Schlüsselwörter
elektronische Medien - Kindergesundheit - Kindesentwicklung - Multimediakonsum - Handlungsempfehlungen
Einführung
Während sich in den 1950er- und 1960er-Jahren das Freizeitverhalten durch die massenhafte
Verbreitung des Fernsehens radikal veränderte, sind die Auswirkungen des Internets,
der mobilen Nutzergeräte und der Softwareentwicklungen (wie Computerspiele, Kommunikationsprogramme
und andere Apps) auf unsere Gesellschaft heute als viel umfassender und tiefgreifender
anzusehen. Die Nutzung der neuen Medien ist nicht nur in der Freizeitgestaltung fest
etabliert, sie ist in der Arbeitswelt nahezu aus keinem Bereich mehr wegzudenken und
macht ein zentrales Element der Kommunikation und alltäglichen Beschäftigungen aus
(z. B. Spielen, Warenbestellungen, Online-Banking, Partnersuche, Informationsquellen
suchen und Rezipieren der Massenmedien – auch unterwegs und auf Reisen). Auf den Markt
kommen ständig neue Anwendungen und Endgeräte. Die Technik wird mobiler, vielseitiger,
immer mehr vernetzt und gewissermaßen „kinderleicht“ bedienbar ([Abb. 1]).
Abb. 1 Bei der Frage nach dem Einfluss der neuen Medien auf die Kindergesundheit ist die
Kindesentwicklung in den Blick zu nehmen.(Symbolbild; Quelle: jalisko/Adobe Stock)
Multimediakonsum und Entwicklung
Multimediakonsum und Entwicklung
Inzwischen gibt es große Kohortenstudien (z. B. [1], [2]), womit dezidierte evidenzbasierte Aussagen zur Auswirkung von Medienkonsum auf
die Kindesentwicklung und -gesundheit getroffen werden können. Dennoch ist es an dieser
Stelle notwendig, die wichtigsten Elemente der Kindesentwicklung und grundsätzliche
Einflüsse zunächst isoliert zu betrachten, um auf dieser Grundlage die Rolle der Medien
zu beurteilen.
Grundlagen der normalen Entwicklung
Die zentrale Ausrichtung der frühen menschlichen Entwicklung auf psychosoziale Interaktion
ist evolutionär zu begründen. So kommt der Mensch mit einem zur Endgröße relativ kleinen
Kopf zur Welt, was durch das aus statischen Gründen kleine Becken zurückzuführen ist
(aufrechter Gang). 70% der Größenentwicklung des Gehirns (im Unterschied zu 30% bei
Schimpansen) finden beim Menschen aus diesem Grund extrauterin und somit unter dem
starken Einfluss der Interaktion mit seiner Umgebung statt.
Merke
Die Interaktion stellt einen besonders differenzierten Stimulus dar, der für die Ausbildung
eines komplexen neuronalen Netzwerks optimiert ist.
Durch diesen entscheidenden Einfluss auf die Gehirnentwicklung hat die frühe Interaktion
des Säuglings mit seiner Umwelt in der Evolution der Menschheit eine besondere Bedeutung
erlangt. In diesem Zusammenhang sind als bedeutsame Konzepte der frühen Interaktion
etwa die intuitiven elterlichen Kompetenzen [3], die affektive Abstimmung („affect attunement“) zwischen bedeutsamer Bezugsperson
und Säugling [4] und die soziale Rückversicherung („social referencing“) [5] zu nennen.
Die Interaktion stellt einen der wichtigsten und am stärksten abgesicherten Faktor
für die Kindesentwicklung dar. Emotionale Bindung und emotionale Verfügbarkeit von
Vertrauenspersonen sind dabei zentral. Mary Ainsworth [6], [7] beschreibt die zentrale Rolle der Interaktion für die Kindesentwicklung in dem Modell
der Feinfühligkeit vs. Unempfindlichkeit der Mutter bzw. Bezugsperson(en) gegenüber
den Signalen des Babys (sensitivity vs. insensitivity to the babyʼs communication):
-
Die Signale des Säuglings müssen richtig wahrgenommen werden (häufige Verfügbarkeit
und niedrige Schwelle für kindliche Äußerungen),
-
sodann richtig interpretiert werden (keine verzerrten Bewertungen, z. B. auf der Basis
einer eigenen elterlichen Psychopathologie),
-
und es muss in Folge prompt und angemessen darauf reagiert werden (z. B. geringe Latenzzeit
der mütterlichen Reaktion, insbesondere auf Weinen und Quengeln des Säuglings).
Weitere, für Lernvorgänge während der frühen Kindheit förderliche Faktoren stellen
die Variation und Variabilität von Bewegungsvorgängen dar, welche unterschiedliche
sensorische Erfahrungen auslösen. Die dadurch getriggerten sensomotorischen Feedbackschleifen
führen zur Etablierung neuronaler Netzwerke, in denen Bewegungsabläufe und Bewegungserfahrung
hinterlegt werden. Von Relevanz sind kritische (im Gegensatz zu unkritischen bzw.
beliebigen) Variationen von Bewegungsabläufen. Bei kritischen Variationen führen unter
Umständen sehr geringe Veränderungen zu einem differenten Feedback. Der Säugling,
der diskret in Richtung einer versehentlich liegengelassenen Schere blickt, wird (hoffentlich)
bei seinen Eltern eine vollständig andere Reaktion auslösen, als wenn er – nur etwas
die Richtung variierend – zu einem Spielzeug blickt.
Die Blickrichtung ist damit kritisch in Bezug auf das ausgelöste Feedback, eine für
die Ausbildung neuronaler Strukturen wesentliche Voraussetzung. Kontraproduktiv hingegen
wäre an dieser Stelle Beliebigkeit – die Blickrichtung des Säuglings ist unkritisch
und löst entweder gar kein oder ein beliebiges, nicht differenzierendes Feedback aus.
Begünstigend für den Lernvorgang ist hierbei die komplexe Ausprägung des Feedbacks.
Zunächst löst jeder Bewegungsvorgang ein sensorisches Feedback durch Propriorezeption
aus. Die Variation von Bewegungsvorgängen im dreidimensionalen Raum ist diesbezüglich
als kritisch anzusehen, da sie zu einem differenten Feedback führt. Die Erweiterung
des Feedbacks, z. B. der durch eine solche Bewegung entstehende Körperkontakt mit
einer zusätzlichen sensorischen und emotionalen Komponente, erhöht die Komplexität
der sensomotorischen Feedbackschleife und der daraus resultierenden neuronalen Vernetzung.
Merke
Auch wenn davon auszugehen ist, dass diese „Lernprinzipien“ lebenslänglich von Relevanz
sind, spielen sie in den ersten 2 Lebensjahren in der Zeit der maximalen Gehirnentwicklung
eine besonders hervorzuhebende Rolle.
Zum aktuellen Zeitpunkt liegen keine belastbaren Daten vor, die die Auswirkungen exzessiven
elterlichen (v. a. mütterlichen) Medienkonsums auf die Interaktion, Bindung und Entwicklung
des Säuglings aufzeigt. Unsere klinischen Beobachtungen auf zwei Eltern-Kind-Stationen
(kbo-Kinderzentrum München und Eltern-Kind-Station der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Homburg/Saar) demonstrieren solche Auswirkungen in deutlichem Ausmaß.
Einflüsse des Konsums moderner elektronischer Medien während der frühen Kindesentwicklung
Kognition und Sprache
Bereits mit der Geburt zeigen Neugeborene eine Präferenz nicht nur für die Stimme
der Mutter, sondern auch für die intrauterin wahrgenommene Muttersprache. Diese Reaktionsmuster
auf die Muttersprache und auf Fremdsprachen unterscheiden sich zunehmend, auch wenn
Kinder mit 6 Monaten noch eine 2. Sprache gleichwertig erlernen können.
