Z Orthop Unfall 2017; 155(04): 384-388
DOI: 10.1055/s-0043-112353
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Langer Transport Schwerverletzter geht nicht, sie müssen vor Ort wissen, was zu tun ist“

Interview mit Benedikt Friemert
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Das Interview führte Bernhard Epping.


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Publication Date:
16 August 2017 (online)

 

    Ein prominenter Vertreter des Sanitätsdiensts der Bundeswehr erklärt, warum Chirurgen in hiesigen Krankenhäusern sich wieder mit Verletzungsmustern befassen müssen, die man sonst nur aus fernen Kriegen kennt. Und verrät auch gleich, wie sie das machen können.


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    Zur Person

    Benedikt Friemert (Jahrgang 1963) ist Oberstarzt im Sanitätsdienst der Bundeswehr und Klinischer Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Der Facharzt für Allgemeine Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie und Sportmedizin hat bei der Bundeswehr zahlreiche Auslandseinsätze in Kriegsgebieten absolviert. Friemert wirbt bei seinesgleichen für bessere Strukturen und mehr Kenntnisse in der Notfallversorgung für den Fall eines großen Terroranschlags im Bundesgebiet. Dies vor allem auch im Beirat des Traumanetzwerks der DGU und seit 2013 als Vorsitzender der AG Einsatz-, Katastrophen-, und Taktische Chirurgie (EKTC) der DGU.

    Sie arbeiten im Sanitätsdienst der Bundeswehr?

    Ja, ich bin einer von rund 3600 Ärzten, die bei der Bundeswehr arbeiten, davon sind aber längst nicht alle am Patienten tätig, etliche auch in der Verwaltung. Ich bin einer von etwa 100 Chirurgen.

    Seit einigen Jahren sieht man Bundeswehrärzte gleich in Uniform, darunter auch Sie, zunehmend auf Tagungen wie dem DKOU. Das Interesse an „Kriegschirurgie“ steigt?

    Wir reden nicht von Kriegschirurgie …

    Das wäre eine Übersetzung des Fachterminus War Surgery. Nicht richtig?

    Wir reden heute von Einsatzchirurgie. Kriegschirurgie steht für eine Chirurgie, die unter Mangelsituationen nur das Allernötigste versucht, um wenigstens das Leben zu retten. Unser Anspruch auch und gerade bei Auslandseinsätzen ist es aber, jedem Verletzten die bestmögliche Versorgung zu bieten. Das ist eine Individualchirurgie, die wie in der zivilen Versorgung versucht, bestmöglich Funktionalität zu erhalten und wiederherzustellen. Und ohne Zweifel ist unsere Expertise heute wieder mehr gefragt.

    Sie sind unter anderem Leiter einer 2013 neu gegründeten AG Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie (AG EKTC) der DGU, wozu arbeitet sie?

    Wir möchten auch mit dieser AG zwei Dinge erreichen. Zum einen erkennt eine Fachgesellschaft wie die DGU damit an, dass die Bundeswehr Chirurgen in Auslandseinsätze schickt und dass diese Einsatzchirurgie ein Teil der Deutschen Chirurgie ist.

    Und Sie fühlten sich bislang da von den zivilen Kollegen hierzulande nicht richtig wahrgenommen?

    Sagen wir mal so, das Thema Bundeswehr und Auslandseinsätze mit Einsatzchirurgie war viele Jahre für viele ganz weit weg. Wir möchten durchaus ein Bekenntnis der Gesellschaft dazu, dass auch diese Chirurgie zu Deutschland gehört. Und der zweite Punkt ist die Erkenntnis, dass wir wahrscheinlich leider auch hierzulande einmal ein Terrorgeschehen erleben werden, für das sich Rettungswesen und Ärzte neu schulen müssen. Da kann die Expertise von Ärzten der Bundeswehr helfen.

    Wie?

