Rofo 2018; 190(07): 610-615
DOI: 10.1055/s-0044-102306
Health Policy and Evidence Based Medicine
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Externe radiologische Aufnahmen und Befunde in der klinischen Routine, Konferenzen und Boards – rechtliche Aspekte der Nachbefundung und Zweitmeinung in Deutschland

Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
Andreas G. Schreyer
1   Department of Radiology, Universitätsklinikum Regensburg, Germany
,
Britta Rosenberg
2   Telemedicine Euroregion Pomerania Project, Department of Diagnostic Radiology and Neuroradiology, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Germany
,
René T. Steinhäuser
3   Medical Law, Rechtsanwälte Wigge, Hamburg, Germany
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Correspondence

Herr Prof. Andreas G. Schreyer
Department of Radiology, University Hospital Regensburg
Franz-Josef-Strauss-Allee 11
93053 Regensburg
Germany   
Telefon: ++ 49/9 41/9 44 74 42   

Publikationsverlauf

14. Juli 2017

08. Januar 2018

Publikationsdatum:
07. März 2018 (online)

 

Zusammenfassung

Hintergrund Durch die Zunahme von Boards und Konferenzen nimmt die Zahl an Nachbefundungen im Sinne von Zweitmeinungen oder Röntgendemonstrationen extern erstellter Aufnahmen beträchtlich zu. In diesem Übersichtsartikel sollen juristisch und medizinisch Empfehlungen zur Dokumentation und Interpretation extern erstellter Aufnahmen hinsichtlich Zweitmeinung und Demonstration in Boards basierend auf der deutschen Rechtsprechung erfolgen.

Methode Im FAQ-Format als Dialog zwischen Radiologen und medizinisch spezialisierten Juristen werden die wichtigsten Fragen bezüglich korrekter Dokumentation und Interpretation externer Bilddaten basierend auf aktueller Literatur beantwortet.

Ergebnisse Entsprechend der strahlenschutzrechtlichen Einheit von Bild und Befund sollte der primäre Befund zur Durchführung einer Zweitmeinung vorliegen. Fehlende externe Befunde sollten als Einschränkung erwähnt werden. Generell soll eine radiologische Zweitmeinung schriftlich dokumentiert werden. Dies ist besonders bei widersprüchlichen Aussage zum Primärbefund wichtig. Es bleibt jedoch in der Entscheidung des behandelnden Arztes, welche radiologische Meinung er für korrekt erachtet. Bei Zweitmeinungen darf sich nicht ungeprüft auf externe Befunde verlassen werden. Die Sorgfaltspflicht fordert hier eine eigene fachliche Einschätzung des Bildmaterials inkl. der Voruntersuchungen.

Schlussfolgerung Vom juristischen Standpunkt bestehen klare Empfehlungen, die prinzipiell eine sorgfältige Dokumentation einer Zweitbefundung im Sinne einer eigenverantwortlichen ärztlichen Leistung in allen Fällen fordern.

Kernaussagen

  • Der schriftliche Primärbefund sollte zur Erstellung einer radiologischen Zweitmeinung vorliegen.

  • Zweitbefunde und radiologische Beurteilungen bei Konferenzen sollten schriftlich dokumentiert werden.

  • Bei Röntgendemonstrationen externer Bildgebung darf sich nicht auf den externen Befund verlassen werden.

  • Bei widersprüchlicher Befundung obliegt dem behandelnden Arzt die Entscheidung, welcher Befund korrekt ist.

Zitierweise

  • Schreyer AG, Rosenberg B, Steinhäuser RT. Externally Acquired Radiological Image Data and Reporting for the Clinical Routine, Conference and Boards – Legal Aspects of the Second Opinion in Germany. Fortschr Röntgenstr 2018; 190: 610 – 615


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Einleitung

Die Teilnahme an interdisziplinären Tumorboards und Röntgenbesprechungen ist inzwischen ein essenzieller Bestandteil der klinischen Radiologie. Diese gemeinsamen Fallbesprechungen und Boards sprechen Empfehlungen zum optimalen Behandlungsregime aus – es handelt sich somit um Entscheidungen von großer Tragweite. Die korrekte Demonstration und Interpretation radiologischer Aufnahmen in diesem Setting ist daher von größter Bedeutung.

