Schlüsselwörter
Schwerstverletzung - Pädiatrie - Traumatologie
Abkürzungen
AO:
Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen
ATLS:
Advanced Trauma Life Support
BWK:
Brustwirbelkörper
BWS:
Brustwirbelsäule
cCT:
kraniale Computertomografie
DGU:
Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie
DSM:
Durchblutung, Sensibilität, Motorik
ESIN:
elastisch-stabile intramedulläre Nagelung
FAST:
Focused Assessment with Sonography for Trauma
GCS:
Glasgow Coma Scale
HWK:
Halswirbelkörper
HWS:
Halswirbelsäule
ISG:
Iliosakralgelenk
ISS:
Injury Severity Score
K-Draht:
Kirschner-Draht
LiLa e. V.:
Licht und Lachen für kranke Kinder – Effizienz in der Medizin e. V.
LWK:
Lendenwirbelkörper
LWS:
Lendenwirbelsäule
MAD:
Mucosal Atomization Device
MRT:
Magnetresonanztomografie
PCCF:
AO Pediatric Comprehensive Classification of Long Bone Fractures
RTH:
Rettungshubschrauber
SCIWORA:
Spinal Cord Injury without radiographic Abnormality
SHT:
Schädel-Hirn-Trauma
Fallbeispiel 1
Aufnahme des 12-jährigen Patienten über den Schockraum, nachdem dieser als behelmter
Motocrossfahrer bei einem Sprung aus ca. 4 Meter Höhe zu Fall gekommen war.
Nach „Primary Survey“ Durchführung eines Traumascans. Es fanden sich eine linksseitige
Lungenkontusion, eine 3.-gradige offene distale Unterarmfraktur rechts, eine Femurschaftfraktur,
eine Fraktur der Schädelbasis, sowie eine Fraktur des Unterkiefers.
Nach Abschluss der Diagnostik erfolgte die umgehende Versorgung der Frakturen wie
in [Abb. 1] gezeigt.
Abb. 1 Fallbeispiel 1.
a Femurfraktur im Traumascan.
b Postoperative Kontrolle der operativen Versorgung der Femurfraktur.
c 3.-gradige offene distale Unterarmfraktur rechts.
d Postoperative Kontrolle der operativen Versorgung der Unterarmfraktur.
Der Patient wurde in der Folge 2 Tage auf der Intensivstation überwacht. Bei insgesamt
komplikationslosem Verlauf konnte er am 10. posttraumatischen Tag nach Hause entlassen
werden.
Einleitung
Im Kindes- und Jugendalter ist das schwere Polytrauma selten, dennoch sind Unfälle
in der genannten Altersgruppe die häufigste Todesursache und führen oft zu bleibenden
Behinderungen [1]. Selbst überregionale Traumazentren weisen durch das seltene Auftreten nur geringe
Fallzahlen (ca. 10 – 15/Jahr) auf, sodass es an Routine in der Behandlung dieses speziellen
Patientenkollektivs fehlen kann.
Neben den zahlreichen anatomischen und physiologischen Besonderheiten stellt die Versorgung
heranwachsender Patienten, auch aufgrund der notwendigen interdisziplinären Behandlungsstrategie,
die versorgenden Teams vor eine große Herausforderung. Eine inadäquate Primärbeurteilung
und somit Etablierung eines insuffizienten Behandlungsregimes wurde für bis zu einem
Drittel der frühen Todesfälle mit Schädel-Hirn-Verletzung als ursächlich angesehen
[2]. Die Wichtigkeit dieser Faktoren spiegelt sich auch im aktuellen Update der S3-Leitlinie
Polytrauma wider, in der Bereiche zum kindlichen Trauma eine deutliche Aufwertung
erfahren haben (S3-Leitlinie 2016 [3]).
Dennoch haben Anpassungen und Fortschritte in der Therapie im 10-Jahres-Zeitraum von
2001 – 2010 die Zahl von Verletzungen mit Todesfolge bei unter 14-Jährigen um 37%
auf zuletzt 3 je 100 000 gesenkt (Unfälle, Gewalt und Suizid bei Jugendlichen, destatis
2014 [27]). Ursächlich sind bei Säuglingen und Kleinkindern vor allem Stürze aus bereits geringer
Höhe, ab dem Schulkindalter stellen Verkehrsunfälle die häufigste Verletzungsursache
dar. Dabei sind Jungen häufiger beteiligt als Mädchen.
Merke
Je jünger die Patienten sind, desto größeren Einfluss auf Verletzungsmuster und Therapie
haben die anatomischen Besonderheiten, wie z. B. der im Vergleich zum Körper deutlich
größere Schädel.
So gilt insgesamt das Schädel-Hirn-Trauma als häufigste Todesursache und beeinflusst
führend das Outcome.
Begriffsklärung
In der vorliegenden Arbeit wird von einem Polytrauma ausgegangen, wenn die Berlin-Definition
zutrifft (s. Infobox) [4]. Da gerade bei Heranwachsenden aber auch oft schwere Monotraumata im Rahmen der
Schockraumdiagnostik festgestellt werden, sind die im Folgenden aufgeführten Hinweise
für schwerverletzte Patienten (Injury Severity Score mindestens ≥ 16) und auch für
Patienten mit relevanten Monotraumata gedacht.
Definition
Berlin-Definition des Polytraumas
-
Injury Severity Score (ISS) ≥ 16
-
2 Körperregionen betroffen
-
mindestens 1 physiologisches Problem
Präklinik
Mit nur 5 – 10% ist die Inzidenz pädiatrischer Notfälle im Rettungsdienst selten.
