Dtsch Med Wochenschr 2018; 143(18): 1281
DOI: 10.1055/s-0043-121024
Editorial
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Diagnostik und Therapie der Leukämien: Resultate wegweisender Forschung

Diagnosis and Therapy of Leukemia: a Result of Groundbreaking Research
Wolfgang Hiddemann
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Publication Date:
10 September 2018 (online)

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Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann

Wenn man die Entwicklung in der Hämatologie und Onkologie in den letzten Jahrzehnten betrachtet, wird klar, welche entscheidende Bedeutung die Erforschung der Biologie von Leukämien und die Entwicklung therapeutischer Konzepte hatte – für die gesamte Onkologie. Bei Leukämien, und speziell bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML), wurde zum ersten Mal das sogenannte Philadelphia-Chromosom identifiziert; eine krankheitsspezifische chromosomale Aberration, die Translokation t(9;22). In der Folge konnten die an dieser Translokation beteiligten Gene charakterisiert und die Änderungen der Signalwege beschrieben werden, die zur Entstehung der CML führen. Schließlich gelang es auf der Grundlage dieser Erkenntnisse, ein spezifisches Medikament zu entwickeln, das die abnormen Signalwege blockiert und den Verlauf der Erkrankung entscheidend verbessert. Die allogene Stammzelltransplantation, die früher meist zur Behandlung der CML erforderlich war, ist damit heute nur noch in Einzelfällen erforderlich.

Derartige monokausale genetische Alterationen sind selten. Dennoch war die Erkenntnis, dass chromosomale und molekulare Aberrationen Krankheitsverlauf und Prognose entscheidend bestimmen, Ausgangspunkt für breit angelegte Untersuchungen bei allen Leukämieformen; mit einiger Verzögerung auch bei soliden Tumoren.

Heute ist die genetische und molekulare Analyse Standard in der Initialdiagnostik aller Leukämieformen. Auf der Grundlage dieser Diagnostik ist es möglich, bei allen Formen unterschiedliche Risikogruppen zu identifizieren und die Therapie entsprechend auszurichten.

Dieses Dossier der DMW vermittelt einen Überblick über Diagnostik und Therapiestrategien bei den akuten und chronischen Leukämien: der akuten myeloischen (AML), der akuten lymphatischen (ALL), der chronischen myeloischen (CML) und der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL).

A. Hochhaus und Mitarbeiter zeigen den Modellcharakter der CML für onkologische Erkrankungen insgesamt auf und stellen den aktuellen Stand in der Diagnostik und Therapie dieser Leukämieform dar. Sie gehen dabei insbesondere auch auf den Einsatz neuer Medikamente und die Frage der Therapieüberwachung und Behandlungsdauer ein.

J. von Tresckow und Co-Autoren geben einen Überblick über die rasanten Fortschritte, die gerade in jüngster Zeit in der Diagnostik, v. a. aber auch in der Therapie der CLL gemacht wurden. Sie stellen auch die sich daraus ergebende Komplexität Risiko-adaptierter Behandlungskonzepte dar und verdeutlichen, wie sich die Prognose von Patienten mit CLL in den letzten Jahren verbessert hat.

W. K. Wegmann und N. Gökbuget beschreiben den aktuellen Stand in der Diagnostik und Therapie der ALL und gehen insbesondere auch auf den Stellenwert der Therapiekontrolle in Remission durch Monitoring der minimalen Resterkrankung (minimal residual disease – MRD) ein.

Im Gegensatz zu den anderen Leukämieformen machten Therapie und Prognose der AML, insbesondere bei Patienten in höherem Lebensalter, bisher eher bescheidene Fortschritte. K. Spiekermann und A.-S. Shen zeigen die große genetische und molekulare Komplexität dieser Erkrankung auf und geben einen Überblick über die sich darauf ergebenden Behandlungsstrategien. In den letzten Jahren konnten jedoch zahlreiche neue und zielgerichtete Substanzen in die Therapie der AML eingeführt werden, sodass die berechtigte Aussicht besteht, auch bei dieser Leukämieform eine Verbesserung der Prognose zu erreichen.

An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass bei allen 4 Leukämie-Entitäten seit Jahrzehnten eine hervorragende Zusammenarbeit im Rahmen multizentrischer Studiengruppen in Deutschland besteht, die dazu geführt hat, dass daraus weltweit wegweisende Konzepte in der Therapie akuter und chronischer Leukämien entstanden sind.