Aktuelle Dermatologie 2017; 43(08/09): 354-356
DOI: 10.1055/s-0043-112666
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Skabies-Massenausbruch in einem Altenheim für Demenzkranke

Fallbeschreibung und kritische Würdigung Extensive Outbreak of Scabies in a Nursing Home for DementiaCase Report and Critical Appraisal
A. Montag
Praxis für Dermatologie und Venerologie, Hamburg
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Andreas Montag
Praxis für Dermatologie und Venerologie
Schweriner Str. 17
22143 Hamburg

Publication History

Publication Date:
31 August 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Dargestellt wird ein Massenanfall mit 75 Skabies-Infizierten unterschiedlichen Schweregrades in den geschlossenen Wohnbereichen für Demenzkranke eines großen Pflegeheims am Stadtrand einer deutschen Großstadt.

Der Ablauf der tatsächlichen Ereignisse, einschließlich der damit verbundenen diagnostischen und therapeutischen Herausforderungen, wird ebenso eingehend beschrieben wie die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Infektion eingeleitet wurden. Zusammen mit den Rahmenbedingungen, die zum dargestellten Massenausbruch geführt haben, werden die genannten Aspekte abschließend einer umfassenden kritischen Würdigung unterzogen.


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Abstract

An extensive outbreak of 75 persons infected with scabies, exhibiting different degrees of severity, in the closed sections of a large nursing home for dementia in the periphery of a major German city is presented. Not only the actual events, including the related diagnostic and therapeutic challenges, but also the actions that were initiated to contain the infection are described in detail. Lastly, the aforementioned aspects, together with the factors that led to this extensive outbreak, are critically appraised.


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Fallbeschreibung

Anamnese und Befunderhebung

Nach Vorstellung mehrerer älterer Patienten im Stadium fortgeschrittener Demenz mit unspezifischen, jedoch außergewöhnlich stark juckenden Hautveränderungen an Rumpf und Extremitäten in der Sprechstunde einer dermatologischen Facharztpraxis verdichtete sich der klinische Verdacht einer Skabiesinfektion in einem nahe der Praxis gelegenen Seniorenheim.

Der daraufhin vorgenommene hautfachärztliche Hausbesuch enthüllte in dieser Einrichtung eine komplette Durchseuchung zweier geschlossener Wohnbereiche bei 35, jeweils an fortgeschrittener Demenz erkrankten Bewohnern mit Skabies in unterschiedlichsten klinischen Ausprägungsgraden. 3 Patienten zeigten die typischen Symptome einer Skabies norvegica (Skabies crustosa), die übrigen Betroffenen wiesen alle klinischen Merkmale fortgeschrittener Skabies auf oder litten unter Skabies in einem frühen, noch unspezifischen Ekzemstadium.

Durch den visitierenden Hautarzt erfolgte mit sofortiger Wirkung die Errichtung von Schleusen im Eingangsbereich der betroffenen Wohnbereiche. Zudem wurden alle Mitarbeiter der betroffenen Wohnbereiche umgehend angewiesen, ab sofort und ohne Ausnahme während aller Arbeiten am Patienten Schutzbekleidung zu tragen. Dies betraf vor allem die Benutzung von Einmalschutzkitteln, Einmalkopfhauben und Einmalhandschuhen.

Zu den in diesem Sinne unmittelbar betroffenen Personengruppen zählen unter anderem das Pflegepersonal, die visitierenden Ärzte, das Reinigungs- und Küchenpersonal, das Krankentransportpersonal, aber auch die Angehörigen der Bewohner und sämtliche anderen Besucher mit direktem Kontakt zu den Erkrankten.

Zum Kreis der mittelbar betroffenen Personen zählt das gesamte Pflegepersonal anderer Wohnbereiche innerhalb der betroffenen Einrichtung sowie weitere Mitarbeiter aus diesem Umfeld mit möglichem Kontakt zu betroffenen Bewohnern, aber auch die Mitarbeiter der zuständigen Wäschereien und Reinigungen, alle Angehörigen des Pflegepersonals sowie grundsätzlich alle Kontaktpersonen zu bereits infizierten Personen.

