Zusammenfassung
Ziel der Studie Sowohl die körperliche Gleichgewichtsfähigkeit als auch das Gefühl, seelisch standfest
und im Gleichgewicht zu sein, ist für viele Rehabilitanden eine Voraussetzung für
die Teilhabe am Erwerbsleben und an der Gesellschaft. Bisher gibt es keine Befunde,
ob sich die Gleichgewichtsfähigkeit im Rahmen der psychosomatischen Rehabilitation
verbessern lässt. Ziel unserer explorativ angelegten Studie war es, Veränderungen
in der motorischen Gleichgewichtsfähigkeit im Verlauf einer stationären psychosomatischen
Rehabilitationsmaßnahme zu erfassen und diese in Bezug zu Veränderungen psychischer
Variablen zu setzen.
Methodik 118 Patienten einer psychosomatischen Klinik (49,3±8,6 Jahre; 75,4% Frauen) wurden
zu Beginn und am Ende ihres Aufenthaltes untersucht. Zur Messung des Gleichgewichts
wurden der Gleichgewichtstest (GGT) von Bös, Wydra und Karisch eingesetzt, der Timed
up and go Test (TUG), 8 Standaufgaben auf instabiler Unterlage sowie 8 Standaufgaben
auf festem Untergrund. Als psychische Variablen wurden die Selbstwertschätzung des
Patienten (MSWS), depressive Symptome (BDI-II) und Angstsymptome (BAI) erhoben.
Ergebnisse Die Gleichgewichtsfähigkeit, gemessen über den GGT (d=1,37, den TUG (d=0,56) und
Standaufgaben auf instabiler (d=1,48) sowie stabiler Unterlage (d=0,67), stieg im
Verlauf der Rehabilitation signifikant an. Ähnliche Ergebnisse mit Effektstärken im
hohen bis mittleren Bereich zeigten sich bei den psychischen Variablen. Zusammenhänge
in der Veränderung der motorischen und psychischen Variablen zeigten sich nur bei
den Standaufgaben auf instabilem und festem Untergrund und verschiedenen Skalen der
MSWS, nicht aber bei den Symptomskalen.
Diskussion Im Verlauf der Rehabilitation kam es zwar zu einer Verbesserung sowohl der psychischen
Symptombelastung als auch der Gleichgewichtsfähigkeit; zwischen beiden fanden sich
jedoch wider Erwarten keine signifikanten Korrelationen. Dies lässt zunächst darauf
schließen, dass kein Zusammenhang zwischen psychischen Faktoren und der Gleichgewichtsfähigkeit
der Patienten besteht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Gleichgewicht in
einer standardisierten Situation überprüft wurde, in der die Patienten keiner besonderen
psychischen Belastung ausgesetzt waren. Beobachtungen während der Durchführung der
Studie legen nahe, dass sich Veränderungen hinsichtlich der motorischen Gleichgewichtsfähigkeit
eher in Merkmalen der Gleichgewichtsregulation (z. B. Anspannung und Entspannung)
widerspiegeln als in der Zahl der erfüllten Aufgaben. Die Gleichgewichtstests wurden
von den Rehabilitanden nicht nur sehr gut akzeptiert, sondern lösten häufig auch Selbstreflexionsprozesse
zu Themen wie Gleichgewicht und Standfestigkeit im psychosomatischen Sinne aus. Weitere
Forschung sowohl zu den Wirkfaktoren auf die Gleichgewichtsfähigkeit als auch zu deren
Zusammenhang mit der Verbesserung in Aktivität und Teilhabe erscheint vielversprechend.
Abstract
Aim of the study For many rehabilitants both the motor balance and the feeling of being emotionally
stable and in balance are essential preconditions for participation in employment
and society. The goal of this study was to capture changes in motor balance in the
course of an inpatient psychosomatic rehabilitation and to set them in relation to
changes in mental variables.
Methods 118 patients of a psychosomatic clinic (49.3±8.6 years; 75.4 % women) were examined
at the beginning and the end of rehabilitation. To measure motor balance the balance
test (GGT) of Bös, Wydra and Karisch, the timed up and go test (TUG), eight tasks
of standing balance on an unstable surface as well as eight tasks on a stable surface
were used. As psychological variables, self-esteem (MSWS), degree of depressive (BDI-II)
and anxiety symptoms (BAI) were measured.
Results The motor balance ability, assessed by the GGT (d=1,37), the TUG (d=0,56), tasks
of standing balance on an unstable surface (d=1,48) as well as on a stable surface
(d=0.67), increased significantly in the course of rehabilitation and was also reflected
in the self-evaluation of motor balance (d=0,97). Correlations in the change of motor
and mental variables were particularly evident between the balance tasks on an unstable
and a stable surface and different scales of the MSWS.
Conclusion In the course of rehabilitation, an improvement in psychological symptoms as well
as the balance ability was found, however, contrary to our expectations, no significant
correlations were observed. At the first view it seems like there would be no relationship
between psychological factors and the motor balance of the patients. However it should
be noted that motor balance was examined in a standardized situation in which the
patients were not exposed to any particular psychological distress. Observations during
the conduct of the study suggest that changes in motor balance could be shown rather
in observable characteristics of postural control (for example in contraction and
relaxation) than in the number of fulfilled tasks. The motor balance tests were not
only accepted very well by the rehabilitants but often also provoked self-reflection
processes on topics such as balance and stability in a psychosomatic sense. Further
research both on the factors influencing the motor balance ability as well as on their
relation to the improvement in activity and participation appears promising.
Schlüsselwörter
Gleichgewichtsfähigkeit - Psychosomatische Rehabilitation - Angststörungen - depressive
Störungen - somatoforme Störungen
Key words
balance - psychosomatic rehabilitation - anxiety disorders - depression - somatoform
disorders