Merke
Aus EEG-Studien an Erwachsenen ist bekannt, dass akustische (und visuelle) Stimuli
des Computerspiels vergleichbar sind mit suchtmittelspezifischen Reizen.
Über den Prozess der klassischen Konditionierung werden zuvor neutrale Stimuli an
das positive Erlebnis des Spielens gekoppelt und lösen danach die Erwartung eines
positiven Erlebnisses aus. Exzessive Computerspieler zeigen daher – in Abgrenzung
zu gelegentlich Spielenden – eine erhöhte EEG-Aktivierung bei Präsentation von Computerstimuli
(erhöhte späte Positivierung als Maß der emotionalen Verarbeitungstiefe) [8]. Auf der Basis dieses Befundes kann spekuliert werden, in welchem Umfang etwa bei
einer exzessiv computerspielenden Mutter schon in der Schwangerschaft auch die typischen
auditiven Stimuli des Computerspiels vom Fetus intrauterin wahrgenommen und mit entsprechenden
Gefühls- und Körperzuständen (z. B. Flow-Erlebnisse der Mutter) assoziiert werden
können. Sind so auch Präferenzen für auditive Stimuli der Computerspiele schon beim
Neugeborenen denkbar?
Im Zusammenhang mit Multimediakonsum stellt sich die Frage, inwiefern Kinder sprachlich
von Medien profitieren bzw. inwiefern sie konkret Sprache durch Medienkonsum erlernen
können. Zunächst konnte gezeigt werden, dass 24 Monate alte Kinder einzelne Wörter
durch interaktive Medienangebote lernen können. Entscheidend ist zunächst, dass dies
nicht für alle, sondern nur für pädagogisch hochwertige Angebote gilt [9]. Darüber hinaus ist die Frage nach dem Vergleich mit anderen Sprachangeboten zu
stellen: In einer Studie wurde die Reaktion von englischsprachigen Kindern auf die
chinesische Sprache untersucht. Hierzu wurden 12 Spielsessions mit chinesisch sprechenden
Kindern durchgeführt und in einer Vergleichsgruppe vergleichbare Bildschirmangebote
vorgestellt. Die Reaktion auf die chinesische Sprache änderte sich in der Spielgruppe
signifikant, nicht hingegen in der Bildschirmgruppe. Der direkte Kontakt und die Interaktion
sind also beim Spracherwerb hervorzuheben. Ein weiterer, lerntheoretisch relevanter
Aspekt stellt die direkte Alltagsanwendung dar, welche für den Spracherwerb von besonderer
Relevanz ist. Die Kopplung von noch unbekannten Wörtern an direkt erlebte Situationen
muss als entscheidender Faktor angesehen werden. Dies ist in der oben skizzierten
Gruppensituation nicht nur durch die Interaktion (z. B. soziale Responsivität, Blickkontakt)
gegeben, sondern darüber hinaus auch durch das Spielen, wodurch konkrete, aktiv durchgeführte
Handlungen mit verbalen Äußerungen assoziiert werden.
Merke
Die Kopplung von direkter Handlungserfahrung mit Sprache kann über den Bildschirm
nur eingeschränkt, im Vergleich zu der Spielsituation deutlich reduziert vermittelt
werden.
PC-Spiele können sich negativ auf die kognitive Entwicklung und auf die Sprachentwicklung
auswirken. In einer koreanischen Studie korrelierte der TV-Konsum negativ mit dem
Erreichen der Schulreife (Review bei [9]). Eine japanische Studie zeigt einen Zusammenhang zwischen der Volumenreduktion
der grauen und weißen Substanz und dem Fernsehkonsum ebenso wie mit dem Intelligenzquotienten
[10].
Li u. Atkins [11] finden bereits im Vorschulalter positive Zusammenhänge von Computerspielen mit kognitiven
Maßen. Dabei zeigte sich bei Vorschulkindern aus Familien mit niedrigem Einkommen,
dass Kinder mit Zugang zu einem Computer besser bei Untersuchungen zur Schulreife
abschnitten als Kinder ohne Computerzugang. Zudem zeigten die Kinder mit Computerzugang
eine bessere Performanz bei Untersuchungen zur kognitiven Entwicklung – unter Kontrolle
des kindlichen Entwicklungsstadiums und des sozioökonomischen Status der Eltern –
als die Kinder ohne Computerzugang. Gebrauch von und Umgang mit Computern bereits
vor Schuleintritt scheinen also mit der Entwicklung von Vorschulkonzepten und kognitiven
Prozessen assoziiert. Dabei scheint die Nutzungshäufigkeit jedoch keinen Einfluss
zu haben. Analysen zum Zusammenhang zwischen Erfahrung mit dem Computer und visuomotorischen
sowie grobmotorischen Fähigkeiten der Kinder zeigten keine signifikanten Ergebnisse.
Das könnte jedoch, zumindest in Bezug auf die Visuomotorik, auch auf das verwendete
Testverfahren zu deren Messung (Bender-Gestalt Test) [12] zurückzuführen sein, das laut den Autoren kein geeignetes Maß für die visuomotorische
Entwicklung für Kinder dieser Altersgruppe bietet.
Einen weiteren gesicherten Einfluss hat die Anzahl der Wörter, die von Kindern zu
Hause gehört werden. Sie korreliert nachgewiesenermaßen nicht nur mit dem sozioökonomischen
Status, sondern auch mit dem Medienkonsum. In Familien, in denen tagsüber im Hintergrund
der Fernseher läuft, wird signifikant weniger gesprochen, die Anzahl der Wörter, die
während der Kindheit gehört wird, sinkt, was sich negativ auf den Spracherwerb auswirkt
[9].
Zusammenfassend kann für den Spracherwerb festgehalten werden, dass das Erlernen einzelner
Wörter zum Ende des 2. Lebensjahres durch pädagogische Bildschirmangebote erreicht
werden kann – dieser Nachweis konnte allerdings nicht für ein jüngeres Lebensalter
erbracht werden. Im 1. Lebensjahr konnte die Unterlegenheit von Medienangeboten für
den Spracherwerb verglichen mit nicht digitalen Spielgruppenangeboten nachgewiesen
werden. Aus lerntheoretischen Erwägungen muss von einer prinzipiellen Unterlegenheit
von Multimediaangeboten verglichen mit unstrukturierten sozialen/interaktiven Spielen
ausgegangen werden.
Merke
Ein übermäßiger Medienkonsum, z. B. der im Hintergrund laufende Fernseher, wirkt sich
negativ auf die Sprachentwicklung eines Kindes aus.
Motorische Entwicklung
Gut belegt ist die Tatsache, dass sich körperliche Aktivität positiv auf die Gesundheit
auswirkt [13]. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die WHO für Kinder im Alter zwischen 5 und 17
Jahren täglich sportliche Betätigung von 1 Stunde Dauer, jeglicher darüber hinausgehenden
sportlichen Aktivität wird ein zusätzlicher gesundheitlicher Nutzen zugeschrieben.
Die als Messgröße für den Medienkonsum in Studien herangezogene „screen time“ korreliert
negativ mit körperlicher Aktivität und der Ausprägung grobmotorischer Fähigkeiten
und führt darüber hinaus zu einer erhöhten Inzidenz von Rücken- und Nackenschmerzen.
Diese negativen Effekte des Medienkonsums lassen sich durch vermehrte sportliche Aktivität
nicht ausgleichen [9].