Dementsprechend gering ist somit die Erfahrung der Rettungsdienste mit schwerverletzten
pädiatrischen Patienten, auch wenn im Schulkindalter das Trauma noch der häufigste
Alarmierungsgrund ist [5]. Zusätzlich verkomplizieren weitere Faktoren die präklinische Versorgung.
Je jünger die Kinder, desto schwerer gestaltet sich die verbale Kommunikation, sodass
eine gezielte Anamnese bzw. die präzise Äußerung von Beschwerden unter Umständen unmöglich
ist. Eine umso größere Bedeutung haben somit eine strukturierte Untersuchung sowie
ggf. die Fremdanamnese. Darüber hinaus sind praktisch vor allem invasive Maßnahmen,
wie die Anlage von i. v. Zugängen oder die Intubation, allein schon durch die geringe
Körpergröße der Patienten erschwert [6].
Praxistipps
Sinnvolle Alternativen zur i. v. Applikation von Medikamenten stellen eine intranasale
Gabe (MAD) oder die rektale Verabreichung dar.
Im Notfall kann die intraossäre Anlage eine notwendige Maßnahme zur Etablierung eines
Zugangs sein.
Gerade beim schweren SHT konnten Vorteile im Outcome nach frühzeitig erfolgter Intubation
nachgewiesen werden, sodass die zuvor beschriebenen Besonderheiten nicht die Durchführung
medizinisch notwendiger Maßnahmen im Rettungsdienst verhindern sollten.
Merke
Bei initialem GCS ≤ 8 besteht die Indikation zur endotrachealen Intubation.
Notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung des Patiententransportes sind in [Tab. 1] aufgeführt. Die Maßnahmen zur Immobilisierung orientieren sich an den Standards
der Erwachsenenversorgung.
Tab. 1 Präklinische Maßnahmen zur Stabilisierung und Vorbereitung des Patiententransportes
in eine geeignete Zielklinik. Invasive Maßnahmen und medikamentöse Therapie orientieren
sich dabei am Patientenzustand und dem Körpergewicht.
Maßnahmen
|
im Einzelnen
|
Anamnese und Untersuchung
|
|
Überwachung
|
-
Monitoring (Pulsoxymetrie, EKG, Blutdruckmessung)
-
Kapnometrie bei Intubation
|
Lagerungsmaßnahmen
|
-
Immobilisierung (Stiffneck, Vakuummatratze)
-
Schienung von Extremitäten mit Frakturverdacht
-
Reposition luxierter Gelenke/offensichtlicher Fehlstellungen
|
invasive Maßnahmen
|
|
medikamentöse Therapie
|
|
logistische Maßnahmen
|
-
Auslösung „Schockraumalarm“
-
Haus mit der Möglichkeit zur umgehenden Intervention
-
ggf. frühzeitige Alarmierung/Nachforderung RTH
|
Strukturelle Probleme reichen über die möglichst präzise Schätzung des Körpergewichtes,
die gewichtsadaptierte Applikation von Medikation, bis hin zur Einstellung der Beatmungsparameter.
Zur Bestimmung der Medikamentendosis hat sich die Anwendung eines Notfalllineals/-bandes
als äußerst hilfreich erwiesen ([Abb. 2]).
Abb. 2 Notfalllineal mit zugehöriger Dosierungshilfe vom hauseigenen Notarzteinsatzfahrzeug.
Das Lineal wird an den Verletzten angelegt und so die Körpergröße bestimmt. Entsprechend
der Farbcodierung können dann dem beiliegenden Register die entsprechenden Medikamentendosierungen
entnommen werden.
Auch die Auswahl einer adäquaten Zielklinik ist mitunter erschwert und bedingt unter
Umständen eine verlängerte Transportzeit. Die Indikationen zur Schockraumalarmierung
sind in [Tab. 2] dargestellt.
Tab. 2 Indikationen zur Schockraumalarmierung (nach [3]).
Kriterium
|
Indikation
|
Verletzungsmuster
|
schweres Schädel-Hirn-Trauma
|
schwere abdominelle Verletzung
|
instabiler Thorax
|
offene Thoraxverletzung
|
instabiles Becken
|
mehr als 1 Fraktur der großen Röhrenknochen
|
stammnahe Gefäßverletzung
|
proximale Amputation
|
Unfallmechanismus
|
Fußgänger/Radfahrer angefahren (> 30 km/h)
|
Hochrasanztrauma
|
Ejektion aus dem Fahrzeug
|
ausgedehnte Verformung der Karosserie (> 50 cm)
|
Tod eines Beifahrers
|
Sturz > 3 Meter Höhe
|
Explosionsverletzung
|
Nicht zuletzt führen insbesondere pädiatrische Notfälle zu einer besonderen emotionalen
Belastung des Notfallpersonals. Trotz der aufgeführten Schwierigkeiten konnten Laurer
et al. nachweisen, dass die präklinische Versorgungsqualität pädiatrischer Patienten
zumindest hinsichtlich der präklinisch getroffenen Maßnahmen gleichwertig ist [7].
Schockraummanagement
Auch für das schwerverletzte Kind orientiert sich die Behandlung und Diagnostik des
Patienten im Schockraum maßgeblich an den Prinzipien des Advanced-Trauma-Life-Support
(ATLS®) sowie den Empfehlungen der S3-Leitlinie Polytraumaversorgung [3] bzw. des Weißbuchs Schwerverletztenversorgung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
(DGU).
Merke
Neben der primären Sicherung der Vitalfunktionen ist eine schnelle und vollständige
Diagnostik sowie die Einleitung eines den speziellen Bedürfnissen der jungen Patienten
angepasstes Therapiekonzeptes entscheidend.
