Aktuelle Dermatologie 2017; 43(08/09): 361-365
DOI: 10.1055/s-0043-113495
Von den Wurzeln unseres Fachs
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Gesundheitssysteme im nachkolonialen Afrika als Spiegel der sozialpolitischen Situation[*]

The Health Services in the Postcolonial Africa as a Reflection of the Socio-Political Situation
F. Bofinger
Hautarzt- und Psychotherapie-Praxis, Burghausen
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Friedrich Bofinger
Hautarzt- und Psychotherapie-Praxis
Berliner Platz 1, 84489 Burghausen

Publication History

Publication Date:
31 August 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Die ärztliche Tätigkeit in Subsahara-Afrika ist eine tropenmedizinische Herausforderung und stellt erhöhte Ansprüche an die physischen und psychischen Fähigkeiten des Teams. Dazu gehören auch Kenntnisse über die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse dieses Kontinents, besonders vor dem Hintergrund der kolonialen Vergangenheit der europäischen Mächte in Afrika.

Angesichts der Statistiken zu Krankheit, Tod und unzureichender Patientenversorgung in Afrika bekommen Fragen zum Gesundheitswesen zwangsläufig politische Dimensionen.

Ein kurzer Abriss über die Geschichte und die sozioökonomischen Zustände in Subsahara-Afrika soll diese Zusammenhänge erläutern.


#

Abstract

Medical work in sub-Saharan Africa is a tropical medical challenge, placing elevated demands on the team’s physical and psychological abilities, including knowledge on the political, economic and social conditions of this continent, especially against the background of the colonial past of European powers in Africa.

In view of the statistics on illness, death and insufficient patient care in Africa, questions on health care inevitably take on political dimensions. A short outline of the history and socio-economic conditions in sub-Saharan Africa illustrates these connections.


#

Abriss der kolonialen und postkolonialen Geschichte Subsahara-Afrikas

Wir kennen Afrika als Wiege der Menschheit, als Kontinent der Vielfalt, des Abenteuers und Reichtums, als Brutstätte gefährlicher Krankheiten und seit geraumer Zeit auch als Brutstätte des internationalen Terrorismus mit Konsequenzen für die Menschen in Afrika, für die Politik und für die ärztliche Sprechstunde hierzulande.

Persönlich sammelte ich meine ersten Erfahrungen in Subsahara-Afrika während eines Aufenthalts in Benin-City in Nigeria. Ich sah Reichtum wie aus 1001 Nacht, aber auch die bekannten Probleme in Gestalt von Armut, Krankheit und täglichem Überlebenskampf, jedoch in einem unerwartet hohen Ausmaß. Erklärungen dazu kann die afrikanische Geschichte seit der Kolonisierung geben, die ich mithilfe einiger Eckpunkte skizziere.

Im 19. Jahrhundert stammten die Kenntnisse über Subsahara-Afrika von Reisenden, die schwierige Hindernisse vor Ort überwinden mussten; es waren unter anderem fieberhafte Erkrankungen, die zur Einnahme von Medikamenten zwangen, der häufige und suchtartige Drogenkonsum, Sprachbarrieren und Abhängigkeiten von Dolmetschern.

Der Anthropologe Johannes Fabian beschrieb nach Prüfung vieler Reiseberichte die Forscher auch als wahnhaft. Sie konnten infolge ihrer selektiven Wahrnehmung, ihres Rassismus’ und aufgrund der Forschungsziele nur die Topografie beschreiben; die politischen und kulturellen Verhältnisse fanden kaum Beachtung [1].

Heute hat Afrika ca. 1,2 Milliarden Einwohner; zu Subsahara-Afrika zählen 49 der 54 afrikanischen Staaten mit über 900 Millionen Menschen. Die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation ist gerade in den rohstoffreichen Ländern, unter anderem im Kongo, in Somalia, im Sudan, im Südsudan, in Mali oder in der Zentralafrikanischen Republik gekennzeichnet von Terror oder staatlichem Zerfall; es mangelt an öffentlicher Sicherheit und an Kapazitäten für Dienstleistungen, etwa in der Bildung und der Krankenversorgung. Der enorme Reichtum an Öl, Gas und vielen anderen Bodenschätzen bringt vielen Ländern dieses Kontinents einerseits hohe Einnahmen, andererseits fehlen Anreize oder Notwendigkeiten in andere Industriezweige zu investieren, mit weit reichenden Konsequenzen für einen großen Teil der Bevölkerung und deren kaum gesichertes Überleben. Dieser Gegensatz begünstigt die Misswirtschaft und ist bis heute mitverantwortlich für viele Problemfelder, wie z. B. die „K-Themen“: Konflikte, Krisen, Kriminalität, Korruption, Krankheiten, Katastrophen und Kapitalflucht [2]. Der verbreitete Eindruck von Subasahara-Afrika als einem rechtsfreien, gefährlichen und von Krankheiten wimmelndem Kontinent droht auf Dauer real zu werden, mit den bereits bekannten Folgen, besonders für Europa.