Häufig werden Patienten mit zumindest teils extern durchgeführter radiologischer Bildgebung vorgestellt, in deren primäre Untersuchungsdurchführung und -befundung der demonstrierende Radiologe nicht involviert war. Durch die nahezu vollständige Digitalisierung der Radiologie mit der Möglichkeit der Bilddaten-Übertragung über Netzwerke oder optische Medien nimmt der Anteil sogenannter Fremdaufnahmen an klinischen radiologischen Instituten stark zu. Dabei stellt es in der klinischen Routine den Idealfall, häufig jedoch nicht die Realität, dar, wenn zu der extern durchgeführten Bildgebung auch der schriftliche Befundbericht der primär die Untersuchung durchführenden Radiologen vorliegt. Zudem wird in Tumorboards und Röntgenbesprechungen häufig von Radiologen das spontane Demonstrieren auswärtig durchgeführter Bildgebung gefordert, ohne die Möglichkeit einer adäquaten Vorbereitung. Innerhalb sehr kurzer Zeit muss somit unter Zeitdruck eine vollständige und korrekte Befundung externer Aufnahmen bei komplexen Krankheitsbildern durchgeführt werden, ohne die klinischen Angaben, die rechtfertigende Indikation oder die technischen Parameter und Art der Kontrastmittelapplikation der auswärtigen Untersuchung zu kennen, da diese häufig nicht vollständig in die Bilddaten integriert sind.

Auch die Nachfrage nach radiologischen Zweitmeinungen nimmt im Rahmen der schnellen und niedrigschwelligen Verfügbarkeit der digitalisierten Bilddaten und zunehmenden hochgradigen Subspezialisierung in der Radiologie zu. Es konnte in Studien gezeigt werden, dass gerade in hochspezialisierten Bereichen wie etwa der Neuroradiologie oder der pädiatrischen Radiologie Zweitmeinungen einen erheblichen Informationszugewinn bringen und häufig die Diagnose und Therapie ändern [1] [2] [3].

In dem Kontext der Vorstellung von Fremdaufnahmen in klinischen Visiten und Tumorboards bzw. der Äußerung von Zweitmeinungen und ggf. Erstellung ergänzender schriftlicher Befundberichte herrscht unter Radiologen häufig eine große Rechtsunsicherheit bezüglich der korrekten Durchführung und Dokumentation. Diese Unsicherheit wird weiter genährt durch das Vorhandensein juristischen Halbwissens zu diesem Thema. So besteht in der Radiologie bisher keine Einigkeit darüber, inwieweit Fremdbefundungen bzw. Zweitmeinungen schriftlich, auch im RIS (Radiologisches Informationssystem), dokumentiert werden müssen. Auch ist unklar, ob die Einholung des auswärtig erstellten schriftlichen Befundes juristisch zwingend erforderlich ist und welcher radiologische Befund bei abweichender Meinung juristische Gültigkeit hat.

Um dieses, in der radiologischen Arbeitsroutine häufige und mit viel Unsicherheit belegte Thema ausführlich zu beleuchten, haben wir versucht, einen medizinisch-juristischen Dialog zu den häufigsten radiologischen Fragen zu erstellen. Zur Veranschaulichung der Thematik und besseren Lesbarkeit wurde hierzu bewusst das Format „FAQ“ (Frequently Asked Questions) gewählt. Die aus der klinischen Routine eines Radiologen aufgeworfenen Fragen werden dabei von auf Medizinrecht spezialisierten Juristen beantwortet und diskutiert.

In einem zusätzlichen Folgeartikel soll dann das komplexe Feld der aktuellen Abrechnungssituation und Möglichkeit bei der Erstellung von Zweitmeinungen bzw. Vorstellung von Fremdaufnahmen in Boards und radiologischen Konferenzen mit Ausblick auf das E-Health-Gesetz besprochen werden.