Während es keine Hinweise aus Studien gibt, dass sich Medienkonsum positiv auf grobmotorische
Fähigkeiten auswirkt, wird dies für feinmotorische Fähigkeiten diskutiert [14]. In einer retrospektiven Onlinebefragung von 366 Familien in Großbritannien mit
Kindern im Alter von 19 – 36 Monaten wurde sowohl der Zeitpunkt des 1. Scrollens auf
einem Touchscreens sowie das Erreichen von Meilensteinen der Entwicklung (Sprache,
freies Sitzen und Laufen, Bauklötze aufeinanderstellen) erfasst. Während sich kein
Zusammenhang zwischen grobmotorischen Fähigkeiten oder Sprache mit dem 1. Scrollen
fand, korrelierte auch nach Korrektur für den mütterlichen Bildungsabschluss, Geschlecht
und dem Alter des Erreichens des Pinzettengriffs das 1. Scrollen mit dem Aufeinanderstellen
von Bauklötzen positiv. Es konnte ausgeschlossen werden, dass Kinder mit besseren
feinmotorischen Fähigkeiten sowohl früher einen Touchscreen bedienen als auch Bauklötze
aufeinander stellen (Korrektur für das Alter des Erreichens des Pinzettengriffs).
Die Autoren diskutieren jedoch, inwiefern Kinder, die motiviert ihre Umgebung explorieren,
dies in gleichem Maße mit einem Bildschirm und mit Bauklötzen machen oder ob von der
Touchscreen-Benutzung mit entsprechendem Feedback ein positiver, stimulierender Effekt
auf die feinmotorische Entwicklung ausgeht. Letzteres erscheint jedoch eher unwahrscheinlich,
da die Nutzungsdauer des Touchscreens bei den Säuglingen nur bei durchschnittlich
8 Minuten pro Tag lag. Also muss in Frage gestellt werden, dass durch diese Studie
eine positive oder zumindest „nicht negative“ Auswirkung der frühen Mediennutzung
auf die Kindesentwicklung belegt wird.
Merke
Hintergrund solcher Annahmen sind häufig Ergebnisse aus Erwachsenenstudien, die in
das Kindes- und Säuglingsalter übertragen werden, ohne dass für diese Übertragbarkeit
Evidenz besteht.
Gezeigt werden konnte für Erwachsene, dass die visuell-motorischen Fähigkeiten bis
hin zu Spezialistentätigkeiten (Flugmonitor, Laparoskopie) in Bildschirmsitzungen
durch interaktive Mediennutzung sehr effektiv erlernt werden können.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine negative Korrelation zwischen
der Multimediaanwendung und körperlicher Aktivität besteht. Die Studienlage bezüglich
der Auswirkung auf das Erlangen motorischer Fähigkeiten ist uneinheitlich. Belastbare
Belege dafür, dass Multimedia-Spielangebote bezüglich der Interaktion, der Dreidimensionalität,
der kritischen Variabilität des Outputs und des differenzierten spezifischen Feedbacks
eine vergleichbare Qualität wie nicht digitale Spielangebote haben, existieren nicht.
Entsprechende Behauptungen sollten also kritisch hinterfragt werden.
Psychosoziale Entwicklung
Durch Studien wird ein Zusammenhang zwischen übermäßigem Medienkonsum und psychischen
Erkrankungen belegt. So konnte gezeigt werden, dass Fernsehkonsum im Alter von 6 – 18
Monaten mit dem Auftreten von Aggressivität und externalisierenden Verhaltensstörungen
zusammenhängt. Für Jugendliche konnte eine negative Auswirkung von Fernsehkonsum auf
die seelische Gesundheit und auf die schulische Leistungsfähigkeit nachgewiesen werden.
In einer Kohorte von 2500 kanadischen Jugendlichen im Alter von 12 – 18 Jahren konnte
eine Korrelation der Screen Time mit der Ausprägung von Angststörungen und Depression
vor allem für digitale Spiele nachgewiesen werden [15].
Umgekehrt konnte für 8000 australische Kinder und Jugendliche im Alter von 10 – 18
Jahren gezeigt werden, dass diejenigen, die die Empfehlung, 1 Stunde Screen Time pro
Tag nicht zu überschreiten, beherzigt hatten, signifikant weniger von Depressionen
betroffen waren [16]. Ein Zusammenhang konnte des Weiteren zwischen Fernsehkonsum im Alter von 1 – 2
Jahren und Aufmerksamkeitsstörungen im Alter von 7 Jahren nachgewiesen werden. Eine
2. Studie schränkt dies auf den Konsum von nicht pädagogischen Angeboten ein, für
pädagogische Angebote hingegen konnte dieser Effekt nicht nachgewiesen werden. Bezüglich
der sozialen Auswirkungen konnte gezeigt werden, dass Multimediaspiele, welche konkret
soziale Interaktion zum Gegenstand haben, diese verbessern können. Übermäßiger Fernsehkonsum
reduziert die innerfamiliäre Kommunikation, erhöht das Risiko für Mobbing durch Gleichaltrige,
darüber hinaus führt der verstärkte Medienkonsum der Eltern zu einer reduzierten Eltern-Kind-Interaktion
und erhöht das Risiko für Konflikte [17]. In den sog. sozialen Medien („social media“) wird dagegen die Möglichkeit eines
Kommunikationskanals mit Gleichaltrigen und geografisch entfernten Verwandten gesehen
[18].
Merke
Die Zusammenhänge zwischen einem übermäßigen Fernsehkonsum und dem Auftreten psychischer
Erkrankungen sind gut belegt.
Deutlich schwächere Hinweise bestehen für das Auftreten psychischer Erkrankungen wie
Depression und Aufmerksamkeitsstörungen im Zusammenhang mit einem erhöhten und sehr
frühen Konsum von Computer- und Videospielen. Das Einhalten der Empfehlungen der Australischen
Pädiatrischen Fachgesellschaft (Screen Time im Alter unter 2 Jahren gleich 0, über
2 Jahren maximal 1 Stunde pro Tag) korrelieren mit einer geringeren Inzidenz von Depressionen
bei Jugendlichen.
Ernährung und Schlaf
Die Mediennutzung beeinflusst das Ess- und Schlafverhalten von Kindern und Jugendlichen.
Dieser Effekt zeigt sich besonders bei kleinen Kindern. In einer Studie an 1000 Kindern
im Alter von 2 – 6 Jahren führte bereits 1 Stunde Fernsehkonsum pro Tag zu einer signifikanten
Schlafreduktion. Bei 11- bis 15-jährigen Kindern hingegen wurde die Schlafdauer nicht
durch einen erhöhten Fernsehkonsum (3 Stunden pro Tag), jedoch durch einen entsprechenden
Video-/PC-Spiele-Konsum beeinträchtigt [19].
Massive Effekte von Fernsehkonsum auf die Ernährung sind in mehreren Studien belegt.
So korreliert eine Dauer von 2 und mehr Stunden Fernsehen pro Tag mit Fettleibigkeit
(NHANES-Studie), eine Metaanalyse von 14 Studien belegt, dass bereits 1 Stunde Fernsehen
pro Tag das Risiko für Adipositas um 13% erhöht [20]. Darüber hinaus konnte eine Untersuchung an 10 000 Kindern (6 – 9 Jahre alt) belegen,
dass jede zusätzliche Stunde Screen Time den Konsum von hoch zucker- und fetthaltigen
Produkten (Limonade, Energydrink, Schokolade, Hamburger) erhöht und den Konsum von
Gemüse und Obst verringert – Effekte, die durch die automatische Exposition gegenüber
den eingeblendeten Werbesendungen zusätzlich verstärkt werden.
Konsumverhalten: aktuelle Datenlage zum Medienumgang
Konsumverhalten: aktuelle Datenlage zum Medienumgang
Befragungen zum Thema Medienkonsum unterliegen möglicherweise einem Bias im Sinne
eines Trends hin zu sozial erwünschten Angaben.
