Aktuelle Dermatologie 2017; 43(12): 499-500
DOI: 10.1055/s-0043-122960
Editorial
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Innovationen und Strukturreformen in der Gesundheitsbranche – eine Herausforderung für den Standort Deutschland in Europa[*]

Innovation and Health Care Structure Reform: A Challenge for Germany within Europe
Matthias Herbst
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69120 Heidelberg

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Publication Date:
04 December 2017 (online)

 
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    Dr. Matthias Herbst

    Dieser Tage veranstaltete die Universitätshautklinik Tübingen in Zusammenarbeit mit der ADK e. V. unter der Leitung deren Vorsitzenden Frau Professor Dr. Claudia Borelli den „Grundkurs Ästhetische Dermatologie“. An zwei Tagen klopften die Redner die ästhetische Medizin rund um die Dermatologie auf den harten Kern ab, nämlich die Frage, was neben vielen Märchen an tatsächlich wissenschaftlich fundierten, sozusagen harten Fakten in diesem Gebiet der Medizin vorhanden ist. Es ist erfreulich, dass es nach langen Jahren der Vorbereitung gelungen ist, einen derartigen Kurs auf die Beine zu stellen und nicht nur jungen Kollegen in der Weiterbildung sondern, wie das Teilnehmerfeld zeigte, auch älteren interessierten Kollegen eine kompakte und hochwertige Weiterbildung zu bieten. Gerade die Kombination von praktischen Demonstrationen und der fortwährenden Diskussion der Prozeduren mit den anwesenden, unterschiedlich erfahrenen Teilnehmern erwies sich als äußerst effizient. Es lernten sowohl die Vortragenden wie auch die Teilnehmer.

    Problematisch wurde und wird es, wenn es um die Abrechnung von Leistungen geht, also um die Konstruktion des organisatorischen wie betriebswirtschaftlichen Backgrounds. Sind wir Deutschen überhaupt noch in der Lage, Innovationen in einem angemessenen Zeitraum der Patientenversorgung zuzuführen oder sorgt unser bekanntermaßen starres System mit EBM und GOÄ nicht dafür, dass mögliche Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung nur mit erheblicher Verzögerung umgesetzt werden können?

    Was ist die Ursache dieses starren Systems? Wird Leistung noch angemessen vergütet? Ist es nicht die Angst vor Veränderung und finanziellem Absturz, die sinnvolle Veränderungen blockiert? Hat die seit Jahrzehnten seitens der Politik propagierte Sparwelle im Gesundheitswesen nicht kontraproduktiv gewirkt?

    Nun fällt einem selbst im Laufe seines dermatologischen Lebens schon der gewaltige Wandel der Dermatologie allein von den siebziger/achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute – also innerhalb von 40 Jahren – auf. Aus einem oft belächelten Fach von Lokaltherapeuten wuchs eine hochdifferenzierte Dermatologie mit innovativen Systemtherapien im Bereich der chronischen Erkrankungen und langersehnten Antworten in der dermatologischen Onkologie, erweiterten operativen Fähigkeiten, verfeinerten analytischen Möglichkeiten und, und, und.

    Eine Anekdote muss ich hier loswerden: Ich erinnere mich noch gut meiner Tanzstundenzeit, wie ich beim ersten Stehblues ins Schwitzen kam und sich bei mir von der damals noch vollständig vorhandenen, altersentsprechend seborrhoischen Haartracht ein Teerduft löste, sich mit dem Schwefel aus der Akne-Behandlung im Gesicht verband und dann mit der bräunlichen Abdeckcreme, bedingt durch die Schwerkraft, den Weg abwärts auf den weißen Rollkragenpullover fand. Meine Tanzstunden-Partnerin war schockiert von diesem Erlebnis und trat umgehend den Rückzug an. Mein damaliger Hautarzt war daran sicher nicht ganz unschuldig! Wie sich die Zeiten geändert haben!

    Ich verwende die Geschichte heute gerne, um heranwachsenden Dermatologen in meiner Praxis aufzuzeigen, wie viel mehr Qualität und Innovation die Dermatologie heute den Patienten bietet: nicht nur in der Therapie auch in der Technik wie 3D-Bioprinting von Gewebe zur immer anspruchsvolleren Defektdeckung, operative Assistenz durch Roboter, Visualisierung von Tumoren in allen Ebenen mit Vorab-In-vivo-Diagnostik inkl. Vermessung der Ausdehnung zur Bestimmung des optimalen Sicherheitsabstandes, Unterstützung durch die elektronische Praxis- bzw. Klinikorganisationshilfe, optimiertes Patientenmanagement durch Telefon- und Kommunikationsdienstleistungen etc. Eine Herausforderung nach der anderen!

