Die chronische Niereninsuffizienz (CNI) ist eine häufige Erkrankung, vor allem älterer
Hunde und Katzen. Die Ursachen für diese chronisch-entzündliche Erkrankung sind bis
jetzt nicht vollständig geklärt. Offensichtlich spielt aber eine fortschreitende tubulo-interstitielle
Entzündung eine entscheidende Rolle bei der Progression der Erkrankung [1], [2], [3]. Über die Bedeutung einer rechtzeitigen Diagnostik in Bezug auf eine frühzeitige
Therapie und eine längere Überlebenszeit besteht weitgehende Übereinstimmung. Dafür
können eine Reihe verschiedener Laborparameter im Serum oder Urin genutzt werden.
Unabhängig von möglichen Grundursachen der chronischen Niereninsuffizienz scheinen
2 Pathomechanismen für das Fortschreiten der Erkrankung und eine schlechte Prognose
mitverantwortlich zu sein: eine erhöhte Konzentration von Protein im Urin und ein
erhöhter Serumphosphatspiegel. Hier ergeben sich somit 2 wichtige Ansatzpunkte für
die Therapie der chronischen Niereninsuffizienz, nämlich die Kontrolle des Serumphosphatspiegels
und die Vermeidung/Reduktion der Proteinausscheidung im Primärharn.
Einleitung
Die chronische Niereninsuffizienz ist eine bei Hunden und Katzen häufig diagnostizierte
Erkrankung. Sie wird bei älteren Katzen 2- bis 3-mal häufiger diagnostiziert als bei
älteren Hunden. Die Primärursachen dieser progressiven Erkrankung sind bis heute unklar; diskutiert werden neben genetischen
Ursachen Infektionserkrankungen, Impfungen, Ernährung, Medikamente oder der Zeitpunkt
der Kastration. Alle diese Ursachen erklären kaum die hohe Inzidenz an chronischer
Niereninsuffizienz, insbesondere in der Katzenpopulation. Andere offensichtliche Primärursachen
wie Erkrankungen der unteren Harnwege durch Inflammation/Infektion (LUTD), Obstruktion
durch Stein- und Konkrementbildung, erhöhter Blutdruck oder veränderte Gewebeperfusion
infolge einer Hyperthyreose oder Herzerkrankung sowie definierte genetische Erkrankungen
wie polyzystische Nierenerkrankung erklären zwar einzelne konkrete Fälle, sind aber
nicht für die Vielzahl von älteren Hunden und vor allem Katzen mit chronischer Niereninsuffizienz
verantwortlich.
Sicher scheint zu sein, dass vor allem bei der Katze eine tubulo-interstitielle Nephritis für die fortschreitenden histologischen Veränderungen und den Funktionsverlust des
Nierengewebes verantwortlich sind. Eine erhöhte Proteinkonzentration im (Primär-)Harn hat zunächst ja eine glomeruläre Ursache. Durch die Reabsorption
der übermäßig ausgeschiedenen Proteine im proximalen Tubulus scheint eine solche Hyperproteinurie
ein wichtiger Trigger für das Fortschreiten der tubulären Entzündung und somit der chronischen Niereninsuffizienz zu sein.
Mit großen individuellen Unterschieden kommt es bei Hunden und Katzen im Laufe der
chronischen Niereninsuffizienz zu einem Anstieg der Serumphosphat-Konzentration. Der genaue Pathomechanismus wird dabei noch diskutiert. Zahlreiche Autoren machen
einen sekundären Hyperparathyreoidismus dafür verantwortlich [4]. Fest steht, dass eine solche Hyperphosphatämie zu einer weiteren Schädigung des
funktionellen Nierengewebes und damit zur Progression der chronischen Niereninsuffizienz beiträgt.
Eine Senkung der Hyperproteinurie sowie eine Kontrolle der Serumphosphat-Konzentration scheinen neben anderen Maßnahmen (Proteinrestriktion in der Nahrung, ggf. Rehydratation
etc.) Grundpfeiler der Therapie der chronischen Niereninsuffizienz zu sein.
Diagnostik der chronischen Niereninsuffizienz
Praxistipp
Eine frühzeitige Diagnostik der chronischen Niereninsuffizienz ist elementare Voraussetzung
für einen frühen und damit erfolgreichen Beginn der Therapie.
Grundlagen der Diagnostik sind andernorts ausführlich beschrieben worden [1], [5], daher sollen sie hier nur kurz umrissen werden. Klinisch (Polydipsie, eventuell
Anorexie, gerade beim Hund häufig Vomitus, bei der Katze häufig Gewichtsabnahme) wird
die chronische Niereninsuffizienz erst zu einem späten Zeitpunkt der Erkrankung offensichtlich.