Merke
Damit besteht ein erhebliches Risiko, dass Medienkonsum eher unter- als überschätzt
wird.
In der repräsentativen MiniKIM-Studie 2014 [21] wurden 600 Haupterzieher (Elternperspektive, zumeist Mütter) in Deutschland zur
Mediennutzung ihrer 2- bis 5-jährigen Kinder (die selbst noch keine ausreichende Auskunftsfähigkeit
haben) befragt und mit den Ergebnissen von 2012 [22] verglichen. Ausgewählte Ergebnisse der MiniKIM-Studie sind in der Infobox zusammengefasst
und kommentiert.
Info
Ausgewählte Ergebnisse der MiniKIM-Studie (2014) [21]
Medienverfügbarkeit
-
(nahezu) Vollausstattung von Haushalten, in denen 2- bis 5-Jährige leben, für Fernseher,
Handy/Smartphone und Computer/Laptop
-
8% der Kinder verfügen über Spielkonsole; deutliche Altersabhängigkeit (3% bei 2-
bis 3-Jährigen; 13% bei 4- bis 5-Jährigen), keine bedeutsamen Geschlechtsunterschiede
-
über Handy/Smartphone verfügen 2% aller 2- bis 5-Jährigen
Hauptaktivitäten
-
aktiv genutztes Medienrepertoire steigt zwischen 2 und 5 Jahren stark an, insbesondere
beim Fernsehen und bei Computer-/Konsolen-/Online-Spielen
-
¼ der 4- bis 5-Jährigen nutzt digitale Spiele
-
mit dem Internet haben 7% Erfahrungen gemacht, 5% nutzen das Internet regelmäßig
-
1. Internetnutzung im Schnitt mit 3,8 Jahren
-
86% der Eltern stimmen der Meinung, „das Internet ist für Kinder gefährlich“, voll
und ganz bzw. überwiegend zu (3% weniger als 2012), 13% erlauben ihrem Kind, ohne
Aufsicht im Internet zu surfen (3% mehr als 2012)
Nutzungsdauer und -kontext
-
Mädchen und Jungen schauen durchschnittlich 43 min pro Tag Fernsehen (im Alter 2 – 3
Jahre: 34 min; im Alter 4 – 5 Jahre: 52 min)
-
PC-/Online-/Konsolenspiele werden 3 min gespielt (1 min bei 2- bis 3-Jährigen; 5 min
bei 4- bis 5-Jährigen) – gemittelt über alle Nutzer (aber: geringe Nutzerzahl, daher:
wesentlich längere Nutzungsdauer bei Kindern mit Gerätebesitz)
Kindertagesstätten
-
13% der Kindergärten/Krippen verfügen über Computer (11% im Jahr 2012)
-
7% über Internet (2% im Jahr 2012).
-
in 4% der Kindergärten oder Krippen stehen den Kindern im Jahr 2014 Tablets zur Verfügung
-
Studien zu medienbezogenen Tätigkeiten, zu Medienbindung und Nutzungsdauer im Kindergarten
fehlen derzeit
-
Zentral für die Kompetenzentwicklung: Vorlesen [23]
Exzessive Mediennutzung
Computerspiel- und Internetabhängigkeit
Computerspiel- und Internetabhängigkeit ist zum aktuellen Zeitpunkt keine nosologische
Entität nach ICD-10, dies kontrastiert mit dem klinischen Alltagseindruck bei manchen
Patientenvorstellungen. Im DSM-5 erfolgte 2013 zum ersten Mal eine Nennung dieses
Störungsbildes als „Störung durch Spielen von Internetspielen“ („Internet Gaming Disorder“),
allerdings nur unter der Rubrik „Klinische Erscheinungsbilder mit weiterem Forschungsbedarf“,
sozusagen als Forschungsdiagnose, nicht aber als klinische Diagnose.
Dennoch ist diese erste Nennung in einem Diagnosemanual als „Meilenstein“ zu bewerten.
Es handelt sich nach DSM-5 um eine dauerhafte Nutzung des Internets, um sich mit Spielen
zu beschäftigen, die zu klinisch bedeutsamen Beeinträchtigungen oder Leiden führt
und für die mindestens 5 der 9 Kriterien aus der Infobox in einem Zeitraum von 12
Monaten vorliegen müssen. Für das Spielverhalten im Vorschulalter (und teilweise in
der weiteren Kindheit) ist die Charakterisierung „Internetspiele“ zu ersetzen durch
„Computerspiele“, da in dieser Altersgruppe das Spielen mit stationären oder transportablen
Spielekonsolen gegenüber internetbasierten Spielen dominiert. In der Betaversion des
ICD-11 findet sich „Gaming Disorder“ als eigenständige nosologische Entität [24].
Info
Kriterien der Internet Gaming Disorder (nach DSM-5, S. 1088 f.)
-
übermäßige Beschäftigung mit Internetspielen (an vorherige oder zukünftige Spielaktivitäten,
Absicht, das nächste Spiel zu spielen, Spielen von Internetspielen wird zur Haupttätigkeit
des Tages)
-
Entzugssymptomatik, wenn das Spielen von Internetspielen wegfällt (typischerweise
Symptome von Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Traurigkeit, jedoch keine körperlichen Zeichen
eines pharmakologischen Entzugssymptoms)
-
Toleranzentwicklung (Bedürfnis, zunehmend mehr Zeit mit dem Spielen von Internetspielen
zu verbringen)
-
Interessensverlust an früheren Hobbys und Freizeitbeschäftigungen als Ergebnis und
mit Ausnahme des Spielens von Internetspielen
-
erfolglose Versuche, die Teilnahme an Internetspielen zu kontrollieren
-
exzessives Spielen von Internetspielen trotz der Einsicht in die psychosozialen Folgen
-
Täuschen von Familienangehörigen, Therapeuten und anderen bezüglich des Umfangs des
Spielens
-
Nutzen von Internetspielen, um einer negativen Stimmungslage zu entfliehen oder sie
abzuschwächen (z. B. Gefühl der Hilflosigkeit, Schuldgefühle, Ängstlichkeit)
-
Gefährdung oder Verlust einer wichtigen Beziehung, der Arbeitsstelle oder Ausbildungs-/Karrieremöglichkeit
aufgrund der Teilnahme an Internetspielen
„Neben dem Positiven, die das Anwenden und Verstehen dieser modernen Technologie und
der technischen Geräte mit sich bringt, entfalten sich gefährliche Wirkungen für Kinder
und Jugendliche, wenn
-
aus der exzessiven Nutzung sekundär körperliche oder psychische Probleme oder gar
Störungen entstehen,
-
auf der Basis prämorbid bestehender psychischer Störungen die exzessive Computer-
und Internetnutzung zum (dysfunktionalen) Lösungsansatz oder zur aufrechterhaltenden
Bedingung für ebendiese psychischen Störungen wird,
-
aufgrund exzessiver Nutzung das Ausüben anderer Lebensaktivitäten (z. B. Schule, Wissenserwerb,
Ausbildung, Sport, Beteiligung im Verein) vernachlässigt oder gänzlich aufgegeben
wird,
-
die exzessive Nutzung die weitere bio-psycho-soziale Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen
beeinträchtigt, so dass entwicklungsphasentypische Aufgaben nicht bewältigt und Kompetenzen
nicht erworben werden können“ [25].
Merke
Ein falscher Einsatz und ein zu früher und unbegrenzter Konsum von Computerspielen
können einen negativen Einfluss auf die psychische und körperliche Gesundheit von
Kindern haben.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die Ergebnisse bezüglich Bewegungsarmut und Ernährungsgewohnheiten
auf die Nutzung von Multimedien übertragbar. Negative Auswirkungen auf die psychische
Gesundheit konnten speziell für gewalthaltige PC- und Videospiele nachgewiesen werden.
