Rofo 1999; 171(5): 406-408
DOI: 10.1055/s-1999-8186
DER INTERESSANTE FALL
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gliomatosis cerebri - Leistungsfähigkeit der bildgebenden Verfahren

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Publication Date:
31 December 1999 (online)

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Die Gliomatosis cerebri ist eine sehr seltene neoplastische Erkrankung des zentralen Nervensystems unklarer Genese, die kernspintomographisch vermutet werden kann, zur Bestätigung aber einer histologischen Untersuchung bedarf. Die Computertomographie bringt keine zusätzliche Information. Auch die Histologie kann Schwierigkeiten bereiten. Somit stützt sich die Diagnose auf die additiven Möglichkeiten der radiologischen Bildgebung (Magnetresonanztomographie) und der Histologie, wie unser Fall zeigt.

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Fallbeschreibung

Ein 75jähriger Patient kam wegen zunehmender Schwäche im linken Bein, gelegentlichen Sprachstörungen und progredientem Schwindel zur stationären Aufnahme. Bei der neurologischen Untersuchung zeigte sich eine geringe Dysarthrie mit Wortfindungsstörungen, eine diskrete linksseitige Beinparese mit unmöglichem Einbeinstand links und ein Absinken beim Armvorhalteversuch links sowie abgeschwächte Muskeleigenreflexe des linken Beines bei fehlendem Babinski. Bis auf eine leichte Hypercholesterinämie (Cholesterin 264 mg/dl) waren die Laborwerte unauffällig. Der Patient war Nichtraucher, kein Alkohol- und Medikamentenkonsum. Ausführliche klinische einschließlich elektrophysiologischer Untersuchungen führten nicht zur Diagnose.

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Bildgebende Untersuchungen

Die Magnetresonanztomographie des Schädels (Nov. 1997) zeigte in der T2-gew. und FLAIR-Sequenz multiple, ausschließlich großhirnig disseminierte, z. T. konfluierende hyperintense Läsionen in beiden Hemisphären, rechts ausgeprägter als links, mit Balkenbeteiligung (Abb. [1 a] [b]). Nach i. v. Gabe von Gd-DTPA keine Schrankenstörung (Abb. [2]), dabei minimale Kompression des rechten Seitenventrikels. Eine durchgemachte Enzephalitis, eine primäre zerebrale Vaskulitis oder eine neuro-degenerative Erkrankung standen danach differentialdiagnostisch zur Diskussion. Im weiteren Verlauf traten progrediente Gangunsicherheit und Beinschwäche auf, die sich zu einem linksseitigen sensomotorischen Hemisyndrom entwickelten. Zur weiteren Abklärung erfolgte eine stereotaktische Hirnbiopsie, wobei sich ein diffuser neoplastischer Prozeß mit oedematöser Auflockerung des ZNS-Gewebes durch relativ wenige, verstreut im Gewebe liegende, dysplastische Zellen ohne Destruktionszeichen der normalen Hirnarchitektur ergab. Dieser Befund wurde einer Gliomatosis cerebri Grad III, dd einem höhergradigen Astrozytom zugeordnet.

Eine erneute Magnetresonanztomographie des Schädels (April 1998) zeigte eine Progredienz der Läsionen im Bereich der Capsula interna und externa rechtsseitig mit unverändert ausgedehntem Marklagerbefall, vorwiegend rechts hochparietal und temporal. Weiterhin bestand keine Schrankenstörung nach i.v. KM-Gabe. Eine bei deutlicher klinischer Verschlechterung angefertigte Computertomographie des Schädels (Aug. 1998) zeigte im Gegensatz zur Magnetresonanztomographie nur gering ausgeprägte Veränderungen im Marklager, dabei ebenfalls keine Schrankenstörung nach KM-Gabe (Abb. [3]).

Der Patient, der noch eine Ganzhirnbestrahlung erhielt, verstarb kurz danach.