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Radiologische Befundung von extern erstellten Aufnahmen

Digitale Fremdaufnahmen aus externen radiologischen Kliniken und Praxen werden häufig bei Tumorboards und Röntgenbesprechungen präsentiert. Häufig liegen dabei die auswärtigen erstellten Befundberichte nicht vor. Zusätzlich muss man sich auf die meist unzureichende Beschriftung der Schnittbilddaten bezüglich Kontrastmittel, Kontrastmittelphasen und Untersuchungstechniken verlassen. Häufig handelt es sich dabei auch um Bilder von Geräten mit anderen Sequenznamen und -eigenschaften, wie es regelmäßig bei MRT-Untersuchungen unterschiedlicher Hersteller vorkommt. Es steht dem demonstrierenden Radiologen auch kein Gespräch mit dem Patienten und keine tiefgehende Anamnese zur Verfügung. Teilweise müssen die radiologischen Bilder ohne jede klinische Angabe ad hoc oder mit nur kurzer, nicht adäquater Vorbereitungszeit in einem Tumorboard oder einer klinischen Konferenz demonstriert werden. Dennoch hat die Aussage des nachbefundenden Radiologen in der Besprechung oder im Tumorboard großen Einfluss auf die therapeutischen Konsequenzen. So werden Entscheidungen zu operativen Eingriffen, Chemotherapie oder Therapiestratifikationen in der palliativen oder kurativen Therapie häufig basierend auf den radiologischen ad-hoc-Aussagen getroffen. Es existiert unter Radiologen die Auffassung und Meinung, dass eine Aufnahme zunächst mit dem primären Befund des externen Bilderstellers verbunden ist, der Primärbefund also der rechtlich verbindliche und gültige Befund ist. Dies deckt sich mit dem strahlenschutzrechtlichen Grundsatz der Einheit von Bild und Befund.

Radiologische Frage: Ad-hoc-Befundung von externen Aufnahmen ohne vorliegenden Befundbericht in Röntgenbesprechungen und Boards

Ich werde von den klinischen Kollegen gebeten, eine auswärtige komplexe radiologische Bildgebung (CT, MRT, Angiografie) zu demonstrieren und meine Meinung zu äußern. Der primär erstellte externe Befundbericht kann mir von den anfordernden Kollegen nicht zur Verfügung gestellt werden. Ist es nun korrekt, diese externen Bilder ohne den medizinisch vorliegenden Zeitdruck einer Notfallsituation bei fehlenden auswärtigen Primärbefunden, also mit eingeschränkter Kenntnis der Anamnese und der genauen Fragestellung, Untersuchungsdurchführung und Technik, radiologisch zu werten und zu demonstrieren? Oder sollte ich als Radiologe in dieser Elektivsituation diese Bitte verneinen und um Vorlage des schriftlichen auswärtigen Befundes bitten? Brauche ich vielleicht sogar einen Disclaimer, also eine mündliche oder schriftliche Einschränkung bezüglich der Vorläufigkeit und ggf. Unrichtigkeit meines ad-hoc-Befundes, zumal ich ja ein Stellungname zu Befunden mache, die ich in nicht adäquater Zeit provisorisch beantworten soll?


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Juristische Antwort:

Ihre diagnostische Leistung ist eine eigenständige Arbeit, für die Sie allein die Verantwortung tragen. Auf etwaige Defizite Ihrer Leistung, die auf den unbekannten Untersuchungsauftrag des Erstbefunders und den Erstbefund zurückgehen, sollten Sie explizit hinweisen und diesen Hinweis in Ihrer Dokumentation aufnehmen. Wenn nach Ihrer fachlichen Sicht erforderliche Sequenzen fehlen, dann müssen Sie ausdrücklich darauf hinweisen und anregen, dass diese angefertigt werden. Zu Ihrer vollständigen Dokumentation gehört auch der Hinweis, dass Ihnen der Vorbefund und der Untersuchungsauftrag, der den Ihnen vorliegenden externen Aufnahmen zugrunde lag, unbekannt sind. Es empfiehlt sich, jedenfalls solange die zeitliche Verzögerung medizinisch zu verantworten ist, die Vorbefundung anzufordern. Diese in der eigenen Befundung zu berücksichtigen ist dringend angeraten.


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Radiologische Frage: Besteht eine Dokumentationspflicht von externer Befundung?

Wenn ich externe radiologische Bildgebung nun ohne auswärtigen Befundbericht demonstriere und bespreche, inwieweit muss ich meine Aussagen schriftlich dokumentieren, da ja basierend auf meiner Aussage operative oder therapeutische Konsequenzen entstehen können?


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Juristische Antwort:

Die diagnostische Leistung, die Sie erbringen, ist vollständig Ihre Leistung. Sie haben diese Leistungen nach dem jeweiligen anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen zu erbringen. Die Dokumentation hat wie grundsätzlich bei jeder Befundung schriftlich zu erfolgen.


