Einleitung
Das Lymphödem ist eine chronische, entzündliche Erkrankung des Interstitiums, die
durch angeborene (primäres Lymphödem – selten und meist genetisch bedingt) oder erworbene
(sekundäres Lymphödem) Schädigung des Lymphdrainagesystems entstanden ist.
Die Beurteilung erfolgt nach 4 klinischen Stadien – Stadium 0 (Latenzstadium), Stadium
I (spontan reversibel), Stadium II (spontan nicht reversibel) und Stadium III (deformierend)
[1].
Das sekundäre Lymphödem entwickelt sich v. a. bei krankhaft fettleibigen Personen.
Die zugrunde liegende Pathophysiologie ist eine lymphatische Strömungsstörung, die
auf die massive Menge an Fettgewebe zurückzuführen ist [2]. Lymphatische Störungen durch frühere chirurgische Eingriffe und damit verbundenen
Verwachsungen oder Traumen werden als mögliche Ursachen diskutiert [2]. Eine Raumforderung, durch die sich eine Lymphstauung ausbilden kann, soll auch
in Betracht gezogen werden. Die Diagnose eines Lymphödems wird üblicherweise mittels
Anamnese, Inspektion und Palpation gestellt, wird aber oft durch mangelhafte Wahrnehmung
unterschätzt und unterdiagnostiziert. Die diagnostischen Maßnahmen sollen zum einen
dem Nachweis der Schädigung des Lymphdrainagesystems, zum anderen der Erfassung der
Ödem-aggravierenden Erkrankungen dienen [3].
Unter physiologischen Bedingungen herrscht ein Gleichgewicht zwischen der durch die
Blutgefäßwände hindurch filtrierten Flüssigkeit in das Interstitium und deren Abtransport
aus dem Interstitium. Ein insuffizient gewordenes Lymphdrainagesystem führt zur konsekutiven
Vermehrung und Veränderung der interstitiellen Gewebsflüssigkeit. Im weiteren Verlauf
ist die Erkrankung durch eine Alteration von Geweben gekennzeichnet, unabhängig von
ihrer anatomischen Lokalisation [4]. Die darüber liegende Haut zeigt in der Regel Verhärtungen und einen „Peau d’orange“-Aspekt,
die dermale Schicht zeigt Stasis. Die Haut stellt sich trophisch vor, einhergehend
mit einer Zunahme von Bindegewebe (Fibrose, Sklerose) und Fettgewebe sowie Veränderungen
in der Zusammensetzung der extrazellulären Matrix (Kollagen-Typen, Elastin, Glykosaminoglykane
wie z. B. Hyaluronsäure) [5]. Gutartige Überwucherung von Weichgewebe, das histologisch durch chronische lymphödematöse
Veränderungen charakterisiert ist, wurde zuerst in der chirurgischen Literatur beschrieben
[6]. Das Lymphödem kann klinisch ein gut differenziertes Liposarkom, andere lipogene
Tumore oder sogar eine Acne inversa nachahmen, sodass Fehler in der Diagnose und Therapie
entstehen können.
Die Hidradenitis suppurativa/Acne inversa ist eine häufige, multifaktorielle, chronisch
entzündliche Erkrankung an den Terminalfollikeln von Hautumschlagsfalten [7]. Sie manifestiert sich mit schmerzhaften, tief lokalisierten, entzündlichen Hautläsionen
und Fistelgängen, die am häufigsten an den Axillen sowie der Inguinal- und Anogenitalregion
auftreten. Die Erkrankung kann zu ausgeprägten Vernarbungen und Behinderung führen
und ist mit einer sehr hohen Krankheitslast verbunden [8]. Die bekanntesten Risikofaktoren sind in erster Linie Adipositas und Rauchen. Bei
fortgeschrittenen Krankheitsbildern ist als einzig kurative Maßnahme die frühestmögliche
chirurgische Intervention anzusehen mit großzügiger en-bloc-Resektion der betroffenen
Areale [9].
