Schlüsselwörter
Luxation - proximales Interphalangealgelenk - Reposition - Beübung - palmare Platte
Key words
dislocation - proximal interphalangeal joint - repositioning - functional treatment
- volar plate
Einleitung
Fingerfrakturen und -luxationen treten im Alltag, aber vor allem bei sportlichen Aktivitäten,
sehr häufig auf. Beispielsweise umfassen die Mehrheit der Langfingerverletzungen im
Skisport die Kapselbandläsionen [1]. Vor allem bei der Ausübung von Ballsportarten besteht ein erhebliches Risiko, sich
eine Fingerverletzungen zuzuziehen [2]. Fingergelenke sind bei Volleyballspielern als zweithäufigste Lokalisation von einer
Stauchung betroffen [3]. Auch im Handballsport gehören Fingerverletzungen zu den häufigsten Verletzungsfolgen
[4]. Sofern diese Verletzungen nicht fachgerecht behandelt werden, besteht das Risiko
der Entwicklung chronischer Schmerzen sowie der Deformität der betroffenen Gelenke
bis hin zur Einsteifung [5]
[6]
[7]. Das Wissen um die korrekte Diagnose und die therapeutischen Optionen sind daher
auch für den nicht speziell handchirurgisch tätigen Arzt von Interesse. Vor allem
offene operative Verfahren erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer frühzeitigen Arthroseentwicklung
oder Gelenkdestruktion [8]. Bänderverletzungen an der Hand treten am häufigsten als Begleitverletzung einer
Luxation des proximalen Interphalangealgelenks (PIP-Gelenk) auf [7].
Anatomie
Das PIP-Gelenk ist ein Scharniergelenk, das eine Bewegung um ca. 120° in der sagittalen
Ebene (Extensionflexion) ermöglicht. In der axialen und frontalen Ebene sind nur minimale
Bewegungsausmaße möglich [6]
[9]. Die Stabilität des Gelenks wird durch die kongruenten artikulierenden Gelenkflächen
erreicht. Der bikondyläre konvexe Kopf der proximalen Phalanx artikuliert mit der
bikonkaven Basis der mittleren Phalanx [6]. Diese knöcherne Architektur stabilisiert das Gelenk bei Rotations- oder lateralem
Stress [10]. Die laterale Gelenkstabilität wird zusätzlich über die Kollateralbänder gewährleistet.
Deren Ursprung befindet sich am Kopf der proximalen Phalanx. Das Ligamentum collaterale
proprium zieht an die Basis der mittleren Phalanx, das akzessorische Kollateralband
setzt an der palmaren Platte an ([Abb. 1]). Ersteres ist in Extensionsstellung entspannt, während letzteres bei Flexion entspannt
ist. Die palmare Platte schützt das PIP-Gelenk vor Hyperextension. Sie inseriert distal
an der mittleren Phalanx, ihr dünner zentraler Anteil geht in das Periost der proximalen
Phalanx über. Lateral erweitert sich die palmare Platte in die sogenannten Checkrein
Bänder, die Ligamenta palmare logitudinale radiale und ulnare. Bei Riss der Kollateralbänder
stabilisiert die palmare Platte das Gelenk zusätzlich in der Seitebene [6]
[10].
Abb. 1 Anatomie des PIP-Gelenks, blau: palmare Platte, orange: Ligamentum collaterale proprium,
gelb: Ligamentum collaterale accessorium.
Diagnostik
Bei Erstvorstellung nach Trauma sollten zunächst der Unfallhergang und bestehende
Fingerverletzungen eruiert werden. Bei der klinischen Untersuchung ist neben der Schwellung
und dem Schmerz besonders eine sichtbare Gelenkdeformität zu beachten. Zudem sollte
das Gelenk auf die Beweglichkeit bei Extension und Flexion sowie die Stabilität (Stabilität
bei Hyperextension und -flexion sowie Stabilität der Seitenbänder) getestet werden
[5]. Häufig ist eine exakte klinische Untersuchung aufgrund der Schwellung und Schmerzen
nicht vollständig möglich. Daher sollte zudem eine Röntgendiagnostik erfolgen, um
zwischen einer Subluxation und der vollständigen Luxation zu unterscheiden und um
begleitende Frakturen, wie beispielsweise den knöchernen Ausriss der palmaren Platte
([Abb. 2]), zu erfassen. Hierbei sollte neben den anterior-posterior und lateralen auch eine
schräge Aufnahme erfolgen, um auch kleine Frakturen nicht zu übersehen [11].