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Juristisch und radiologischer gemeinsamer Kommentar:

In der täglichen Routine an einem großen Klinikum kann diese juristisch geforderte Dokumentation zu großen praktischen Herausforderungen führen. Durch die sehr hohe Anzahl dieser täglich multipel geforderten radiologischen Leistung, externes Bildmaterial in eine klinische fach- und sachbezogene Kontextuierung für therapeutische Entscheidungen zu stellen, zusammen mit der Forderung einer konsequenten schriftlichen Dokumentation, wird eine ökonomisch kaum mehr zu bewerkstelligende Arbeitslast an die Radiologie gestellt. Um daher eine realitätstaugliche Lösung für diesen Konflikt im Alltag zu erhalten, sollten alle, auch in Röntgenbesprechungen und Tumorboards vom Radiologen mündlich gemachten, für die Therapie entscheidenden Aussagen in irgendeiner Form schriftlich dokumentiert werden. Bei Tumorboards müsste dies durch die im KIS hinterlegten Synopsen der wichtigsten Aussagen und Beschlüsse zum Patienten ausreichend gegeben sein. Bei eher unkritischen und zu dem primären radiologischen Erstbefund identischen Aussagen des demonstrierenden Radiologen dürfte bei Röntgenkonferenzen ohnehin juristisch ebenso kaum ein potentieller Konflikt entstehen.


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Radiologische Frage: Gültigkeit der eigenen oder externen radiologischen Meinung – was zählt?

Wenn ich nun auswärtige Aufnahme mit vorliegendem auswärtigem Befund habe, ich jedoch eine andere Meinung als der primär befundende Radiologe, also Bildersteller, in meiner Befundung vertrete, welcher Befund ist nun juristisch gültig? Inwieweit muss ich meine divergente Aussage schriftlich dokumentieren? In welcher Form sollte ich meine Aussage dokumentieren?


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Juristische Antwort:

Die Situation entspricht der Konstellation einer Zweitmeinung. Da es sich hier um fachgleiche Leistungen von wenigstens zwei Radiologen handelt, haben Sie aufgrund Ihrer fachlichen Expertise die Ihnen vorliegenden externen Aufnahmen und den auswärtigen Befund vollständig zu überprüfen. Ihnen gegenüber ist daher Ihr Befund gültig. Mit Ihrem abweichenden Befund demonstrieren Sie, dass Sie den Erstbefund gerade nicht bestätigen. Eine Privilegierung für einen externen Befund gibt es nur, wenn dieser aus einem anderen als Ihrem Fachgebiet stammt und sich in diesem Befund nicht gerade eine Überschneidung zwischen den Fachgebieten ergibt. Wenn daher ein Orthopäde die Röntgenaufnahmen anfertigte, dann haben Sie diese zu überprüfen. Die Ergebnisse eines Pathologen dagegen können Sie in der Regel nicht überprüfen. Vor Auffälligkeit sollten Sie aber niemals die Augen verschließen, denn, was selbst einem Laien auffallen könnte, z. B. eine evident falsche Zuordnung einer Gewebeprobe zu einem Patienten, haben Sie zu bemerken. Der behandelnde Arzt muss schließlich die Entscheidung treffen, welcher Befund für ihn gültig ist. Die Dokumentation erfolgt schriftlich bzw. elektronisch. Wenn ein Patient nicht im RIS (Radiologisches Informationssystem) angelegt sein sollte, dokumentieren Sie wenigstens schriftlich den Vorgang und Ihren Befund und verwahren Sie diesen entsprechend der gesetzlichen Vorgabe zehn Jahre. Beachten Sie aber die hauseigenen Regeln zur Dokumentation oder erkundigen Sie sich in der Rechtsabteilung Ihres Klinikums, ob hausinterne Regeln, die auch von dem Haftpflichtversicherer vorgegeben sein können, existieren.


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Radiologische Frage: Muss eine Dokumentation bei abweichender Meinung erfolgen?

