Pneumologie 2018; 72(02): 132-137
DOI: 10.1055/s-0043-118889
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die überschätzte Beeinflussung der Exazerbationsrate bei COPD durch Inhalativa (LABA, LAMA, ICS)

The Overrated Impact of Inhaled Substances (LABA, LAMA, ICS) on Exacerbation Rates in COPD
D. Köhler
1   Schmallenberg, Winkhausen
,
D. Dellweg
2   Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft, Schmallenberg
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dieter Köhler
Auf dem Kamp 11
Winkhausen
57392 Schmallenberg

Publication History

eingereicht15 June 2017

akzeptiert nach Revision28 August 2017

Publication Date:
20 November 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Durch zahlreiche Studien ist belegt, dass inhalative, langwirksame Beta-2-Mimetika (LABA) und Anticholinergika (LAMA) sowie Steroide (ICS) die Exazerbationsrate bei COPD signifikant reduzieren. Allerdings konnte auch in aufwendigen und länger dauernden Studien nicht gezeigt werden, dass diese Reduktion der Exazerbation auch die Lebenserwartung verlängert. Im Gegensatz dazu zeigen zahlreiche Studien, dass die Lebenserwartung mit zunehmender Schwere und Häufigkeit der Exazerbation vermindert wird.

In dieser Übersicht werden diese Studien gegenübergestellt und die Relevanz der Reduktion der Exazerbationsraten durch LABA, LAMA und ICS durch Bewertung ihrer Effektstärke mittels Cohen’s d bewertet. Dabei zeigt sich in den Studien ein gleiches Muster. Die Reduktion der Exazerbationsrate zeigt nur bei den geringen Schweregraden einen kleinen Effekt (Cohen’s d max. 0,21). Bei Exazerbation mit höherem Schweregrad und bei Vergleich der Substanzen untereinander fällt Cohen’s d unter 0,1, was zeigt, dass die Wirkung der Medikamente klinisch praktisch bedeutungslos ist. Die Wirkung von LABA, LAMA und ICS auf die Exazerbationsrate bei COPD ist deutlich überschätzt.


#

Abstract

Numerous studies have shown that exacerbation rates in COPD can be significantly reduced by long acting beta-2-agonists (LABA), long acting anticholinergic agents (LAMA) and inhaled steroids (ICS). Elaborate and extensive investigations however failed to prove that the reduction in exacerbation rates leads to life prolongation. As opposed to this, numerous studies have shown a reduction in life expectancy with increasing number and severity of exacerbations.

This review aimed at comparing these studies and to elaborate the relevance and reduction of exacerbations rates by LABA, LAMA and ICS application through effect size calculation by means of Cohens’ d. These studies display a common pattern. The reduction of exacerbation rates is only being achieved for less severe exacerbations (Cohens’ d max. 0.21). For more severe exacerbations and for the comparison of different substances Cohens’ d remains below 0.1, indicating that the effect of the medications is practically irrelevant. The impact of LABA’s, LAMA’s and ICS on exacerbation rates in COPD patients is obviously overrated.


#

Einleitung

Exazerbationen bestimmen die Prognose der COPD. Dieses ist seit Jahrzehnten bekannt. Vieles dazu ist bereits in dem großartigen Buch von Fletcher und Mitarbeitern [1] wiedergegeben. Auch gab es damals noch nicht den unglücklichen Sammelbegriff der COPD, sondern es wurden die einzelnen, mit der chronischen Bronchitis zusammenhängenden Krankheitsbilder im Längsschnitt untersucht.

Erst in den letzten zehn Jahren bemüht man sich wieder, die unterschiedlichen Krankheitsentitäten einer chronischen Bronchitis, heute Phänotypen genannt, zu differenzieren, da dieses prognostische und therapeutische Bedeutung hat. Wegweisend ist hierzu die ECLIPSE-Studie zu nennen, die eine große Anzahl von Parametern, einschließlich Genanalyse, bei COPD über 3 Jahre untersucht hat [2] [3]. Die in mehreren Arbeiten publizierten Ergebnisse sind auch deswegen von grundsätzlicher Bedeutung, da sie kein Pharmakon als Untersuchungsgegenstand hatte.