    Bei einem Terroranschlag sind leider Verletzungen zu erwarten, die wir eben aus den Auslandseinsätzen kennen. Wir hatten 70 Jahre lang hierzulande keine Kriegsbedingungen, keine Kriegsverletzungen. Doch jetzt haben wir Terroristen, die Kriegswaffen verwenden. Es geht um Schussverletzungen und Sprengstoffanschläge. Die Hochgeschwindigkeitsgeschosse aus Kriegswaffen haben eine ganze andere Wirkung im Körper als kleinkalibrige Waffen, deren Folgen vermutlich das Maximum dessen waren, was hiesige Chirurgen bislang kannten. Wenn ein Hochgeschwindigkeitsgeschoss etwa aus einer Kalaschnikow auf einen Knochen trifft, wird er nicht nur durch die kinetische Energie zerstört, er platzt förmlich auseinander.Und Explosionsverletzungen nach einem Bombenattentat sind viel schlimmer als jene, die Sie behandeln müssen, wenn etwa in einem Industriegebiet ein Kessel explodiert. Da kommen dann mehrere Verletzungsmechanismen zusammen, die wir sonst nur einzeln erleben. Es gibt eine enorm starke Druckwelle, die Lunge und andere Hohlorgane der Passanten schädigen kann. Es gibt einen Feuerball, Sie haben Verbrennungen. Obendrein sind die Bomben bei Terroranschlägen in der Regel gespickt mit Nägeln und Schrauben. Diese Teile wirken als Geschosse. Dann wird der Patient auch selber noch durch die Luft gewirbelt. Womöglich stecken auch noch giftige Chemikalien in einer Bombe. Und bei Selbstmordattentätern haben Sie zu allem Übel immer auch noch biologisches Material, das durch die Gegend fliegt und Infektionsrisiken birgt. Wir haben damit mindestens 5 Dimensionen, die gleichzeitig schaden, damit ein enorm komplexes und bislang hierzulande viele Jahrzehnten quasi unbekanntes Verletzungsgeschehen.

    Das hierzulande zahlenmäßig schlimmste Attentat war das vom 19. Dezember letzten Jahres in Berlin auf dem Breitscheidplatz, wo der Attentäter mit einem gestohlen LKW 11 weitere Menschen tötete und über 50 verletzte.

    Ja, aber das war aus medizinischer Sicht ähnlich zu einem großen Verkehrsunfall, einem Massenanfall von Verletzten, MANV, wie ihn auch hiesige Ärzte kennen. Das Verletzungsmuster entspricht hier ganz überwiegend dem „stumpfen Trauma“, bei dem das Risiko, zu verbluten, längst nicht so hoch ist wie bei den Verletzungen, die wir nach Attacken mit Bomben oder Sturmgewehren, also Kriegswaffen, die die Terroristen in den meisten Fällen einsetzen, erwarten. Dann erwarten wir viele Opfer mit sogenanntem penetrierenden Trauma. Und wir müssen die hiesigen Chirurgen für die Behandlung gerade auch dieser Verletzungsmuster ausbilden.Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, DGU, hat vergangenes Jahr dafür einen 5-Punkte-Plan aufgelegt. Ein Thema dabei, ein besonders wichtiges, sind unsere neuen Kurse für Terror- und Katastrophenchirurgie, in denen wir Chirurgen über diese Aspekte ausbilden möchten.

    Wo gibt es die Kurse und wie lange dauern sie?

    Die AUC – Akademie der Unfallchirurgie bietet die Kurse fortlaufend an verschiedenen Orten im Bundesgebiet an. Die dauern 2,5 Tage. Die Kosten, um auch das zu klären, liegen für jeden Teilnehmer bei aktuell 600 Euro.

    Wie ist die Resonanz?

    Groß. Wir hatten Veranstaltungen im vergangenen Jahr in Koblenz, Leipzig, München und Hamburg, auf denen wir die Sprecher der Traumanetzwerke DGU informiert haben, und sehr viele waren da und haben uns gesagt, sie schicken ihre Leute in die Kurse.

    Und zweieinhalb Tage reichen, um fit zu werden für solch komplexe Verletzungen, die Sie eben beschrieben haben?

