Z Gastroenterol 2017; 55(07): 703-704
DOI: 10.1055/s-0043-113327
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Hygiene – koste es was es wolle!

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Publication Date:
14 July 2017 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

niemand von uns wird bestreiten, dass Hygiene in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Arztpraxen nötig ist. Das gilt erst recht für unsere gastroenterologischen Praxen, in denen wir mit schwierig zu reinigenden Geräten invasiv tätig sind, und das in hoch unsterilen Körperhöhlen. Wir haben deshalb unsere Praxen nicht nur mit teuren Endoskopen, sondern auch mit teuren Einrichtungen zur Wiederaufbereitung von Endoskopen und anderen Medizinprodukten ausgerüstet: Desinfektionswannen, Ultraschallreinigern, Autoklaven, Desinfektionsautomaten und RDG-E, Wasseraufbereitung mit Entsalzung und Produktion von VE-Wasser und ähnlichem. Wir kontrollieren und dokumentieren und werden von externen Einrichtungen und Behörden kontrolliert.

Obwohl Infektionen im Rahmen von endoskopischen Eingriffen nur sehr selten nachgewiesen wurden und – im Gegensatz zum stationären Bereich – eine Gefährdung durch nosokomiale Infektionen in gastroenterologischen Praxen nicht gegeben ist, steigen die hygienischen Anforderungen von Jahr zu Jahr. Zwar darf z. B. der Patient unmittelbar vor der Magenspiegelung noch ein Glas Leitungswasser trinken, sobald das Endoskop eingeführt ist, darf aber nur noch steriles Wasser in den Magen. Im Restaurant genügt es, wenn Gläser und Tassen gut gespült werden, unsere Beißringe bei der ÖGD müssen sterilisiert oder als Einmalprodukte angeboten werden, unsere Endoskope selbstverständlich keimfrei sein. Unsere Mitarbeiter/-innen haben Sachkundekurse oder Weiterbildungen zur Hygienefachkraft absolvieren müssen. Die Zahl der Vorschriften und Gesetze ist groß: IfSG, MPG, MPBetreibV, RKI-Richtlinien, MedHygVO oder HygMedVO der Länder, Koloskopievereinbarung der KBV und DIN-Normen.

Wer meint, damit wäre nun das Ende des Notwendigen nicht nur erreicht, sondern bereits überschritten, irrt. Die Anforderungen steigen weiter. Was machbar ist, wird früher oder später als Standard über uns ausgerollt, koste es was es wolle. Und den Gesetzgeber bzw. die überwachenden Behörden interessiert es anscheinend überhaupt nicht, ob der immer weiter angehobene Standard sinnvoll oder bezahlbar ist. Von wem er bezahlt wird, wird in keiner Weise thematisiert. Drei aktuelle Beispiele:

1. Wie viel Restprotein darf aus hygienischer Sicht in einem Endoskopkanal nach der Reinigung verbleiben? Dazu gibt es keine Untersuchungen, für das Originalendoskop auch keine wirklich validierten Messmethoden. Es wird prinzipiell angenommen, dass Restproteine infektiösen Agenzien entsprechen könnten oder zumindest auf deren mögliche Anwesenheit hindeuten (z. B. Prionen oder Viren) und die Desinfektion durch Restproteine gestört wird. Da es keine weiteren Kenntnisse dazu gibt, hatte man zunächst für die Test-Dummies (zwei Meter Teflonschlauch mit Schafsblut) einen Grenzwert festgelegt und zwar 800 µg. Inzwischen ist aber die Technik der RDG-E so gut, dass dieser Grenzwert bei Routinekontrollen in der Regel weit unterschritten wurde. Konsequenz: Der zulässige Grenzwert wurde auf 100 µg gesenkt. Nicht weil 800 µg nachweislich unsicher sind, sondern weil 100 µg technisch machbar sind. Ob das zu einer Verminderung der Infektionen durch Endoskope beiträgt oder nicht – ich will das nicht bestreiten, aber dazu gibt es überhaupt keine Daten.