Die ECLIPSE-Studie hat neben anderen erneut gezeigt, dass die Zahl und die Schwere der Exazerbationen eng mit der Progression der COPD verbunden sind. Dabei waren die Einzelverläufe oft sehr variabel. In einer Clusteranalyse der ECLIPSE-Studie, bei der fünf Phänotypen als relevant angesehen wurden, hatte die Gruppe mit zusätzlichem Emphysem und vermehrt Exazerbationen neben der Gruppe mit Komorbiditäten die schlechteste Prognose [4]. Allerdings hatten die Patienten in der Studie nur einen leichten bis mittleren Schweregrad, denn nach drei Jahren lebten auch von der Gruppe mit der schlechtesten Prognose immerhin noch ca. 85 %. Die von GSK® gesponserte ECLIPSE-Studie hatte eine bessere Charakterisierung der COPD-Patienten zum Ziel, um ggf. prädiktive Parameter für eine Verschlechterung zu finden [2].

Untersucht man hingegen alle Schweregrade prospektiv, so ändert sich die Prognose drastisch. Eine Basisarbeit hierzu wurde von Soler-Cataluna et al. 2005 [5] veröffentlicht. Dort wurden 304 Patienten über fünf Jahre untersucht, nachdem sie einmal stationär waren oder eine Notaufnahme aufgesucht hatten. Von den Patienten mit mehr als drei Exazerbationen lebten nach fünf Jahren nur noch gut 20 %. Ein ähnliches Bild zeigten Patienten mit mindestens zwei stationären Aufenthalten. Neuere Untersuchungen bestätigen diese 20 Jahre alten Befunde [6] [7] [8] [9].

Nun zeigen die gebräuchlichsten bei COPD inhalierten Substanzen wie langwirksame Beta-2-Mimetika (LABA) und langwirksame Anticholinergika (LAMA) und weniger stark auch inhalative Steroide (ICS) sowie deren Kombinationen einen Rückgang der Exazerbationshäufigkeit. Ähnliches gilt auch für Roflumilast, das allerdings nur in Subgruppen einen Rückgang der Exazerbationshäufigkeit aufwies [10].

Mit Besserung der Exazerbationsrate müsste eigentlich die Prognose der COPD günstig beeinflusst werden, was sich schlussendlich in einer Zunahme der Lebenserwartung zeigen sollte. Jedoch haben alle, zum Teil außerordentlich aufwendig durchgeführte, Studien diesen Effekt bisher nicht zeigen können. Das führt zu der Frage, wie denn der Rückgang der Exazerbationshäufigkeit klinisch zu bewerten ist. Unter dieser Fragestellung werden im Folgenden relevante Studien zur Therapie der COPD mit Bezug auf Überleben, Schweregrade der Exazerbationen und Adhärenz näher untersucht.

Natürlich beeinflussen LABA und LAMA auch die subjektive Symptomatik bei COPD positiv. Sie reduzieren die Dyspnoe und steigern die Leistungsfähigkeit [11] [12]. Liegt gleichzeitig ein Asthma vor, so scheinen hier gerade ICS Vorteile zu haben [13]. Dieses ist aber nicht Gegenstand dieses Artikels.


#

Überlebensrate

In [Abb. 1] ist die Überlebenswahrscheinlichkeit von vier großen randomisiert kontrollierten Studien (RCT) dargestellt, die mindestens über einen Zeitraum von drei Jahren liefen [14] [15] [16] [17]. Gewählt wurden jeweils die Daten für Placebo, um die Abbildung zu vereinfachen und weil die Überlebens- bzw. Mortalitätskurven für die jeweiligen Medikamente in keiner der Studien signifikant verschieden zu Placebo waren. In der gleichen Abbildung sind die Überlebenskurven für schwerer erkrankte COPD-Patienten aus der Studie von Soler-Cataluna et al. [5] für drei verschiedene Exazerbationshäufigkeiten dargestellt. Zusätzlich noch eine RCT [18], die den Einfluss einer oralen Erythromycingabe auf die Überlebensrate bei sehr schwerer COPD über 12 Monate untersuchte.

Zoom Image
Abb. 1 Überlebenswahrscheinlichkeit aus 4 RCT [14] [15] [16] [17] mit LAMA, LABA und ICS bei COPD (Placebogruppe) im Vergleich zu einer prospektiven Follow-up-Analyse [5] und einer Antibiotikastudie bei schwer Erkrankten [18].

Diese Abbildung zeigt offensichtlich, dass die höheren Schweregrade in den Pharmastudien mit LABA, LAMA und ICS im Vergleich zu allen Patienten deutlich unterrepräsentiert sind. Die Überlebenskurven der Pharmastudien sind untereinander sehr ähnlich, sodass davon auszugehen ist, dass immer die gleichen, vergleichsweise gering erkrankten Patientengruppen eingeschlossen wurden.