Der Politologe Rainer Tetzlaff sieht dieses Paradoxon, man spricht auch vom Ressourcenfluch, in endogenen, exogenen und strukturellen Verursachungsfaktoren begründet. Diese Einteilung ist eine Möglichkeit, politische Verantwortlichkeiten für begangenes Unrecht und für zu überwindende Missstände zu benennen und Handlungsspielräume auszuloten.

Die endogenen Faktoren betreffen alle politischen Entscheidungen, die im Lande selbst von den Verantwortlichen getroffen werden. In den Umbruchsgesellschaften des postkolonialen Afrika waren die Verhältnisse nicht zuletzt geprägt von den Charaktereigeschaften bekannter politischer Leute, wie etwa Julius Nyerere in Tansania oder Nelson Mandela in Südafrika. Idi Amin in Uganda und Jean Bokassa in der Zentralafrikanischen Republik waren jedoch grausame despotische Negativbeispiele an der Spitze klientelausgerichteter Patronagenetzwerke [3].

Während des Kalten Krieges konnten die politischen Eliten Afrikas mit streng antikommunistischem Auftreten den Systemgegensatz ausnutzen. In diesem Fahrwasser hatten sie trotz Menschrechtsverletzungen, Diktatur, Korruption und ökonomischer Misswirtschaft wenig Gegenwind vom politischen Westen zu befürchten.

Nach dem Ende der Blockkonfrontation bleibt es bis heute schwierig, die damals gerufenen Geister los zu werden. Informelle Netzwerke und persönliche Beziehungen behindern erforderliche Reformen. Dazu kommen tradierte Eigenschaften und Sitten, die politische und ökonomische Entwicklungen nach westlichen Ideen bremsen. In den Gesellschaften der ehemaligen Kolonien verpflichtet ökonomischer Erfolg vielerorts dazu, den individuellen Reichtum oder Ersparnisse im familiären und ethnischen Umfeld zu verteilen [4]. Dieses Verhalten entspricht dem Gegenteil von produktiver Kapitalakkumulation und lässt sich kaum mit nachhaltigen Entwicklungen nach westlichem Muster in Einklang bringen. Es sind diese wirtschaftlichen und sozialethischen Realitäten, die eine Auffassung von Arbeit in Subsahara-Afrika bedingen, die die wohlhabende (aufgeklärte) Welt nicht mehr versteht. Vielleicht ist in diesem Verhalten auch ein unbeabsichtigter Widerstand gegen die Kolonisierung und die Abhängigkeit von den reichen Ländern erkennbar. Aus dieser Perspektive ergeben manche verblüffende Hinweise in Richtung Europa einen unerwarteten Sinn, wie z. B. „Früher habt ihr uns im Zeichen des Kreuzes missioniert, heute im Namen der Demokratie“ [5], und, so könnte man ergänzen, immer mit apostolischem Furor oder etwa hinter vorgehaltener Hand angesichts der neoliberalen Strukturanpassungspolitik: „You pretend to help us and we pretend to develop“ [6].

Exogene Faktoren [7] beziehen sich auf alle von außen kommenden politischen und wirtschaftlichen Einflüsse, auf die die afrikanischen Länder keine Kontrolle haben. Bereits die weitgehend willkürlichen Grenzziehungen der europäischen Kolonisatoren führten zur „Balkanisierung“ [8], d. h. zur Zersplitterung Afrikas und zum Untergang gewachsener Strukturen.

Die Weltmarktpreise bestimmen das Leben in Subsahara-Afrika mehr als in den weniger strukturell abhängigen Ländern Asiens und Südamerikas. Die Afrikaner müssen sich mit Banken, Rechtsüberzeugungen und Werten im Sinne eines „structural adjustments“ auseinandersetzen, die von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond vorgegeben werden und zu viel Leid und Unverständnis auf Seiten derer stoßen, die dazu genötigt werden [9].