Häufiges Spielen gewalttätiger Computerspiele steht bei Kindern und Jugendlichen in
Zusammenhang mit einer Zunahme von aggressiven Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühlen,
von emotionaler Abstumpfung gegenüber Gewalt, von vegetativer Erregtheit, abnehmender
Hilfsbereitschaft und einem Mangel an Empathie [26], [27], [28], [29], [30]. Die Stärke der kindlichen Aggression wird mit der Häufigkeit und der Dauer des
Konsums gewalthaltiger Medien assoziiert. Einige experimentelle Studien konnten hierbei
nicht nur einen korrelativen, sondern einen kausalen Zusammenhang nachweisen [28], [29].
Darüber hinaus haben Schüler, die regelmäßig Computerspiele mit gewalttätigen Inhalten
spielen, öfter Auseinandersetzungen mit Lehrern und Gleichaltrigen und häufiger Leistungsprobleme
in der Schule [31]. In methodisch hochwertigen Studien finden sich zudem größere Effekte als in Untersuchungen
mit methodischen Mängeln, was vermuten lässt, dass die negativen Konsequenzen gewalttätiger
Spiele sogar größer sind als ursprünglich angenommen [29]. Allerdings beschränken sich viele Untersuchungen zu den negativen Auswirkungen
von Computerspielen auf Computerspiele mit gewalttätigen Inhalten.
Weiterhin konnten Untersuchungen zeigen, dass sich die Nutzung moderner Medien auf
die Schlafdauer und Schlafqualität auswirken kann [32]. So zeigten Strube et al. [33] einen Zusammenhang zwischen einer häufigen Nutzung und dem Umgang Smartphones mit
der Tagesschläfrigkeit von Jugendlichen auf. Zudem kann Videospielen vor dem Zubettgehen
die Einschlaflatenz verlängern und die Schläfrigkeit von Jugendlichen erhöhen [32]. Auch wenn die Nutzung von Smartphones im Vorschulalter noch deutlich weniger verbreitet
ist als bei Jugendlichen, wäre eine Untersuchung der Auswirkung moderner Medien auf
das Schlafverhalten von Kindern im Vorschulalter wichtig.
Wie auch in Bezug auf den Fernsehkonsum lässt sich ein Zusammenhang zwischen Adipositas
und Computernutzung im Vorschulalter auffinden [34].
Allerdings zweifeln einige Autoren eine ausreichende wissenschaftliche Befundlage
an, um gesicherte Aussagen über die Auswirkungen häufigen Spielens auf die Gesundheit
und das Verhalten von Kindern treffen zu können (z. B. [35], [36], [37]). Appel u. Schreiner [38] argumentieren, dass die Vermischung von korrelativen Zusammenhängen und Kausalität
oder die selektive Berücksichtigung von Einzelstudien hierbei zu den bedeutendsten
Fehlerquellen gehören.
Neurobiologische Konsequenzen exzessiven Computerspielens
Häufiges Computer- oder Konsolenspielen steht nicht nur mit Veränderungen auf der
Verhaltensebene in Zusammenhang, sondern auch mit neurobiologischen Anomalien. Dabei
fanden Studien z. B. Veränderungen des Volumens der grauen Substanz, Störungen der
funktionellen Konnektivität und der Aktivierung spezifischer Hirnregionen und neurobiologische
Zusammenhänge mit störungsspezifischen Verhaltensweisen und Symptomen [39].
Merke
Bisher ist jedoch unklar, ob diese neurobiologischen Anomalien Ursache oder Auswirkung
des häufigen Spielekonsums sind.
In vorherigen Studien konnten einige verhaltensbezogene und neurobiologische Gemeinsamkeiten
zwischen pathologischem Spielen und Abhängigkeitserkrankungen wie Substanzabhängigkeit
gefunden werden [40]. So konnte das impulsive Verhalten Betroffener mit defizitären frontostriatalen
Netzwerken, Störungen der interhemisphärischen Konnektivität und einer veränderten
Struktur der Inselrinde assoziiert werden [41], [42]. Störungen der Regulation des emotionsgetriebenen Verlangens könnten auf Funktionsstörungen
des präfrontalen Kortex zurückzuführen sein [41], [43].
Weiterhin wiesen Betroffene ein beeinträchtigtes Belohnungssystem auf [44], [45], [46], [47]. Dabei spielt der mesolimbische Dopaminpfad eine wichtige Rolle. Untersuchungen
konnten zeigen, dass ein exzessiver Spielekonsum mit einem generellen Belohnungsdefizit
assoziiert ist, welches mit einer reduzierten dopaminergen Aktivität in Zusammenhang
steht [48]. Ein zu niedriger Dopaminlevel wird mit Impulsivität und riskanten Entscheidungen
assoziiert [49]. Da Videospielen eine Dopaminausschüttung auslöst [48], wird so vermutlich der Dopaminmangel (kurzfristig) ausgeglichen.
Nutzen und Schaden elektronischer Medien
Nutzen und Schaden elektronischer Medien
Eine medienfreie Kindheit mag es im Einzelfall noch als theoretisches Idealkonzept
des Bewahrens („früher war alles besser“) geben, was aber mit der Realität der Kinderwelt,
der Familie und dem Kindergarten keine Passung zeigt. Sinnvoll scheint es zu sein,
zwischen funktionalem und dysfunktionalem Mediengebrauch zu unterscheiden und dies
entwicklungsaltersangemessen einzuordnen. Auch wenn ein übermäßiger und unkritischer
Medienkonsum erhebliche gesundheitliche Risiken für Kinder und Jugendliche birgt und
manche aktuellen Nutzungsgewohnheiten als gesundheitsgefährdend eingestuft werden
müssen, werden extern oktroyierte Vorschriften und Regeln wohl wenig Erfolg im Sinne
von Verhaltensveränderungen bewirken.
So kommt eine Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Empfehlungen der amerikanischen
oder australischen pädiatrischen Fachgesellschaften von mindestens ⅔ der Familien
nicht umgesetzt werden [50]. Von Interesse sind auch die Gründe, die Eltern dafür angeben, dass ihre Kinder
Medien nutzen. In einer amerikanischen Studie wird von Eltern als häufigster Grund
„it is good for their brains“ angegeben [2]. Als weitere Gründe sind Ablenkung und Beschäftigung (z. B. während die Eltern arbeiten/den
Haushalt erledigen) und Vermeidung von Konflikten durch das Durchsetzen von Regeln
im Umgang mit Medien genannt worden. Als weiterer Faktor wurden finanzielle Gründe
angegeben, wonach schlicht das Geld für andere Freizeitaktivitäten fehlen würde.
Differenzierte Betrachtung erforderlich
Bei der Beurteilung von positiven und negativen Effekten von Mediennutzung auf die
Kindergesundheit muss zwischen der Art der Medien und dem Alter differenziert werden.
Grundsätzlich sind die Auswirkungen von Fernsehkonsum besser erforscht als die von
anderen Medien.
Merke
Zahlreiche Studien belegen, dass die Qualität der Angebote von Relevanz ist.
Zu unterscheiden ist zwischen pädagogischen hochwertigen und nicht pädagogischen Angeboten,
wobei Angaben und Studien hierbei kritisch auf die Beeinflussung durch Herstellerinteressen
hinterfragt werden müssen. Gesichert ist auch die Erkenntnis, dass Ergebnisse aus
dem Erwachsenenalter nicht in das Kindesalter übertragen werden können – denn bereits
die Effekte der Mediennutzung differieren in den ersten 2 Lebensjahren und im Vorschulalter
stark. Entwicklungsneurologische und bindungs- und interaktionszentrierte Aspekte,
Entwicklungsaufgaben und sich entwickelnde Beeinträchtigungen (impairment) sind bei
der Beurteilung der Auswirkungen von Medienkonsum von hoher Relevanz.