#

Inhalativa und Schweregrad der Exazerbationen

Die fehlende Beeinflussung der Überlebensraten durch die Inhalativa bei COPD könnte damit zusammenhängen, dass die Patienten nicht krank genug sind und länger gewartet werden müsste, bis sich der Einfluss zeigt. Auf der anderen Seite könnten aber Subgruppenanalysen bereits jetzt einen Hinweis auf die Langzeitwirkung geben, wenn die Beeinflussung der Exazerbationsrate vom Schweregrad abhängt. Dabei sollte sich die Besserung auf alle Schweregrade auswirken.

Für einige Studien gibt es inzwischen Subgruppenanalysen. Allen gemeinsam ist das Muster, das in [Tab. 1] und [Tab. 2] für zwei der größten Studien dargestellt ist.

Tab. 1

Bestimmung der Effektstärke (Cohen’s d) der GOLD-Schweregrade aus der UPLIFT-Studie [19].

GOLD

n

Exaz/Pat/Jahr

Δ 95 % CI

SD

p-Wert

Cohen‘s d

II

Tiotropium

 824

0,56

0,08

0,59

 < 0,0001

0,21

Placebo

 882

0,70

0,10

0,76

III

Tiotropium

 944

0,85

0,10

0,78

0,003

0,14

Placebo

 942

0,97

0,12

0,94

IV

Tiotropium

 200

1,05

0,29

1,05

0,397

0,09

Placebo

 188

1,15

0,31

1,08

alle

Tiotropium

2986

0,73

0,02[1]

1,09[1]

 < 0,001

0,11

Placebo

3006

0,85

0,02[1]

1,09[1]

SD = Standardabweichung; CI = Konfidenzintervall

1 Keine Angabe des CI in der Publikation, einschl. Supplement, sondern nur SE (Standard Error). SD daraus errechnet SD = SE *√(n). Da SE nur mit einer Stelle angegeben wird, ist die errechnete SD bzw. Cohenʼs d etwas ungenau.


In der UPLIFT-Studie reduzierte Tiotropium gegenüber Placebo p < 0,001 die Exazerbationsrate bei COPD (15). Für diese Studie [19] gibt es eine nähere Differenzierung der Schweregrade nach der Goldklassifikation ([Tab. 1]). Mit zunehmendem Schweregrad verschwindet der Therapieeffekt. Im Goldstadium IV ist kein signifikanter Unterschied mehr vorhanden.

In der FLAME-Studie [20] war die Kombination aus LABA und LAMA bezüglich der Reduktion der Exazerbationsrate gegenüber LABA und ICS für alle Schweregrade mit p < 0,003 in der per Protokoll Population überlegen ([Tab. 2] und [Abb. 2]). Nimmt man jedoch die Subgruppe mit den schweren Exazerbationen, die zur Krankenhausaufnahme führten, so verschwindet auch hier der Unterschied.

Tab. 2

Bestimmung der Effektstärke (Cohen’s d) der Reduktion der Exazerbationsrate bei verschiedenen Schweregraden aus der FLAME-Studie [20].

Schweregrad

n

Exaz/Pat/Jahr

Δ 95 % CI

SD

p-Wert

Cohen’s d

mild

IND/GLY

1651

2,46

0,54

5,60

0,03

0,04

SFC

1656

2,72

0,60

6,23

moderat

IND/GLY

1651

0,81

0,19

1,98

 < 0,001

0,08

SFC

1656

0,98

0,23

2,39

moderat-schwer

IND/GLY

1651

0,98

0,22

2,28

 < 0,001

0,09

SFC

1656

1,19

0,25

2,60

schwer

IND/GLY

1651

0,15

0,08

0,83

0,231

0,03

SFC

1656

0,17

0,05

0,52

alle Gruppen

IND/GLY

1651

3,59

0,66

6,53

0,003

0,07

SFC

1656

4,09

0,73

7,37

IND/GLY: Indacaterol/ Glycopyrronium; SFC: Salmeterol/Fluticason; SD = Standardabweichung; CI = Konfidenzintervall.

Zoom Image
Abb. 2 Exazerbationsratio aus der FLAME-Studie [20], modifiziert mit Angabe von Cohen’s d.

Diese Daten zeigen, dass der Medikamenteneffekt nur bei den leicht- bis mittelschweren Exazerbationen sichtbar ist. Das deutet darauf hin, dass bei den schweren Exazerbationen, die das Gesamtleben bevorzugt bestimmen, die Inhalativa keinen wesentlichen Einfluss haben.

Daraus ergibt sich die Frage, wie relevant überhaupt diese Ergebnisse für die klinische Praxis sind.