Notwendige Hilfsmittel zur Stabilisierung des Patienten, wie Endotrachealtuben oder
Thoraxdrainagen, müssen der Größe des Kindes angepasst werden und sollten vorrätig
sein. Für etwaige Reanimationsmaßnahmen müssen die entsprechenden Therapiealgorithmen
befolgt werden.
Praxistipp
Das Basisteam der Schockraumversorgung sollte, wenn möglich von Beginn an, zur adäquaten
Behandlung um Kollegen der pädiatrischen Intensivmedizin und ggf. auch der Kinderchirurgie
erweitert werden, sodass der Interdisziplinarität eine nochmals gesteigerte Rolle
im Vergleich zur Behandlung Erwachsener zukommt.
In Zusammenarbeit mit der Anästhesie ist der Pädiater für die Sicherung der Vitalfunktionen
verantwortlich, während der Unfallchirurg die körperliche Untersuchung und sonografische
Beurteilung durchführt (eFAST). Vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt gewonnenen
Informationen sollte eine möglichst strahlenarme radiologische Diagnostik durchgeführt
werden, welche aber in keinem Fall zulasten der präzisen Diagnosesicherung fallen
darf. Falls personell und strukturell durchführbar, kann bei Spezialindikationen,
z. B. beim isolierten Schädel-Hirn-Trauma, nach Abschluss der Schockraumdiagnostik
und Ausschluss lebensbedrohlicher Verletzungen eine MRT-Diagnostik erfolgen.
Merke
Der Standard in der Notfallbildgebung bleibt jedoch das konventionelle Röntgen von
Thorax und Becken sowie, je nach Traumamechanismus bzw. Verletzungsschwere, die Computertomografie.
Zur Reduktion des „life time cancer risks“ ist die Verwendung dosisangepasster Untersuchungsprotokolle
obligat [8], [9].
Essenziell für eine schnelle und sichere Schockraumbehandlung sind interdisziplinär
abgestimmte Algorithmen, eine dem speziellen Fall angepasste, aber unbedingt adäquate
Bildgebung (Sonografie, Röntgen, CT, ggf. MRT) und eine konsensuelle Entscheidungsfindung
der weiteren therapeutischen Maßnahmen.
Im Folgenden soll geordnet nach Körperregionen/Organsystemen auf anatomisch-physiologische
Besonderheiten und therapeutische Maßnahmen in der Versorgung schwerverletzter Kinder
eingegangen werden.
Schädel-Hirn-Trauma
Das Schädel-Hirn-Trauma stellt die häufigste Todesursache im Kindesalter dar. Das
ungünstige Verhältnis von großem, schwerem Kopf zum verhältnismäßigen kleinen Rumpf,
gepaart mit unzureichend ausgebildeten Schutzmechanismen, führt dazu, dass bereits
Niedrigenergietraumata in schweren Verletzungen resultieren können.
Grundsätzlich begünstigt die vergleichsweise dünnere Kalotte beim Heranwachsenden
durch einen schlechteren Schutz intrazerebrale Verletzungen. Häufig treten spezielle
Frakturformen wie z. B. Impressionsfrakturen (Fallbeispiel 2) auf, die auch in der
festen Verbindung von Dura mater und Kalotte begründet sind. Des Weiteren ist bis
zu einem Alter von 3 Jahren das Auftreten eines epiduralen Hämatoms eine Rarität,
da es selten zu Läsionen der A. meningea media durch Frakturfragmente kommt.
Neben den primären, direkten Hirnschädigungen sollte die Gefahr einer sekundären Hirnschädigung
im Rahmen einer Hypoxie oder einer Hypotonie Beachtung finden und der raschen Behandlung
einer respiratorischen Insuffizienz oder dem hämorrhagischen Schock eine entsprechend
hohe Bedeutung beigemessen werden.
Cave
Hypoxie kann ein sekundäres Hirnödem bedingen.
Ebenso erfordert eine durch die noch nicht vollständig ausgebildete Blut-Hirn-Schranke
bedingte erhöhte Gefahr der Ödembildung mitunter eine aggressive Hirndrucktherapie.
Eine großzügige Indikationsstellung zur operativen Versorgung mittels Kraniotomie
oder zumindest Anlage einer Hirndrucksonde hat sich in dieser Situation als vorteilhaft
erwiesen [10].
Merke
Zur altersgerechten Einordnung der neurologischen Symptomatik sollte zur Bestimmung
der Glasgow Coma Scale der pädiatrische GCS verwendet werden ([Tab. 3]).
Bei Kindern mit initial normalem GCS15 ([Tab. 3]) und unauffälligem neurologischem Untersuchungsbefund kann auf eine radiologische
Diagnostik des Schädels verzichtet werden. Bei stattgehabter Bewusstlosigkeit oder
vegetativer Begleitsymptomatik (Erbrechen, Schwindel) sollten zumindest eine 24-stündige
stationäre Monitor-Überwachung sowie engmaschige Pupillen- und Vigilanzkontrollen
erfolgen. Obligat hingegen ist eine cCT bei intubiert/beatmeten Kindern, insbesondere
bei durch den Notarzt beschriebener Vigilanzminderung vor Intubation, genauso wie
bei Vigilanzminderung mit einer persistierenden GCS von < 14.
Tab. 3 Pädiatrische Glasgow Coma Scale.