In der Röntgendemonstration bzw. im Tumorboard werden externe Bilder demonstriert, wobei der demonstrierende Radiologe eine entscheidend abweichende Meinung vom externen Primärbefund hat. Die klinischen Kollegen bitten nun den Radiologen um eine schriftliche Stellungnahme seiner divergierenden Meinung – welcher Befund zählt juristisch nun mehr? Sollte man seine divergierende Zweitmeinung überhaupt schriftlich dokumentieren, zumal man ja eingeschränkte Informationen zur Anamnese und Untersuchungsdurchführung der Primärdaten hat?


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Juristische Antwort:

Die Dokumentation hat stets und vollständig zu erfolgen, dazu gehört auch die Angabe, dass bestimmte Unterlagen nicht vorlagen und ggf. nicht beschafft werden konnten. Relevant wird die Dokumentation aber gerade in der Praxis, wenn es um divergierende Befunde geht. Hier beginnt der Konflikt bereits vor Therapiebeginn und damit besteht eine besondere Gefahr, dass es auch in der Folge zu Komplikationen kommen könnte. Mehr zählt aber letztlich kein Befund: Die Therapieentscheidung hat der unmittelbar behandelnde Arzt zu treffen, dieser hat in einer solchen Situation das Nachsehen. Dieser muss – und hierfür bedarf es der vollständigen Dokumentation – entscheiden, ob er einem Erstbefund mit vermutlich vollständigen Unterlagen und Aufnahmen oder einem Zweitbefund, der auf einer ungünstigen und unvollständigen Ausgangslage basiert, folgt. Ggf. wäre daher dem behandelnden Arzt zu empfehlen, dass weitere Untersuchungen anzustellen seien, die die verbliebenen Zweifel beseitigen könnten.

Die Rechtslage hinsichtlich der Haftung eines Tumorboards und zukünftig z. B. eines Teams bei der ambulanten, spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116b SGB V ist bisher, soweit ersichtlich, nicht Gegenstand der Rechtsprechung geworden. Nach dem aktuellen Stand dürfte ein Tumorboard nur, wenn auch fachlich fundiert und auf den konkreten medizinischen Einzelfall bezogen, eine Behandlungsempfehlung aussprechen. Der behandelnde Arzt hat in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob er dem multidisziplinären Fachwissen der ärztlichen Kollegen des Tumorboards folgen oder davon abweichen möchte. Kommt es später zu einem Haftungsfall kann sich der behandelnde Arzt auf das Fachwissen, das sich im Tumorboard vereint, berufen. Ein gerichtlich bestellter Gutachter müsste sämtliche Überlegungen im Tumorboard in sein Gutachten einbeziehen und die Entscheidung für nicht mehr medizinisch vertretbar erachten, um in medizinischer Hinsicht die Therapieentscheidung des behandelnden Arztes abzulehnen. Andererseits müsste der behandelnde Arzt, wenn er nicht der Empfehlung der Ärzte des Tumorboards folgte, in einem solchen gerichtlichen Verfahren plausibel, also medizinisch begründet, darlegen können, dass die Abweichung von der Empfehlung oder Nichtdurchführung der Empfehlung medizinisch vertretbar gewesen oder sogar geboten war. Insoweit liegt hier eine Parallele zu der Anwendung von Leitlinien vor. Diese sind ihrer Art nach abstrakt und primär darin abweichend von der konkreten Empfehlung aus einem Tumorboard. Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass aus medizinischen Gründen des Einzelfalles von einer Leitlinie abgewichen werden sollte oder gar musste und nicht von einer Empfehlung aus einem Tumorboard – zumindest, wenn die beteiligten Ärzte am Tumorboard über die gleichen tatsächlichen Kenntnisse verfügten wie der behandelnde Arzt.


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Radiologische Frage: Darf man sich auf schriftliche Befundberichte des externen Radiologen verlassen?

Es liegen externe radiologische Aufnahmen mit schriftlichem Befundbericht des primär befundenden Radiologen vor. Kann ich mich nun auf die fachärztliche schriftliche Aussage des primären externen Befundes für meine Befunddemonstration verlassen oder bin ich als Radiologe verpflichtet, mir die vollständige Untersuchung inkl. aller, z. T. zahlreicher Voraufnahmen, selbst anzuschauen, um mir eine unabhängige eigene Meinung zu bilden?


