Fortschr Neurol Psychiatr 2018; 86(04): 204
DOI: 10.1055/s-0044-100853
Fokussiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neues ALS-Gen identifiziert: Genetischer Faktor der familiären ALS

Further Information

Publication History

Publication Date:
24 April 2018 (online)

Amytrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine komplexe und derzeit unheilbare neurodegenerative Erkrankung, die zum Untergang der motorischen Nervenzellen und somit zu stetig fortschreitenden Lähmungen führt. In der Regel führt ALS innerhalb von 3–5 Jahren nach Krankheitsbeginn zum Tod. Unterschieden wird die sporadische Variante von der erblich bedingten („familiären“) Form, die nur etwa 10 % der Erkrankungen ausmacht. In beiden Fällen ist die Krankheitsentstehung noch nicht genau verstanden. Zwar konnten Wissenschaftler dank jüngster Fortschritte in der DNA-Sequenzierungstechnologie mehrere Gene identifizieren, deren Mutation eine Prädisposition für ALS darstellt, doch diese Mutationen erklären lediglich die Ursache von weniger als 25 % aller Krankheitsfälle.

Nun haben Forscher der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie (Rehabilitations- und Universitätskliniken Ulm) und der schwedischen Universität Umeå das Erbgut von 426 ALS- Patienten, die mindestens einen weiteren erkrankten Verwandten hatten, mit einer gesunden Kontrollgruppe mittels Gesamt-Exom-Sequenzierung verglichen. Die Wissenschaftler konnten bei ALS-Patienten 3 Spleißstellen-Mutationen in der C-terminalen Domäne des Gens KIF5A identifizieren, die zu einem Funktionsverlust des entsprechenden Gens führen. Bei 3 untersuchten Familien war die Vererbung der Krankheit über mehrere Generationen hinweg an eine solche Mutation gekoppelt. Darüber hinaus fanden die Autoren bei etlichen Patienten mit familiärer ALS eine Anreicherung des Einzelnukleotid-Polymorphismus (Single Nucleotide Polymorphism/SNP) rs113247976, der ebenfalls das KIF5A-Gen betrifft. Bei 6 % der familiären ALS-Patienten konnte dieser Polymorphismus nachgewiesen werden und wiederum 50 % von ihnen hatten mindestens eine Mutation in einem anderen bekannten ALS-Gen. Dies deutet darauf hin, dass bei der Krankheitsvererbung oft mehrere Gendefekte zusammenwirken. Von allen genetischen Veränderungen, die seit 1993 weltweit bei ALS-Patienten gefunden wurden, sei rs113247976 der häufigste genetische Faktor, der zur Krankheitsentstehung beitrage.

Das KIF5A-Gen ist der Bauplan für ein Protein, das am Transport von Substanzen im Axon einer Nervenzelle beteiligt ist. Die Studienergebnisse unterstreichen also die Bedeutung von intrazellulären Transportprozessen bei der ALS-Krankheitsentstehung. Zudem sind weitere neurologische Erkrankungen mit unterschiedlichen Veränderungen im KIF5A-Gen assoziiert (hereditäre spastische Paraplegie, Charcot-Marie-Tooth-Krankheit Typ 2, Neonatal intractable myoclonus). In Zukunft könnten die nun veröffentlichten Erkenntnisse zu neuen molekularen Therapieansätzen beitragen.

Zusammenfassend fügt diese Studie KIF5A zu einer stetig wachsenden Liste von Genen hinzu, die ALS verursachen, und sie erweitert das Spektrum von Mutationen in diesem Gen. Die hohe Prävalenz des SNP KIF5A rs113247976 bei familiären ALS-Patienten befeuere zudem die Hypothese eines Zusammenspiels verschiedener Gendefekte in einem Patienten. Dies könnte auch einen Teil der sporadisch, nicht familiär auftretenden ALS-Fälle genetisch erklären.

Nach einer Mitteilung der Universität Ulm