Hintergrund: Die Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) wird
in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre in erfolgreicher Arbeitsteilung von staatlichen
und nichtstaatlichen Akteur*innen in Bund, Ländern und Gemeinden mit vielfältigen
Maßnahmen – von Kampagnen über On- und Offline-Informationsvermittlung bis zu Beratungsangeboten
– durchgeführt. Dabei unterliegen die Angebote einer steten Weiterentwicklung, die
den Wandel von Aids bzw. der HIV-Infektion als einer tödlichen Krankheit hin zu einer
behandelbaren chronischen Infektion berücksichtigt und die epidemiologische Situation
der HIV-Infektionen und STIs kontinuierlich einkalkuliert.
Neben HIV haben andere STIs und Virushepatitiden in verschiedenen Zielgruppen schon
seit den 80er-Jahren eine Rolle gespielt, waren aber neben der tödlichen Erkrankung
Aids in ihrer Bedeutung in den Hintergrund getreten. Mit der guten Behandelbarkeit
und der Vielfalt der Schutzmöglichkeiten vor einer HIV-Infektion kommt anderen STIs
heute wieder eine größere Rolle zu. Auf Grundlage des Konzepts der sexuellen Gesundheit
gewinnen zudem neue Präventions-, Diagnostik- und Therapieansätze an Bedeutung.
Dabei kommt – neben Präventionsangeboten von staatlichen und nichtstaatlichen Akteur*innen
inklusive des Ausbaus der Beratungs- und Testangebote – der ärztlichen Versorgung
im Kontext von HIV/STIs eine steigende Bedeutung zu. Neue Impfungen und Screening-Strategien,
aber auch die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) zum Schutz vor HIV erfordern die medizinische
Betreuung durch Ärzt*innen. In der STI-Prävention ist die Test- und Behandlungsbotschaft
„Bei Symptomen zum*zur Ärzt#ast#in (oder einer Beratungsstelle, die auch Tests anbietet)“
zentraler Bestandteil und wird zunehmend um die Aufforderung, sich auch ohne Symptome
regelmäßig testen zu lassen, ergänzt.
Der Öffentliche Gesundheitsdienst als „dritte Säule“ des Gesundheitswesens mit seiner
subsidiären und sozialkompensatorischen Ausrichtung hat eine wichtige Rolle im Kontext
der HIV/STI-Prävention sowie Förderung der sexuellen Gesundheit. So haben z.B. Menschen
aus HIV-Prävalenzgebieten und Sexarbeiter*innen in Deutschland häufig keinen oder
nur erschwerten Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung. Auch diese – in ihren
jeweiligen Lebenswelten-haben individuelle Bedarfe und mehrere „Schubladen“ – sind
nicht nur Migrant*innen, geflüchtete Menschen oder Sexarbeiter*innen mit sozialen
und ggfls. psychischen Problemen, sondern möglicherweise zugleich auch eine drogengebrauchende
trans* Person, ein schwuler Sexarbeiter ohne legalisierten Aufenthaltstitel etc. Sie
benötigen auch in Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes individualmedizinische
Beratung und Betreuung.
Für eine gute Versorgung ist im Kontext der HIV/STI-Prävention und –Behandlung die
Kommunikation zwischen Ärzt*innen/Berater*innen und Patient*innen zentral. In vertrauensvollen
Gesprächen über Sexualität, unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Lebenswelten
und individuellen psychosozialen Herausforderungen liegt die Chance, Gesundheitsrisiken
besser einzuschätzen, die richtige Diagnostik anzubieten sowie präventiv zu beraten.
Hierin liegt der Schlüssel für eine gelingende Versorgung.
Doch Reden über Sexualität fällt oft beiden Seiten nicht leicht und kann vielerlei
Fragen aufwerfen (Verhoeven 2013)[1]. Und auch wenn sich ein Großteil der Patient*innen wünscht, dass ihre Ärzt*innen
sie auf ihre Sexualität ansprechen (Meystre-Agustoni 2011)[2], ist eine strukturierte Sexualanamnese in der ärztlichen Versorgung nicht Standard
(Brenk-Franz, Brähler, Hoy, Schneider, Strauß 2023)[3].