Es erfolgte eine ausführliche Umgebungsuntersuchung, innerhalb derer jeder Mitarbeiter des betroffenen Heimes aufgefordert wurde, zum Ausschluss einer Skabiesinfektion einen Dermatologen aufzusuchen. Ebenso wurden sämtliche Mitarbeiter aufgefordert, ggf. ihre Angehörigen und Freunde untersuchen zu lassen.

Es stellte sich heraus, dass insgesamt 8 Mitarbeiter des Heimes, ausnahmslos aus dem Pflegebereich, an Skabies erkrankt waren. 2 dieser Mitarbeiter stammten von anderen Wohnbereichen dieses Heimes und waren nur zeitweilig als Aushilfen hinzugezogen worden. Das Enkelkind einer betroffenen Pflegekraft musste mit einer hochfieberhaften, superinfizierten Skabiesinfektion stationär in einem nahegelegenen Kinderkrankenhaus behandelt werden.

Parallel zur Einrichtung der Schleusen und zur Bereitstellung der Schutzkleidung wurde die synchronisierte Grundreinigung sämtlicher Räume innerhalb der betroffenen Wohnbereiche vorbereitet. Der Umfang der Grundreinigung orientierte sich dabei an den üblichen Vorgaben für Massenausbrüche von Infektionskrankheiten in Gemeinschaftseinrichtungen dieser Art und schloss die milbentötende Behandlung sämtlicher Kleidung, Decken, Deckchen, Kissen und Polstermöbel ebenso ein wie die Reinigung von Teppichen, Böden und Möbeln. Die zeitlich und inhaltlich synchronisierte Behandlung beider Wohnbereiche erforderte die zeitgleiche Bereitstellung aller erforderlichen Grundreinigungs- und milbentötenden Reinigungsmittel für alle Räume ebenso wie die Bereitstellung allen abkömmlichen Personals zur Durchführung dieser Maßnahmen.

Die synchronisierte Grundreinigung musste zeitgleich mit der milbentötenden Behandlung sämtlicher Bewohner koordiniert werden.


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Therapie

Die äußerliche Behandlung sämtlicher Bewohner innerhalb der der betroffenen Wohnbereiche erfolgte mit Permethrin 5 %-haltigen Externa und wurde nach 8 Tagen bei allen Betroffenen wiederholt. In 10 Fällen erfolgte 1 Woche später noch eine 3. Behandlung. Die Behandlung des postskabiösen Ekzems erfolgte mit Clobetasol 0,05 %-haltigen Externa.

In 3 Fällen mit Skabies crustosa wurde zusätzlich zur topischen Permethrin-Behandlung 2-mal, jeweils im Abstand von 7 Tagen, systemisch mit Ivermectin behandelt (Dosierung: einmalige Gabe von 200 Mikrogramm Ivermectin pro Kilogramm Körpergewicht, Wiederholung nach 7 Tagen).

Innerhalb von 8 Wochen nach erstmaliger Diagnosestellung wiesen das betroffene Pflegeheim und seine unmittelbare Umgebung keine weiteren Skabies-Infektionen mehr auf.


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Diskussion

Das Ausmaß des hier beschriebenen Umfangs einer Skabies-Infektion innerhalb einer Gemeinschaftseinrichtung erscheint für eine regelmäßig ärztlich betreute Einrichtung dieser Art zunächst ungewöhnlich.

Der umfangreiche Einsatz von Kurzzeit-Pflegekräften, vermittelt von Zeitarbeitsfirmen, und der damit verbundene häufige Personalwechsel trugen jedoch zu der im vorliegenden Fall diskontinuierlichen Betreuung ebenso bei wie die äußerst seltene, nur auf gelegentliche Anforderung erfolgte Betreuung durch einen dermatologischen Facharzt.