    Die Teilnehmer sind ja gestandene Chirurgen, denen müssen wir nicht zeigen, wie man mit Messer und Gabel isst. Ja, die wesentlichen Grundlagen können sie sicher in kurzer Zeit lernen.

    Haben Sie einige Stichworte, was ist am Ort des Geschehens zu tun?

    Terror ist zunächst eine Polizeilage, die Polizei entscheidet, wann die Helfer vor Ort können. Sobald das möglich ist, müssen die Rettungskräfte in diesen Fällen besonders schnell sein.Denn noch viel mehr als die Verletzten nach einem Verkehrsunfall werden etliche Opfer eines Terroranschlags mit Bomben oder Sturmgewehren eine sehr hohe Blutungsrate haben. Es ist entscheidend, dass Sie diese Blutungen schnell stoppen. Das heißt Umgang mit Tourniquets, das heißt, schnell entscheiden, wer als erster in ein Krankenhaus kommt, wer noch etwas warten kann, das heißt auch, ein rasches Umschalten von dem Gedanken an Individualchirurgie hin zu einer Chirurgie, die das Ziel hat, möglichst vielen Menschen das Leben zu retten.

    Wer kann und muss diese Triage leisten?

    Dies wird Aufgabe der Notärzte, vor allem der leitenden Notärzte am Ort des Geschehens sein. Dabei könnte es auch nötig sein, bei sehr vielen Opfern, zu entscheiden, dass ein Patient gar nicht mehr transportiert und behandelt wird. Denn, um es hart zu sagen, Menschen, die man nicht mehr retten kann, brauche ich nicht mehr behandeln, diese Ressourcen kann und muss ich in dieser extremen Notfallsituation unter Umständen für die Behandlung derer nützen, deren Leben eine Chance hat. Die Triage geht mit wenigen einfachen Parametern, wie sie bei jedem anderen MANV genützt werden, etwa auch wie damals beim ICE-Unglück in Eschede. Die Parameter sind den Notärzten heute bekannt.

    Wann heißt es, dieser Patient wird nicht mehr transportiert und behandelt?

    Ein Patient, der augenscheinlich so viele Verletzungen hat, dass das schlicht nicht überlebbar ist, auch wenn er noch lebt. Dann muss ich in einer Situation, in der ich ohnehin Mangelprobleme habe, so entscheiden.

    Wer steuert, wohin, in welches Haus genau, welche Patienten gebracht werden?

    Die Rettungsleitstelle.

    Hat das Traumanetzwerk dabei ein Wörtchen mitzureden?

    Nur indirekt. Das wird weit im Vorfeld zwischen allen Kliniken und Leitstellen abgestimmt, welche Kapazitäten ein Klinikum hat und anbieten muss. Auch die Traumanetzwerke der DGU und die Rettungsleitstellen verständigen sich derart vorher.

    Und die Pläne dafür sind überall in Deutschland etabliert?

    Ich gehe davon aus, ja. Aber Sie brauchen im Notfall auch die Fähigkeit, situativ entscheiden zu können. Das wird nicht alles wohlgeordnet sein, da gibt es Chaos, mit dem Sie klarkommen müssen als Arzt und Rettungshelfer.Denn die schwer verletzten Patienten, die hoch instabil sind, können Sie in der Regel nicht lange transportieren. Die müssen in das nächste Krankenhaus und in den OP, sonst sind sie verblutet. Bei dem penetrierenden Trauma, das Sie überwiegend als Verletzungsmuster haben, gibt es oft einfach zu wenig Zeit für eine geregelte Verlegung der Opfer in viele, auch weiter entfernt liegende Kliniken.

    Sollte man dann nicht gleich an Ort und Stelle operieren?