Punkte
|
Augen öffnen
|
beste verbale Kommunikation
|
beste motorische Reaktion
|
6
|
–
|
–
|
spontane Bewegung
|
5
|
–
|
plappern, brabbeln
|
gezielte Abwehr auf Schmerzreiz
|
4
|
spontan
|
schreien, tröstbar
|
normale Beugeabwehr auf Schmerzreiz
|
3
|
auf Schreien
|
schreien, untröstbar
|
abnorme Abwehr auf Schmerzreiz
|
2
|
auf Schmerzreiz
|
stöhnen, unverständliche Laute
|
auf Schmerzreiz, Strecksynergismen
|
1
|
keine Reaktion
|
keine verbale Reaktion
|
keine Reaktion auf Schmerzreiz
|
Im Falle einer intrakraniellen Blutung sollte die Indikation zur operativen Entlastung
frühzeitig und großzügiger gestellt werden als beim Erwachsenen, da die Kompression
von relevanten Arealen ab der dritten posttraumatischen Stunde zu deutlichen Verschlechterungen
des Outcomes führt [11].
Anzumerken bleibt, dass ein SHT auch bei Kindern die Entstehung einer Thrombose begünstigen
kann, es muss daher auch beim heranwachsenden Patienten mit SHT auf eine adäquate
und an das Verletzungsmuster angepasste Antikoagulation geachtet werden.
Merke
Die operative Versorgung eines schweren SHT nach Primärstabilisierung sollte Vorrang
erhalten, da sie maßgeblich das Outcome beeinflusst.
Kinder, die initial eine GCS < 8 aufweisen, entwickeln in 16% ein apallisches Syndrom;
die Letalität in dieser Gruppe liegt bei 30%.
Merke
Eine kürzere Dauer des Komas wirkt sich begünstigend auf ein gutes Outcome aus.
Patienten mit einem relevanten SHT sollten möglichst frühzeitig einer ausführlichen
neurologischen Rehabilitationsbehandlung zugeführt werden.
Fallbeispiel 2
Dem 4-jährigen Patienten sei ein Regal auf den Kopf und den Oberkörper gefallen. Bei
initialer GCS von 8 und Blutung aus dem linken Ohr erfolgte die Einlieferung in den
Schockraum intubiert und beatmet. Neben einer Lungenkontusion zeigte sich eine Impressionsfraktur
der Kalotte links temporal mit begleitendem Subduralhämatom ([Abb. 3]).
Abb. 3 Fallbeispiel 2.
a Subdurales Hämatom.
b Impressionsfraktur der Kalotte links temporal.
Es erfolgte die umgehende operative Versorgung mit Hebung der Kalotte und Anlage einer
Hirndrucksonde. Noch am Unfalltag konnte der Patient extubiert werden.
Es folgte ein komplikationsloser stationärer Aufenthalt für insgesamt 11 Tage, bei
Entlassung zeigte sich ein unauffälliger neurologischer Befund.
Thorax
Wie auch beim adulten Patient dominieren in Deutschland beim Heranwachsenden stumpfe
Traumamechanismen, penetrierende Verletzungen sind eine Rarität ([Abb. 4]).
Abb. 4 Penetrierende thorakale Verletzungen sind eine Rarität. Die hier eingedrungene Holzlatte
wurde intraoperativ entfernt, eine intrathorakale Beteiligung lag nicht vor.
Prinzipien
Grundsätzlich sind beim kindlichen Patient durch eine hohe thorakale Compliance ossäre
Verletzungen des Thorax relativ selten. Resultierend werden die Kräfte jedoch nach
intrathorakal weitergeleitet, sodass bei entsprechend schwerem Thoraxtrauma gehäuft
intrathorakale Verletzungen auftreten. Am häufigsten sind hier Lungenkontusionen sowie
Pneumo- oder Hämatothoraces zu verzeichnen, Läsionen zentraler Organe wie Trachea,
Bronchien oder dem zentralen Gefäßstamm sind entsprechend rar und deuten auf ein massives
Trauma hin.
Behandlung
Hämato- und Pneumothorax
Die Behandlung von Hämato-/Pneumothoraces wird auch beim Kind über die Anlage einer
Thoraxdrainage durchgeführt. Die Wahl des Drainagedurchmessers sollte größenadaptiert
erfolgen, dennoch verbietet sich auch hier die Anlage tiefer als Mamillenhöhe. Zudem
sollte eine Drainage zum Schutz der Organe immer stumpf und unter digitaler Kontrolle
eingebracht werden.
Cave
Anlage einer Thoraxdrainage unter stumpfer Palpation und nie unter Mamillenhöhe!
Lungenkontusion
Die häufig auftretende Lungenkontusion kann je nach Ausmaß rasch zu einer respiratorischen
Insuffizienz führen, somit stellt ihre Behandlung einen zentralen Pfeiler in der Behandlung
dar. Die Therapie kann über frühzeitige Intubation und lungenprotektive Beatmungsmodi
erfolgen.
Altersabhängige physiologische Normwerte und empfohlene Tubusgrößen sind in [Tab. 4] zusammengestellt.
Praxistipp
Näherungsweise kann der erforderliche Tubusdurchmesser anhand des Kleinfingers des
Patienten bestimmt werden.
Tab. 4 Altersabhängige physiologische Normwerte und empfohlene Tubusgrößen.