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Diskussion

Die Gliomatosis cerebri ist eine äußerst selten angetroffene Neoplasie des ZNS unbekannter Ätiopathogenese, die vorwiegend bei Patienten zwischen der 2. und 4. Lebensdekade beobachtet wird. Der klinische Verlauf ist oft langsam progredient, über mehrere Monate / Jahre (Sartor K, MR imaging of skull and brain, Springer Verlag, 1992: 260). In einer großen Studie von 160 Fällen starben aber 52 % der Patienten schon im ersten Jahr nach Diagnosestellung [Jennings et al., J Child Neurol 1995; 10 (1) : 37].

Histologisch findet sich eine neoplastische Transformation von Gliazellen mit Gliazellvermehrung, die diffus infiltrierend sich über große Anteile des Gehirns ausdehnt. Typisch ist dabei der Befall des Marklagers beidseits und der infratentoriellen Region, gelegentlich auch des Rückenmarkes. Die genannten Hirnregionen sind nahezu vollständig befallen, wobei die in der Nachbarschaft liegenden Strukturen weitgehend verschont sind, so daß die neuroanatomische Gesamtarchitektur erhalten bleibt (Scott W. Atlas, Magnetic resonance imaging of the brain and spine. Raven press New York 1991: 260). Daraus resultiert die geringe Aussagekraft der CT, die auch wir bestätigen können (Abb. [3]) und die zur Diagnosefindung der Gliomatosis cerebri praktisch keine Rolle spielt (Geremia et al., J Comput Assist Tomogr 1988; 12: 698).

Klinisch werden meistens Persönlichkeitsveränderungen und andere mentale Störungen beobachtet, ansonsten uncharakteristische Verläufe ohne fokale Ausfälle. Es besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der gering ausgeprägten, eher schleichenden neurologischen Symptomatik und den oft deutlich ausgeprägten morphologischen zerebralen Veränderungen.

Die diagnostische Bildgebung stützt sich ganz auf die Magnetresonanztomographie (Spagnoli et al., Neuroradiology 1987; 29: 15). Damit sind die genannten zerebralen Läsionen erkennbar: in der T2-gew. und in der FLAIR-Sequenz ausgedehnte, z. T. konfluierende, relativ symmetrisch angeordnete, hyperintense Areale im Marklager beidseits (Abb. [1 a] [b]) mit Beteiligung des infratentoriellen Raumes und gelegentlich des Rückenmarkes - letztere in unserem Fall nicht vorhanden.

Differentialdiagnostisch kann es schwierig sein, die Erkrankung von Ischämien, anderen Tumorvarianten (z.B. multizentrisches/multifokales Gliom), Entzün-dungen und demyelinisierenden Erkrankungen abzugrenzen.

Trotz Einzelmitteilungen über klinische Besserungen unter Radiotherapie und kombinierter Radio- und Chemotherapie [Kannuki et al., Brain Tumor Pathol 1997; 14 (1): 53] gibt es bisher keine kurative Behandlung.

L.-F. Moisin und Fr.-J. Krause, Albstadt

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Abb. 1 aT2-w, Großflächige konfluierende Läsionen in beiden Hemisphären mit Balkenbeteiligung.

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Abb. 1 bFLAIR-Sequenz: Großflächige konfluierende Läsionen in beiden Hemisphären mit Balkenbeteiligung.

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Abb. 2Kraniales MRT (T1-w nach Gd-DTPA): Atypische Veränderungen im Marklager beidseits, keine Schrankenstörung.

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Abb. 3Schädel-CT nach i. v. KM-Gabe. Diskrete Marklagerveränderungen. Keine Schrankenstörung.

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Abb. 1 aT2-w, Großflächige konfluierende Läsionen in beiden Hemisphären mit Balkenbeteiligung.

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Abb. 1 bFLAIR-Sequenz: Großflächige konfluierende Läsionen in beiden Hemisphären mit Balkenbeteiligung.

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Abb. 2Kraniales MRT (T1-w nach Gd-DTPA): Atypische Veränderungen im Marklager beidseits, keine Schrankenstörung.

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Abb. 3Schädel-CT nach i. v. KM-Gabe. Diskrete Marklagerveränderungen. Keine Schrankenstörung.