    Nein. Wenn ein Patient im Bauch blutet, da können Sie nichts mehr abbinden, das kann nur der Chirurg lösen und das geht nicht vor Ort. Clean the Field – die Patienten müssen so schnell wie möglich geborgen werden. Raus aus der Gefahrenzone und schnell in ein Krankenhaus.Und nebenbei, es wird auch nicht jeder mit dem Rettungswagen kommen, etliche werden schon in den Kliniken sein, bevor der Rettungsdienst vor Ort ist. Einige Studien haben verglichen, wie hoch die Überlebenswahrscheinlichkeit ist bei Terrorattentaten, je nachdem, ob jemand mit dem Rettungsdienst in die Klinik gebracht wird, oder von Passanten, die einen Verletzten unversorgt in die nächste Klinik fahren. Die Überlebenswahrscheinlichkeit ist bei denen, die derart „selbstständig“ und damit sehr schnell in die Klinik kommen, etwa doppelt so hoch wie bei denen, die mit dem Rettungswagen kommen. Einfach, weil sie schneller in der Klinik sind und damit im OP. Dieser Faktor Zeit, schnell in die Klinik, gilt aber wie eben beschrieben, nur für die Terrorsituationen, nicht bei einem MANV etwa nach Verkehrsunfällen. Da können die uns gewohnten und sehr gut etablierten Algorithmen der präklinischen und klinischen Versorgung angewendet werden.

    Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie auf dem letzten DKOU dafür geworben, dass wir für eine gute Erstversorgung nach Attentaten wieder mehr Allgemeinchirurgen benötigen. Die Spezialisten, den Neuro-, den Viszeralchirurgen, die könne man in der Erstversorgung nach solchen Attentaten in den Kliniken sogar gar nicht so sehr gebrauchen.

    Naja, das überbetonen Sie jetzt. Richtig ist, dass Sie zu Beginn der Versorgung nach solchen Attacken keine Spezialisten brauchen. Blutungen zu stoppen, das A und O, das geht mit ganz grundlegenden Operationen, die viele ältere Chirurgen, auch Spezialisten hierzulande können. Bei Chirurgen, die in jüngerer Zeit ausgebildet wurden sieht das anders aus. Hier müssen Teams zusammengestellt werden, die im Zusammenspiel die Fähigkeit haben, die Blutung zu stoppen. Wichtig ist, dass in einer Klinik das Gesamt-Team organisiert wird, das kann am besten der Unfallchirurg, der das Konzert der Chirurgen leitet, so wie es auch in der Regelversorgung im Schockraum passiert.Die ersten Stunden brauchen Sie also in der Tat Kenntnisse, wie sie Allgemeinchirurgen bei der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen kennenlernen und üben. Da muss ich bei begrenzten Kapazitäten in der Lage sein, vom entzündeten Blinddarm bis zu Schussverletzungen im Bauch oder Kopf die Erstversorgung zu leisten.Es würde auch nach einem Terroranschlag darum gehen, die Opfer so weit zu stabilisieren, dass sie transportfähig werden, um dann von Spezialisten endversorgt werden zu können. Zum Beispiel später einen zerstörten Darm wieder rekonstruieren, das macht ein Spezialist, aber das hat Zeit. Mehr noch: Wir setzen heute ja gerade auf Zeit, auf ein weiteres Konzept aus der Einsatzchirurgie, die Damage Control.

    Bedeutet?

    Früher haben wir das Konzept gefahren, bei schwerverletzten Opfern möglichst schon am 1. Tag komplett alle nötigen Operationen durchzuführen. Schnell rein in den OP und 6 Stunden operiert, alles fertig. Heute wissen wir, dass mehr Patienten überleben, wenn wir in einer ersten Phase mit einfachen Mitteln machen, was absolut notwendig ist. Dann geht der Patient auf die Intensivstation, wird stabilisiert, und dann wird die Tage danach sukzessive alles operativ versorgt, was zu tun ist.

    Aber dafür verteilt man am besten dann womöglich doch gleich alle Opfer gleichmäßig auf die umliegenden Kliniken?

    Das ist Theorie und sicher ideal, wird aber gerade beim Terroranschlag oft nicht gehen, wie uns viele Studien gezeigt haben. Bei einem MANV mit stumpfen Traumata haben Sie in der Regel Zeit für eine koordinierte Verlegung auch in entferntere Kliniken. Nach Bombenattentaten oder Schussverletzungen, also bei den penetrierenden Verletzungen nicht.