Das Programm „Let’s talk about Sex“ – ein Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramm der
Deutschen Aidshilfe (DAH)
Seit 2010 bietet die DAH das, in Kooperation mit der Deutschen Arbeitsgemeinschaft
niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e. V. (dagnä), der Deutschen
STI-Gesellschaft e. V. (DSTIG), der Deutschen AIDS-Gesellschaft e. V. (DAIG) und der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erarbeitete Veranstaltungsprogramm
„Let’s talk about Sex – HIV/STI-Prävention in der ärztlichen Praxis“ (s. https://www.hiv-sti-fortbildung.de) an. Das Programm wird kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt und hat zum
Ziel dass niedergelassene Ärzt*innen, Klinikpersonal, Praxisteams, Medizinstudierende,
Dozent*innen der Humanmedizin und seit 2024 auch Mitarbeiter*innen des Öffentlichen
Gesundheitsdienstes:
-
den Beratungsbedarf von Patient*innen zu HIV/STIs besser erkennen
-
kommunikative Kompetenz erhöhen, über Sexualität zu sprechen
-
klinisches Wissen zu Diagnostik und Übertragungswegen von HIV und anderen STIs vertiefen
-
Lebenswelten von Menschen mit erhöhtem HIV/STI-Risiko kennenlernen und dabei Vorurteile
als mögliche Barrieren in der Diagnostik und Therapie abbauen
-
ihre Verweiskompetenz zu praktizierenden Ärzt*innen, sexual(therapeutischer) und psychosozialer
Beratung, (Community)-Beratungsstellen für LSTBIQ* sowie lokalen Aidshilfe incl. der
communitygeführten STI-Teststellen (Check-Points) erhöhen.
Die Aus-, Fort- und Weiterbildungsmodule, die von communitynahen Trainer*innen – praktizierenden
Ärzt*innen, Psycholog*innen, Sexualberater*innen und Therapeut*innen – durchgeführt
werden, sind für Ärzt*innen als Fortbildung in der Kategorie C mit 4 Punkten zertifiziert.
Sie tragen das Gütesiegel der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin für gute
hausärztliche Fortbildung. Das Programm wurde ferner von der WHO als Gutes Praxis
Beispiel in das „Compendium of good practices in the health sector response to HIV
in the WHO European Region“ aufgenommen.
Im Workshop stellen die Referent*innen
-
das Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramm vor
-
präsentieren anhand exemplarischen Übungs- und Fallbeispielen ein System der HIV/STI-fokussierenden
Sexualanamnese, dass in ärztlicher und medizinisch/präventiv beratender Arbeit verwendet
werden kann
-
diskutieren mit den Workshopteilnehmer*innen die Relevanz des Themas für ihre praktische
Arbeit sowie Möglichkeiten der themenrelevanten Fort- und Weiterbildung
Ziele und Inhalt: Im Workshop wird es den Teilnehmenden ermöglicht, sich praxisnah
mit den Herausforderungen und Möglichkeiten der zielgruppennahen, auf STIs fokussierenden
Sexualanamnese auseinanderzusetzen sowie Fortbildungsmöglichkeiten im Rahmen des Aus-
und Fortbildung zu diskutieren. Im interaktiven Hauptteil werden Informationen zu
Risikowahrscheinlichkeiten für eine Transmission von STIs in unterschiedlichen Settings
sowie Besonderheiten bei der Beratung von LSTBIQ*-Personen praxisnah vorgestellt.
In interaktiven Übungen und Q&A-Einheiten wird die Möglichkeit gegeben, Erfahrungen
aus dem beruflichen Alltag einzubringen, passende Kommunikationsstrategien kennenzulernen
und seine eigene Haltung zu Sexualität zu hinterfragen.