Alter
(Jahre)
|
Atemfrequenz
(min−1)
|
Atemzugvolumen
(ml)
|
Tubusgröße
(mm)
|
Länge ab Zahnreihe
(cm)
|
1
|
32 – 38
|
50 – 60
|
3,5 – 4,0
|
13
|
3
|
25 – 30
|
70 – 90
|
4,5 – 5,0
|
14
|
5
|
20 – 25
|
80 – 110
|
5,0 – 5,5
|
16
|
7
|
18 – 22
|
115 – 150
|
5,5 – 6,0
|
18
|
10
|
16 – 20
|
150 – 200
|
6,5
|
20
|
12
|
15 – 17
|
200 – 280
|
7,0
|
21
|
14
|
14 – 16
|
250 – 350
|
7,0 – 7,5
|
22
|
Bei ausgeprägter Lungenkontusion besteht zudem ein deutlich erhöhtes Pneumonierisiko
(20 – 30%), für eine großzügige prophylaktische antibiotische Abdeckung fehlt allerdings
eine zureichende Evidenz.
Praxis
OP-Indikation beim Thoraxtrauma
Äußerst selten stellt sich beim Kind die Indikation zur operativen Versorgung einer
thorakalen Verletzung. Als Indikation gelten hier
-
anhaltende Blutung aus einer Thoraxdrainage
-
Perikardtamponade
-
penetrierende Verletzung mit Fremdkörpereinschluss
-
Verletzungen des Trachealbaums, die nicht mittels Tubus abgedichtet und somit nicht
konservativ therapiert werden können.
Abdomen
Durch ein tieferstehendes Zwerchfell sowie ein ungünstigeres Größenverhältnis von
Milz und Leber sind diese Organe beim Kind schlechter geschützt als beim Erwachsenen.
Resultierend finden sich häufig Läsionen dieser Organe. Im Gegensatz zum Erwachsenen
ist beim Kind, selbst beim Nachweis größerer Mengen freier intraabdomineller Flüssigkeit,
bei stabilem Kreislauf ein konservatives Vorgehen etabliert. So konnte gezeigt werden,
dass unter dieser Bedingung selbst höhergradige Leber- und Nierenlazerationen unter
konservativer Therapie ohne Residuen ausheilen [12], [13], [14].
Merke
Intraabdominale Organlazerationen bei stabilem Kreislauf können bei Kindern unter
engmaschiger Überwachung häufig konservativ behandelt werden.
Grundvoraussetzung einer konservativen Behandlung solcher Verletzungen sind
Kommt es unter Überwachung zu einer Befundverschlechterung, kann auf eine der operativen
Therapie vorgeschaltete Bildgebung verzichtet werden.
Prinzipien
Besteht die Indikation zur operativen Therapie, haben Organerhalt und eine primäre
Ausversorgung ohne geplante Folgeeingriffe die höchste Priorität.
Hohlorganverletzungen, insbesondere des Dünndarms, sind schwierig zu diagnostizieren
und können den Verlauf deutlich komplizieren und prolongieren. Lässt sich initial
der Verdacht auf eine Hohlorganverletzung nicht sicher ausschließen, sind eine enge
klinische Überwachung, wiederholte Ultraschalluntersuchungen und erweiterte diagnostische
Maßnahmen, z. B. unter Zuhilfenahme enteraler Kontrastmittelapplikation, unabdingbar.
Nachgewiesene Verletzungen sollten so schnell wie möglich, meist mittels direkter
Naht oder Segmentresektion, ausbehandelt werden. In seltenen Fällen kann aber auch
die Anlage eines temporären Anus praeter notwendig werden.
OP-Indikationen bei intraabdominellen Verletzungen fasst die Übersicht zusammen.
Übersicht
OP-Indikationen beim abdominellen Trauma
Sekundäre Organfunktionsstörungen im Sinne eines Multiorgandysfunktionssyndroms sind
selten und am ehesten durch einen initial ausgeprägten Blutverlust bedingt. Die konsekutive
Vasokonstriktion hat eine Minderperfusion der Organe zur Folge, welche bei unzureichender
Substitutionstherapie dann zum Organversagen führt.
Wirbelsäule
Verletzungen der kindlichen Wirbelsäule sind mit etwa 1 – 2% aller verletzten Kinder
selten, beim schwer verletzten Kind liegt der Anteil an Wirbelsäulenverletzungen jedoch
zwischen 8% und 30% [15], [16]. Die Lokalisation von Wirbelsäulenverletzungen ist zudem altersabhängig: So stellen
aufgrund des Missverhältnisses zwischen schwerem Kopf und schwacher Hals- und Nackenmuskulatur
sowie unausgereiften Bandstrukturen bei flachen Facettengelenken und noch unvollständiger
Verknöcherung bei Kindern vor dem 9. Lebensjahr Halswirbelsäulenverletzungen die häufigsten
Wirbelsäulenverletzungen dar.
Merke
Wirbelsäulenverletzungen beim Kind sind altersabhängig und eng mit den anatomischen
Besonderheiten verknüpft.
Rund 70% der Wirbelsäulenverletzungen bei Kindern betreffen die HWS, ein Großteil
der Verletzungen findet sich in Höhe C0–C2. Damit sind Halswirbelsäulenverletzungen
bei Kindern insgesamt etwa doppelt so häufig wie beim Erwachsenen.
Im Adoleszentenalter und mit anatomisch-biomechanischer Annäherung an das Erwachsenenskelett
ist dann schließlich hauptsächlich der thorakolumbale Übergang betroffen. Es überwiegen
in 90% der Fälle Kompressionsverletzungen, die häufig konservativ behandelt werden
können.
Bei kindlichen Wirbelsäulenverletzungen wird die Mortalität stark vom häufig begleitenden
Schädel-Hirn-Traumata beeinflusst, weitere negative prädiktive Faktoren sind
Diagnostik
Zur Detektion von Verletzungen der Wirbelsäule sowie der Sicherung von neurologischen
Auffälligkeiten kommen der Anamnese und der körperlichen Untersuchung ein hoher Stellenwert
zu. Prophylaktisch sollte die HWS im Stiffneck immobilisiert werden sowie ausschließlich
eine achsgerechte Lagerung durchgeführt werden. Dorsale Weichteilverletzungen, Schürfungen
und Prellmarken ebenso wie Schmerzen bei der Palpation können wichtige Hinweise für
eine relevante Wirbelsäulenverletzung geben. Die differenzierte neurologische Untersuchung
sollte zudem regelmäßig wiederholt werden.