    Die DGU erklärt aber, dass über die Struktur des Traumanetzwerks auch und gerade bei Terroranschlägen eine überregionale Versorgung „in geordneten Bahnen“ angeboten werden kann, sollten die lokalen Ressourcen überlastet sein.

    Das Traumanetzwerk ist eine sehr gute Ausgangslage für eine Versorgung in der Fläche. Aber das ist alles in Abhängigkeit von der konkreten Situation. Ich nenne Ihnen noch ein denkbares Problem: Wenn Sie Pech haben, ist nach einer Terrorattacke schon der Weg in das benachbarte Krankenhaus verlegt. In Paris 2015 war das so, dass bestimmte Krankenhäuser aus Sicherheitsgründen nicht angefahren werden durften, weil die Straßen von der Polizei noch gesperrt waren.Sie müssen deshalb darauf vorbereitet sein, dass der große Ansturm auf die nächstgelegenen Kliniken ist und dass sie dort viele Patienten werden versorgen müssen.

    Und dann operieren Sie im kleinsten Krankenhaus womöglich sogar auf dem Flur?

    Das ist jetzt übertrieben, aber ja, da steckt ein echtes Problem. Und deswegen brauchen wir die Kurse zur Fortbildung der Mediziner, damit mehr Ärzte in der Situation wissen, wie sie damit umgehen können, mit taktischen strategischen Entscheidungen.

    Helfen die Notfallpläne, die alle Kliniken haben müssen, in diesen Fragen weiter?

    Nein, die sagen zum Thema Terror meistens nichts. Schon gar nicht gehen sie auf die Fragen ein, die sich bei einer Terrorsituation stellen können. Schon eher hilft demnächst der Blick in das neue Weißbuch der DGU zum Thema Schwerstverletztenversorgung. Ende nächsten Jahres soll die 3. Version fertig sein, und ein Thema wird dabei Terror sein.

    Müssen Inhalte von Einsatzmedizin auch wieder mehr ins Studium oder in die Weiterbildung?

    Ich glaube, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, das wir in unserer Republik nicht nur Individual- und Elektivchirurgie machen, sondern dass wir uns auch mit Katastrophenvorsorge beschäftigen müssen, das gehört schon in das Studium. Wir müssen unseren jungen Kollegen beibringen, dass es neben dem Ego auch noch etwas gibt, was die Gesellschaft als Ganzes betrifft. Für Ärzte zählt dazu eben auch die Fähigkeit zu einem sofortigen Umdenken in Richtung „Chirurgie unter reduzierten Mitteln“.

    Heißt?

    Normalerweise kennen wir bei uns nur die Individualchirurgie. Bei einem schweren Notfall handelt es sich in Friedenszeiten fast immer um einen Einzelfall, um den sich dann ein ganzes Team von Experten kümmert. Bei einem großen MANV kann das umgekehrt sein. Bei 20 schwerverletzten Patienten und am Anfang, einmal angenommen, nur 5 Ärzten und Schwestern auf einer Station, muss ich in einen ganz anderen Modus umschalten, weil ich nicht mehr alle Ressourcen für einen Patienten aufwenden kann, sondern sie so auf viele verteilen muss, um möglichst vielen das Leben zu retten. Und dieser Switch, das ist genau das, was wir in Deutschland nicht können. Welcher deutsche Chirurg musste schon mal die Entscheidung treffen – diesem einen Patienten amputiere ich jetzt ein Bein, weil ich die Zeit aktuell nicht habe, dieses Bein in einer aufwendigen Operation zu retten. Ich brauche diese Zeit vielmehr, um 5 anderen Verletzten zumindest das Leben zu retten, die sonst sterben.

    Es gibt einen Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall der Schutzkommission beim Bundesministerium des Inneren. Wie relevant ist der für die Ausbildung und Orientierung von Ärzten?