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Juristische Antwort:

Die Organisation von Tumorboards muss so gestaltet sein, dass die Strukturen und Fachkompetenzen eine adäquate konsiliarische Tätigkeit der vertretenen Fachrichtungen gewährleisten. Tumorboardteilnehmer werden durch die Teilnahme nicht automatisch zu Mitbehandlern im Sinne des § 630a BGB, unterliegen aber den Sorgfaltspflichten eines Konsiliararztes. Tumorboardbeschlüsse haben Empfehlungscharakter, d. h. sie sind nicht im rechtlichen Sinne verbindlich und entheben den behandelnden Arzt nicht von der Pflicht zur kritischen Prüfung dieser Empfehlungen vor deren Umsetzung. Andererseits muss der Behandler eine Nichtbeachtung der Beschlüsse auf der Basis medizinischer Sorgfaltspflicht begründen können. An die Dokumentation von Tumorboards sind dieselben Anforderungen wie bei jeder anderen Konsiliartätigkeit zu stellen [4]. Zwischen überweisendem Arzt und mitbehandelndem oder nur diagnostisch hinzugezogenem Konsiliararzt bestehen wechselseitige Vertrauenstatbestände. Aufgrund derer darf sich der weiterbehandelnde Arzt auf die Richtigkeit eines fachlichen Befundes des hinzugezogenen Arztes eines anderen Fachgebiets verlassen und hat nur ihm ohne Weiteres erkennbaren oder nach dem Standard des maßgeblichen Fachgebiets zu erkennenden gewichtigen Bedenken oder Zweifeln nachzugehen (vgl. BGH AHRS 0920/24; BGHR BGB § 823 Abs.1 Arzthaftung 26 und OLG Zweibrücken, Urteil vom 03. November 1998 – 5 U 56/97 – Rn. 70, juris). Im Umkehrschluss darf sich der Konsiliararzt auf die Einschätzung eines Kollegen derselben Fachrichtung nicht ohne Weiteres verlassen. Eine eigenständige Beurteilung der übermittelten Schnittbilder ist daher von der Sorgfaltspflicht des am Tumorboard teilnehmenden hinzugezogenen Radiologen erfasst. Der Vertrauensschutz beschränkt sich auf die Befundung durch einen Kollegen einer anderen Fachrichtung. Innerhalb der eigenen Fachrichtung ist es dem Radiologen möglich und auch zumutbar, eine eigenständige qualifizierte Prüfung der Bilder vorzunehmen.


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Beurteilung externer radiologischer Aufnahmen in Notfallsituationen

Häufig werden im Nacht- bzw. Wochenenddienst dem diensthabenden radiologischen Assistenz- oder Facharzt externe radiologische Aufnahmen ohne beiliegenden schriftlichen Befundbericht mit der dringenden Bitte gegeben, seine Meinung sofort in der Notfallsituation zu äußern. Diese Meinungsäußerungen haben häufig unmittelbare, zum Teil schwerwiegende therapeutische invasive Konsequenzen wie etwa Notfalloperationen.

Radiologische Frage: Externe Aufnahmen in der Notfallsituation befunden

Wie ist mit diesen Notfallfremdbefundungen umzugehen – wer haftet eigentlich bei abweichenden Befunden zu den Primärbefunden, die ja in der Notfallsituation nicht vorliegen? Ist auch hier eine schriftliche Dokumentation der mündlich gemachten Aussage in der Notfallsituation juristisch zu empfehlen oder gar verpflichtend?


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Juristische Antwort:

Rechtlich wird bei der Dokumentation zwischen dem Zeitpunkt der Dokumentation und dem Inhalt der selbigen, daneben aber auch nach der Form der Dokumentation differenziert. In zeitlicher Hinsicht regelt § 630 f. Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Verpflichtung. Die Dokumentation hat in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung zu erfolgen. Im Falle des Radiologen ist Behandlung als Untersuchung zu verstehen. Grundsätzlich gilt in einer Notsituation ein herabgesetzter Sorgfaltsmaßstab in der Dokumentation. Im Vordergrund steht die Behandlung des Patienten und im Hintergrund stehen aufschiebbare Maßnahmen wie die Dokumentation. Zu irgendeinem Zeitpunkt wird die Notsituation dennoch enden und spätestens ab diesem Zeitpunkt bestehen die Möglichkeit und damit die Verpflichtung, die bis dahin zurückgestellte Dokumentation nachzuholen.

