Zeitschrift für Palliativmedizin 2017; 18(06): 265-266
DOI: 10.1055/s-0043-120844
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Palliativversorgung – Quo vadis?

Further Information

Publication History

Publication Date:
24 October 2017 (online)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Zoom Image
Thomas Rachel

Sie begleiten und pflegen tagtäglich Schwerkranke und sterbende Menschen. Sie wissen, wie wichtig diese Aufgabe ist. Sie erfahren aber auch, wie schwierig es sein kann, den Wünschen und Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. Hier ist die Forschung gefragt. Wir müssen wissen – und das ganz genau – wie wir Menschen in ihrer letzten Lebensphase helfen können.

Aber wir können bereits auf einer guten Basis aufbauen. Denn Forschung und Ausbildung wurden in den vergangenen 20 Jahren stetig verbessert. So konnten sich beispielsweise seit der Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Palliativmedizin – 1999 in Bonn – bis heute bundesweit acht weitere Lehrstühle und fünf zusätzliche Professuren etablieren. 2003 wurde die Palliativmedizin zudem als Zusatzweiterbildung für Fachärzte in die Weiterbildungsordnung eingeführt. Und 2016 wurde die Koordinierungsstelle für Hospiz- und Palliativversorgung eingerichtet.

Trotz dieser weitreichenden Entwicklungen erhalten jedoch weiterhin nur etwa 30 % aller Sterbenden eine palliativmedizinische Behandlung. Das muss sich ändern. So müssen wir beispielsweise auch in strukturschwachen Regionen eine gute Versorgung am Lebensende gewährleisten können. Und wir müssen Wege finden, wie wir beispielsweise auch den Wünschen und Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen gerecht werden können. Antworten auf Fragen wie diese liefert uns die Forschung. Die Anfang 2015 veröffentlichte Stellungnahme der Leopoldina zur Situation der Palliativversorgung in Deutschland zeigt deutlich, dass ein großer Forschungsbedarf besteht. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat daher Ende 2015 im Rahmen des Aktionsplans Versorgungsforschung zwei Förderrichtlinien zur Förderung der Forschung in der Palliativversorgung veröffentlicht. Insgesamt soll zukünftig an zehn Universitäten und Hochschulen zusammen mit unzähligen Einrichtungen aus der Praxis geforscht werden.

Was zeichnet gute palliativmedizinische Forschung aus? Wie muss diese ausgerichtet sein, damit die Ergebnisse dem Menschen gut und schnellstmöglich helfen können? Die Forschung in der Palliativversorgung – mehr noch als in anderen medizinischen Fachbereichen – muss verschiedene Gesichtspunkte, oft gleichzeitig, berücksichtigen:

Sie muss sich an den Patientinnen und Patienten orientieren. Das heißt: sie muss die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse und Wünsche der Betroffenen erkennen, aufgreifen und umsetzen. Denn nicht nur Ältere und hochbetagte Sterbenskranke benötigen eine palliativmedizinische Versorgung. Es können auch Kinder und Jugendliche, Menschen mit und ohne Behinderungen und aus unterschiedlichen Kulturkreisen betroffen sein.

Um eine umfassend bedarfsgerechte Versorgung zu ermöglichen, muss die Forschung zudem interdisziplinär und multiprofessionell angelegt sein. Eine gute palliativmedizinische Versorgung ist nur dann möglich, wenn viele unterschiedliche Berufsgruppen Hand in Hand arbeiten. Verschiedene Fachkulturen und unterschiedliche Forschungs- sowie Behandlungsmethoden müssen sich gegenseitig ergänzen. Das muss sich auch in den Forschungsansätzen widerspiegeln. Die Aufrechterhaltung von Lebensqualität steht natürlich immer an erster Stelle.

Die internationale Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg ist in einem solch komplexen Feld wie der Palliativforschung ebenfalls von großer Bedeutung. Gute Impulse aus dem internationalen Kontext können und sollten aufgegriffen und an das deutsche Gesundheitssystem angepasst werden. Bisher belegt Deutschland im internationalen Vergleich, gemessen an der qualitativ hochwertigen und evidenzbasierten Palliativversorgung eher einen Platz im Mittelfeld. Durch den Austausch können wir die Qualität in der Forschung weiter anheben und die internationale Sichtbarkeit erhöhen. Es ist daher auch ein wichtiges Signal, dass der nächste Weltkongress zur Palliativversorgung im Jahr 2019 in Berlin stattfinden wird.

Bei aller gegebenen Dringlichkeit darf ferner die ebenso gebotene Sorgfalt im Forschungs- und Translationsprozess nicht leiden. Patientinnen und Patienten mit palliativmedizinischen Bedarfen sind eine besonders vulnerable Gruppe. Das gilt insbesondere für die Personen, die aufgrund ihrer körperlichen oder geistigen Verfassungen nur eingeschränkt fähig sind, ihre gesundheitliche Situation zu beurteilen. Der Grat zwischen Schutz der Menschenwürde und Forschungsinteresse ist oft schmal und muss immer wieder neu hinterfragt und justiert werden. Die Forschung unterliegt daher ethischen, rechtlichen und sozialen Bestimmungen.

Forschung, die diesen Ansprüchen gerecht wird, ermöglicht es uns, auch die großen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Denn die Inanspruchnahme palliativmedizinischer Versorgung wird angesichts des demografischen Wandels steigen. Das Hospiz- und Palliativgesetz, das 2015 vom Bundesministerium für Gesundheit auf den Weg gebracht wurde, ist zweifelsohne bereits ein großer Meilenstein zur Verbesserung der Palliativversorgung in Deutschland.

Dennoch bleiben drängende Forschungsfragen offen. Um diese zu beantworten, werden auch in den kommenden Jahren Ihr Wissen und Ihre Erfahrung aus dem praktischen Alltag der Palliativversorgung erforderlich sein. Ich möchte Sie daher ermutigen: Engagieren Sie sich weiter – sowohl in der Versorgung als auch in der Forschung!

Zoom Image

Thomas Rachel MdB
Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung