PPH 2018; 24(01): 49
DOI: 10.1055/s-0043-123771
Rund um die Psychiatrie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Für Sie gelesen: Pletti C, Lotto L, Buodo G, Sarlo M. It’s immoral, but I’d do it! Psychopathy traits affect decision-making in sacrificial dilemmas and in everyday moral situations. British Journal of Psychology 2017; 108: 351–368. DOI: 10.1111/bjop.12205

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Publication History

Publication Date:
24 January 2018 (online)

Hintergrund: Das wissenschaftliche Interesse an der Verbindung zwischen Emotionen und Moral ist in den letzten 15 Jahren stark gestiegen. Diese Studie untersuchte, wie psychopatische Wesenszüge eines Menschen das moralische Urteilsvermögen und die Wahl des Handelns in moralischen Dilemma-Situation sowie in alltäglichen moralischen Situationen beeinflussen. Weiterhin wurde die Fragestellung verfolgt, inwieweit Emotionen eine entscheidende Rolle bei der moralischen Entscheidungsfindung spielen.

Methode: Die Studienteilnehmer wurden in der ersten Stufe mit der Levenson Self-Report Psychopathy Scale (LSRP) eingeschätzt. Entsprechend dem Ergebnis wurden sie in jeweils eine Gruppe mit ausgeprägten psychopatischen (High Trait Psychopathy) und eine mit eingeschränkten psychopatischen Wesenszügen (Low Trait Psychopathy) eingeteilt.

Die Studienteilnehmer der ersten Gruppe sind nach dem LSRP-Ergebnis in einer Dilemma-Situation eher dazu bereit, einen Menschen zu opfern, um dafür viele Menschen zu retten. Gleichzeitig nehmen sie tendenziell einen persönlichen Vorteil in alltäglichen moralischen Situationen auf Kosten anderer in Kauf.

Allen Studienteilnehmern wurden 28 moralische Dilemmas in 14 alltäglichen Situationen zur Entscheidungsfindung präsentiert.

Ergebnis: Das Treffen von moralischen Dilemma-Entscheidungen empfanden die Probanden mit ausgeprägten psychopatischen Wesenszügen (High Trait Psychopathy) als weniger unangenehm als die mit eingeschränkten psychopatischen Wesenszügen (Low Trait Psychopathy).

Im umgekehrten Fall traten jedoch keine Gruppenunterschiede in den empfundenen Unannehmlichkeiten bei der Entscheidungsfindung sowie der Wahl des Handelns in alltäglichen moralischen Situationen auf, wenn diese keine negative Auswirkung auf einen anderen Menschen hatte.

Fazit: Menschen mit ausgeprägten psychopatischen Wesenszügen (High Trait Psychopathy) werden in ihren Entscheidungen in Bezug auf das Handeln in einer Dilemma-Situation beeinflusst. Sie weisen eine verringerte emotionale Reaktionsfähigkeit gegenüber belastenden Situationen auf. In der Unterscheidung zwischen dem Verhalten und der moralischen Entscheidung wird deutlich, dass das Verhalten vor allem mit emotionalen Erfahrungswerten zusammenhängt.

Jörg Kußmaul