Das höchste Risiko für neurologische Komplikationen betrifft bei den kindlichen Wirbelsäulenverletzungen
die Halswirbelsäule mit 30% neurologischen Komplikationen bei instabilen Verletzungen.
Gelingt bei deutlichen neurologischen Ausfällen im Röntgen bzw. CT kein Nachweis einer
strukturellen Verletzung, wurde 1982 von Pang et al. der Begriff SCIWORA (spinal Cord
injury without radiographic Abnormality) geprägt. Durch moderne MRT-Diagnostik gelingt
heutzutage jedoch häufig trotzdem der Nachweis von Rückenmarkläsionen [17], [18].
Prinzipien
Der Verdacht auf das Vorliegen einer Wirbelsäulenverletzung erfordert zumindest die
Durchführung einer Röntgendiagnostik in 2 Ebenen, bei ausgeprägter Klinik bzw. bei
komplexeren Verletzungen sowie im Falle einer notwendigen operativen Versorgung sollte
eine CT-Untersuchung erfolgen.
Falls aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas eine cCT-Untersuchung durchgeführt wird,
sollte zum Ausschluss der häufig assoziierten Halswirbelsäulenverletzung die HWS im
CT mitabgebildet werden. Die MRT-Diagnostik dient in unklaren Fällen im Anschluss
an die Notfalldiagnostik zur Detektion von konventionell-radiografisch okkulten Verletzungen
wie Rückenmarkläsionen, Bandscheibenverletzungen sowie Verletzungen der Wachstumsfugen.
Anatomische Besonderheiten im Kindesalter
Zur sicheren Beurteilung der angefertigten bildgebenden Diagnostik und um Fehlinterpretationen
zu vermeiden, ist eine genaue Kenntnis der anatomischen Besonderheiten im Kindesalter
unerlässlich.
-
So ist der atlantodentale Abstand beim Kind bis zu ≤ 5 mm normal (Erwachsene: 2 – 3 mm).
-
Außerdem kann in bis zu 20% der Fälle bis zum 8. Lebensjahr ein „Reiten“ des Atlas
über der Densspitze bei lateralen HWS-Aufnahmen in Extension beobachtet werden ([Abb. 5]), bedingt durch Knorpelzonen von Atlas und Densspitze.
-
Zudem sind in diesen Aufnahmen bei Kindern bis zum 8. Lebensjahr in bis zu 40% der
Fälle Pseudosubluxationen von C2/C3 zu beobachten, ein Versatz von ≤ 4 mm kann akzeptiert
werden.
-
Des Weiteren ist die Wirbelkörperkonfiguration der BWS und LWS bis zum 8. Lebensjahr
noch keilförmig.
-
Der Knochenkern der Densspitze fusioniert erst um das 12. Lebensjahr mit dem Dens
axis.
-
Noch offene Synchondrosen des Atlas bzw. Axis können bis zum 6. – 7. Lebensjahr als
Fraktur fehlinterpretiert werden.
-
Ein erweiterter prävertebraler Weichteilschatten der HWS im retropharyngealen Raum
bis ≤ 7 mm sowie im retrotrachealen Raum bis ≤ 14 mm ist bei Kindern normal.
Abb. 5 „Reiten“ des Atlas über dem Dens, in bis zu 20% der Fälle bis zum 8. Lebensjahr bei
lateralen HWS-Aufnahmen in Extension (männlich, 5. Lebensjahr).
Befundung
Zur Beurteilung der nativradiologischen Diagnostik der Wirbelsäule kann der Einsatz
von gedachten Hilfslinien zur Beurteilung des Alignments gerade im Bereich der HWS
sinnvoll sein ([Abb. 6]).
Abb. 6 Normalbefund einer lateralen HWS-Aufnahme mit Hilfslinien zur Alignment-Beurteilung
bei einem 5-jährigen Mädchen.
Therapie
Verletzungen der Halswirbelsäule lassen sich oftmals konservativ therapieren, z. B.
in einem Philadelphia-Kragen. Instabile ligamentäre Verletzungen im Bereich C2/C3
bedürfen ausnahmsweise einer Ruhigstellung im Halofixateur, der beim Kind eher zurückhaltend
verwendet werden sollte.
Um Wachstumsstörungen zu vermeiden, kann eine ventrale Fusion wie beim Erwachsenen
erst nach Abschluss der Endplattenreifung erfolgen. Kinder unter 8 Jahren können zudem
auch Verletzungen der knorpeligen Wirbelsäulenanteile aufweisen.
Bei Kindern ab dem 8. – 10. Lebensjahr können aufgrund der zunehmenden Verknöcherung
der Wirbelsäule – welche teilweise erst um das 25. Lebensjahr ihren Abschluss findet
– alle Verletzungsformen des Erwachsenen auftreten, die analog der etablierten AO-Klassifikation
nach Magerl eingeteilt werden in
-
Kompressionsfrakturen (Typ A)
-
Flexions-Distraktions-Frakturen (Typ B)
-
Rotationsverletzungen (Typ C)
Praxis
OP-Indikation beim Wirbelsäulentrauma
Knapp 90% der Fälle liegen thorakal zwischen BWK 5 und BWK 8 sowie am thorakolumbalen
Übergang zwischen BWK 11 und LWK 2 [19].