Abb. 2 Knöcherner Ausriss der palmaren Platte.
Gelenkluxationen können nach dorsal, volar oder lateral erfolgen, je nachdem, wie
die mittlere zur proximalen Phalanx steht. Am häufigsten luxiert das PIP-Gelenk nach
dorsal [5].
Eine dorsale Luxation entsteht durch axiale Krafteinwirkung kombiniert mit einer Hyperextension.
Durch diesen Unfallmechanismus kann es neben einer Ruptur der palmaren Platte zu einem
Abriss der Kollateralbänder und ggf. zu einem knöchernen Ausriss der palmaren Platte
kommen [6].
Dorsale Luxationen lassen sich in 3 Stadien einteilen: stabil, eher instabil und instabil.
Bei einer stabilen Luxation sind bei voller Beweglichkeit weniger als 30 % der Gelenkfläche
betroffen, das heißt, 30 % der distalen Gelenkfläche stehen nicht mehr dem kongruenten
Partner gegenüber. Bei der fraglich instabilen Luxation sind 30 – 50 % der Gelenkfläche
betroffen, nach Reposition bleibt das Gelenk in einer Flexionsstellung von weniger
als 30° stabil. Bei instabilen Luxationen sind hingegen mehr als 50 % der Gelenkfläche
betroffen [6]
[9]. Im Gegensatz dazu wird eine volare Luxation als stabil bezeichnet, wenn weniger
als 50 % der Gelenkfläche betroffen sind und das reponierte Gelenk bei vollständiger
Extension nicht erneut luxiert. Bei einer instabilen volaren Luxation sind mehr als
50 % der Gelenkfläche betroffen und bei vollständiger Extension luxiert das reponierte
Gelenk erneut oder befindet sich in einer Subluxationsstellung [6].
Therapie
Vor der Therapie muss der Patient ausführlich über die Schwere der Verletzung aufgeklärt
werden und darüber, dass der Heilungsverlauf ggf. langwierig sein kann, da das Gelenk
aufgrund der Luxation ein erhebliches Trauma erlitten hat. Wichtig ist hierbei auch,
dem Patienten zu erklären, dass nach der eigentlichen chirurgischen Therapie intensive
physiotherapeutische Beübung erfolgen sollte, um die Beweglichkeit im Gelenk wieder
herzustellen.
Die geeignete Therapie wird abhängig von dem Verletzungsmuster sowie der Gelenkstabilität
gewählt [12].
Subluxationen müssen häufig nicht reponiert werden und können durch eine Schienung,
beispielsweise mittels Buddy-Tape, frühzeitig beübt werden [11].
Die Reposition einer dorsalen Luxation sollte – sofern möglich – schnellstmöglich
erfolgen. Hierbei wird durch axialen Zug nach distal und Druck nach volar auf die
mittlere Phalanx die Reposition vorgenommen. Nach Reposition muss eine Röntgenkontrolle
zur Überprüfung des Repositionsergebnisses sowie zum Ausschluss eines gleichzeitigen
knöchernen Abrisses der palmaren Platte erfolgen. Bei kleinen Ausrissen können diese
konservativ behandelt werden. Bei größeren Ausrissen der palmaren Platte ist das Risiko
einer bleibenden Subluxationsstellung sowie einer Instabilität deutlich erhöht [5]. Im Regelfall sind dorsale Luxationen stabil und können frühzeitig beübt werden
[6]. Daher sollte bei unkomplizierten Luxationen zunächst die Ruhigstellung und anschließend
die Bewegungsfreigabe im Buddy-Tape erfolgen [5].
Bei der Luxation eines Fingergelenkes wird der Kapsel-Band-Apparat zwangsläufig geschädigt.
Die Schädigung bzw. der Abriss des Kapsel-Band-Apparates ist klinisch durch Prüfung
der Seitenbandstabilität und Reluxationstendenz nach Reposition zu erkennen. Bei schmerzempfindlichen
Patienten können sowohl die Reposition als auch die Prüfung der Gelenkstabilität in
Oberst-Leitungsanästhesie erfolgen. Mögliche Hämatome sind nur als unspezifisches
Zeichen zu werten und lassen keine Rückschlüsse auf bestimmte verletzte Strukturen
zu.
