale Krebsplan spricht in diesem Zusammenhang von einem „Netz von qualifizierten und gemeinsam zertifizierten, multi- und interdisziplinären, transsektoralen und ggf. standortübergreifenden Einrichtungen“. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie gemeinsame Empfehlungen zu „Aufbau und Organisation von Herzinsuffizienz-Netzwerken und Herzinsuffizienz-Zentren zur Optimierung der Behandlung der akuten und chronischen Herzinsuffizienz“ herausgegeben (Der Kardiologe 2016; 10: 222 – 235). Essenziell dabei ist, dass die unterschiedlichen Leistungserbringer im Gesundheitssystem ihren Platz im Netz finden und die Übergänge zwischen den Leistungserbringern sichergestellt sind. Auch die Krankenkassen sehen eine Verantwortung bei den Zentren, die Patientenversorgung in und außerhalb des Zentrums zu verbessern, und werden vermutlich ihre Zentrumszuschläge davon abhängig machen wollen.

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Prof. Dr. med. Georg Ertl