    Es heißt also gerade die neuen Medien kritisch zu nutzen, um in Organisation, Dokumentation und auch Abrechnung sinnvolle und nachvollziehbare Modelle zu entwickeln, die Innovationen nicht blockieren und neue Methoden schnellstmöglich in den Ablauf der Versorgung integrieren. Dabei ist es noch nicht einmal die elektronische Patientenakte, die hier an vorderster Stelle steht, sondern der maßvolle, wissenschaftlich begleitete Einsatz der EDV, um zum Beispiel die Anmeldung, die Terminvereinbarung, die Kommunikation hin zur Klinik, der Information der einweisenden Ärzte und gegebenenfalls auch deren Beratung durch den Einsatz der Telemedizin zu optimieren. Hier lässt sich viel Nützliches erkennen, was sich in Zusammenarbeit mit Kassen und KVen sowie Kammern in den täglichen Praxisablauf sinnvoll einbauen lässt. Ich selbst bin Mitglied des Telematik-Ausschusses der LÄK Hessen und versuche unsere dermatologischen Erfahrungen dort einzubringen und zu vertreten.

    Es ist kein Geheimnis, dass sich die Praxis des Autors dieser Zeilen in Darmstadt befindet und Darmstadt von der Bundesregierung etwas vollmundig zur sogenannten D-Cybercity ausgerufen wurde. Ich denke, es ist an der Zeit, einmal umzuschalten auf Innovation und Effizienz in den dermatologischen Kliniken wie auch Praxen, um die Vorteile unseres Faches zum Wohle unserer Patienten zu nutzen. Dabei möchte ich sicher nicht jeden Patienten bis Mitternacht auch noch über unscharf aufgenommene Smartphone-Bilder begleiten, sondern professionell via Teledermatologie mit den Kollegen aus der Umgebung über wichtige patientenbezogene Fragestellungen wie auch organisatorische Dinge diskutieren.

    Der Bundesgesundheitsminister hat einen Innovationsfond eingerichtet. Auch wir sollten versuchen, von diesem Kuchen mit sinnvollen Vorschlägen einen Teil abzubekommen und diesen im Sinne unseres Faches zu nutzen.

    Die neuen Möglichkeiten machen die Medizin transparenter, auch vollkommen neue Fragestellungen können wissenschaftlich und ökonomisch durch den Einsatz von Big Data und künstlicher Intelligenz beantwortet werden. Um unser Fach muss uns also nicht bange sein, wir werden aber dafür sorgen müssen, dass – Finanzmittel vorausgesetzt – die kommenden Innovationen zum Wohle unserer Patienten wie auch unserer Praxen und Mitarbeiter eingesetzt werden.

    Dabei sollten wir es nicht leise schlucken, wenn z. B. Mechanismen wie notwendiger Datenschutz und -sicherheit dafür sorgen, dass die Bürokratie höher und die Zeit für den Patienten noch weniger wird. Innovationen gerade im EDV-Bereich kosten zusätzliches Geld, was bekanntermaßen gut angelegt ist und was die Bundesregierung zur Verfügung stellen muss – bei einem Plus von aktuell fast 20 Miliarden im Gesundheitsfond eigentlich kein Problem! Im kommenden Jahr stehen hier Neuerungen an, die durch die EU-Datenschutz-Grundverordnung ab Mitte Mai 2018 bedingt sind. Es empfiehlt sich hier, sich rechtzeitig einzuarbeiten, besonders ist die Frage nach dem externen Datenschutzbeauftragten durch jede Einrichtung zu klären. Für große Klinikverbünde und MVZs stellt dies kein Problem dar, die Einzelpraxis auf dem Lande wird naturgemäß große Schwierigkeiten haben. Regionale Lösungen bieten sich an – notwendige Geldmittel vorausgesetzt.

    Für unsere Verbände stellt sich auch die Frage nach der möglichst effizientesten Art von Fort- und Weiterbildung in der schnelllebigen Wissensgesellschaft. Seminare, Workshops und Kurse – wie oben vorgestellt – müssen aktuell und möglichst schnell verfügbar sein. Dazu gehört dann auch, dass für unsere MFAs wie auch die Ärzte wichtige Lerninhalte ständig aktualisiert werden und rund um die Uhr per E-Learning abrufbar sind.

    Sie sehen, die „neue Welt“ ist und bleibt spannend. Engagieren wir uns, um diese aus dem Zentrum Europas heraus innovativ und intelligent zu unser aller Vorteil mitzugestalten! Die Bürgerversicherung à la SPD ist dazu denkbar ungeeignet! Wir brauchen ein mehrschichtiges System, das Leistung belohnt, nicht ein starres Gebilde, das Leistung immer mehr behindert und in Bürokratie erstarrt!

    Mit den besten Grüßen

    Ihr

    Dr. Matthias Herbst


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    * Der Autor verwendet das Maskulinum inkludierend und schließt dabei ausdrücklich alle Geschlechter mit ein (Frauen, Männer und andere/es).



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