Daher sollte gerade bei älteren Tieren der Fokus auf eine gezielte Laboruntersuchung
nierenspezifischer Parameter bei Routinelaboruntersuchungen (Alterscheck) gerichtet werden.
Über die Sensitivität und Spezifität verschiedener Laborparameter wurde viel diskutiert.
In Kürze lässt sich feststellen, dass für die Routineuntersuchung folgende Parameter
einen Hinweis auf eine chronische Niereninsuffizienz geben:
-
wiederholte Bestimmung des Serumkreatinins zu definierten Bedingungen (ein kontinuierlicher Anstieg auch innerhalb der Normwerte
ist ein signifikanter Hinweis auf eine entstehende chronische Niereninsuffizienz),
-
die Bestimmung der Urindichte (Hypostenurie) oder
-
ein erhöhtes symmetrisches Dimethylarginin (SDMA) im Serum.
Darüber hinaus sollte bei Verdacht auf eine chronische Niereninsuffizienz immer der
Protein/Kreatinin-Quotient (UPC) im Urin bestimmt werden [1], [6].
Grundlagen der Therapie der chronischen Niereninsuffizienz
Bis jetzt scheint die Pathophysiologie der chronischen Niereninsuffizienz nicht ausreichend
verstanden [2], [3]. Darüber hinaus haben wir es bei chronischer Niereninsuffizienz von Hund und Katze
ohnedies mit einer Erkrankung zu tun, die ätiologisch verschiedene Ursachen haben kann. Angesichts der vielfältigen Ursachen der chronischen Niereninsuffizienz
ist eine ätiologische Therapie nur bedingt möglich, beispielsweise bei einer Hyperthyreose,
Diabetes mellitus, einer Herzerkrankung oder einer Erkrankung des unteren Urogenitaltrakts.
Praxistipp
Sinnvoll und wichtig für eine längere Überlebenszeit und eine bessere Lebensqualität
[7] ist die therapeutische Beeinflussung der Faktoren, die für das rasche Fortschreiten
der Erkrankung verantwortlich sind.
Neben der unmittelbaren Behandlung von Schüben/akuten Verschlimmerungen einer chronischen Niereninsuffizienz mit Symptomen wie Exsikkose, Vomitus und Kachexie
durch Flüssigkeitssubstitution, Antiemetika oder temporärer Zwangsfütterung [1] stehen für das Langzeitmanagement 3 therapeutische Maßnahmen im Vordergrund:
-
Eine möglichst phosphatarme, proteinreduzierte (evtl. Na+-reduzierte) Diät.
-
Eine Phosphatreduktion durch den Einsatz von Phosphatbindern als Zusatz zur Nahrung.
-
Die Verringerung der Hyperproteinurie im Primärharn.
Diät
Für Hunde und Katzen mit chronischer Niereninsuffizienz stehen eine Reihe kommerzieller Diäten zur Verfügung, die sich zum Teil beträchtlich in Bezug auf Protein-, Phosphat- und
NaCl-Gehalt unterscheiden. Gerade bei Katzen bestehen immer wieder erhebliche Unterschiede in der Akzeptanz angebotener Diätfuttermittel.
Merke
Grundsätzlich gilt, dass eine Katze mit chronischer Niereninsuffizienz besser „normales“
Futter aufnimmt als gar keines.
Denn ein kataboler Zustand mit Abbau körpereigenen Proteins belastet die Niere zusätzlich.
Eventuell kann in diesem Fall das gewohnte Futter weiter gefüttert werden, indem Phosphatüberschüsse
durch einen gut akzeptierten Phosphatbinder reduziert werden [8].
Ein zu hoher Proteinanteil im Futter kann z. B. durch den Zusatz kohlenhydratreicher Futtermittel wie etwa Kartoffelflocken
gesenkt werden. Letzteres funktioniert in der Praxis eher beim Hund.
Reduktion der Hyperphosphatämie
Unabhängig von den zum Teil kontrovers diskutierten Pathomechanismen besteht Konsens
in Bezug auf die Tatsache, dass eine Hyperphosphatämie im Laufe einer chronischen
Niereninsuffizienz zu einer weiteren histologischen und funktionellen Schädigung der Niere führt. Diesen Circulus vitiosus gilt es frühzeitig zu erkennen und zu durchbrechen. Allgemein sprechen wir von einer Hyperphosphatämie
bei einem Serumphosphat > 6 mg/dl bei der Katze und > 6,5 mg/dl beim Hund [7].
