Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(22): 1705-1706
DOI: 10.1055/s-0043-119382
Facharztfragen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

54-jährige Frau mit auffälligem Blutbild

Further Information

Publication History

Publication Date:
27 October 2017 (online)

Bei einer 54-jährigen Patientin liegt folgendes Blutbild vor:
  • Hb 10,3 g/dl (Norm: 12 – 16)

  • MCV 110fl (Norm: 85 – 98)

  • MCH 39,8 pg (Norm: 28 – 34)

Bitte beschreiben Sie, was Sie dem Blutbild entnehmen können?

Antwort

Hyperchrome makrozytäre Anämie.

Kommentar

Definition der hyperchromen makrozytären Anämie:

  • MCH > 34 pg

  • MCV > 98fl

An welche Ursachen denken Sie, wenn Sie ein solches Blutbild sehen?
Antwort

Vitamin-B12-Mangel, Folsäuremangel, u. U. auch myelodysplastisches Syndrom.

Kommentar

Differenzialdiagnose der hyperchromen makrozytären Anämie:

  • Vitamin-B12-Mangel:

  • perniziöse Anämie

  • Z. n. Magenresektion

  • bakterielle Fehlbesiedlung im Dünndarm

  • Entzündung oder operative Resektion im terminalen Ileum

Folsäuremangel:

  • Fehlernährung, Alkoholismus

  • Dünndarmresektion

  • Zöliakie

  • Schwangerschaft

Makrozytäre Anämie mit normalen oder erniedrigten Retikulozyten:

  • Alkoholismus

  • chronische Lebererkrankung

  • myelodysplastische Syndrome

  • chronisch obstruktive Lungenerkrankung

  • Hypothyreose

Makrozytäre Anämie mit erhöhten Retikulozyten:

  • hämolytische Anämien

Welches ist die häufigste Form einer hyperchromen makrozytären Anämie?
Antwort

Die megaloblastäre Anämie bei Vitamin-B12-Mangel.

Kommentar

Megaloblastäre Anämie:

  • hyperchrome makrozytäre Anämie

  • Megalozyten und hypersegmentierte Neutrophile im Blutausstrich

  • Vitamin B12 im Serum erniedrigt oder Folsäure im Serum erniedrigt

Merke

Häufigste Ursache der megaloblastären Anämie → Vitamin-B12-Mangel.

Welche Erstdiagnostik führen Sie bei Verdacht auf eine megaloblastäre Anämie durch?
Antwort

Zunächst nur Anamneseerhebung, insbesondere im Hinblick auf die Ernährung, dann die körperliche Untersuchung inkl. der neurologischen Untersuchung, dann die Laborwerte.

Kommentar

Laborwerte bei Verdacht auf megaloblastäre Anämie:

  • Blutbild inkl. Differenzialblutbild und Retikulozyten

  • Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT)

  • Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT)

  • alkalische Phosphatase (AP)

  • γ-Glutamyltransferase (γ-GT)

  • Laktat-Dehydrogenase (LDH)

  • Bilirubin

  • Elektrolyte

Welche Untersuchungen zur weiteren Abklärung führen Sie dann durch?
Antwort

Bestimmung von Vitamin B12 und Folsäure im Serum.

Kommentar

Nachweis eines Vitamin-B12-Mangels:

  • Bestimmung von Vitamin B12 im Serum

  • evtl. Nachweis einer Resorptionsstörung für Vitamin B12 durch den Schilling-Test

Nachweis eines Folsäuremangels:

  • Messung des Folsäurespiegels im Serum

Worauf beruht das Prinzip des Schilling-Tests?
Antwort

Orale Gabe von radioaktiv markiertem Vitamin B12. Anschließend Bestimmung der über die Niere ausgeschiedenen Testsubstanz im Urin.

Kommentar
  1. Durchführung des Tests ohne Zugabe von Intrinsic Factor: bei chronisch atrophischer Gastritis erniedrigte Ausscheidung im Urin

  2. Durchführung des Tests mit Intrinsic Factor: bei chronisch atrophischer Gastritis normal

Bei Resorptionsstörung im Ileum ist die Urinausscheidung der Testsubstanz in beiden Fällen vermindert.

Sie haben eine hyperchrome megaloblastäre Anämie festgestellt. Der Vitamin-B12-Spiegel ist erniedrigt. Was könnten die Ursachen dafür sein?
Antwort

Häufigste Ursache: Mangel an Intrinsic Factor (perniziöse Anämie).

Kommentar

Ursachen für Vitamin-B12-Mangel:

  • chronisch atrophische Gastritis

  • Z. n. Magenresektion

  • Malabsorption bei Ileitis terminalis

  • Z. n. Ileumresektion

  • bakterielle Überwucherung (z. B. beim Syndrom der blinden Schlinge)

  • Mangel- oder Fehlernährung (Vegetarier, Alkoholabusus)

Wie schnell macht sich eigentlich eine mangelnde Resorption von Vitamin B12 bemerkbar?
Antwort

Nach Jahren.

