ergopraxis 2017; 10(10): 14-16
DOI: 10.1055/s-0043-118511
Wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
09 October 2017 (online)

 
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Abb.: Jenny Sturm/fotolia.com (nachgestellte Situation)

Handeln! Handeln! Das ist es, wozu wir da sind.

Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), deutscher Theologe und Philosoph

Handeln steigert Lebensqualität – Demenz

Betätigungszentrierte Interventionen wirken sich positiv auf die Gesundheit von Menschen aus, die an Demenz erkrankt sind. Denn sie helfen ihnen, ihre geistige Fitness und Lebensqualität zu steigern sowie sturzbezogene Faktoren positiv zu beeinflussen. Zu diesem Ergebnis kam ein interdisziplinäres Forschungsteam um den Ergotherapeuten Ko-Un Kim von der Daegu University in der Republik Korea.

Die Forscher teilten 30 Teilnehmer in eine Experimental- und eine Kontrollgruppe ein. Alle Probanden waren demenziell erkrankt, besuchten tagsüber eine Versorgungseinrichtung und erhielten eine medikamentöse Behandlung. Lediglich die 15 Teilnehmer der Experimentalgruppe durchliefen eine handlungszentrierte Intervention, die insgesamt 24 Sitzungen à 60 Minuten umfasste. Die Sitzungen verteilten sich auf fünf Tage pro Woche und zielten darauf ab, den Senioren individuell bedeutungsvolle Betätigungen anzubieten. Dazu gehörten neben körperlichen, geistigen und musikalischen Aktivitäten auch ADLs und instrumentelle ADLs. Um die aufgetretenen Veränderungen zu ermitteln, setzten die Forscher verschiedene Assessments ein: Die kognitiven Funktionen ermittelten sie mit dem Mini-Mental Status Test (MMSE-K) und der Global Deterioration Scale (GDS). Fallbezogene Faktoren bestimmten sie unter anderem mit der Falls Efficacy Scale for Elderly (FES-K), dem Chair-Stand-Test und dem 244 cm Up and Go Test. Außerdem setzten sie die koreanische Version der Quality of Life Alzheimer Disease Scale (KQOL-AD) ein, um Informationen über die Lebensqualität zu ermitteln.

Wie die Ergebnisse zeigen, schneiden die Teilnehmer beider Gruppen nach dem Interventionszeitraum kognitiv besser ab als zu Beginn der Studie. Die erzielten Verbesserungen fallen in der Experimentalgruppe allerdings höher aus und liegen im signifikanten Bereich. Darüber hinaus können die Teilnehmer der handlungsbezogenen Intervention ihre sturzbezogenen Faktoren und ihre Lebensqualität verbessern – ebenso im signifikanten Bereich.

Die Forscher schlussfolgern, dass sich eine handlungsbezogene Intervention positiv auf kognitive Funktionen, Sturzfaktoren und die Lebensqualität von Menschen mit Demenz auswirkt. Aus ihrer Sicht sollten entsprechende Interventionen dabei gleichermaßen körperliche und geistige Aktivitäten sowie ADLs einbeziehen.

fk

J Phys Ther Sci 2017; 29: 1188–1191


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Je tiefer der Schnitt, desto mehr Kommentare – Selbstverletzungen auf Instagram

Jugendliche posten regelmäßig Fotos von Selbstverletzungen in sozialen Netzwerken wie Instagram. Je tiefer die Wunden sind, desto mehr Kommentare erhält das Foto. Diese Ergebnisse explorierten Forscher um Prof. Paul Plener, dem leitenden Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Ulm.

Die Forscher recherchierten die Bilder, indem sie auf Instagram Hashtags für selbstverletzendes Verhalten eingaben: #Ritzen, #Klingenliebe, #Selbstverletzung oder #Selbsthass. Allein im April 2016 wurden hier 2.826 Fotos gepostet, die selbstverletzendes Verhalten und leichte bis mittelschwere Schnittwunden zeigten. Die Forscher ordneten die Bilder in folgende Kategorien ein:

  • Grad der Verletzung (mild, moderat, schwer)

  • Typ der Verletzung (Schnitt, Verbrennung)

  • Körperregion (Arm, Bein, Kopf)

  • ggf. das verletzende Objekt (Rasierklinge, Scherbe, Messer)

Die Analyse ergab, dass in 40 Prozent der Fälle leichte, bei 48 Prozent moderate und bei 12 Prozent schwere Verletzungen abgebildet waren. Die meisten Fotos zeigten Schnittverletzungen (93 Prozent), vorwiegend auf dem Arm (60 Prozent). Objekte wie Rasierklingen, mit denen die Benutzer die Verletzungen verursachten, waren nur in 6 Prozent der Bilder abgebildet. Die Benutzer posteten die meisten Bilder zwischen 20 und 22 Uhr und am häufigsten sonntags. Die Fotos erhielten insgesamt 6.651 Kommentare, wobei sich die Hälfte der Kommentare nicht direkt auf das Bild bezog, sondern Teil einer Diskussion über das Thema war. Jene, die sich auf das Bild bezogen, waren vorwiegend positiv: 24 Prozent äußerten sich empathisch, 7 Prozent boten Hilfe an und 12 Prozent warnten die Benutzer vor Risiken. 6 Prozent waren beleidigend und 1 Prozent machte Komplimente. Jene Bilder, die schwere und/oder viele Verletzungen zeigten, erhielten signifikant mehr Kommentare als jene mit leichten Verletzungen.

Die Forscher befürchten, dass die Tatsache, dass es mehr Kommentare bei schlimmeren Selbstverletzungen gibt, zur sozialen Verstärkung von Selbstverletzung führen könnte. 83 Prozent der 1.154 Accounts, auf denen Bilder mit Selbstverletzungen gepostet wurden, waren anonym. 91 Prozent der Benutzer, die persönliche Angaben machten, waren weiblich. 42 Prozent der Benutzer gaben ihr Alter auf der Profilseite an: Es variierte zwischen 12 und 21 Jahren (Durchschnittsalter: 14,8 Jahre).

Darum fordern die Wissenschaftler, dass soziale Netzwerke geeignete präventive Maßnahmen wie eine Filterfunktion oder Links zu psychologischer Beratung einrichten und Therapeuten sich mit dem Thema auseinandersetzen. Dazu gehört auch, dass sie Betroffene nach ihrem Verhalten auf sozialen Netzwerken befragen, um sie für einen bewussten Umgang zu sensibilisieren.

lk

Psychol Med 2017, doi: 10.1017/S0033291717001751

Alternativen zu selbstverletzendem Verhalten

sich körperlich auspowern

  • Sport jeglicher Art

  • ein Telefonbuch zerreißen

  • intensives Weinen zulassen

Beschäftigungen, die Konzentration erfordern

  • Rätsel lösen

  • etwas Neues erlernen, zum Beispiel eine neue Sprache, Nähen

seine Gefühle kreativ ausdrücken

  • malen, zeichnen, Gedichte oder Tagebuch schreiben

sich etwas Gutes tun

  • baden

  • eine schöne DVD ansehen

  • Eis essen

Ersatzhandlungen

  • kalt duschen, in eine Chilischote beißen, Eiswürfel auf die Haut drücken

  • Gummiband um das Handgelenk legen und schnalzen lassen

Selbstverletzung vermeiden und aufschieben

  • Orte vermeiden, die mit Selbstverletzung zu tun haben (Aufbewahrung von Messern)

  • die Selbstverletzung immer wieder auf später aufschieben

www.rotelinien.de/alternativen.html

Suchtpotenzial

95 % der Betroffenen sind der Meinung, dass selbstverletzendes Verhalten abhängig und süchtig macht. Die Abhängigkeit ist nicht nur psychisch bedingt, sondern auch biomechanisch, zum Beispiel durch die Ausschüttung von Endorphinen während der Selbstverletzung. 1/3 der Betroffenen gilt als nicht therapierbar. Geheilt sind Betroffene erst dann, wenn sie fünf Jahre lang kein selbstverletzendes Verhalten mehr gezeigt haben; dennoch besteht lebenslang eine hohe Rückfallrate.

www.rotelinien.de/information.html


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Erhöhtes Risiko für Menschen mit intellektueller Behinderung – Depressionen und Angststörungen

Menschen mit einer intellektuellen Behinderung, die bestimmte Merkmale wie einen hohen Behinderungs- grad zeigen, erkranken besonders häufig an Depressionen. Erfahren sie Gewalt, entwickeln sie oft Angststörungen. Diese Ergebnisse ermittelten im Fachbereich Soziale Arbeit der Masterstudent David Schmückle, Prof. Dr. Jutta Lindert von der Hochschule Emden-Leer und Günther Scholz vom Landesgesundheitsamt Stuttgart.