Die an Skabies erkrankten Bewohner beider Wohnbereiche litten zudem ausnahmslos an fortgeschrittener Demenz. Wenngleich diese Wohnbereiche grundsätzlich von innen nach außen als geschlossene Einrichtung geführt werden, so ist doch die räumliche Isolierung infizierter Demenzkranker innerhalb dieser Wohnbereiche nicht umsetzbar. Als Folge des unter alten, gebrechlichen und zudem demenzkranken Menschen zumeist deutlich reduzierten allgemeinen Gesundheitszustandes ist eine oft kurzfristige Verlegung in die ambulante oder stationäre Versorgung von Praxen oder Krankenhäusern oft unumgänglich. Wird eine Skabies-Infektion aber auch dort nicht rechtzeitig erkannt, führt dies zu einer weiteren, rasch unkontrollierbaren Ausbreitung. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade auch in Pflegeeinrichtungen unter den in ihrer immunologischen Abwehr üblicherweise deutlich eingeschränkten Bewohnern vermehrt mit schwereren Verlaufsformen infektiöser Erkrankungen zu rechnen ist. So ist insbesondere in Altenpflegeheimen der Anteil von Skabies crustosa bzw. Skabies norvegica deutlich höher als in der Durchschnittsbevölkerung. Innerhalb der Mitarbeiter von Altenpflegeheimen ist zudem die Infektionsrate unter den Pflegekräften deutlich höher als unter den anderen Mitarbeitern [1].

Die Wirkung von Ivermectin als systemischer Form der Skabies-Behandlung wurde 1994 erstmals beschrieben [2]. In Deutschland erfolgte die Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Februar 2016. Zur Behandlung eines Skabies-Massenanfalls bietet diese systemische Form der Therapie auf den ersten Blick zahlreiche Vorteile und scheint auch aus arbeitsökonomischer Sicht der effektivste Weg zu sein.

Dennoch mahnen die bisher bekannt gewordenen Resistenzbildungen von Sarcoptes scabiei gegen Ivermectin [3] [4] zum sorgsamen Einsatz dieses Medikamentes als Antiskabiosum. So empfiehlt auch die Leitlinie zur Skabies [5] den Gebrauch von Ivermectin als „Second Line“-Medikament und als Ausweichmittel in allen Fällen, die den üblichen topischen Therapien mit Permethrin, Benzylbenzoat, Crotamiton u. a. nicht zugänglich sind.

Als wirksamste Behandlung auch hartnäckiger und gegenüber den üblichen Therapien unzugänglicher Formen der Skabies hat sich die Kombination aus topischem Permethrin 5 % und systemischem Ivermectin bewährt [6].

Im Zentrum der Skabies-Erkennung und -Behandlung steht das geschulte dermatologische Auge, das auch bei allen Formen unklarer Ekzeme mit ungewöhnlich starkem, zum Befundbild oft nicht recht passendem Juckreiz stets die Differenzialdiagnose einer Skabies in Erwägung ziehen sollte. Nur durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln, auch bereits im Verdachtsfall, durch die umfassende Aufklärung der Betroffenen und ihrer Umgebung, verbunden mit konsequenten Follow-up-Untersuchungen der behandelten Betroffenen bis zur deren nachweislicher, vollständiger Genesung, kann ein wirksames Eindämmen der in allen Bundesländern gegenwärtig deutlich zunehmenden Skabies-Fälle zuverlässig sichergestellt werden.