Die kindliche Entwicklung allgemein und die Entwicklung psychischer Störungen im Kindesalter
im Besonderen sind immer zu betrachten auf der Basis der Bilanzierung von Belastungen
und Risikofaktoren (z. B. Disposition und Vulnerabilität des Kindes; umgebungsbezogene
Stressoren) im Abgleich mit Schutzfaktoren und Ressourcen (z. B. Resilienz des Kindes,
soziale Unterstützung der Umgebung). Diese komplexe Dynamik von Risiko- und Schutzfaktoren
der kindlichen Entwicklung bildet den Hintergrund, in dem die Mediennutzung ihre Auswirkungen
entfaltet.
Merke
Nicht zuletzt unterliegt Medienkonsum stark sozialen Einflüssen, die bei der Beurteilung
der Auswirkung auf die Gesundheit als Einflussvariablen zu berücksichtigen sind.
Fernsehkonsum – möglicher Benefit
Filme zur Wissensvermittlung sind aus E-Learning-Konzepten der Erwachsenenbildung
nicht wegzudenken. Übertragbar ist dies auf Jugendliche und Schulkinder weitgehend,
auf Vorschulkinder nur sehr eingeschränkt und keinesfalls auf die ersten 2 Lebensjahre.
Die Studienlage hierfür lässt sich am Beispiel der „Sesamstraße“, der am besten evaluierten
Kinderfernsehsendung überhaupt, zusammenfassen: Die als pädagogisch und didaktisch
hochwertig international anerkannte Sendung zeigt positive Effekte für Kinder ab dem
3. bis zum 5. Lebensjahr, bei jüngeren Kindern wurden sogar negative Effekte beobachtet.
Merke
Kinder im 1. und 2. Lebensjahr haben Schwierigkeiten, Informationen von der zweidimensionalen
Bildschirmebene in die dreidimensionale Realität zu übertragen und profitieren von
der Interaktion mit der Umgebung und der direkten Erfahrung mit den Händen.
Auch gelang es bisher nicht, positive Effekte für den Spracherwerb durch Bildschirmangebote
nachzuweisen, diese sind erstmals zum Ende des 2. Lebensjahres zu beobachten. Neben
möglichen negativen Effekten ist auch zu berücksichtigen, inwiefern Wissensvermittlung
nicht durch nicht digitale Angebote, welche interaktiv, dreidimensional und eigene
Handlungserfahrungen offerieren, besser und effektiver erfolgen kann. Das gemeinsame
Anschauen einer Fernsehsendung von Eltern und Kind integriert zumindest teilweise
eine interaktive Komponente.
Fernsehkonsum – negative Auswirkungen
Negative Auswirkungen von übermäßigem Fernsehkonsum auf die psychische und körperliche
Gesundheit sowie auf die motorische, kognitive und sprachliche Entwicklung sind umfassend
belegt. Fernsehkonsum in der frühen Kindheit korreliert mit Aufmerksamkeitsstörungen
im 7. Lebensjahr und Fernsehkonsum im Schulalter mit depressiven Störungen. Auch exekutive
Funktionen können im Kindesalter durch das Anschauen von Fantasiefilmen beeinträchtigt
werden [51]. Bereits 1 Stunde Fernsehen täglich erhöht das Risiko für Adipositas, es besteht
eine enge Beziehung zwischen Fernsehkonsum und zuckerhaltiger und fettreicher Ernährung.
Hervorzuheben ist, dass diese Studienergebnisse für die Einflussfaktoren Bildung bzw.
sozioökonomischer Status korrigiert sind. Erhöhter Fernsehkonsum erhöht das Risiko
für Entwicklungsverzögerungen erheblich und führt zur Verzögerung der Schulreife.
Auch wenn die meisten negativen Auswirkungen erst durch einen hohen Fernsehkonsum
(2 Stunden und mehr pro Tag) entstehen, ist zu bedenken, dass dieser dem durchschnittlichen
Nutzungsverhalten durchaus nahe kommt. Dies wirft die Frage nach der generellen Akzeptanz
des Mediums Fernsehen insbesondere für das Kindesalter auf. Das ausgeweitete und vervielfältigte
Angebot von Sendungen und Formaten im Kinderfernsehen ist vor diesem Hintergrund folglich
kritisch zu hinterfragen, hat es doch erheblich dazu beigetragen, dass die Nutzung
des Fernsehens auch bei Kleinkindern stetig zunimmt. Die negativen Effekte des Fernsehkonsums
werden aber durch pädagogisch hochwertige Angebote nicht aufgewogen.
Spiele und interaktive Mediennutzung – Benefit
Wie bei der Wissensvermittlung durch Fernsehen hat auch die interaktive Mediennutzung
ihren festen Platz in der Erwachsenenbildung, besonders Spezialkompetenzen können
mit computergestützten Simulatoren sehr effektiv erlernt werden. Dies ist nur sehr
eingeschränkt in das Jugend- und Schulalter zu übertragen, im Kleinkindalter und für
das Säuglingsalter gibt es keine Hinweise, dass Wissenstransfer auf diese Art und
Weise effektiv erfolgen kann.
Computerspiele ohne gewalttätige Inhalte zeigen einen positiven Effekt auf das räumliche
Vorstellungsvermögen und die Verarbeitung visueller Informationen bei Kindern und
Jugendlichen [52], [53]. Li u. Atkins [11] finden bereits im Vorschulalter positive Zusammenhänge von Computerspielen mit der
kognitiven Entwicklung. Daher ist es naheliegend anzunehmen, dass spezifische Computerspiele
bei altersangemessener Anwendung und entsprechender Indikation auch in der Vorschule
und Schule einen Zugewinn bringen können.
„Spielerisch“ kann beispielsweise das gesundheitsbezogene Verhalten von Kindern gesteigert
werden [54]. Neben der Linderung spezifischer Symptome und Schmerzen bei krebskranken Kindern
werden sie auch unterstützend bei psychischen Erkrankungen wie LRS oder ADHS eingesetzt,
um Lernprozesse zu festigen [55], [56], [57]. Die Indikation von digitalen Medien zum therapeutischen Einsatz in der täglichen
Praxis ist jedoch stets in jedem Einzelfall kritisch zu hinterfragen, d. h. ein Angehöriger
welcher Berufsgruppe mit welcher Zusatzausbildung wendet zum Erreichen welchen Behandlungszieles
welche spezifischen computergestützten Methoden an?
Merke
Ein unkritischer, unspezifischer Einsatz ohne klare Indikation, ohne differenzierte
Behandlungsplanung, ohne randomisiert-kontrollierten Wirksamkeitsnachweis der Methode
und ohne individuelle Evaluation ist strikt abzulehnen.
Handlungsempfehlungen
Beratung: Definition von Entwicklungszielen zur Entwicklungsförderung
Eine effektive Beratung setzt bei der gemeinsamen Erarbeitung von Entwicklungszielen
an. Die Grundhaltung „Bis das Gegenteil bewiesen ist, gehen wir davon aus, dass Eltern
für ihr Kind das Bestmögliche erreichen wollen“, stellt hier den Ausgangspunkt dar
und „Was wollen wir für das Kind erreichen, was wünschen wir uns für unser Kind?“,
ist die gemeinsame Gesprächsbasis. In der Regel werden in diesem Zusammenhang „glücklich
sein“, Gesundheit und ein „normales“ selbstständiges Leben als Wünsche für die Zukunft
angegeben.