Zu dokumentieren ist, was medizinisch üblicherweise dokumentiert wird. Damit diese Frage aber nicht in einem Zirkel endet und der Jurist wieder an den Mediziner verweist, sollte der Ansatz sein, dass Sie den Befund und die Nebenbefunde, weil dies grundsätzlich medizinisch üblich ist, schriftlich oder in einer elektronischen Patientenakte dokumentieren. In § 630 f. Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) heißt es nur, dass in der Patientenakte alle die aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen sind, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien bzw. Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Wenn Sie sich an diesem Zweck der Dokumentation, der im Übrigen dem nach der ärztlichen Berufsordnung entspricht, orientieren, erfüllen Sie die gesetzliche Anforderung.


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Zweitmeinung von sub-spezialisierten Radiologen

Radiologische Frage: Gilt die Meinung von radiologischen Schwerpunkt-Spezialisten mehr?

Brauche ich für die Durchführung von Zweitmeinungen bzw. radiologischen Konsilen in speziellen Bereichen, wie etwa der Neuroradiologie oder pädiatrischen Radiologie, den primären Vorbefund, auf den ich mich in meinem schriftlichen Befund auch beziehen muss?


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Juristische Antwort:

Nach der Weiterbildungsordnung ist Ihnen die Befundung aus den Bereichen der Neuroradiologie und pädiatrischen Radiologie ungeachtet der fehlenden Schwerpunktkompetenz in der Kinder- und Neuroradiologie nicht verwehrt. Ein Schwerpunkt ist eine auf die Facharztausbildung aufbauende Spezialisierung im Weiterbildungsgebiet und beschränkt die Tätigkeit des Radiologen mit einer Schwerpunktbezeichnung nicht auf den Schwerpunkt, sondern wie jeden Radiologen auf das Gebiet der gesamten Radiologie. Grundsätzlich sind vorhandene und bekannte Vorbefunde bei einer eigenen diagnostischen Auswertung der Aufnahmen zu berücksichtigen und deren Verwendung zu dokumentieren. Es spricht aber rechtlich nichts dagegen, dass Sie in einem ersten Schritt die Bilder unvoreingenommen selbst anschauen, in einem zweiten Schritt einen Abgleich mit dem Vorbefund vornehmen und schließlich die Ergebnisse zusammenführen. Sind die Ergebnisse deckungsgleich, bedarf es kaum Ausführungen, während bei divergenten Ergebnissen eine Klärung geboten ist, um einen sogenannten Befunderhebungsfehler zu vermeiden.


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Radiologische Frage: Juristische Beurteilung einer geforderten Zweitmeinung über die Teleradiologie

Wie müssen teleradiologisch übermittelte Daten und Aufforderungen zur Zweitmeinung, die ja nicht im Rahmen von teleradiologsicher Notfallbefundung übermittelt und betrachtet werden dürfen, vom Radiologen juristisch betrachtet werden?


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Juristische Antwort:

Die Zweitmeinung ist eine konsularische ärztliche Leistung. Dabei ist es unerheblich, ob die Bilder teleradiologisch zum Radiologen gelangen oder auf einer CD oder sonstigen Datenträgen abgegeben werden. Wie auch sonst muss der Radiologie auf die Qualität der Aufnahmen eingehen, wenn die Qualität den ärztlichen Standard unterschreitet. Insofern kann es bedingt durch den jeweiligen Übertragungsweg zu dokumentationspflichtigen qualitativen Auffälligkeiten kommen; dies ist aber keine Besonderheit der Teleradiologie, sondern ein grundsätzliches Risiko einer Datenübermittlung, bei der jede Form der Datenübermittlung ein spezifisches Qualitätsrisiko birgt.


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Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Tumorboards und interdisziplinäre Röntgenbesprechungen repräsentieren einen stark zunehmenden Anteil der radiologischen Arbeitsroutine in der klinischen Radiologie. Es konnte gezeigt werden, dass durch die „sprechende Radiologie“ in interdisziplinären Röntgenbesprechungen in etwa 1/3 der demonstrierten Fälle eine Änderung in weiterer Diagnose und Therapie erreicht wurde [5]. Genaue Zahlen zum Anteil von Fremdaufnahmen bei Röntgenbesprechungen und Tumorboards liegen nicht vor, subjektiv erscheint die Arbeitsbelastung durch eine Zweitbefundung externer Aufnahmen durch die digitale ubiquitäre Verfügbarkeit radiologischer Bildgebung in den letzten Jahren massiv zuzunehmen.