#

Effektstärke

Die Beurteilung eines klinisch relevanten Effekts aufgrund des Signifikanzniveaus ist außerordentlich problematisch. Die heute üblichen großen Patientengruppen in den RCT führen dazu, dass auch schon minimale Effekte schnell signifikant werden. Das Signifikanzniveau, das üblicherweise mit p = 0,05 angesetzt wird, sagt nur aus, dass ein Ergebnis vom Zufall mit 95 % Wahrscheinlichkeit verschieden ist. Ob der Effekt maßgeblich bzw. klinisch relevant ist, muss erst die Bewertung ergeben.

Um das näher zu beurteilen sind verschiedene Instrumente entwickelt worden wie die MCID bzw. MID (Minimal Clinical Important Differenz). Dieser Wert kann z. B. durch Expertengruppen mittels Delphikonferenzen festgelegt werden [21] [22]. Ein anderes Verfahren ist die Berechnung der Effektstärke (https://de.wikipedia.org/wiki/Effektst%C3 %A4rke), bei der die Standardabweichung (SD) und die Differenz der Mittelwerte (m) mit eingehen. Die Effektstärke wird mitunter auch als praktische Signifikanz bezeichnet.

Anders als der p-Wert zeigt die Effektstärke nicht die Wahrscheinlichkeit eines Unterschiedes an, sondern quantifiziert ihn. Daher ist die Effektstärke auch der wichtigste Parameter für die Poweranalyse und damit zur Bestimmung der erforderlichen Fallzahl einer Studie. Es gibt verschiedene Berechnungen, deren Ergebnisse sich bei größeren Fallzahlen sehr ähneln. Am bekanntesten ist Hedge’s g oder Cohen’s d, das sich wie folgt berechnet: d = (m1 – m2)/√((SD1² + SD2²)/2)).

In der Literatur wird häufig die von Cohen selbst angegebene Bewertung benutzt: d > 0,2 kleiner Effekt, d = 0,2 – 0,5 mittlerer und d > 0,5 starker Effekt. Eine ähnliche Beurteilung verwendet auch das IQWiG bei der Nutzenbewertung von Pharmaka; insbesondere dann, wenn andere Maßstäbe für eine Gewichtung fehlen, wie bei Untersuchungen zu Lebensqualität. In Publikationen werden üblicherweise die Bewertungen von Cohen übernommen [23] [24] [25].

Häufiger wird bei der MCID oder der Effektstärke eingewandt, dass keine Validierung für klinische Parameter vorläge. Nun ist das gerade in der Medizin schwierig, da nicht nur das Empfinden der Patienten für eine Verbesserung durch eine Therapie, sondern auch die Einschätzung der Ärzte sehr unterschiedlich sein können. Allerdings wird beispielsweise bei der COPD die Besserung der Dyspnoe oder eine Zunahme der Wegstrecke im 6-Minuten-Gehtest von 20 – 30 % als klinisch relevant angenommen [22] [23] [24]. Das sind erhebliche Differenzen, bei der Cohen’s d deutlich über 0,5 liegt.


#

Effektstärke der Reduktion der Exazerbationshäufigkeit durch Inhalativa

Berechnet man die erwähnte Effektstärke als Cohenʼs d für die Beeinflussung der Exazerbationshäufigkeit bei verschiedenen Schweregraden, so bekommt man einen Eindruck von der Relevanz des pharmakologischen Effektes. Zur Berechnung benötigt man die Standardabweichung (SD), die bei den meisten Studien in der Publikation wie im Supplement leider nicht angegeben ist. Aus dem heute fast immer angegebenen Konfidenzintervall (CI) und der Fallzahl (n) ist es aber leicht möglich, die SD zu berechnen. Bei dem meist angegebenen 95 % CI ist dann die SD = ΔCI*√n/2*1,96, wenn die Werte normalverteilt sind. Das ist aber bei den großen Fallzahlen fast immer der Fall.

Wendet man die Effektstärke auf die Subgruppen in der UPLIFT-Studie [15] an, so zeigt sich gerade noch ein kleiner Effekt in der milden COPD-Gruppe (GOLD II) mit Cohen’s d von 0,21 ([Tab. 1]). Bei den höheren Schweregraden ist die Effektstärke jenseits der Relevanzgrenze.

Werden zwei Substanzgruppen verglichen, die für sich genommen in früheren Studien die Exazerbationsrate reduziert haben, dann ist die Differenz erwartungsgemäß kleiner. Das zeigt sich deutlich in der FLAME-Studie [20], dargestellt in [Tab. 2], deren Daten aus dem Supplement (dort Tab. 5c) entnommen wurden. Hier wird weder insgesamt noch bei verschiedenen Schweregraden ein minimaler Effekt nachweisbar, denn Cohen’s d ist immer unter 0,1. Damit ist die Effektstärke deutlich jenseits der Relevanzgrenze.