Merke
Es erscheint jedoch vorteilhaft, bereits ab einer Serumphosphat-Konzentration von
4,5 mg/dl mit Maßnahmen zur Phosphatreduktion zu beginnen [8].
Für die Katze wurden die anzustrebenden Phosphatkonzentrationen für die 3 festgelegten
Stadien der chronischen Niereninsuffizienz in einem Konsensuspaper eindeutig definiert [1]. Fressen Hund oder Katze eine kommerzielle oder selbst zubereitete Nierendiät, ist
diese in unterschiedlichem Maße phosphatreduziert. Oft reicht diese Reduktion jedoch
bei weiterer Progression der chronischen Niereninsuffizienz nicht mehr aus, um die
Serumphosphat-Konzentration im angestrebten Normbereich zu halten, sodass der Einsatz
eines Phosphatbinders unerlässlich ist [9]. Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass sich der Serumphosphatspiegel ausschließlich
durch eine Reduktion der Phosphataufnahme kontrollieren lässt und nicht durch eine erhöhte Ausscheidung der funktionsgestörten
Niere.
Prinzipiell funktioniert eine solche Phosphatreduktion durch ein phosphatarmes Futter oder durch die Bindung des überschüssigen Phosphats im Darm ([Abb. 1]). Phosphatbinder beruhen auf der Reaktion zwischen dem negativ geladenen Phosphat
und verschiedenen (meist 2-fach positiv geladenen) Kationen, insbesondere Kalzium
und Magnesium. Es bildet sich ein unlöslicher Phosphatkomplex im Magen-Darm-Trakt; dieser kann auch in den proximalen Darmabschnitten nicht mehr
resorbiert werden.
Abb. 1 Mit der Nahrung aufgenommenes Phosphat im Darm. a Phosphatresorption im Darm. b Reduktion der Phosphatresorption im Darm durch Einsatz eines Phosphatbinders und
die Ausscheidung mit dem Kot.(© Thieme Gruppe)
Den breitesten Einsatz bei Tieren finden Kalziumverbindungen als Phosphatbinder. Im Vergleich mit anderen Phosphatbindern verfügt Kalzium über
ein optimales Phosphatbindungsvermögen im leicht sauren Bereich bei pH 4, wie er im
Übergang zum Duodenum zu finden ist. Bei einem pH von 2, also im Magen, bindet z. B.
Eisen besser als Kalzium. Magnesium dagegen hat sein pH-Optimum für die Phosphatbindung erst im Bereich von 7 – 8, sodass
es erst in den hinteren Darmabschnitten zur vollen Wirkung kommt. Grundsätzlich besteht
beim Einsatz von kalziumhaltigen Phosphatbindern das Risiko der Hyperkalzämie [6], bei Magnesiumverbindungen kann es zu vermehrter Ausscheidung dieses Minerals über
den Harn kommen. Entscheidend für die Wirksamkeit ist stets die Menge an phosphatbindenden Substanzen, die das Tier freiwillig mit
dem Futter aufnimmt. So erweisen sich bestimmte Präparate bei angegebener Dosierung
als wenig effizient in der Phosphatbindung [10].
Da auch bei Menschen mit chronischer Niereninsuffizienz die zentrale Rolle der Phosphatreduktion
für die Behandlung erkannt wurde, wurden neben Kalzium und Magnesium eine Reihe von
weiteren geeigneten Substanzen experimentell und klinisch getestet, die auch bei Hund und Katze Anwendung finden oder fanden. Aluminiumverbindungen
binden Phosphat sehr effizient und bewirken eine rasche Reduktion der Serumphosphat-Konzentration.
Aluminiumsalze gelten jedoch als neurotoxisch und haben daher ihre Zulassung beim
Menschen verloren. Präparate auf Basis der seltenen Erde Lanthan zeigten sich ebenfalls
als wirksame Phosphatbinder; ein für Tiere angebotenes Präparat mit Lanthancarbonat
wurde jedoch vom Markt genommen. Toxizitätsstudien zeigten hohe Lanthankonzentrationen
in zahlreichen Geweben bei Hunden.