Kasuistik
Die stationäre Einweisung einer 48-jährigen adipösen Patientin (BMI 51) erfolgte zur
chirurgischen Therapie einer seit ca. 20 Jahren bestehenden und bis dahin erfolglos
ambulant topisch als Acne inversa behandelten Hauterkrankung inguinal, am Mons pubis
und an der rechten Labie. Seit ca. 2 Jahren zeigten sich die Schwellungen im Bereich
des M. pubis sowie der Labien deutlich progredient. Eine frühere Acne conglobata sowie
axilläre und sakrale Beschwerden wurden nicht angegeben. Die Patientin ist seit über
10 Jahren Nichtraucherin und nimmt keine hormonellen Antikonzeptiva. Nebenbefundlich
gibt die Patientin eine chronische Obstipation seit ca. 2 Jahren sowie oft auftretende
Bauchschmerzen an. Die Patientin ist durch die jahrelang enttäuschende Therapie ihrer
als Acne inversa angesprochenen Hauterkrankung psychisch sehr belastet.
Bei der klinischen Untersuchung fiel im Bereich der Leisten ein ausgeprägtes Erythem,
teils schmierig belegt, im Sinne einer Intertrigo auf. Im Abstrich fand sich hier
Wachstum von Escherichia coli, Proteus mirabilis und Enterococcus faecalis. Am Mons
pubis imponierte ein umschriebenes, bereits bindegewebig organisiertes Ödem. Es zeigten
sich ausgeprägte schmerzlose Verdickungen von Dermis und subkutanem Fettgewebe sowie
eine verruciforme Epidermishyperplasie und zum Teil Hyperpigmentierungen. Die Porenstruktur
zeigte sich deutlich vergrößert mit einigen narbig imponierenden Arealen, die zu einer
abheilenden Acne inversa klinisch passen könnten ([Abb. 1]). Es fehlten die für Acne inversa typischen schmerzhaften fluktuierenden Abszesse
und tief eingesunkenen Narben. Beim näheren Betrachten fanden sich auch keine eingesunkenen
oder fuchsbauartigen Komedonen. Zusätzlich zeigte sich ein deutlich hypertropher Genitalbereich,
v. a. rechtsseitig, ohne Lymphödem der Beine. Ein Diabetes mellitus konnte ausgeschlossen
werden.
Abb. 1 Adipöse Patientin mit schmerzlosen Verdickungen der Dermis: vergrößerte Porenstruktur
mit narbig imponierten Arealen.
Bei einem für eine Acne inversa eher untypischen Befund haben wir zunächst auf die
initial geplante chirurgische Versorgung verzichtet. Es erfolgte weiterführende Diagnostik
zur Abklärung der möglichen Ursachen für das neben der ausgeprägten Adipositas bestehende
Lymphödem. In der Abdomensonografie wurde der Verdacht auf eine abdominelle Raumforderung
geäußert. Zur weiteren Abklärung dieses Befunds wurde eine Computertomografie des
Abdomens mit Kontrastmittel durchgeführt. Bei dieser Untersuchung stellte sich ein
monströser, fetthaltiger Tumor (26 × 16 × 16 cm) mit Binnenverkalkungen dar, welcher
von retro- nach intraperitoneal bis in das kleine Becken reichte ([Abb. 2]). Eindeutig war die Ummauerung des Duodenums, der proximalen Jejunumschlinge, des
Colon descendes sowie die Verdrängung der unteren jejunalen und ilealen Dünndarmschlingen.
Die Bauchwand wurde von ventrolateral erreicht. Differenzialdiagnostisch wurde neben
einer lymphangiomatösen Raumforderung ein Pseudomyxoma peritonei in Betracht gezogen.