Kommentar

Der Körper hat große Vitamin-B12-Vorräte gespeichert, insbesondere in der Leber. Bei ausbleibender Resorption reichen diese Vorräte für ca. 3 Jahre.

Merke

Die Vitamin-B12-Vorräte des Körpers reichen ca. 3 Jahre.

Sie haben eine hyperchrome megaloblastäre Anämie auf dem Boden eines Vitamin-B12-Mangels nachgewiesen. Welche Untersuchung führen Sie als nächste durch?
Antwort

Magenspiegelung.

Kommentar

Häufigste Ursache des Vitamin-B12-Mangels ist die chronisch atrophische Gastritis (Typ-A-Gastritis).

Zusätzliche Untersuchungen:

  • Antikörper gegen Parietalzellen (in 90 % nachweisbar)

  • Antikörper gegen Intrinsic Factor (in 70 % nachweisbar)

Sie haben bei dem Patienten eine Magenspiegelung durchgeführt. Histologisch wurde eine chronisch atrophische Gastritis beschrieben. Außerdem wurden Antikörper gegen Parietalzellen festgestellt. Welche Konsequenzen haben diese Befunde für den Patienten?
Antwort

Notwendigkeit einer Vitamin-B12-Substitution und Notwendigkeit regelmäßiger Kontrollgastroskopien.

Kommentar

Bei Nachweis einer perniziösen Anämie ist die lebenslange parenterale Vitamin-B12-Substitution notwendig.

Bei Nachweis einer chronisch atrophischen Gastritis sind 1- bis 2-jährlich Kontrollspiegelungen erforderlich, da es sich hierbei um eine Präkanzerose handelt.

Welche weiteren Beschwerden entstehen auf dem Boden des Vitamin-B12-Mangels?
Antwort

Funikuläre Spinalerkrankung.

Kommentar

Funikuläre Spinalerkrankung:

  • Markscheidenverlust

  • Pyramidenbahn: Paresen

  • Hinterstränge: Ataxie

  • Parästhesien

  • vermindertes Vibrationsempfinden (frühes Zeichen)

Sie erwähnten vorhin, dass eine megaloblastäre Anämie auch durch einen Folsäuremangel entstehen kann. Wie bekommt man einen Folsäuremangel?
Antwort

Ungenügende Resorption der Folsäure im Dünndarm, ungenügende Zufuhr mit der Nahrung, vermehrter Bedarf.

Kommentar

Folsäuremangel:

Ungenügende Zufuhr:

  • Alkoholismus

Ungenügende Resorption:

  • Zöliakie

  • Morbus Crohn (MC)

  • ausgedehnte Dünndarmresektion

Medikamenteneinnahme:

  • Methotrexat

  • Pyrimethamin

  • Phenytoin

Wo werden denn Vitamin B12 und Folsäure resorbiert?
Antwort

Vitamin B12 wird im terminalen Ileum resorbiert, Folsäure im Jejunum.

Kommentar

Vitamin B12:

  • Resorption im terminalen Ileum

  • Gestörte Aufnahme durch: Resektion, entzündliche Erkrankung, Fehlen von Intrinsic Factor

Folsäure:

  • Resorption im Jejunum

  • Gestörte Aufnahme durch: ausgedehnte Dünndarmresektion, Malabsorptionssyndrome: Zöliakie, MC

Mehrbedarf:

  • Schwangerschaft (Cave: Risiko embryonaler Neuralrohrdefekte bei Folsäuremangel)

Sie haben bei einem Patienten eine chronisch atrophische Gastritis mit megaloblastärer Anämie diagnostiziert. Wie behandeln Sie diesen Patienten?
Antwort

Parenterale Vitamin-B12-Substitution.

Kommentar

Therapie des Vitamin-B12-Mangels:

Wenn möglich:

  • Ursache behandeln (meistens nicht möglich)

Vitamin-B12-Substitution:

  • Es werden unterschiedliche Schemata empfohlen, z. B.: Cyanocobalamin oder Hydrocobalamin 1000 µg/d für 5 Tage, anschließend 500 µg/Woche für 10 Wochen, anschließend lebenslang 500 µg alle 6 Monate.

Wie kontrollieren Sie den Therapieerfolg der Vitamin-B12-Substitution?
Antwort

Anstieg der Retikulozyten.

Kommentar

Kontrolle der Vitamin-B12-Substitution:

  • starker Anstieg der Retikulozyten nach 4 – 5 Tagen

  • Maximum des Retikulozytenanstiegs nach 10 – 12 Tagen

Nach: Berthold Block,

Facharztprüfung Innere Medizin,

3000 kommentierte Prüfungsfragen.

5., vollständig überarbeitete Auflage 2017

ISBN 9783 131 359 551