Die zentrale Bedeutung der Interaktion zwischen Eltern und Kind, die emotionale Verfügbarkeit
von Eltern und die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind sind hierbei in wissenschaftlichen
Studien als entscheidende Faktoren vor allem in der frühen Kindheit identifiziert
worden, um genau diese von den Eltern formulierten Ziele zu erreichen.
Merke
Die Beschäftigung mit Kleinkindern muss sich also daran orientieren, wie sie dieser
Interaktion am besten zuträglich ist, andere Ziele müssen sich dem zunächst unterordnen.
Hervorzuheben ist, dass diese Priorisierung keinen eigenen Regelkatalog per se darstellt.
Vielmehr geht es darum, das Vertrauen in die eigene elterliche Intuition für „das,
was für das eigene Kind gut ist“, zu stärken und in das Zentrum des eigenen Handelns
zu stellen. Damit wird vermieden, dass konkurrierende und widersprüchliche Handlungsempfehlungen
zu Gleichgültigkeit und Passivität führen:
Cave
Gleichgültigkeit und Passivität müssen als Hauptrisikofaktoren für einen übermäßigen
Medienkonsum angesehen werden.
In Abhängigkeit vom Alter des Kindes und vom Beratungsbedarf der Eltern können Entwicklungsziele,
z. B. für einen Schulerfolg, präzisiert werden. Von besonderer Relevanz sind Fähigkeiten
wie Task Persistence, Impulskontrolle, emotionale Regulation, soziale Kompetenz und
kreatives und flexibles Denken.
Merke
Wichtig ist es hervorzuheben, dass der routinierte Umgang mit Medien per se für den
Schulerfolg keine Voraussetzung darstellt und vielmehr davon ausgegangen werden kann,
dass er unkompliziert „nebenbei“ erlernt werden kann.
Empfehlungen für Kinder- und Jugendmedizin, -psychiatrie und -psychotherapie
Empfohlen wird routinemäßig ein Screening und bei Verdachtsmomenten eine detaillierte
Anamnese der Medienverfügbarkeit und der Nutzungsbedingungen bei Kindern und deren
Eltern, ggf. auch der Kriterien für eine Computerspielabhängigkeit [25], [58], [59]. Ergänzend sollte ein Screening möglicher komorbider psychischer Störungen erfolgen,
insbesondere für ADHS/HKS, Depression, aber auch für soziale Phobie und Autismus-Spektrum-Störungen
als häufige komorbide Störungen [59], [60], und das auch schon im Vorschul- und Einschulungsalter [61].
Im Rahmen der Psychoedukation können den Eltern für den Altersbereich der frühen Kindheit
Informationen über die Grundsätze der Gehirnentwicklung, der Bindungsentwicklung und
der elterlichen Feinfühligkeit vermittelt werden, ebenso wie die möglichen Einflüsse
exzessiven Medienkonsums. Insbesondere sollte die Bedeutung von unstrukturierten „Hands-on“-Tätigkeiten
und die Bedeutung sozialer Interaktionen und Spielen zur Sprachförderung und Entwicklung
von sozioemotionalen Skills hervorgehoben werden.
Merke
Unbedingt sollte der Hinweis erfolgen, dass übermäßige (und unbegleitete) Mediennutzung
gerade für sehr kleine Kinder sehr ungünstig ist und – wenngleich bequem im Sinne
von Ruhigstellen – Vernachlässigungsaspekte aufweisen kann.
Der familiäre Medienkonsum bzw. Nutzergewohnheiten (Art der Medien, Nutzungsorte,
Nutzungsdauer) sollten bereits früh, im Säuglingsalter, thematisiert werden. Schon
Säuglinge zeigen Orientierungsreaktionen zu Bildschirmen (Fernseher, Computer) im
Sinne des Hinwendens des Kopfes zu Reizquellen, die Aufmerksamkeit erzeugen. Töne
wecken vermutlich in noch stärkerem Maße das Interesse im Säuglings- und Kleinkindalter.
In diesem Rahmen sind frühe Lernprozesse (klassische und operante Konditionierung)
anzunehmen.
Schon Kleinkinder ahmen im Sinne des Modelllernens ihre Eltern nach. Über gemeinsame
Aufmerksamkeit („joint attention“) kann Aufmerksamkeit nicht nur für ein Kinderbuch,
sondern auch für Filme mit gewalthaltigen oder pornografischen Inhalten hergestellt
werden, wenn dies auch nicht automatisch ein entsprechendes inhaltliches Interesse
des Kindes bedeutet. Dagegen sind diese Medienerfahrungen von Säuglingen den Eltern
allgemein nicht bewusst; deren Auswirkungen sind weitgehend ungeklärt.
Mit den Eltern sollten Probleme bei der Grenzsetzung angesprochen werden, sie sollten
hinsichtlich des Entwickelns von Alternativangeboten unterstützt werden. Ein eigenständiger
Medienumgang mit Computer und Internet, aber auch mit Fernsehen vor der Einschulung
scheint nicht nützlich, eher eine eingeschränkte Nutzung mit elterlicher Unterstützung.
Dringend abzuraten ist von WLAN-fähigem Spielzeug, das aus dem Kinderzimmer filmen
oder das kindliche Spiel aufnehmen und zum Abhören durch die Eltern speichern kann
(„Smart Toys“). So wurde die Kinderpuppe „My Friend Cayla“ im Februar 2017 von der
Bundesnetzagentur vom Markt genommen, da sie eine unerlaubte funkfähige Sendeanlage
darstellt [62], die auch gehackt werden kann. Smart Toys berühren neben juristischen Fragen insbesondere
auch die ethische Fragestellung, ob das Kind ein Recht auf Privatsphäre auch gegenüber
den eigenen Eltern hat. Sie ermöglichen aber nicht nur eine Speicherung und nachträgliche
Wiedergabe des Spiels ihres Kindes mit der Puppe durch die Eltern, sondern erlauben
bei Sicherheitslücken auch Fremden, sich auf diesem Kanal Zugang zum Kinderzimmer
und zum Kind zu verschaffen (sodass das Kind meint, die Puppe spreche mit und zu ihm).
Zusätzlich können sie teilweise auch der ökonomisch verwertbaren Bedürfniserzeugung
bei kleinen Kindern dienen, wenn bestimmte Produkte durch die Puppe als Sendeanlage
in der kindlichen Welt platziert werden [63].
Empfehlungen an die Eltern
Eltern nehmen die Position als Modell der Mediennutzung (Dauer, Nutzungsstil) für
die Kinder und gleichermaßen erzieherisch im Aufstellen und nachhaltigen Durchsetzen
von Mediennutzungsregeln ein. Eltern legen (bewusst oder unreflektiert) fest, mit
welchen Medien in welchem Ausmaß und unter welchen Rahmenbedingungen (beiläufig unkontrolliert,
kontrolliert und gezielt, begleitet oder allein) das Kind seine eigenen Medienkontakte
hat.
Merke
Das Elternhaus ist der zentrale Ort für die frühe Mediensozialisation der Kinder.
Vorschulkinder sind wegen des Entwicklungsstandes nicht medienmündig im Sinne einer
überdachten und selbstbestimmten Nutzung. Risiken lassen sich umso mehr reduzieren,
indem der Medienkonsum durch die Eltern geringgehalten und eher später ermöglicht
wird [64]. Vom Medienkonsum zu unterscheiden ist das begleitete Erkunden der digitalen Medien
und deren Anwendung mit alltagsrelevanten Zielsetzungen.
In den USA wird von der amerikanischen Fachgesellschaft der Kinderärzte von einer
„gesunden Medien-Diät“ gesprochen und die Erstellung von „Mediennutzungsplänen“ empfohlen
(www.healthychildren.org/MediaUsePlan):
-
Für Kinder unter 18 Monaten sollte Medienerfahrung grundsätzlich vermieden werden.