Diese minimalen Effekte in den Studien werden in den Publikationen nicht dargestellt. Meist werden die Achsen so angepasst, dass der Unterschied vergrößert dargestellt wird. Leider ist das auch in den hochrangigen Journalen nicht anders. Ein Beispiel aus der FLAME-Studie [20] zeigt [Abb. 2]. Die Abbildung suggeriert einen deutlichen Unterschied, obwohl Cohen’s d mit 0,07 jenseits der Relevanzgrenze ist.

Diese Bewertung der Effektstärke führt zu dem Schluss, dass die Reduktion der Exazerbationshäufigkeit durch LAMA, LABA und ICS bzw. deren Kombinationen bei milder COPD, auch bei absoluter Betrachtung, klinisch nur eine geringe Bedeutung besitzt. Im Vergleich zu anderen Einflüssen ist der Effekt sogar noch weniger bedeutsam.


#

Andere Maßnahmen zur Behandlung der COPD im Vergleich zu der Reduktion der Exazerbationsrate durch Inhalativa

Andere Maßnahmen zur Prognosebeeinflussung der COPD sind wesentlich wirksamer als die Gabe von Inhalativa. Um die Größenordnungsunterschiede darzustellen, wird kurz darauf eingegangen.

Es ist bekannt, dass bei COPD regelmäßig durchgeführte sportliche Aktivität bei jedem Schweregrad deutlich lebensverlängernd wirkt [26]. Bei höheren Schweregraden ist das ebenfalls für die Sauerstofflangzeittherapie [27] [28] sowie für die nicht invasive Beatmung [28] nachgewiesen. Natürlich ist eine Raucherentwöhnung mit Abstand die effektivste Maßnahme zur Lebensverlängerung einer COPD.

Weniger bekannt ist, dass allein die Adhärenz an eine Therapie ein Marker für ein deutlich längeres Überleben darstellt. Diese eindrucksvollen Ergebnisse stammen aus der aufwendigen TORCH-Studie, modifiziert dargestellt in [Abb. 3] [30]. Bei dieser Studie mit vier Behandlungsarmen (Placebo, Salmeterol, Fluticasone und die Kombination aus Salmeterol/Fluticason) war kein Überlebensvorteil durch die Pharmakotherapie beobachtet worden (siehe auch [Abb. 1]). Eine Subgruppenanalyse bezüglich der Adhärenz der Therapie zeigt jedoch einen eindrucksvollen Unterschied. Patienten mit einer hohen Adhärenz von über 80 % lebten deutlich länger.

Zoom Image
Abb. 3 Modifizierte Daten aus der TORCH-Studie [14] mit Angabe der Sterbewahrscheinlichkeit des Gesamtkollektivs und der Patienten mit hoher bzw. niedriger Adhärenz [29].

Dieser Effekt war unabhängig davon, ob sie Verum oder Placebo inhalierten. Auch zeigte die Gruppe der Patienten mit hoher Medikamententreue keine signifikanten Unterschiede im Schweregrad der COPD. Allerdings hatte sie 44 % weniger schwere Exazerbationen, unabhängig vom Therapiearm. Es ist zu vermuten, dass die Patientengruppe mit höherer Adhärenz auch sonst eine stringentere Lebensführung hat mit Vermeidung zusätzlicher Noxen und höherer sportlicher Aktivität. Diese Daten weisen indirekt auch darauf hin, dass ein gutes Management (vermutlich auch mit Schulung) einer schweren Exazerbation sehr wichtig ist. Allein die frühe Erkennung einer solchen Exazerbation verhindert oft das Abrutschen in einen lebensbedrohlichen Zustand.

Zusammenfassend zeigt eine nähere Analyse der RCT, dass der Einfluss der inhalierten LAMA, LABA und ICS bzw. deren Kombinationen auf die Exazerbationsrate bei COPD stark überschätzt wird. Der klinische Effekt ist nur marginal und betrifft zudem nur die leichten bis mittelschweren Exazerbationen. Andere Therapiemaßnahmen sind ungleich wichtiger. Deswegen wird empfohlen, in Leitlinien nicht nur die signifikanten Unterschiede, sondern auch die Effektstärke in den Bewertungs- bzw. Empfehlungsgrad einzubeziehen.

Hinweis: Dieser Beitrag wurde gemäß folgendem Erratum vom 27. 2. 2018 geändert:

Erratum

D. Köhler, D. Dellweg. Die überschätzte Beeinflussung der Exazerbationsrate bei COPD durch Inhalativa (LABA, LAMA, ICS) Pneumologie 2018; 72: 132–137
Im oben genannten Artikel ist in der deutschen Zusammenfassung ein Satz fehlerhaft. Richtig ist:

Allerdings konnte auch in aufwendigen und länger dauernden Studien nicht gezeigt werden, dass diese Reduktion der Exazerbation auch die Lebenserwartung verlängert.