Bei Schienen- oder Gipsruhigstellung ohne Transfixation ist als Komplikation die Ausbildung
einer Knopfloch- oder Schwanenhalsdeformität in einigen Fällen zu beobachten. Studien
zur Anzahl dieser Komplikationen in Bezug auf die Gesamtheit der Fälle existieren
jedoch leider nicht.
Die überwiegende Anzahl der PIP-Luxationen, insbesondere die dorsalen, heilen nach
geschlossener Reposition und einwöchiger Ruhigstellung problemlos aus. Bei persistierender
Subluxations- oder Luxationsstellung trotz Reposition ist dahingegen eine temporäre
Transfixation indiziert. Dies ist häufig der Fall, wenn sich Kapselbandanteile oder
die palmare Platte einschlagen oder der Tractus intermedius bei einer palmaren Luxation
abreißt. Bei diesen Luxationen ist meist neben der Transfixation die offene Revision
indiziert.
Die Vorgehensweise unserer Klinik ist etwas aggressiver, daher empfehlen wir die temporäre
Gelenktransfixation bei allen Luxationen, um Problemfälle zu antizipieren. Standard
ist hierbei in unserer Klinik die Transfixation für einen Zeitraum von 2 – 3 Wochen.
Dies hat sich im Rahmen unserer klinischen Erfahrung als adäquater Zeitraum gezeigt,
es existieren diesbezüglich jedoch keine wissenschaftlichen Daten im Sinne von prospektiven
Studien.
Da die Hauptkomplikation bei Luxationen im PIP-Gelenk die Einsteifung und nicht die
Instabilität ist, sollte frühzeitig mit funktioneller Beübung des Gelenks begonnen
werden [10].
Andere Luxationen
Volare Luxationen ([Abb. 3]) treten im Vergleich zu dorsalen Luxationen deutlich seltener auf. Häufig tritt
hierbei ein zusätzlicher Abriss des dorsalen Anteils der Mittelphalanxbasis auf [6]. Bei komplizierten volaren Luxationen ist häufig eine offene Reposition erforderlich,
da ggf. eine oder beide Condylen nach Einklemmung zwischen Beugesehne und -sehnenscheide
wieder reponiert werden müssen. Anschließend empfiehlt sich die frühzeitige Mobilisation
unter Schienung mittels Buddy-Tape [11] ([Abb. 4]). Volare Dislokationen sind in der Regel schwieriger zu reponieren und haben ein
höheres Risiko eines bleibenden Funktionsdefizites. Häufig reißt hier die palmare
Platte, sodass zunächst eine Ruhigstellung notwendig ist. Diese wiederum geht mit
einem höheren Risiko für persistierende Bewegungseinschränkungen einher [9].
Abb. 3 Volare Luxation.
Abb. 4 Beispiel eines Buddy-Tape-Verbandes.
Laterale Luxationen entstehen durch Rotationskräfte, die ein Zerreißen der Kollateralbänder,
der dorsalen Kapsel und der volaren Platte bewirken. Nach Reposition zeigen sich diese
Luxationen im Regelfall stabil [6].
Sollte die geschlossene Reposition nicht gelingen, muss eine offene Reposition mit
interner Fixierung erfolgen, beispielweise durch eine temporäre Gelenktransfixation
mittels Kirschnerdrähten. Hierdurch kann die anatomische Reposition erreicht und gewährleistet
werden, allerdings besteht das Risiko der sekundären Gelenkeinsteifung [6].
Nachteilig bei der Ruhigstellung über eine Dauer von mehr als 3 Wochen ist das Risiko
der Einsteifung des Gelenks. Zudem ist die Ruhigstellung alleine keine adäquate Versorgung
einer instabilen Luxation, da aus dieser Versorgung meist eine Subluxationsstellung
im PIP-Gelenk bestehen bleibt.
Bei stabilen Frakturen, wie beispielsweise einem knöchernen Ausriss der palmaren Platte,
kann frühzeitig mit Bewegung begonnen werden, wenn eine korrekte Repositionsstellung
gewährleistet werden kann. Hierfür kann beispielsweise ein Buddy-Tape angelegt werden.