-
Typ-A-Verletzungen werden in der Regel konservativ behandelt.
-
Instabile Verletzungen der Typen B und C sowie Frakturen mit neurologischem Defizit
bedürfen einer operativen Versorgung mittels kurzstreckiger dorsaler Instrumentierung.
Bei neurologischen Ausfällen und relevanter Spinalkanaleinengung sollte eine Laminektomie
mit dorsaler Stabilisierung erfolgen.
Beckentrauma
Merke
Beckenfrakturen beim Kind sind zumeist die Auswirkung von massiver Gewalteinwirkung.
Dies erklärt auch die schon bei simplen Frakturformen auftretenden, teils massiven
Begleitverletzungen, z. B. des Urogenitaltraktes sowie des Rektums. Die klinische
Untersuchung auf Stabilität und Hämatome sowie Prellmarken ist daher essenziell [20] ([Tab. 5]).
Tab. 5 Klinische Zeichen von Beckenverletzungen.
|
Kennzeichen
|
Destot-Zeichen
|
ausgeprägtes inguinales sowie skrotales Hämatom
|
Earle-Zeichen
|
Hämatom bzw. palpable Frakturenden in der digital-rektalen Untersuchung
|
Roux-Zeichen
|
verringerter Abstand zwischen Trochanter major und Mons pubis im Seitenvergleich (laterale
Kompressionsfraktur)
|
In über 60% der Fälle liegt bei beckenverletzten Kindern ebenfalls ein Schädel-Hirn-Trauma
vor, eine Polytraumatisierung ist ebenfalls häufig [18]. Je nach Ausprägung des Verletzungsmusters ist ein hoher Blutverlust bei intra-
oder retroperitonealen Begleitverletzungen möglich. Bei Verletzungen des Beckenbodens
sowie des Rektums und des Anus besteht die Gefahr der Entwicklung einer Peritonitis.
Wachstumsfugenverletzungen können in ausgeprägten Fehlbildungen bis hin zur Hypoplasie
einer Beckenhälfte resultieren.
Frakturen des Beckenrandes treten beim Kind häufiger auf als Beckenringverletzungen
– sie sind zu über 90% stabil und können dann konservativ therapiert werden.
Analog zur Klassifikation von Beckenverletzungen beim Erwachsenen können Frakturen
des Beckens beim Kind nach der AO-Klassifikation eingeteilt werden in
Diagnostik
Die Diagnostik erfolgt beim schwerverletzten Kind im Rahmen des „Primary Survey“ mittels
Beckenübersichtsaufnahme. Bei entsprechendem Unfallmechanismus sollte ohne Verzögerung
eine Multi-Slice-CT durchgeführt werden.
Therapie
Bei vorderer, geschlossener Beckenringfraktur können Dislokationen bis 5 mm sowie
bei Symphysensprengungen von unter 1 cm akzeptiert werden, bis zum 3. Lebensjahr kann
die Symphysenweite bis zu 12 mm betragen. Offene Frakturen sowie Organverletzungen
stellen eine Indikation zur operativen Revision dar.
Die Anlage einer Beckenzwinge ist bei Kindern im Regelfall nicht indiziert, konventionelle
Maßnahmen wie die Anlage eines Beckengurtes bzw. straffes Wickeln der Beine in Innenrotation
haben sich als ausreichend herausgestellt [21].
Dislozierte und instabile Typ-B- und -C-Verletzungen werden beim Kind in den allermeisten
Fällen mit einem supraazetabulären Beckenfixateur ausreichend stabilisiert. In Einzelfällen
müssen ISG-Schrauben oder Plattenosteosynthesen eingesetzt werden.
Begleitverletzungen müssen prä- bzw. intraoperativ detektiert werden und können im
Rahmen des operativen Vorgehens dann ebenfalls adressiert werden. Perianale Läsionen
können Second-Look-Operationen notwendig machen [22].
Azetabulumfraktur
Azetabulumfrakturen des Kindes sind mit einem Anteil von 0,8 – 15% selten und meist
Folge von indirekter Gewalteinwirkung oder Folge einer Hüftgelenksluxation; sie führen
jedoch bei Verletzung der Wachstumsfugen teils zu ausgeprägten Deformitäten [23], [24]. Zur osteosynthetischen Versorgung von Azetabulumverletzungen eignen sich am ehesten
Schrauben, welche zur Vermeidung von Wachstumsstörungen jedoch frühzeitig entfernt
werden sollten, oder auch Platten zur anatomischen Rekonstruktion [25], [26].
Extremitätentrauma
Akutphase
-
Während der Akutphase werden bei Verletzungen an kindlichen Extremitäten vital bedrohliche
Blutungen gestillt.
-
Es findet eine Schienung bzw. Immobilisation von Frakturen, z. B. mittels Notfallschienen/Splints
statt.
-
Weichteilverletzungen müssen steril abgedeckt werden.
Wichtig ist für eine spätere operative Versorgung die Klassifikation und genaue Dokumentation
des Ausmaßes der Verletzung. Hierbei ist insbesondere achten auf DSM:
-
Durchblutung,
-
Sensibilität und
-
Motorik.
Im Zweifel stehen die Doppler-Sonografie sowie CT-Angiografie zum Ausschluss von Gefäßverletzungen
zur Verfügung.