Dazu kommen die vielschichtigen Auswirkungen des transatlantischen Sklavenhandels der Europäer und der Araber über die Sahara und in Ostafrika. Der nigerianische Nobelpreisträger Wole Soyinka schreibt: „Kulturelle und spirituelle Vergewaltigung ... haben unauslöschlich Spuren in der kollektiven Psyche und dem Identitätsempfinden der Völker hinterlassen, ein Prozess, der durch die aufeinander folgenden Wellen kolonisierender Horden praktiziert wurde, die die zusammenhängenden Traditionen brutal unterdrückten.“

Der aus Burkina Faso stammende Historiker Joseph Ki-Zerbo sagt zum selben Thema: „Schließlich ließ der Sklavenhandel den Krieg und die Gewalttätigkeit zwischen den Volksstämmen und in ihnen zum chronischen Zustand werden. Und dieser Krieg vollzog sich von nun an mit vernichtenden Mitteln. Der Sklavenhandel zog bei vielen Afrikanern moralische und ideologische Traumata nach sich.“

Der transatlantische Sklavenhandel als größte erzwungene Völkerwanderung der Geschichte raubte ca. 29 Millionen Menschen und ähnlich viele kamen bei der Jagd auf sie, beim Tranport und durch Suizid ums Leben ([Abb. 1]).

Zoom Image
Abb. 1 Flugblatt für eine Sklavenauktion aus dem Jahre 1769 [19].

Der Menschenhandel verstärkte die schon vorhandene Rückständigkeit und verursachte einen epochalen Umbruch in der Geschichte Afrikas, moralisch und emotional; er untergrub die kollektive Identität der Menschen als Teil einer kosmischen Gemeinschaft, in der sich die Lebenden als tragende Brücke zwischen den Ahnen und den kommenden Generationen verstanden hatten. In diesem Licht können viele kriegerische Auseinandersetzungen in Subsahara-Afrika auch als hilflose Versuche der Wiederherstellung präkolonialer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zusammenhänge gesehen werden [10] ([Abb. 2]).

Zoom Image
Abb. 2 Titelblatt der Preisschrift „Wie erzieht man am besten den Neger zur Plantagenarbeit“, 1886 [19].

Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Begriffe „Brain Drain und Brain Gain“, die Afrika in Atem halten; es geht um die Abwanderung qualifizierter Fachleute mit schmerzhaftem Aderlass für die Herkunftsländer und gleichzeitig kostengünstiger Kompensation möglicher Engpässe in den wohlhabenden Ländern [11].

Eine weitere Facette der kolonialen Erbschaft ist aktuell die schwierige politische und finanzielle Aufarbeitung des Völkermordes deutscher Kolonialtruppen an den Herero in Südwestafrika von 1904 bis 1908, wie die schleppenden Verhandlungen zwischen den Vertretern der deutschen Regierung und den Herero zeigen [12].

Zu den strukturellen Faktoren nach Tetzlaff als Ursachen für die bedenklichen Entwicklungen in Afrika zählen kaum zu beeinflussende Vorgaben wie z. B. das Klima, die Geografie, die Marktferne, die Größe des Landes, hohe Transportkosten und besonders die tropischen Krankheiten, die nach wie vor die Stabilität vieler afrikanischer Gesellschaften angreifen.


#

Gesundheitssysteme und Krankenbehandlung in Subsahara-Afrika

Im vorkolonialen Afrika waren Heilung und Gesundheit mit den gesellschaftlichen, politischen und religiösen Ordnungen verknüpft. In Nordost-Tansania z. B. waren es Chiefs, Heiler und lokale Patriarchen, die verantwortlich waren für den Erhalt des gemeinschaftlichen Wohlbefindens.

Die Heilunsordnungen, z. B. der Schamanen, waren und sind holistisch angelegt, für Innovationen offen aber nicht frei von Machtinteressen; bei den Schamanen ist der Mensch Teil des Kosmos und die Wechselbeziehung zwischen ihm und den Mitgeschöpfen steht im Mittelpunkt des Interesses. Die Schulmedizin jedoch war und ist geprägt vom Kartesianischen Paradigma; es hob das Zusammenwirken von Geist und Körper auf und stellte stattdessen biologisch-physiologische Kausalverknüpfungen in den Vordergrund. Bis heute tut sich die Schulmedizin mit dem in Afrika weit verbreiteten Begriff des Schicksals, der biologische und religiöse Aspekte des Weltbilds intergriert, schwer. Natürlich ist die Reduktion der Sicht menschlicher Existenz nicht ohne Konsequenzen für die Versorgung von Patienten in Afrika, da das traditionelle Medizinsystem Teil der Kultur ist und das sogenannte Laienverständnis prägt.