Zunächst führten sie eine Querschnittsstudie durch, um Daten zur Häufigkeit depressiver Beschwerden und pathologischer Angstausprägung von Menschen mit intellektueller Behinderung zu ermitteln. Im zweiten Schritt analysierten sie Zusammenhänge der Störungsbilder mit unabhängigen Variablen wie der Wohnsituation. Sie befragten 44 Personen (26 Männer und 18 Frauen) mit einem durchschnittlichen Grad der Behinderung von 80 im Alter zwischen 18 und 65 Jahren. Diese rekrutierten sie in zwei Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Jene Personen, bei denen bereits psychische Erkrankungen diagnostiziert waren, die sich aktuell in psychiatrischer Behandlung befanden oder die einen gesetzlichen Betreuer hatten, wurden von der Datenerhebung ausgeschlossen. Die Forscher erhoben eine potenzielle Ausprägung von Depression und Angst mit dem „Patient Health Questionnaire – 4“. Dabei achteten sie auf eine leichte Sprache. Zusätzlich zogen sie soziodemografische Daten wie die Behinderungsform hinzu.

Die Auswertung ergab: 20 % der Teilnehmer hatten erhöhte Punktwerte auf der Depressionsskala und 18 % erhöhte Punktwerte im Bereich Angstausprägung. Die Analyse der personenbezogenen Daten zeigte statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen depressiven Störungen und folgenden Variablen:

  • einem Behinderungsgrad zwischen 90 und 100,

  • eingeschränkten Selbstbestimmungsmöglichkeiten,

  • Angst vor neuen Situationen und

  • dem Wohnen bei den Eltern.

Wenn Personen hingegen angaben, dass sie mit Alltagsaufgaben gut zurechtkommen, entpuppte sich dies als Schutzfaktor. Kein Zusammenhang mit depressiven Beschwerden fand sich zum Beispiel für die Variablen Geschlecht, Behinderungsform oder Migrationshintergrund. Für pathologische Angstausprägungen zeigte sich nur für die Variable „Gewalterfahrungen“ ein signifikanter Zusammenhang. Allerdings können die Forscher nicht konkretisieren, in welcher Form oder in welchen Situationen die Gewalterfahrungen gemacht wurden. Sie vermuten Gewalt von Pflegepersonal in Wohnheimen oder Mobbing in Werkstätten. Die Forscher fordern zu weiterer Forschung in diesem Feld auf. Langfristig sollen präventive Maßnahmen zur Gesundheitsförderung für diese Zielgruppe abgeleitet werden.

lk

Gesundheitswesen 2017; 79: 415–418

Menschen mit intellektueller Behinderung entwickeln etwa 3- bis 4-mal so häufig psychische Störungen als Menschen ohne Behinderung.

Došen A.

Psychische Störungen, Verhaltensprobleme und intellektuelle Behinderung. Ein integrativer Ansatz für Kinder und Erwachsene. Göttingen: Hogrefe; 2010

Zentrale Aspekte leichter Sprache

Zielgruppe

  • kurze Sätze

  • keine Fremdwörter

  • keine Abkürzungen

  • kein Genitiv oder Konjunktiv

  • klare Schrift und große Schriftgröße

  • keine Redewendungen

  • Veranschaulichung durch Bilder

  • Menschen mit Lernschwierig-keiten

  • Menschen mit einer Demenz

  • Menschen, die nicht so gut Deutsch können

  • Menschen, die nicht so gut lesen können

Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.V. Leichte Sprache. Marburg: Verlag der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.; 2013


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Abb.: Jenny Sturm/fotolia.com (nachgestellte Situation)