Einen neuen Ansatz stellt der Einsatz von Eisenverbindungen zur Phosphatreduktion dar. Bei der Katze hat sich das inzwischen in einem Ergänzungsfuttermittel
angebotene Fe-III-Oxid (Fe2O3) als sehr wirksam in der Reduktion der intestinalen Phosphatresorption erwiesen [11]. Fe-III-Oxide werden in extrem geringem Umfang aus dem Darm aufgenommen, sodass
auch hohe Eisengaben keine erhöhten Serumeisenspiegel induzieren. Allerdings kann
es als Nebenwirkung des Einsatzes zur Diarrhoe kommen, die jedoch bei einschleichender
Dosissteigerung ausbleibt. Eine andere beobachtete und durchaus „erwünschte“ Nebenwirkung
ist wahrscheinlich der Anstieg des Hämatokrits, obwohl Eisen-III-Oxid kaum resorbiert wird; bedenkt man, dass mittlerweile bei CNI-abhängiger
Anämie neben der Applikation eines Erythropoetin-Analogons zur Eisensubstitution geraten
wird, also eher ein Effekt, den man gern in Kauf nimmt.
Senkung der Hyperproteinurie
Wie oben dargelegt, werden durch eine vermehrte tubuläre Rückresorption von glomerulär
filtriertem Protein Tubulusepithelien geschädigt. Ein hoher Proteingehalt im Primärharn triggert also die Progression der chronischen
Niereninsuffizienz [3], [4].
Merke
Bei nachgewiesenem erhöhten UPC sollte der glomeruläre Blutdruck gesenkt werden [5].
Dadurch erreicht man eine Reduktion der glomerulären Filtration von Protein in den
Primärharn ([Abb. 2]). Leider kommt es aber auch temporär zu einer Senkung der glomerulären Filtrationsrate, was zunächst einen milden Anstieg des Serumkreatinins nach Therapiebeginn nach sich
zieht. Langfristig wird durch diese therapeutische Maßnahme die Überlebenszeit jedoch verlängert und die Lebensqualität verbessert.
Abb. 2 Nierenfunktion bei der Katze. a Physiologische Nierenfunktion. b Bei chronischer Niereninsuffizienz: erhöhter glomerulärer Filtrationsdruck und gesteigerte
glomeruläre Filtrationsrate; in der Folge kommt es zu einer erhöhten Proteinkonzentration
im Primärharn. c Einsatz einen ACE-Antagonisten: Senkung des glomerulären Filtrationsdrucks; in der
Folge kommt es zu einem Abfall der glomerulären Filtrationsrate und dadurch zu einer
reduzierten Proteinkonzentration im Primärharn.(© Thieme Gruppe)
Für die Katze ist für diese Indikation ein Angiotensin-Converting-Enzyme-Antagonist (ACE-Antagonist) zugelassen, für den Hund kann auf zahlreiche zugelassene ACE-Hemmer (ACEI) zurückgegriffen werden. Ob die Kombination von ACEI und ACE-Antagonisten oder
sogar die Kombination mit Aldosteron-Antagonisten weitere Vorteile bietet, ist unklar
[3].
Weitere mögliche therapeutische Optionen
Über die erwähnten Standardtherapien hinaus haben sich andere Behandlungsmaßnahmen
als sinnvoll erwiesen:
-
Therapie der chronischen Anämie: Unabhängig von den kausalen Zusammenhängen bei der Entstehung der Anämie hat sich
eine Therapie mit dem Erythropoetin-Analogon Darbepoetin (1 µg/kg s. c. 1-mal pro
Woche) als sinnvoll erwiesen [12]. Auf die empfohlene zusätzliche Eisensupplementierung kann vermutlich bei der Verwendung
eines Eisen-III-Oxid-haltigen Phosphatbinders verzichtet werden.
-
Substitution von aktivem Vitamin D3: Nach erfolgreicher Kontrolle der Serumphosphat-Konzentration kann die Substitution
von 1,25-Dihydroxycholecalciferol einen zusätzlichen therapeutischen Effekt bieten
[10]. Der Parathormonspiegel kann durch die Vitamin-D3-Substitution sinken oder zumindest
kann ein Anstieg vermieden werden [13].
-
Homöopathische Behandlung: Viele Tierbesitzer verlangen eine zusätzliche homöopathische Therapie der chronischen
Niereninsuffizienz oder deren Folgen. Seit längerer Zeit wird hierzu entweder eine
fixe Kombination u. a. aus Renes bovis, Viscum album, Equisetum und Veratrum album
oder eine Kombinationstherapie aus Coenzymen, Solidago, Ubichinon und Ren suis empfohlen
und von vielen Kollegen regelmäßig angewandt.
Kontrolluntersuchungen
Mindestens monatlich sollten bei klinisch stabilen Patienten Serumkreatininspiegel
und Serumphosphat-Konzentration bestimmt werden. Darüber hinaus ist die Kontrolle
des (roten) Blutbilds, des UPC sowie des Körpergewichts sinnvoll. Bei Verschlechterung
einzelner Parameter sind häufigere Kontrollen zu empfehlen [1].