#
#

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Wir danken Stefan Suchi, data-quest Göttingen, sehr für seine Hilfe bei den statistischen Berechnungen.

  • Literatur

  • 1 Fletcher C, Perto R, Tinker C, Speizer F. The Natural History of Chronic Bronchitis and Emphysema. Oxford: Oxford University Press; 1976
  • 2 Hurst JR, Vestbo J, Anzueto A. et al. Susceptibility to exacerbation in chronic obstructive pulmonary disease. N Engl J Med. 2010; 16; 363: 1128-1138
  • 3 Vestbo J, Edwards LD, Scanlon PD. et al. Changes in forced expiratory volume in 1 second over time in COPD. N Engl J Med. 2011; 29;365: 1184-1192
  • 4 Rennard SI, Locantore N, Delafont B. et al. Identification of five chronic obstructive pulmonary disease subgroups with different prognoses in the ECLIPSE cohort using cluster analysis. Ann Am Thorac Soc 2015; 12: 303-312
  • 5 Soler-Cataluña JJ, Martínez-García MA, Román Sánchez P. et al. Severe acute exacerbations and mortality in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Thorax 2005; 60: 925-931
  • 6 Suissa S, Dell'Aniello S, Ernst P. Long-term natural history of chronic obstructive pulmonary disease: severe exacerbations and mortality. Thorax 2012; 67: 957-963
  • 7 Slenter RH, Sprooten RT, Kotz D. et al. Predictors of 1-year mortality at hospital admission for acute exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease. Respiration 2013; 85: 15-26
  • 8 Ho TW, Tsai YJ, Ruan SY. et al. In-hospital and one-year mortality and their predictors in patients hospitalized for first-ever chronic obstructive pulmonary disease exacerbations: a nationwide population-based study. PLoS One. 2014; 9;9: e114866.
  • 9 Santibáñez M, Garrastazu R, Ruiz-Nuñez M. et al. Predictors of Hospitalized Exacerbations and Mortality in Chronic Obstructive Pulmonary Disease. PLoS One 2016; 30;11: e0158727
  • 10 Wedzicha JA, Rabe KF, Martinez FJ. et al. Efficacy of roflumilast in the COPD frequent exacerbator phenotype. Chest 2013; 143: 1302-1311
  • 11 Mahler DA, O'Donnell DE. Recent advances in dyspnea. Chest 2015; 147: 232-241
  • 12 O'Donnell DE, Webb KA, Harle I. et al. Pharmacological management of breathlessness in COPD: recent advances and hopes for the future. Expert Rev Respir Med 2016; 10: 823-834
  • 13 Ernst P, Saad N, Suissa S. Inhaled corticosteroids in COPD: the clinical evidence. Eur Respir J 2015; 45: 525-537
  • 14 Calverley PM, Anderson JA, Celli B. et al. Salmeterol and fluticasone propionate and survival in chronic obstructive pulmonary disease. N Engl J Med 2007; 356: 775-789
  • 15 Tashkin DP, Celli B, Senn S. et al. A 4-year trial of tiotropium in chronic obstructive pulmonary disease. N Engl J Med 2008; 359: 1543-1554
  • 16 Wise RA, Anzueto A, Cotton D. et al. Tiotropium Respimat inhaler and the risk of death in COPD. N Engl J Med 2013; 17;369: 1491-1501
  • 17 Vestbo J, Anderson JA, Brook RD. et al. Fluticasone furoate and vilanterol and survival in chronic obstructive pulmonary disease with heightened cardiovascular risk (SUMMIT): a double-blind randomised controlled trial. Lancet 2016; 387: 1817-1826
  • 18 Seemungal TA, Wilkinson TM, Hurst JR. et al. Long-term erythromycin therapy is associated with decreased chronic obstructive pulmonary disease exacerbations. Am J Respir Crit Care Med 2008; 178: 1139-1147
  • 19 Decramer M, Celli B, Kesten S. et al. Effect of tiotropium on outcomes in patients with moderate chronic obstructive pulmonary disease (UPLIFT): a prespecified subgroup analysis of a randomised controlled trial. Lancet 2009; 374: 1171-1178
  • 20 Wedzicha JA, Banerji D, Chapman KR. et al. Indacaterol-Glycopyrronium versus Salmeterol-Fluticasone for COPD. N Engl J Med 2016; 374: 2222-2234
  • 21 Wyrwich KW, Tierney WM, Babu AN. et al. A comparison of clinically important differences in health-related quality of life for patients with chronic lung disease, asthma, or heart disease. Health Serv Res 2005; 40: 577-591
  • 22 Jones PW, Beeh KM, Chapman KR. et al. Minimal clinically important differences in pharmacological trials. Am J Respir Crit Care Med 2014; 189: 250
  • 23 Puhan MA, Chandra D, Mosenifar Z. et al. The minimal important difference of exercise tests in severe COPD. Eur Respir J 2011; 37: 784-790
  • 24 Kon SS, Dilaver D, Mittal M. et al. The Clinical COPD Questionnaire: response to pulmonary rehabilitation and minimal clinically important difference. Thorax 2014; 69: 793-798
  • 25 Demeyer H, Burtin C, Hornikx M. et al. The Minimal Important Difference in Physical Activity in Patients with COPD. PLoS One 2016; 28;11: e0154587
  • 26 Garcia-Aymerich J, Lange P, Benet M. et al. Regular physical activity reduces hospital admission and mortality in chronic obstructive pulmonary disease: a population based cohort study. Thorax 2006; 61: 772-778
  • 27 Nocturnal Oxygen Therapy Trial Group. Continuous or nocturnal oxygen therapy in hypoxemic chronic obstructive lung disease: a clinical trial. Ann Intern Med 1980; 93: 391-398
  • 28 Report of the Medical Research Council Working Party. Long term domiciliary oxygen therapy in chronic hypoxic cor pulmonale complicating chronic bronchitis and emphysema. Lancet 1981; 28: 681-686
  • 29 Köhnlein T, Windisch W, Köhler D. et al. Non-invasive positive pressure ventilation for the treatment of severe stable chronic obstructive pulmonary disease: a prospective, multicentre, randomised, controlled clinical trial. Lancet Respir Med 2014; 2: 698-705
  • 30 Vestbo J, Anderson JA, Calverley PM. et al. Adherence to inhaled therapy, mortality and hospital admission in COPD. Thorax 2009; 64: 939-943