Frakturklassifikation
Für die Klassifikation von Frakturen der kindlichen Extremitäten existieren 2 spezielle
Klassifikationssysteme, beide orientieren sich an der beim Erwachsenen etablierten
AO-Klassifikation nach Müller sowie an den für Epiphysenfugenverletzungen etablierten
Klassifikationssystemen nach Aitken bzw. Salter-Harris. Dies sind einerseits
-
LiLa-Klassifikation für Frakturen der langen Röhrenknochen im Wachstumsalter sowie
-
AO-Klassifikation für Frakturen im Wachstumsalter (AO Pediatric Comprehensive Classification
of Long Bone Fractures, PCCF).
Weichteilverletzungen
Die Einteilung von begleitenden Weichteilschäden erfolgt analog zum Erwachsenen nach
Tscherne/Oestern bei geschlossenen bzw. nach Anderson/Gustilo bei offenen Frakturen.
Ein Kompartmentsyndrom muss wie beim Erwachsenen ausgeschlossen bzw. zeitnah operativ
mittels Kompartmentspaltung und temporärer Weichteildeckung versorgt werden.
Merke
Ein Kompartmentsyndrom muss umgehend operativ gespalten werden.
Therapie
Die operative Versorgung von Frakturen erfolgt in der Primärphase (Stufenversorgung
des polytraumatisierten Patienten s. [Tab. 6]), eine Ausversorgung ist, falls möglich, anzustreben, um Folgeeingriffe zu vermeiden.
Tab. 6 Stufenversorgung des polytraumatisierten Patienten.
Phase
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Zeitrahmen
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OP-Indikationen
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mögliche OPs
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akut
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0 – 90 Minuten
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Notfall-OPs
mit vitaler Indikation
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Blutungskontrolle
Kraniotomie
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primär
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Tag 1
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dringliche Eingriffe
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Stabilisierung der Wirbelsäule
Frakturversorgung
Weichteilmanagement
Versorgung von Hohlorganverletzungen
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intermediär
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2. – 5. Tag
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Second Look
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Débridement zur Vermeidung sekundärer Schäden
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sekundär
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ab dem 5. Tag
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komplexe Eingriffe
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Ausversorgung von Frakturen
Gelenk- und plastische Rekonstruktionen
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Offene Frakturen bzw. Frakturen mit Gelenkeröffnung erfordern eine ausgiebige Spülung
mit Weichteil-Débridement und eine der Situation angepasste, stabile Osteosynthese.
Bei ausgedehnten Gewebeläsionen kann zusätzlich wie beim Erwachsenen ein mehrzeitiges
Vorgehen mit Vakuumversiegelung sowie Fixateur-externe-Anlage notwendig werden ([Abb. 7]).
Abb. 7 Ausgeprägte Décollement-Verletzung des Unterschenkels. In solch einem Fall ist das
stufenweise Débridement mit Vakuumversiegelung und abschließend plastischer Deckung
indiziert.
Cave
Bei der Planung von aufwendigen Rekonstruktionen bzw. Folgeeingriffen sollten Eingriffe
in der inflammatorischen Phase zwischen dem 2. – 4. posttraumatischen Tag vermieden
werden.
Osteosyntheseverfahren
Zur Frakturversorgung stehen je nach Lokalisation unterschiedliche Osteosyntheseverfahren
zur Verfügung. So können Schaftfrakturen von langen Röhrenknochen bei Kindern häufig
minimalinvasiv mittels elastisch-stabiler intramedullärer Nagelung (ESIN) versorgt
werden. Die Versorgung mittels Fixateur externe stellt ebenfalls ein adäquates Verfahren
dar. Bei epi- bzw. metaphysären Verletzungen dominiert die K-Draht-Osteosynthese,
es gibt jedoch auch Indikationen zur Schraubenosteosynthese. Bei älteren Kindern bzw.
bei speziellen Indikationen kann auch eine Plattenosteosynthese erforderlich werden.
Starre Marknägel oder Platten finden zumeist erst nach Schluss der Wachstumsfugen
ihren Einsatz.
Praxistipps
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Häufig besteht bei kindlichen Frakturen eine deutliche Korrekturpotenz, sodass der
konservativen Frakturbehandlung ebenfalls ein wichtiger Stellenwert zukommt.
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Verletzungen der Wachstumsfugen bergen je nach Schweregrad ein Risiko für Wachstumsstörungen,
sodass auch längerfristige Wachstumskontrollen notwendig werden können.
Kernaussagen
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Definition Polytrauma (Berlin-Definition):
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Injury Severity Score (ISS) ≥ 16
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2 Körperregionen betroffen
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mindestens 1 physiologisches Problem
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Die Ausführungen dieses Beitrags beziehen sich neben dem Polytrauma auf schwere Monoverletzungen
sowie schwerverletzte Patienten (Injury Severity Score mindestens ≥ 16).
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Polytraumata und schwerste Verletzungen bei Kindern sind selten.
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Präklinische Maßnahmen umfassen Anamnese und Untersuchung, Überwachung, Lagerungsmaßnahmen,
invasive Maßnahmen, medikamentöse Therapie sowie logistische Maßnahmen.
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Im Schockraum sind entscheidend:
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die primäre Sicherung der Vitalfunktionen,
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eine schnelle und vollständige Diagnostik,
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die Einleitung eines den speziellen Bedürfnissen der jungen Patienten angepasstes
Therapiekonzeptes.
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Der Beitrag behandelt anatomisch-physiologische Besonderheiten und therapeutische
Maßnahmen in der Versorgung schwerverletzter Kinder geordnet nach Körperregionen bzw.
Organsystemen:
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Schädel-Hirn-Trauma
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Thoraxtrauma
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Abdominaltrauma
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Wirbelsäulentrauma
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Beckentrauma
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Extremitätentrauma
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Dr. med. Philipp Störmann, Frankfurt.