Die Gesellschafts- und Heilungsordnungen Afrikas wurden nachhaltig auf die Probe gestellt durch Krankheiten, die von Kolonisatoren eingeschleppt worden waren. Der Historiker Steven Feierman beschreibt Veränderungen, die die kolonialen Ordnungen mit sich brachten, indem sie besonders in Ostafrika zur epidemischen Ausbreitung von Krankheiten mit hohen Verlusten an Menschen infolge von Arbeitsmigration, Urbanisierung, des Baus von Straßen und Schienen sowie der Bewegung von Armeeeinheiten führten. Tragisch waren Epidemien wie die Schlafkrankheit und die Spanische Grippe, die in Afrika 2,5 bis 3 Millionen Menschenleben forderten. Dazu kam am Ende des 19. Jahrhunderts die von italienischen Truppen eingeschleppte Rinderpest, die bis zu 90 % der Rinderbestände vernichtete.

Westliche Medizin kam mit der Kolonisierung zur Behandlung eigener Soldaten und der Siedler nach Afrika, später für deren Arbeiter und nach dem Ersten Weltkrieg allmählich für die Bevölkerung. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen nach und nach präventivmedizinische Maßnahmen dazu in Form von Impfungen gegen Pocken und Gelbfieber und Massenbehandlungen bei der Schlafkrankheit.

Die koloniale Biomedizin betonte die Unterschiede zwischen den Kolonialherren und den Afrikanern hinsichtlich Rasse, Sexualität und Kultur; jegliche Überwindung der Rassenschranken im Alltag wurde oft als potentiell krankmachend eingestuft.

Weitere Aufgabenfelder der Kolonialmedizin waren die Erforschung tropischer Krankheiten und der Schutz der Europäer in den schnell wachsenden Städten vor Durchfallerkrankungen mittels gefiltertem Wasser.

Ein Umdenken bezüglich einer kurativen Versorgung der gesamten Bevölkerung begann nach dem Zweiten Weltkrieg. In Nairobi erhielten kenianische Soldaten, die für die Briten gekämpft hatten, Gegenleistungen in Form von Behandlungen mit Penicillin bei Syphilis [13].

(In Deutschland war es Rudolf Virchow, der auf den Zusammenhang zwischen Krankheit und sozialen Missständen schon 1848 hingewiesen hatte. Als politisch engagierter Arzt erlebte er „Politik ist weiter nichts als Medizin im Großen“ [14]. Der Medizinhistoriker Hans Schadewaldt betont zum Selbstbild des Arztes, dass das hehre Bild vom neutralen Arzt, dem Medicus neuter, nicht nur in dieser revolutionären deutschen Epoche ein geschichtlicher Mythos sei [15]).

Die Missionsmedizin etablierte sich im 19. Jahrhundert früher als die Kolonialmedizin und griff von Beginn an in die Lebenswelten der afrikanischen Gesellschaft ein. Zusammen mit den Bildungseinrichtungen der Missionskirchen wurde auf eine nachhaltige Veränderung sozialer und kultureller Lebenszusammenhänge mittels intensiver Christianisierung abgezielt [13].

Zu Beginn der 1960er-Jahre, kurz vor der Unabhängigkeit, gab es in den meisten afrikanischen Ländern ein funktionierendes Seuchenkontrollwesen und rudimentäre Zugangsmöglichkeiten für eine Behandlung in Krankenhäusern und Ambulanzen.

Allerdings übernahmen die jungen unabhängigen Staaten eher kritiklos das von den Kolonialmächten hinterlassene Modell der Gesundheitsversorgung. Die neuen Eliten, oft im westlichen Ausland ausgbildet, förderten den Bau von Gesundheitsstationen, Krankenhäusern und Ausbildungsinstitutionen westlichen Typs. Ausbildungsgänge, die zuvor von den Kolonialverwaltungen ohne Vorbild im Westen eingeführt worden waren, wurden sogar abgeschafft, wie z. B. die dreijährige Kurzausbildung von Medecins Africains in Dakar [16].

Die postkolonialen Gesundheitssysteme konnten zunächst meist kostenfrei von der Bevölkerung in Anspruch genommen werden. Problematisch wurde in der Folgezeit die zunehmende Überlastung durch die steigende Nachfrage nach moderner medizinischer Versorgung. Die kurativen Dienste konzentrierten sich wie in der Kolonialzeit auf die Städte und konnten nur 15 bis 20 % der Bevölkerung erreichen. Parallel dazu stiegen die Regierungsausgaben für Personal auf bis zu 80 % der Gesamtausgaben einzelner Gesundheitssysteme.

Die Gesundheitssituation verschlechterte sich insgesamt nicht nur auf dem Land, sondern auch in den schnell wachsenden Städten.