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dieter Köhler
Auf dem Kamp 11
Winkhausen
57392 Schmallenberg

  • Literatur

  • 1 Fletcher C, Perto R, Tinker C, Speizer F. The Natural History of Chronic Bronchitis and Emphysema. Oxford: Oxford University Press; 1976
  • 2 Hurst JR, Vestbo J, Anzueto A. et al. Susceptibility to exacerbation in chronic obstructive pulmonary disease. N Engl J Med. 2010; 16; 363: 1128-1138
  • 3 Vestbo J, Edwards LD, Scanlon PD. et al. Changes in forced expiratory volume in 1 second over time in COPD. N Engl J Med. 2011; 29;365: 1184-1192
  • 4 Rennard SI, Locantore N, Delafont B. et al. Identification of five chronic obstructive pulmonary disease subgroups with different prognoses in the ECLIPSE cohort using cluster analysis. Ann Am Thorac Soc 2015; 12: 303-312
  • 5 Soler-Cataluña JJ, Martínez-García MA, Román Sánchez P. et al. Severe acute exacerbations and mortality in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Thorax 2005; 60: 925-931
  • 6 Suissa S, Dell'Aniello S, Ernst P. Long-term natural history of chronic obstructive pulmonary disease: severe exacerbations and mortality. Thorax 2012; 67: 957-963
  • 7 Slenter RH, Sprooten RT, Kotz D. et al. Predictors of 1-year mortality at hospital admission for acute exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease. Respiration 2013; 85: 15-26
  • 8 Ho TW, Tsai YJ, Ruan SY. et al. In-hospital and one-year mortality and their predictors in patients hospitalized for first-ever chronic obstructive pulmonary disease exacerbations: a nationwide population-based study. PLoS One. 2014; 9;9: e114866.
  • 9 Santibáñez M, Garrastazu R, Ruiz-Nuñez M. et al. Predictors of Hospitalized Exacerbations and Mortality in Chronic Obstructive Pulmonary Disease. PLoS One 2016; 30;11: e0158727
  • 10 Wedzicha JA, Rabe KF, Martinez FJ. et al. Efficacy of roflumilast in the COPD frequent exacerbator phenotype. Chest 2013; 143: 1302-1311
  • 11 Mahler DA, O'Donnell DE. Recent advances in dyspnea. Chest 2015; 147: 232-241
  • 12 O'Donnell DE, Webb KA, Harle I. et al. Pharmacological management of breathlessness in COPD: recent advances and hopes for the future. Expert Rev Respir Med 2016; 10: 823-834
  • 13 Ernst P, Saad N, Suissa S. Inhaled corticosteroids in COPD: the clinical evidence. Eur Respir J 2015; 45: 525-537
  • 14 Calverley PM, Anderson JA, Celli B. et al. Salmeterol and fluticasone propionate and survival in chronic obstructive pulmonary disease. N Engl J Med 2007; 356: 775-789
  • 15 Tashkin DP, Celli B, Senn S. et al. A 4-year trial of tiotropium in chronic obstructive pulmonary disease. N Engl J Med 2008; 359: 1543-1554
  • 16 Wise RA, Anzueto A, Cotton D. et al. Tiotropium Respimat inhaler and the risk of death in COPD. N Engl J Med 2013; 17;369: 1491-1501
  • 17 Vestbo J, Anderson JA, Brook RD. et al. Fluticasone furoate and vilanterol and survival in chronic obstructive pulmonary disease with heightened cardiovascular risk (SUMMIT): a double-blind randomised controlled trial. Lancet 2016; 387: 1817-1826