2. Medizinprodukte der Gruppe „kritisch B“, zu denen PE-Zangen und HF-Schlingen gehören, erfordern nach der RKI-Richtlinie von 2012 bei der Aufbereitung eine besondere Sorgfalt. Das RKI führt deshalb aus: „Zur Desinfektion des Zusatzinstrumentariums ist einem thermischen Verfahren wegen der zuverlässigeren Wirksamkeit gegenüber chemischen oder chemothermischen Verfahren der Vorzug zu geben“. Aus dieser Formulierung ist ganz offensichtlich nicht ableitbar, dass chemische und chemothermische Verfahren unzulässig sind. Vielmehr ist in der RKI-Richtlinie in Anhang 2 ein Verfahren zur manuellen Aufbereitung inkl. chemischer Desinfektion dargestellt.

Der RKI-Richtlinie entsprechend müssen nach DIN 17 664 von den Medizinproduktherstellern validierte Aufbereitungsverfahren angegeben werden. Auch das Bundessozialgericht hat 2012 die Finanzierung von Einmalschlingen u. a. mit der Begründung abgelehnt, dass die Verwendung von wiederaufbereitbaren Schlingen offensichtlich hygienisch unbedenklich ist. Trotzdem wird bei Begehungen von Arztpraxen durch Behörden immer häufiger die Verwendung von wiederaufbereitbaren PE-Zangen und anderen Zusatzmaterialien abgelehnt, wenn kein maschinelles, thermisches Desinfektionsverfahren vorhanden ist, was die Anschaffung eines RDG zusätzlich zum RDG-E erforderlich machen würde. Fehlende Herstellerangaben zu einer validierten maschinellen Wiederaufbereitung machen dann dennoch in den meisten Fällen eine Wiederaufbereitung unmöglich, da diese DIN-gerecht nach Herstellerangaben erfolgen muss. Wer die Mehrkosten bezahlt oder wer die Kosten für entsprechende Einmalmaterialien trägt, interessiert die Behörden nicht.

3. Nach dem IfSG ist in Einrichtungen des ambulanten Operierens ein hygienebeauftragter Arzt zu bestellen. Was aber ist eine „Einrichtung des ambulanten Operierens“? In NRW hat man – nach unserer Auffassung völlig sachfremd – ganz einfach den Abrechnungskatalog nach § 115b SGB V (AOP-Leistungen) herangezogen, was dazu führt, dass alle Einrichtungen, in denen (kurative) Koloskopien durchgeführt werden, zu den „Einrichtungen des ambulanten Operierens“ zu rechnen sind. Nach der HygMedVO NRW kann man dabei auch nicht auf externe Ärzte zurückgreifen, sondern der Arzt muss in der Einrichtung selbst tätig sein. Der Aufwand für die Praxisinhaber, eine entsprechende Fortbildung durchzuführen, ist erheblich. Die Kosten hat selbstverständlich die Praxis selbst zu tragen. Zum Glück scheint es hier nach einer Intervention des bng möglich zu sein, dass eine gesetzliche Klärung in dem Sinne herbeigeführt wird, dass bundesweit eine andere, sachgerechte Regelung unabhängig vom AOP-Katalog nach § 115b im parlamentarischen Prozess angestrebt wird.

Ich habe nur drei Beispiele angeführt, die zeigen, wie die Anforderungen in der Hygiene – übrigens meist unabhängig von der wissenschaftlichen Erkenntnis – immer höhergeschraubt werden, ohne dass tatsächlich erkennbar ist, dass dazu ein Handlungsbedarf besteht. Wo führt das hin? Was kann und was will sich unsere Gesellschaft auf dem Gebiet der Hygiene leisten? Wir könnten – um ein Extrem zu nennen – auch „Einmalendoskope“ verwenden, aber will oder wird das jemand bezahlen? Wer ruft endlich mal laut „Halt!“? Wer erkennt wenigstens an, dass steigende Anforderungen auch zu steigenden Kosten führen, die nicht an der Praxis hängen bleiben dürfen, sondern von den Kostenträgern zu tragen sind?

Bei der Frage der Verwendung von wiederaufbereitbarem Endoskopiezubehör im Vergleich zur Umstellung auf Einmalprodukte sind wir – so unsere Einschätzung – tatsächlich an einer kritischen Stelle angelangt. Der bng wird hier eine breite Diskussion über Kosten und Nutzen führen müssen.

Dr. Franz Josef Heil (bng-Vorstand)