Die seit wenigen Jahren zumindest regional deutlich spürbare Zunahme an Skabies-Infektionen in Deutschland ist bisher weder in klinischen Studien noch in relevanten Statistiken ausreichend erfasst. Soweit aus eigenen Beobachtungen jedoch bisher erkennbar, ist das derzeitige Phänomen regionaler Massenanfälle von Skabies-Infektionen kein ausschließliches Problem des Flüchtlingszustroms. Diese Zunahme findet ihre Ursachen auch im Verhalten der eigenen Bevölkerung. Ungeachtet dessen bindet der beschriebene Anstieg an Skabies-Infektionen in den dermatologischen Praxen der betroffenen Regionen mehr und mehr Arbeitszeit und Arbeitskraft. Die Erhebung aussagefähiger Morbiditätsstatistiken zur Skabies mit dem Ziel der Optimierung strategischer Abwehrmaßnahmen und zur Bündelung von Synergien wird darüber hinaus durch den Umstand erschwert, dass Skabies keine meldepflichtige Erkrankung im ärztlichen Zuständigkeitsbereich ist. Die Meldung von Skabiesfällen gegenüber dem Gesundheitsamt erfolgt bisher ausschließlich im Falle infizierter Bewohner oder Mitarbeiter betroffener Pflegeheime. Zuständig ist in diesen Fällen die jeweilige Heimleitung. Nur die von dieser Seite gemeldeten Erkrankungen werden zahlenmäßig überhaupt erfasst, sieht man einmal von den innerhalb der Berufsgenossenschaften geführten Statistiken über Skabies-infizierte Heimmitarbeiter ab. Alle übrigen, in Praxen und Krankenhausambulanzen erfassten Skabiesfälle entgehen somit der Statistik. Hilfreich wären in der aktuellen Situation deshalb Studien zur tatsächlichen Prävalenz und Inzidenz, um anhand wissenschaftlich verwertbarer Zahlen noch wirksamer als bisher dem gegenwärtigen Skabies-Aufkommen begegnen zu können.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Vorou R, Remoudaki HD, Matezou HC. Nosocomial scabies. J Hosp Infect 2007; 65: 9-14
  • 2 Kar SK, Mania J, Patnaik S. The use of ivermectin for scabies. Natl Med J India 1994; 7: 15-6
  • 3 Currie BJ, Harumal P, McKinnon M. et al. First documentation of in vivo and in vitro Ivermectin resistance in Sarcoptes scabiei. Clin Inf Dis 2004; 39: 8-12
  • 4 Mounsey KE, Holt DC, McCarthy J. et al. Scabies: molecular perspectives and therapeutic implications in the face of emerging drug resistance. Fut Microbiol 2008; 3: 57-66
  • 5 Sunderkötter C, Feldmeier H, Fölster-Holst R. et al. S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Skabies. J Dtsch Dermatol Ges 2016; 14: 818-26
  • 6 Usha V, Gopalakrishnan Nair TV. A comparative study of oral ivermectin and topical permethrin cream in the treatment of scabies. J Am Acad Dermatol 2000; 42: 236-240

Korrespondenzadresse

Dr. med. Andreas Montag
Praxis für Dermatologie und Venerologie
Schweriner Str. 17
22143 Hamburg

  • Literatur

  • 1 Vorou R, Remoudaki HD, Matezou HC. Nosocomial scabies. J Hosp Infect 2007; 65: 9-14
  • 2 Kar SK, Mania J, Patnaik S. The use of ivermectin for scabies. Natl Med J India 1994; 7: 15-6
  • 3 Currie BJ, Harumal P, McKinnon M. et al. First documentation of in vivo and in vitro Ivermectin resistance in Sarcoptes scabiei. Clin Inf Dis 2004; 39: 8-12
  • 4 Mounsey KE, Holt DC, McCarthy J. et al. Scabies: molecular perspectives and therapeutic implications in the face of emerging drug resistance. Fut Microbiol 2008; 3: 57-66
  • 5 Sunderkötter C, Feldmeier H, Fölster-Holst R. et al. S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Skabies. J Dtsch Dermatol Ges 2016; 14: 818-26
  • 6 Usha V, Gopalakrishnan Nair TV. A comparative study of oral ivermectin and topical permethrin cream in the treatment of scabies. J Am Acad Dermatol 2000; 42: 236-240