-
Wenn die Einführung von Medien von den Eltern gewünscht wird, dann können bei Kindern
im Alter von 18 – 24 Monaten pädagogisch hochwertige Medien unter Begleitung/Anwesenheit
einer Bezugsperson eingesetzt werden. Selbstständige Mediennutzung sollte in diesem
Alter strikt vermieden werden, eine Verwendung zur Ablenkung der Kinder oder als Quasi-Babysitter
ebenfalls.
-
Bei Kindern im Alter zwischen 2 und 5 Jahren sollte die Screen Time weniger als 1
Stunde pro Tag betragen, diese Stunde sollte auf gemeinsam wahrgenommene pädagogische
hochwertige Angebote bezogen und begrenzt sein.
-
Bei Kindern ab 6 Jahren sollten konsequente und gleichbleibende Begrenzungen der Mediennutzungszeiten
erfolgen. Medien sollten generell nicht die zeitlichen Phasen für Schlaf, Sport oder
andere gesundheitsbezogene Verhaltensweisen einnehmen.
-
Keine Mediennutzung während der Mahlzeiten, medienfreie Räumlichkeiten (Schlafzimmer).
-
Keine Mediennutzung, um Kinder zu beruhigen. Auch wenn die Mediennutzung als Überbrückung
von Zeitabschnitten (Autofahrten, Flüge, medizinische Eingriffe) beruhigend wirken
kann, besteht die Sorge, dass Kinder ihre eigenen Fähigkeiten, sich selbst zu beruhigen,
nicht entwickeln.
-
Nicht benutzte Medien sollten ausgeschaltet werden – kein im Hintergrund laufender
Fernseher.
-
Der Medienkonsum der Kinder sollte supervidiert werden, Apps und Programme sollten
vor der Benutzung durch die Kinder selbst gesichtet bzw. angeschaut werden.
Empfehlungen an Erzieher in Kindergärten und Krippen
Repräsentative Studien zeigen im Bereich der Medienverfügbarkeit eine zunehmende Digitalisierung
in Kindertagesstätten auf. Unklar ist, in welchem zeitlichen Umfang, durch wen und
wozu diese Medien verwendet werden: zum Erreichen wertvoller Bildungsziele oder zur
unkreativen und einseitigen Beschäftigung der Kinder? Gleichermaßen unklar ist die
medienpädagogische Kompetenz (vs. Orientierungslosigkeit und Überforderung) von Fachkräften
in den Kindergärten oder -krippen.
Merke
Zurzeit dürften viele Leiter noch der Generation der Digital Immigrants angehören,
während viele junge Fachkräfte bereits aus der Generation der Digital Natives stammen,
was eine besondere Situation für die Implementierung digitaler Medien im Kindergarten
darstellt.
Ob die Kindergartenkinder einen reflektierten, kritischen, selbstbestimmten und sinnvollen
Umgang mit modernen elektronischen Medien erlernen können, bleibt offen und ist noch
zu untersuchen. Ob im Kindergarten der Einsatz von Tablets, Computer und Internet
überhaupt notwendig, sinnvoll und hilfreich ist, bleibt fraglich und ist ebenfalls
zu untersuchen. Weitgehender Konsens besteht, dass im Krippenbereich (im Alter bis
2 Jahre) die Verwendung dieser modernen Medien nicht sinnvoll ist. Verbindliche Qualifizierungsrichtlinien,
Bildungsziele, Verhaltensregeln und Nutzungsvereinbarungen fehlen weitgehend. Die
Verantwortung von Fachkräften für die Medienmündigkeit in Kindergärten und Krippen
ist zu reflektieren und zu fördern.
Ausblick
Der Medienmarkt unternimmt umfassende Anstrengungen in Bezug auf die jüngsten Zielgruppen,
werden doch bei diesen hohes Wachstumspotenzial, eine frühe Bindung an digitale Medien
und Gewinne vermutet. Gefragt ist also die konsequente und fachkundige Aufklärung
von Eltern durch medizinische, psychologische, psychotherapeutische und pädagogische
Fachkräfte über die gesundheitlichen Folgen eines zu frühen und exzessiven Medienkonsums.
Darüber hinaus sind hier präventive Maßnahmen und Rahmensetzungen aus der Politik
zu fordern, wie sie z. B. in der Raucherprävention erfolgreich eingesetzt worden sind.
Letztendlich ist zum aktuellen Zeitpunkt angesichts spärlich oder nicht vorhandener
Studien für die frühe Kindheit zu empfehlen, in dieser vulnerablen Entwicklungsphase
zurückhaltend bis restriktiv mit digitalen Spiel- und Kommunikationsgeräten umzugehen.
Risiken im Säuglings- und Kleinkindalter lassen sich reduzieren, indem der Medienkonsum
durch Eltern und Erzieher geringgehalten wird und vielmehr später ab dem letzten Kindergartenjahr
(in der Schulvorbereitung) ermöglicht wird.
Ein reflektierter, kritischer, selbstbestimmter und sinnvoller Umgang mit den elektronischen/digitalen
Medien und den über sie zugänglichen Inhalten im Sinne von Medienmündigkeit (und nicht
allein einer an der Machbarkeit orientierten Medienkompetenz) ist das wünschenswerte
und vorrangige Entwicklungsziel. Schließlich hat mit der digitalen Revolution die
„Zweite Moderne“ für die Menschheit gerade erst begonnen und die Zielsetzung der Aufklärung
nicht zum Rückzug gebracht.
Kernaussagen
-
Die Mediennutzung spielt bereits in der frühen Kindheit eine große Rolle. So belegen
repräsentative Studien hohe Nutzungszeiten im Vorschulalter. Besonders in den ersten
2 Lebensjahren ist aufgrund der Gehirnentwicklung und der zentralen Bedeutung der
emotionalen Beziehung zu den Eltern von einer besonders vulnerablen Phase auszugehen.
-
Neben der Reflexion des elterlichen Mediengebrauchs stehen bei einer effektiven Beratung
zur Mediennutzung in der frühen Kindheit Überlegungen zur Entwicklungsförderung und
die gemeinsame Erarbeitung von Entwicklungszielen im Mittelpunkt.
-
Die Interaktion stellt einen der wichtigsten und am stärksten abgesicherten Faktoren
für die Kindesentwicklung dar. Emotionale Bindung und emotionale Verfügbarkeit von
Vertrauenspersonen sind dabei zentral.
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Ein Wissenstransfer durch elektronische Medien ist für die ersten 18 Lebensmonate
nicht belegt.
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Studien belegen für das 1. Lebensjahr die Unterlegenheit von Medienangeboten für den
Spracherwerb verglichen mit nicht digitalen Spielgruppenangeboten.
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In Kindergärten und Krippen ist eine zunehmende Digitalisierung feststellbar. Unklar
ist, in welchem zeitlichen Umfang, durch wen und wozu diese Medien verwendet werden;
diesbezügliche Standards und Studien fehlen.
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Entwicklungsziele sollten z. B. für einen Schulerfolg präzisiert werden. Von besonderer
Relevanz sind Fähigkeiten wie Task Persistence, Impulskontrolle, emotionale Regulation,
soziale Kompetenz und kreatives und flexibles Denken.
-
Der routinierte Umgang mit Medien per se stellt für den Schulerfolg keine Voraussetzung
dar.
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Fernsehkonsum im Alter von 6 – 18 Monaten korreliert mit dem Auftreten von Aggressivität
und externalisierenden Verhaltensstörungen.
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Belegt ist in vielen Einzelstudien und in Metaanalysen ein Zusammenhang zwischen „Gaming
Disorder“, depressiven sowie Angststörungen und ADHS/HKS.
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ist Prof. Dr. med. Volker Mall, München.