Es wurden keine Hinweise auf sekundäre Malignitätszeichen gefunden. Bildmorphologisch
stellte sich ein ausgedehntes, kutan bis subkutan reichendes Ödem kaudal der Symphysis
pubis und im Bereich des Mons pubis dar. Es erfolgte eine chirurgische Vorstellung
zur weiteren Therapie der abdominellen Raumforderung. Dieser Tumor konnte sowohl das
ausgeprägte Lymphödem als auch die be-stehende Symptomatik mit Bauchschmerzen und
chronischer Obstipation erklären. Zur weiteren Diagnostik und Therapie des Tumors
wurde die Patienten in die Viszeralchirurgie verlegt, die Intertrigo inguinal behandelten
wir topisch mit Ciclopirox.
Abb. 2 CT-Abdomen (axial und koronar) mit Darstellung eines monströsen, fetthaltigen Tumors
sowie Darstellung des ausgeprägten Lymphödems am Mons pubis.
Diskussion
Die Adipositas ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung eines sekundären
Lymphödems, vermutlich aufgrund einer mechanischen Behinderung des Lymphtransports
[10]. Als Berechnungsgrundlage der Adipositas dient der Body-Mass-Index (BMI). Aber auch
weitere Ursachen sollten bei der Feststellung der Diagnose Lymphödem in Betracht gezogen
werden. Eine Basisdiagnostik mittels Anamnese, Inspektion und Palpation ist notwendig
[11].
Bei der Inspektion muss die Haut sorgfältig beurteilt werden. Dabei sollte auf trophische
Störungen, Farbe sowie vergröberte Hauttextur, ektatische Hautlymphgefäße, Lymphzysten,
Hyperkeratose, Papillomatosis cutis lymphostatica, Syndaktylie, Pilzbefall, Hautmazeration,
venös bedingte Veränderungen und auf potenziell maligne, mit Lymphödemen vergesellschaftete
Hautveränderungen geachtet werden [12].
Bei der Palpation wird die Dellenbildung bei Palpation und die Abhebbarkeit der Haut
geprüft [13].
Ätiologisch unterscheidet man das primäre vom sekundären Lymphödem. Die Basisdiagnostik
kann Hinweise auf komplexe Fehlbildungssyndrome liefern. Beim sekundären Lymphödem
muss zwischen onkologisch oder anderweitig bedingt unterschieden werden.
Tumorbedingtes sekundäres Lymphödem entwickelt sich nach einer Störung des lymphatischen
Systems durch direkte Invasion eines Tumors, Metastasen oder Behandlungen wie Operationen
oder Bestrahlungen [14]. Allerdings ist das chronische Lymphödem, das mit einer Störung des lymphatischen
Systems verbunden ist, eine verwirrende und schlecht verstandene klinische Einheit
[15]. Oft zeigt sich lokal auf der betroffenen Haut eine Entzündung mit Erythem und Ausfluss
seröser Flüssigkeit [16].
Wir berichteten über den Fall einer jahrelangen, für die Patientin als sehr enttäuschend
und psychisch belastend empfundenen Therapie einer als Acne inversa fehlgedeuteten
Erkrankung. Bei der näheren klinischen Betrachtung stellte sich der Befund als sekundäres
Lymphödem dar. Wir suchten nach den Ursachen für diese Lymphstauung und konnten dabei
eine monströse Tumorformation intraabdominal feststellen.
So konnte durch die Diagnose eines Lymphödems mittels Anamnese und detaillierter klinischer
Untersuchung und eine anschließende zielgerichtete Therapie eine Folgeerkrankung verhindert
werden. Die Zytologie von einer Punktion des Tumors ergab die Diagnose einer mesenterialen
Chyluszyste.
Ergänzung bei Drucklegung
Ergänzung bei Drucklegung
Im Dünndarmteilresektat fand sich histologisch eine multifokale, hochgradig regressiv
veränderte Lymphangimatose ohne Malignitätskriterien. Immunhistologisch Koexpression
von CD34 und D2-40 und schwach von CD31. Die Proliferationsrate (MIB-1) war < 1 %.