Abhilfe sollte die Entwicklung der sogenannten Primary Health Care der WHO schaffen. Im Fokus standen präventive Gesundheitsangebote, die Bekämpfung lokal vorherrschender Krankheiten und eine Basisgesundheitsversorgung. Dazu wurden Gesundheitskomitees auf Dorf- und Bezirksebene eingerichtet, die die Ausbildung von Gesundheitshelfern und Hebammen forcierten und die Rolle der traditionellen Medizin neu interpretierten.

Die Primary Health Care konnte die Versorgung nur vorübergehend verbessern. Anfang der 80er-Jahre mussten viele afrikanische Länder Kredite aufnehmen wegen wachsender Verschuldung, anhaltender Trockenzeiten, der internationalen Öl- und Wirtschaftkrise und des Verfalls der globalen Preise für Kaffee, Tee und Baumwolle. Diese Finanzhilfen waren an Strukturanpassunsprogramme gebunden, die auch die Privatisierung des staatlichen Gesundheitswesens erzwangen. Die folgende Teilprivatisierung von Gesundheits- und Medikamentenmärkten und die Einführung sogenannter Public Private Partnerships in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen erwiesen sich als insuffizient für die Allgemeinheit. Eine ausreichende Abdeckung gegen die Risiken von Krankheit und Arbeitsunfähigkeit war nicht mehr zu leisten. Präventive Maßnahmen, z. B. Trinkwasser- und Sanitäranlagen, fielen den neuen Umständen zum Opfer. Die privaten Gesundheitsdienste absorbierten auch medizinisches Personal, das vorher auf Kosten afrikanischer Staaten ausgebildet worden war [13].

Die Privatisierung des Gesundheitswesens und die Strukturanpassungsprogramme führten die Länder Subsahara-Afrikas mehr und mehr in die Abhängigkeit transnationaler Finanzierungspolitiken und notfallmäßiger Rettung von außen, wie während den HIV- und der Ebola-Epidemien unmissverständlich ans Tageslicht kam. Heute helfen dutzende staatliche Entwicklungsdienste, viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und unzählige private Initiativen, was zur Fragmentierung der Versorgung führt. Dazu kommen weit über 100 Programme zur Prävention und Behandlung einzelner Krankheiten (z. B. Malaria, HIV oder Tuberkulose) im Sinne einer „vertikalen“ Strukturierung der Gesundheitssysteme, anstatt der gleichzeitigen Stärkung der „horizontalen“ Versorgung in der Peripherie mithilfe von Krankenhäusern und Ambulanzen. Dazu gehört auch die Behandlung der vernachlässigten Tropenkrankheiten (neglected diseases), die weit verbreitet und dauernd (endemisch) vorhanden sind, besonders in Subsahara-Afrika. Die Weltgesundheitsorganisation hat vor über 10 Jahren 17 Krankheiten beziehungsweise Krankheitsgruppen aufgelistet, unter anderem die Afrikanische Schlafkrankheit, die Bilharziose, die Leishmaniose oder das Dengue-Fieber. Derzeit sind deutlich über eine Milliarde Menschen weltweit an ihnen erkrankt mit jährlich vielen Millionen Todesopfern [17].

Bis heute ist die Bevölkerung in Subsahara-Afrika bis auf wenige Ausnahmen, wie z. B. Ruanda, Südafrika oder Tansania, auch im Sektor Krankenbehandlung absolut unterversorgt. Diese Realität verdeutlichen sowohl die Statistiken als auch die Erfahrung derer, die sich in Afrika engagieren. Was von der Schulmedizin unter den gegebenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen übrig bleibt, ist nicht selten ein Surrogat, das dem intendierten Anspruch auf eine nachhaltige Hilfe nicht genügen kann [18].

Meine Absicht war, mit meinem Vortrag das Thema Subsahara-Afrika in seiner Komplexität sowohl für die Sprechstunde hier und in Afrika als auch für den schwierig zu durchdringenden sozialpolitischen Kontext, in dem wir uns bewegen, aufzuzeigen.


#
#

Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* Vorgetragen auf der Jahrestagung der Society for Dermatology in the Tropics e. V., Dresden, 1. April 2017



Korrespondenzadresse

Dr. med. Friedrich Bofinger
Hautarzt- und Psychotherapie-Praxis
Berliner Platz 1, 84489 Burghausen


Zoom Image
Abb. 1 Flugblatt für eine Sklavenauktion aus dem Jahre 1769 [19].
Zoom Image
Abb. 2 Titelblatt der Preisschrift „Wie erzieht man am besten den Neger zur Plantagenarbeit“, 1886 [19].