    Federführend ist da das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenmedizin, BBK. Diese Broschüre ist allerdings schon recht alt und deckt nicht die Dinge ab, die wir als Fachgesellschaft gerade entwickeln. Unsere Vorschläge aus der Fachgesellschaft haben auch nichts mit der politischen Ebene zu tun.

    Aber müsste die Politik mehr an Vorbereitung übernehmen, auch an Schulung von Ärzten und Rettungsteams für einen Terrorangriff?

    Das BBK ist ja primär für Terror gar nicht zuständig. Zuständig wären an erster Stelle die Bundesländer.Andererseits gehört das Thema Ausbildung sicher primär erst mal in die Fachgesellschaften rein. Wir sind ja für das Thema fachliche Ausbildung da. Allerdings würden wir uns wünschen, dass das, was die Fachgesellschaften machen, von der politischen Seite mehr unterstützt und gefördert wird.

    Zuschüsse für die Kurse der DGU?

    Warum nicht. Vor allem aber für die nötigen Übungen. Wir brauchen mehr Notfallübungen im Zusammenspiel Rettungsdienste und Kliniken. Eine einzige Übung kostet ein Klinikum circa 100 000 Euro, weil Sie an dem Tag das Haus für den Regelbetrieb schließen müssten. Die DGU fordert schon länger, dass die Kliniken dafür Finanzhilfen von der öffentlichen Hand erhalten. Terrorvorsorge ist Teil der Daseinsfürsorge des Staats. Und der muss Krankenhäusern wie Rettungswesen auch eine Finanzierung jenseits der Kassentöpfe dafür anbieten.

    Können Sie nicht nur Teile der Klinik für solche Übungen nehmen und so Kosten senken?

    Nein, das können Sie nicht, wenn Sie Terror üben wollen, brauchen Sie eine ganze Klinik, auch und gerade, um zu üben, wie dann in 3, 4 OPs parallel operiert wird. Da muss die Klinik schon im Ganzen beübt werden, wenn es real sein soll.

    Nach Berlin gab es Meldungen, das Rettungskonzept beim MANV am Breitscheidplatz habe gut funktioniert.

    Insgesamt hat es recht gut funktioniert, aber es gab natürlich auch relevante Probleme.

    Ein Stichwort?

    Ein Thema ist immer die Kommunikation. Wir müssen noch besser lösen, wie in der akuten Notsituation die Kommunikation zwischen Klinik und Rettungswesen, Polizei und Feuerwehr stattfindet. Oder auch von der Leitstelle zur Klinik, wer hat wie viel Patienten bekommen, wer kann noch wie viele übernehmen.

    Wo ist das Problem?

    Die konkrete Zuweisung geht nach wie vor meist so, dass die Leitstelle zum Telefon greift. Es gibt in München und 2, 3 anderen Städten zwar mittlerweile erste digitale Systeme, mit denen man die Daten auch online mitteilen kann. Aber die Frage ist, ob im Terrorfall dann in der Klinik auch wirklich jemand an den Rechner geht und eintippt, wir haben schon 5 Patienten bekommen und können noch maximal 4 nehmen.Und vor allem haben Sie auch hier dieses Moment der Unberechenbarkeit, es gibt ganz banale Dinge, an die vorher keiner denkt. Beispielsweise hat die Feuerwehr in Berlin Digitalfunk, was hochmodern ist und ganz wunderbar. Ein Hotel direkt in der Nähe vom Breitscheidplatz hatte aber ebenfalls einen eigenen Digitalfunk eingerichtet und digitale Funkgeräte, eben auch die der Polizei und Feuerwehr, haben die Eigenschaft, sich immer in den nächsten digitalen Funkmasten einzuwählen, sodass sich der Polizeifunk der Fahrzeuge vor Ort fälschlicherweise in den Server bei dem Hotel eingeklinkt hat und einige Zeit keiner verstand, was mit dem Funk los war.

    Heißt, wir sind noch nicht wirklich gut vorbereitet auf einen möglichen Terroranschlag?

    Sagen wir mal so, wir bereiten uns gerade vor, haben aber noch Luft nach oben.


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    Das Interview führte Bernhard Epping.


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