Für elektive radiologische Nachbefundungen im Sinne einer Zweitmeinung, aber auch bei der Vorbereitung von externer radiologischer Bildgebung für Tumorboards oder Röntgenbesprechungen, sollte der externe Befundbericht schriftlich bzw. elektronisch vorliegen, da nur so gewährleistet ist, dass ein vollständiger komplexer medizinischer Sachverhalt bezüglich möglicher Voraufnahmen sowie der technischen Untersuchungsdurchführung und rechtfertigenden Indikation zur adäquaten radiologischen Befundung gewertet werden kann. Dabei hat die Dokumentation der radiologischen Zweitmeinung sowohl beim Konsil als auch bei der Befunddemonstration in Tumorboards oder radiologischen Besprechungen prinzipiell schriftlich zu erfolgen. Eine schriftliche Dokumentation liegt dabei auch durch das Protokoll eines Tumorboards vor. Gerade bei einer diskrepanten Beurteilung der Zweitmeinung zum primären Befund sollte auf eine adäquate Dokumentation geachtet werden. Bei der Demonstration auswärtiger Bildgebung darf sich der Radiologe dennoch nicht blind auf den externen schriftlichen Befundbericht verlassen. Prinzipiell gehört es zur Sorgfaltspflicht des demonstrierenden Radiologen, sich ein eigenes Bild über die vorzustellenden Fremdaufnahmen inklusive aller vorliegenden Voruntersuchungen zu machen. In der klinischen Routine ist gerade letztgenannter Punkt für die radiologische Arbeitsbelastung durch Fremdaufnahmen eine sehr wichtige Aussage, da sie ja ein nahezu vollständiges neues aufwändiges Aufrollen des gesamten Falles durch den zweitbefundenden Radiologen verlangt.

Liegt für eine Zweitmeinung oder Befunddemonstration der externe schriftliche Befundbericht nicht vor, sollte diese Einschränkung durch die fehlenden detaillierten Informationen der Untersuchungsdurchführung bzw. rechtfertigenden Indikation und Anamnese explizit erwähnt bzw. dokumentiert werden.

Bei unterschiedlichen Aussagen der radiologischen Primärbefundung und der radiologischen Zweitmeinung liegt es im Verantwortungsbereich des behandelnden patientenführenden Arztes, welcher radiologischen Interpretation er sich anschließt.

Bei einer geforderten radiologischen ad-hoc-Zweitmeinung in medizinischen Notfallsituationen liegt zunächst durch die Notfallsituation ein herabgesetzter Sorgfaltsmaßstab für die Dokumentation vor. Dennoch sollte nach der Beendigung der Notfallsituation eine adäquate Dokumentation der Zweitmeinung durchgeführt werden.


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Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • References

  • 1 Eakins C, Ellis WD, Pruthi S. et al. Second opinion interpretations by specialty radiologists at a pediatric hospital: rate of disagreement and clinical implications. Am J Roentgenol 2012; 199: 916-920
  • 2 Torok CM, Lee C, Nagy P. et al. Neuroradiology second opinion consultation service: assessment of duplicative imaging. Am J Roentgenol 2013; 201: 1096-1100
  • 3 Zan E, Yousem DM, Carone M. et al. Second-opinion consultations in neuroradiology. Radiology 2010; 255: 135-141
  • 4 Haier J, Bergmann KO. Medicolegal aspects of tumor boards. Chirurg 2013; 84: 225-230
  • 5 Dendl LM, Teufel A, Schleder S. et al. Analysis of Radiological Case Presentations and their Impact on Therapy and Treatment Concepts in Internal Medicine. Rofo 2017; 189: 239-246

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  • References

  • 1 Eakins C, Ellis WD, Pruthi S. et al. Second opinion interpretations by specialty radiologists at a pediatric hospital: rate of disagreement and clinical implications. Am J Roentgenol 2012; 199: 916-920
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  • 5 Dendl LM, Teufel A, Schleder S. et al. Analysis of Radiological Case Presentations and their Impact on Therapy and Treatment Concepts in Internal Medicine. Rofo 2017; 189: 239-246