  • 18 Seemungal TA, Wilkinson TM, Hurst JR. et al. Long-term erythromycin therapy is associated with decreased chronic obstructive pulmonary disease exacerbations. Am J Respir Crit Care Med 2008; 178: 1139-1147
  • 19 Decramer M, Celli B, Kesten S. et al. Effect of tiotropium on outcomes in patients with moderate chronic obstructive pulmonary disease (UPLIFT): a prespecified subgroup analysis of a randomised controlled trial. Lancet 2009; 374: 1171-1178
  • 20 Wedzicha JA, Banerji D, Chapman KR. et al. Indacaterol-Glycopyrronium versus Salmeterol-Fluticasone for COPD. N Engl J Med 2016; 374: 2222-2234
  • 21 Wyrwich KW, Tierney WM, Babu AN. et al. A comparison of clinically important differences in health-related quality of life for patients with chronic lung disease, asthma, or heart disease. Health Serv Res 2005; 40: 577-591
  • 22 Jones PW, Beeh KM, Chapman KR. et al. Minimal clinically important differences in pharmacological trials. Am J Respir Crit Care Med 2014; 189: 250
  • 23 Puhan MA, Chandra D, Mosenifar Z. et al. The minimal important difference of exercise tests in severe COPD. Eur Respir J 2011; 37: 784-790
  • 24 Kon SS, Dilaver D, Mittal M. et al. The Clinical COPD Questionnaire: response to pulmonary rehabilitation and minimal clinically important difference. Thorax 2014; 69: 793-798
  • 25 Demeyer H, Burtin C, Hornikx M. et al. The Minimal Important Difference in Physical Activity in Patients with COPD. PLoS One 2016; 28;11: e0154587
  • 26 Garcia-Aymerich J, Lange P, Benet M. et al. Regular physical activity reduces hospital admission and mortality in chronic obstructive pulmonary disease: a population based cohort study. Thorax 2006; 61: 772-778
  • 27 Nocturnal Oxygen Therapy Trial Group. Continuous or nocturnal oxygen therapy in hypoxemic chronic obstructive lung disease: a clinical trial. Ann Intern Med 1980; 93: 391-398
  • 28 Report of the Medical Research Council Working Party. Long term domiciliary oxygen therapy in chronic hypoxic cor pulmonale complicating chronic bronchitis and emphysema. Lancet 1981; 28: 681-686
  • 29 Köhnlein T, Windisch W, Köhler D. et al. Non-invasive positive pressure ventilation for the treatment of severe stable chronic obstructive pulmonary disease: a prospective, multicentre, randomised, controlled clinical trial. Lancet Respir Med 2014; 2: 698-705
  • 30 Vestbo J, Anderson JA, Calverley PM. et al. Adherence to inhaled therapy, mortality and hospital admission in COPD. Thorax 2009; 64: 939-943

Zoom Image
Abb. 1 Überlebenswahrscheinlichkeit aus 4 RCT [14] [15] [16] [17] mit LAMA, LABA und ICS bei COPD (Placebogruppe) im Vergleich zu einer prospektiven Follow-up-Analyse [5] und einer Antibiotikastudie bei schwer Erkrankten [18].
Zoom Image
Abb. 2 Exazerbationsratio aus der FLAME-Studie [20], modifiziert mit Angabe von Cohen’s d.
Zoom Image
Abb. 3 Modifizierte Daten aus der TORCH-Studie [14] mit Angabe der Sterbewahrscheinlichkeit des Gesamtkollektivs und der Patienten mit hoher bzw. niedriger Adhärenz [29].