Wenn das Gelenk sich bei Flexion stabil zeigt, kann eine Extension-block-Schiene angelegt
werden. Diese Schiene wird jede Woche um 10 Grad Extension erweitert, bis eine vollständige
Streckung möglich ist. Im Anschluss sollte bis zur Konsolidierung ein Buddy-Tape angelegt
werden.
Abzugrenzen von der akuten Luxation im PIP-Gelenk, die wie beschrieben reponiert und
– wenn möglich – frühzeitig funktionell beübt werden sollte, sind die chronischen
PIP-Luxationen, die seit mehr als 6 Wochen bestehen. Aufgrund der länger bestehenden
Luxation entstehen Knorpelschäden, beispielsweise durch Drucknekrosen. Zudem kann
es zu einer Knorpeldegeneration kommen. Bei einem zu großen Schaden am PIP-Gelenk
([Abb. 5]), der eine Rekonstruktion ausschließt, ist die Arthrodese als Therapieoption zu
erwägen. Hierdurch können zum einen die Schmerzen eliminiert werden. Zum anderen ermöglicht
eine Stabilität des PIP-Gelenks beispielsweise im Zeigefinger einen Funktionsgewinn,
da z. B. der Spitzfingergriff wieder möglich ist [13].
Abb. 5 Destruktion des PIP-Gelenks, 3 Monate nach offener Luxation und temporärer Gelenktransfixation.
Um am Mittel-, Ring- oder Kleinfinger eine möglichst anatomische Funktion wiederherstellen
zu können, ist der Einsatz von Silikonprothesen möglich. Diese haben sich bereits
im Gelenkersatz bei rheumatoider Arthritis oder posttraumatischer Arthrose bewährt
[13]. Als relative Kontraindikation ist dieser Gelenkersatz bei instabilen Kollateralbändern
am Zeigefinger zu sehen, da dies dem Patienten unter Umständen vor allem beim Spitz-
oder Zangengriff Beschwerden bereiten kann. Ebenso sollte eine Prothesenimplantation
nicht bei florider Infektion, Schäden an den Beuge- und Strecksehnen, instabilem Bandapparat
sowie Hautschäden erfolgen [13].
Aufgrund des beschriebenen Verletzungsmechanismus sind als Komplikationen die Ausbildung
der Knopfloch- oder Schwanenhalsdeformität zu nennen.
Bei der Knopflochdeformität kommt es nach Verletzung des Strecksehnenmittelzügels
zu einer Flexion im PIP-Gelenk bei gleichzeitiger Hyperextensionsstellung im Endgelenk.
Der Grundgliedkopf rutscht aufgrund des zerstörten Mittelzügels nach dorsal, weshalb
die Seitenzügel nach radial und ulnar gleiten und palmar der PIP-Gelenkachse verlagert
werden. Dadurch wird die Flexion im PIP-Gelenk aufrechterhalten. Um die fehlende Streckung
im PIP-Gelenk auszugleichen, erfolgt die Hyperextension im Endgelenk [14]
[15].
Bei bleibender Instabilität der palmaren Platte kann sich aufgrund des Zuges der extrinsischen
und intrinsischen Muskulatur eine Überstreckung im PIP-Gelenk entwickeln [16]. Dadurch wird der Zug am zentralen Zügel der Streckaponeurose am Mittelglied erhöht.
Gleichzeitig wird die Zugrichtung der in den Seitenzügel einstrahlenden Interosseussehnen
nach dorsal verlagert. Durch die Überstreckung im PIP-Gelenk entsteht wiederum Zug
auf die Musculus flexor profundus-Sehne, die das Endgelenk beugt. Somit entsteht die
Schwanenhalsdeformität [15] ([Abb. 6]).
Abb. 6 Entwicklung einer Knopfloch- (oben) bzw. Schwanenhalsdeformität (unten); Pfeilmarkierung
der Zugrichtung des M. flexor digitorum superficialis (oben) und profundus (unten).
Fazit für die Praxis
Zusammenfassend sollten folgende Prinzipien beachtet werden: Reposition und Ermöglichung
von korrekter anatomischer Lage gegebenenfalls unter temporärer Gelenktransfixation
mit einem Kirschnerdraht. Nach drei Wochen sollte nach Kirschnerdrahtentfernung mit
frühzeitiger Beübung unter Stabilisation mit einem Buddy-Tape begonnen werde.